Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 RJ 2739/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 676/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem EuGH werden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Ist Anhang III Teil A und B jeweils Nr.35 Deutschland-Österreich Buchstabe e Nr. i) zur EWGV 1408/71 dahingehend auszulegen, dass er - neben der Leistungsberechtigung am 01.01.1994 - auch die Wohnsitznahme in Österreich voraussetzt?
2. Falls ja, sind diese Bestimmungen sowie Anhang VI C. Deutschland Nr.1 zur EWGV 1408/71 mit höherrangigem Europarecht, insbesondere dem Freizügigkeitsgebot des Art.39 i.V.m. Art.42 EG-Vertrag, vereinbar?
Gründe:
I.
1. Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin nach deren Umzug nach Österreich Hinterbliebenenrente lediglich aus Bundesgebietsbeitragszeiten zu zahlen hat.
2. Die 1920 geborene Klägerin, deutsche Staatsangehörige, bezieht seit 01.03.1983 Witwenrente aus der Versicherung ihres 1903 geborenen und am 14.02.1983 verstorbenen Ehemannes. Der Rentenberechnung liegen neben Bundesgebietsbeitragszeiten Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz und nach den ehemaligen reichsgesetzlichen Vorschriften außerhalb des jetzigen Bundesgebietes zugrunde. Die als Vetriebene seit dem 12.02.1960 im Bundesgebiet wohnhafte Klägerin verzog am 20.08.1995 nach Österreich. Die Bruttorente betrug zu diesem Zeitpunkt 553,73 DM (netto 515,53 DM).
3. Mit Bescheid vom 29.07.1998 setzte die Beklagte die Rente für die Zeit ab 01.05.1998 als Auslandsrente gemäß § 114 SGB VI neu fest und errechnete aus den Entgeltpunkten für Bundesgebietsbeitragszeiten zuzüglich anteilsmäßiger Entgeltpunkte für beitragsfreie Zeiten eine Bruttorente in Höhe von 179,77 DM (167,28 DM netto). Den Widerspruch wies sie am 22.09.1998 zurück.
4. Das Sozialgericht hat den Bescheid vom 29. Juli 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. September 1998 abgeändert und die Beklagte mit Urteil vom 6. April 2001 verurteilt, die Witwenrente über den 30. April 1998 hinaus in Höhe der Inlandsrente zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Bescheide seien rechtswidrig, weil der Verzug der Klägerin nach Österreich keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen im Sinne des § 48 SGB X enthalte, die eine Änderung der Rentenzahlung bedingen könnten. Die Vorschrift des Anhangs III Teil A Nr.35 e der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (EWGV 1408/71) sei vielmehr wie folgt auszulegen: "Die uneingeschränkte Gebietsgleichstellungsvorschrift des Art.4 Abs.1 des für die von den EG-Verordnungen erfassten Personen und Sachverhalten nicht mehr anwendbaren deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit vom 22.12.1966 - BGBl. 1969 II, S.1235 -) ist auch in den Fällen anwendbar, in denen ein Versicherter bereits am 01.01.1994 oder vorher einen Rentenzahlungsanspruch hatte, zum privilegierten Personenkreis des Art.4 Abs.1 i.V.m. Art.3 des deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens zu diesem Zeitpunkt gehörte und von seinem Recht auf Freizügigkeit erst nach In-Kraft-Treten des EWR-Vertrags (01.01.1994) Gebrauch gemacht hat."
5. Gegen das am 05.09.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.09.2001 Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 20.08.2002 hat der Senat das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Grund hierfür war das anhängige Verfahren beim Bundessozialgericht unter dem Az.: B 5 RJ 24/00 R. Das Bundessozialgericht hat mit Beschluss vom 30. Januar 2002 das Verfahren ausgesetzt und den EuGH (Az.: C-156/02) um Vorabentscheidung der aufgeworfenen europarechtlichen Fragen gebeten. Diesen Beschluss hat der 5. Senat des Bundessozialgerichts am 26.04.2005 nach dem Tod der dortigen Klägerin aufgehoben.
6. Angesichts der Einstellung des Vorlageverfahrens im Parallelfall B 5 RJ 24/00 R hat die Klägerin am 30.08.2004 beantragt, das Verfahren fortzusetzen.
7. a) Zur Berufungsbegründung hat sich die Beklagte auf ihre im Parallelverfahren geäußerte Rechtsansicht bezogen: Gemäß den §§ 110 bis 114 SGB VI seien grundsätzlich keine Rentenleistungen aus Fremdrentenzeiten und Reichsgebietsbeitragszeiten bei gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland möglich. Folgerichtig enthalte deshalb auch der Anhang VI C. Deutschland Nr.1 der EWGV 1408/71 die Einschränkung des Art.10 EWGV 1408/71 (Aufhebung der Wohnortklausel) in Bezug auf Leistungen aus Zeiten, die außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland eingetreten bzw. zurückgelegt seien, für Berechtigte, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ihren ständigen Aufenthalt hätten bzw. nähmen. Auf die Ausnahmevorschrift des § 272 SGB VI könne sich die Klägerin nicht berufen.
b) Das Privileg der "uneingeschränkten Gebietsgleichstellung" aufgrund des Abkommens der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Sozialversicherung könne die Klägerin nach den Beitritt Österreichs zum europäischen Wirtschaftsraum nicht mehr für sich beanspruchen, weil sie diese Vergünstigung nach dem bilateralen Sozialversicherungsabkommen nicht bereits vor dem Beitritt Österreichs zur EG und damit vor In-Kraft-Treten der EWGV 1408/71 erworben habe. Zum Zeitpunkt des Umzugs der Klägerin nach Österreich im August 1995 habe bereits Art.6 EWGV 1408/71 und nicht mehr das bilaterale Abkommen mit Österreich gegolten. Zwar sei die Regelung der uneingeschränkten Gebietsgleichstellung nicht ersatzlos weggefallen. Dem Besitzschutz für Bestandsrenten und dem Vertrauens- und Dispositionsschutz für Erst- bzw. Neurentner habe vielmehr die Übergangsbestimmung des Anhang III der EWGV 1408/71 Buchstabe A und B jeweils Nr.35 Buchstabe e Rechnung getragen. Danach bleibe die Gebietsgleichstellung (Art.4 Abs.1 Abkommen Österreich Sozialversicherung a.F.) aufrecht erhalten, wenn i) die Leistungen am 1. Januar 1994 bereits erbracht worden seien oder hätten erbracht werden können, ii) die betreffende Person vor dem 1. Januar 1994 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich genommen habe und die Leistungen aus der Rentenversicherung bis zum 31. Dezember 1994 begonnen hätten; dies gelte auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezugs einschließlich einer die erste Rente ersetzenden Hinterbliebenenrente, wenn sich Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschlössen.
Die Nr.35 Buchstabe e Nr. i) betreffe allein Bestandsschutz für laufende Renten, die unter Berücksichtigung des Art.4 Abs.1 Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966 - vor In-Kraft-Treten der EWGV 1408/71 in Österreich - festgestellt worden seien; durch die Nr. ii) würden solche Personen geschützt, die am 1. Januar 1994 bereits in Österreich wohnhaft gewesen seien und deren Rentenleistungen zwischen dem 31. Dezember 1993 und dem 1. Januar 1995 begönnen. Bei einem Umzug nach Österreich erst im Jahr 1995 ergebe sich aus den Anhangsbestimmungen keine uneingeschränkte Gebietsgleichstellung mehr. Dies zeigten auch die Niederschriften über die deutsch-österreichischen Regierungsverhandlungen im Rahmen der Abkommen über soziale Sicherheit vom 1. bis 5. September 1986, vom 30. November bis 4. Dezember 1987 und vom 25. Februar bis 1. März 1991 (Anhang 1), die bereits die deutsche Absicht einer Aufhebung der uneingeschränkten Gebietsgleichstellung erkennen ließen. Ziel sei es gewesen, auch in Bezug auf Österreich die Wirkung des § 272 SGB VI - ebenso wie beim Aufenthalt in den anderen ausländischen EWR-Staaten - anzuwenden.
8. Demgegenüber hat die Klägerin unter Bezugnahme auf das Erstgericht ausgeführt, die völlige Gebietsgleichstellung aufgrund des deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens sei nicht aufgrund der Geltung von EWG-Recht außer Kraft getreten. a) Die Vorschrift des Anhang III Nr.35 Buchstabe e der EWGV 1408/71 erfasse gerade solche Fälle, in denen eine laufende Leistung spätestens am 01.01.1994 begonnen habe und der Betroffene zum Stichtag bereits zum privilegierten Personenkreis des Art.4 Abs.1 des bilateralen Abkommens gehört habe, wenngleich er erst nach dem 01.01.1994 nach Österreich verzogen sei. Nur diese Auslegung sei vom Wortlaut der Regelung gedeckt und entspreche dem Gebot, Ausnahmen eng auszulegen. b) Die Nr. i) stelle absichtlich nicht auf einen Ausschlussstichtag hinsichtlich der Wahl des Wohnorts ab, sondern mache die Leistung einzig und allein davon abhängig, ob sie bereits gezahlt worden sei oder hätte gezahlt werden können. Anders stelle sich der Inhalt der Nr. ii) dar: Hier werde ausdrücklich darauf abgestellt, dass der Umzug nach Österreich vor dem 1. Januar 1994 stattgefunden haben müsse. Kumulativ hierzu müsse die Leistung aus der Rentenversicherung bis spätestens 31. Dezember 1994 begonnen haben. Dies mache deutlich, dass bei Neufällen ein derart umfassender Besitz- und Vertrauensschutz nicht habe gewährt werden sollen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. April 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. April 2001 zurückzuweisen.
II.
Das Verfahren ist auszusetzen.
1. Nachdem die Auslegung und Gültigkeit europarechtlicher Regelungen für die Entscheidung des Rechtsstreits vorgreiflich sind und das Bundessozialgericht in einem Parallelfall bereits ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hat, gebietet es die Prozessökonomie, diese Fragen dem Europäischen Gerichtshof direkt zur Entscheidung vorzulegen. Die Berechtigung hierzu ergibt sich aus Art.234 EG-Vertrag.
2. Nach dem anzuwendenden deutschen Recht können Renten, soweit sie auf FRG-Zeiten beruhen, nicht in das Ausland gezahlt werden. Entscheidend ist, ob die einem entsprechenden Rentenexport entgegenstehenden Vorschriften des nationalen Rechts (§ 110 Abs.2, § 113 Abs.1, § 272 SGB VI) wegen Weitergeltung des Privilegs der "uneingeschränkten Gebietsgleichstellung" in § 4 Abs.1 Satz 1 Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966 trotz des Beitritts Österreichs zum EWR am 1. Januar 1994 und zur EU am 1. Januar 1995 (mit grundsätzlicher Geltung der EWGV 1408/71 ab 1. Januar 1994) nicht anwendbar sind.
Gemäß § 110 Abs.2 SGB VI erhalten Berechtigte, die einen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, Rentenleistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen. Im Fall der Klägerin ist insoweit § 113 Abs.1 SGB VI einschlägig, wonach für Leistungen persönliche Entgeltpunkte nur ermittelt werden aus Entgeltpunkten für Bundesgebietsbeitragszeiten.
Die Ausnahmevorschrift des § 272 SGB VI wirkt sich nicht zu Gunsten der Klägerin aus. Danach werden für vor dem 19. Mai 1950 geborene berechtigte Deutsche auch Entgeltpunkte für Beitragszeiten nach dem FRG ermittelt, wenn sie vor dem 19. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen haben. Die Klägerin hat jedoch ihren Wohnsitz erst im August 1995 nach Österreich verlegt.
3. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch könnte sich jedoch aus dem nach § 110 Abs.3 SGB VI vorrangigen über- oder zwischenstaatlichem Recht ergeben, insbesondere aus dem Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966. Art.4 Abs.1 Satz 1 dieses Abkommens bestimmt: "Soweit dieses Abkommen nichts anderes bestimmt, gelten die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die in Art.3 genannten Personen, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten." Zu diesem Personenkreis zählt die Klägerin als Hinterbliebene. Zweifelhaft ist, ob diese Bestimmung nach dem Beitritt Österreichs zum EWR ab 1. Januar 1994 zu Gunsten der Klägerin fortgilt.
4. Seit dem Beitritt Österreichs zum EWR findet die EWGV 1408/71 für Österreich Anwendung (Art.6 EWGV 1408/71). Diese Verordnung enthält in ihrem Art.10 Abs.1 zwar eine Gebietsgleichstellung. Nach Anhang VI C Nr.1 Deutschland zur EWGV 1408/71 berührt Art.10 der Verordnung aber nicht die Rechtsvorschriften, nach denen aus Zeiten, die außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt sind, Leistungen an Berechtigte außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen gezahlt werden. Die Aufhebung der Wohnortklausel in Art.10 Abs.1 EWGV 1408/71 wird mithin durch diese Anhangsbestimmung hinsichtlich Reichsgebietsbeitragszeiten bzw. FRG-Zeiten grundsätzlich außer Kraft gesetzt. Hiervon gilt jedoch eine Ausnahme: In Anhang III Teil A und B sind Bestimmungen aus Abkommen genannt, die unbeschadet des Art.6 der Verordnung weitergelten bzw. fortgeltende Bestimmungen aus Abkommen, deren Geltungsbereich nicht alle Personen umfasst, auf die die Verordnung anzuwenden ist; beide Teile (A und B) führen unter Nr.35 Buchstabe e im Hinblick auf das Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966 auf: "Art.4 Abs.1 in Bezug auf die deutschen Rechtsvorschriften, nach denen Unfälle (und Berufskrankheiten), die außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind, sowie Zeiten die außerhalb dieses Hoheitsgebietes zurückgelegt werden, keinen Anspruch auf Leistungen begründen, bzw. einen solchen nur unter bestimmten Bedingungen begründen, wenn die Berechtigten ihren Wohnsitz außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland haben, und zwar in Fällen, in denen: I.) die Leistungen am 1. Januar 1994 bereits erbracht werden oder erbracht werden können, II.) die betreffende Person vor dem 1. Januar 1994 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich genommen hat und die Leistung aus der Renten- und Unfallversicherung bis zum 31. Dezember 1994 beginnt; dies gilt auch für Zeiten eines weiteren Rentenbezugs einschließlich einer die erste Rente ersetzenden Hinterbliebenenrente, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen."
a) Orientiert am Wortlaut könnten Anhang III Teil A und B Nr.35 Buchstabe e Nr. i) dahingehend auszulegen sein, dass für die Klägerin, die am 1. Januar 1994 bereits rentenberechtigt war, eine Wohnsitznahme in Österreich vor dem 1. Januar 1994 nicht erforderlich war. Dies würde bedeuten, dass Arbeitnehmern und ihren Hinterbliebenen die durch das Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966 geschützte Rechtsposition einschließlich der Option des Wohnortwechsels erhalten geblieben wäre.
b) Die gegenteilige Ansicht der Beklagten, dass die Formulierung der Nr. i) lediglich sog. Altfälle erfasse, in denen am 1. Januar 1994 bereits Leistungen nach Österreich gezahlt wurden oder an bereits in Österreich wohnende Versicherte hätten erbracht werden können, stützt sich insbesondere auf die Niederschriften über die deutsch-österreichischen Regierungsverhandlungen im Rahmen der Abkommen über die soziale Sicherheit vom 1. bis 5. September 1986 (dort unter Nr.7), vom 30. November bis 4. Dezember 1987 (dort unter Nr.1) und vom 25. Februar bis 1. März 1991 (dort unter Nr.I 1); diese ließen bereits die deutsche Absicht einer Aufhebung einer uneingeschränkten Gebietsgleichstellung erkennen und zeigten die Gründe auf, die deutscherseits gegen eine Zahlung der vollen Leistung aus Fremdrentenzeiten bei einem Wohnsitz in Österreich sprächen. Zudem sollten nach der Systematik des Art.6 EWGV 1408/71 die bilateralen Sozialversicherungsabkommen mit dem In-Kraft-Treten der EWGV 1408/71 grundsätzlich abgelöst werden. Dies könnte eine enge Auslegung der Ausnahmeregelungen nahe legen, zumal eine besondere Schutzbedürftigkeit eines Betroffenen aus dem außer Kraft getretenen bilateralen Abkommen, der nach In-Kraft-Treten der europäischen Gemeinschaftsnormen ins EWG-Ausland verzieht, nicht zu erkennen ist (vgl. EuGH, Urteile vom 7. Juni 1973, (Rs Walder) - 82/72 - EuGHE I 1993, 599 und vom 9. November 1995 (Rs Thevenon) - C-475/93 - EuGHE I 1995, 3813).
Wenn jedoch die Wohnsitznahme der Klägerin in Österreich erst im Jahre 1995 der Anwendung der Anhangs-Vorschrift III Teil A und B jeweils Nr.35 Buchstabe e Nr. i) zur EWGV 1408/71 nicht entgegen steht, kann die Hinterbliebenenrente der Klägerin in voller Höhe ausgezahlt werden. Es bedarf daher der verbindlichen Auslegung des Anhangs III Teil A und B jeweils Nr.35 Buchstabe e zur EWGV 1408/71 durch den EuGH im Sinne der Verlagefrage 1.
5. Bejaht der EuGH diese Vorlagefrage, bleibt jedoch im Sinne der Vorlagefrage 2 zu prüfen, ob die genannten Vorschriften sowie der Anhang VI C. Deutschland Nr.1 zur EWGV 1408/71 gegen höherrangiges Europarecht verstoßen. Bedenken gegen die Vereinbarkeit der genannten Normen mit höherrangigem Recht ergeben sich aus dem in Art.8a, 48 und 51 EG-Vertrag geregelten Recht auf Freizügigkeit. Zu dem hierdurch geschützten Personenkreis zählen nicht nur die Arbeitnehmer im engerem Sinn, sondern auch die Rentner.
Der Prüfungsmaßstab zu Vorschriften, die Vergünstigungen aus bilateralen Vereinbarungen abschaffen, die durch Europarecht abgelöst wurden, ergibt sich aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Thevenon (Urteil vom 9. November 1995, a.a.O.). Hiernach bleiben frühere Vergünstigungen aus bilateralen Abkommen nur dann anwendbar, wenn besondere Umstände vorliegen. Solche besonderen Umstände könnten deshalb zu bejahen sein, weil die Klägerin bereits seit langem Bestandsrentnerin war und vor dem In-Kraft-Treten der EWGV 1408/71 für Österreich aufgrund der uneingeschränkten Gebietsgleichstellung die ungekürzte Auszahlung der deutschen Rente nach Österreich verlangen konnte. Dies könnte dafür sprechen, dass die Grundsätze über die Weitergeltung des bilateralen Abkommens zu Gunsten von Bestandsrentnern, die erst nach dem 31. Dezember 1993 Wohnsitz in Österreich genommen haben, Anwendung finden.
Im Übrigen wird auf die EuGH-Vorlage des 5. Senats des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002 Bezug genommen.
II. Dem EuGH werden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Ist Anhang III Teil A und B jeweils Nr.35 Deutschland-Österreich Buchstabe e Nr. i) zur EWGV 1408/71 dahingehend auszulegen, dass er - neben der Leistungsberechtigung am 01.01.1994 - auch die Wohnsitznahme in Österreich voraussetzt?
2. Falls ja, sind diese Bestimmungen sowie Anhang VI C. Deutschland Nr.1 zur EWGV 1408/71 mit höherrangigem Europarecht, insbesondere dem Freizügigkeitsgebot des Art.39 i.V.m. Art.42 EG-Vertrag, vereinbar?
Gründe:
I.
1. Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin nach deren Umzug nach Österreich Hinterbliebenenrente lediglich aus Bundesgebietsbeitragszeiten zu zahlen hat.
2. Die 1920 geborene Klägerin, deutsche Staatsangehörige, bezieht seit 01.03.1983 Witwenrente aus der Versicherung ihres 1903 geborenen und am 14.02.1983 verstorbenen Ehemannes. Der Rentenberechnung liegen neben Bundesgebietsbeitragszeiten Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz und nach den ehemaligen reichsgesetzlichen Vorschriften außerhalb des jetzigen Bundesgebietes zugrunde. Die als Vetriebene seit dem 12.02.1960 im Bundesgebiet wohnhafte Klägerin verzog am 20.08.1995 nach Österreich. Die Bruttorente betrug zu diesem Zeitpunkt 553,73 DM (netto 515,53 DM).
3. Mit Bescheid vom 29.07.1998 setzte die Beklagte die Rente für die Zeit ab 01.05.1998 als Auslandsrente gemäß § 114 SGB VI neu fest und errechnete aus den Entgeltpunkten für Bundesgebietsbeitragszeiten zuzüglich anteilsmäßiger Entgeltpunkte für beitragsfreie Zeiten eine Bruttorente in Höhe von 179,77 DM (167,28 DM netto). Den Widerspruch wies sie am 22.09.1998 zurück.
4. Das Sozialgericht hat den Bescheid vom 29. Juli 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. September 1998 abgeändert und die Beklagte mit Urteil vom 6. April 2001 verurteilt, die Witwenrente über den 30. April 1998 hinaus in Höhe der Inlandsrente zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Bescheide seien rechtswidrig, weil der Verzug der Klägerin nach Österreich keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen im Sinne des § 48 SGB X enthalte, die eine Änderung der Rentenzahlung bedingen könnten. Die Vorschrift des Anhangs III Teil A Nr.35 e der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (EWGV 1408/71) sei vielmehr wie folgt auszulegen: "Die uneingeschränkte Gebietsgleichstellungsvorschrift des Art.4 Abs.1 des für die von den EG-Verordnungen erfassten Personen und Sachverhalten nicht mehr anwendbaren deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit vom 22.12.1966 - BGBl. 1969 II, S.1235 -) ist auch in den Fällen anwendbar, in denen ein Versicherter bereits am 01.01.1994 oder vorher einen Rentenzahlungsanspruch hatte, zum privilegierten Personenkreis des Art.4 Abs.1 i.V.m. Art.3 des deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens zu diesem Zeitpunkt gehörte und von seinem Recht auf Freizügigkeit erst nach In-Kraft-Treten des EWR-Vertrags (01.01.1994) Gebrauch gemacht hat."
5. Gegen das am 05.09.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.09.2001 Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 20.08.2002 hat der Senat das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Grund hierfür war das anhängige Verfahren beim Bundessozialgericht unter dem Az.: B 5 RJ 24/00 R. Das Bundessozialgericht hat mit Beschluss vom 30. Januar 2002 das Verfahren ausgesetzt und den EuGH (Az.: C-156/02) um Vorabentscheidung der aufgeworfenen europarechtlichen Fragen gebeten. Diesen Beschluss hat der 5. Senat des Bundessozialgerichts am 26.04.2005 nach dem Tod der dortigen Klägerin aufgehoben.
6. Angesichts der Einstellung des Vorlageverfahrens im Parallelfall B 5 RJ 24/00 R hat die Klägerin am 30.08.2004 beantragt, das Verfahren fortzusetzen.
7. a) Zur Berufungsbegründung hat sich die Beklagte auf ihre im Parallelverfahren geäußerte Rechtsansicht bezogen: Gemäß den §§ 110 bis 114 SGB VI seien grundsätzlich keine Rentenleistungen aus Fremdrentenzeiten und Reichsgebietsbeitragszeiten bei gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland möglich. Folgerichtig enthalte deshalb auch der Anhang VI C. Deutschland Nr.1 der EWGV 1408/71 die Einschränkung des Art.10 EWGV 1408/71 (Aufhebung der Wohnortklausel) in Bezug auf Leistungen aus Zeiten, die außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland eingetreten bzw. zurückgelegt seien, für Berechtigte, die außerhalb der Bundesrepublik Deutschland ihren ständigen Aufenthalt hätten bzw. nähmen. Auf die Ausnahmevorschrift des § 272 SGB VI könne sich die Klägerin nicht berufen.
b) Das Privileg der "uneingeschränkten Gebietsgleichstellung" aufgrund des Abkommens der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Sozialversicherung könne die Klägerin nach den Beitritt Österreichs zum europäischen Wirtschaftsraum nicht mehr für sich beanspruchen, weil sie diese Vergünstigung nach dem bilateralen Sozialversicherungsabkommen nicht bereits vor dem Beitritt Österreichs zur EG und damit vor In-Kraft-Treten der EWGV 1408/71 erworben habe. Zum Zeitpunkt des Umzugs der Klägerin nach Österreich im August 1995 habe bereits Art.6 EWGV 1408/71 und nicht mehr das bilaterale Abkommen mit Österreich gegolten. Zwar sei die Regelung der uneingeschränkten Gebietsgleichstellung nicht ersatzlos weggefallen. Dem Besitzschutz für Bestandsrenten und dem Vertrauens- und Dispositionsschutz für Erst- bzw. Neurentner habe vielmehr die Übergangsbestimmung des Anhang III der EWGV 1408/71 Buchstabe A und B jeweils Nr.35 Buchstabe e Rechnung getragen. Danach bleibe die Gebietsgleichstellung (Art.4 Abs.1 Abkommen Österreich Sozialversicherung a.F.) aufrecht erhalten, wenn i) die Leistungen am 1. Januar 1994 bereits erbracht worden seien oder hätten erbracht werden können, ii) die betreffende Person vor dem 1. Januar 1994 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich genommen habe und die Leistungen aus der Rentenversicherung bis zum 31. Dezember 1994 begonnen hätten; dies gelte auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezugs einschließlich einer die erste Rente ersetzenden Hinterbliebenenrente, wenn sich Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschlössen.
Die Nr.35 Buchstabe e Nr. i) betreffe allein Bestandsschutz für laufende Renten, die unter Berücksichtigung des Art.4 Abs.1 Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966 - vor In-Kraft-Treten der EWGV 1408/71 in Österreich - festgestellt worden seien; durch die Nr. ii) würden solche Personen geschützt, die am 1. Januar 1994 bereits in Österreich wohnhaft gewesen seien und deren Rentenleistungen zwischen dem 31. Dezember 1993 und dem 1. Januar 1995 begönnen. Bei einem Umzug nach Österreich erst im Jahr 1995 ergebe sich aus den Anhangsbestimmungen keine uneingeschränkte Gebietsgleichstellung mehr. Dies zeigten auch die Niederschriften über die deutsch-österreichischen Regierungsverhandlungen im Rahmen der Abkommen über soziale Sicherheit vom 1. bis 5. September 1986, vom 30. November bis 4. Dezember 1987 und vom 25. Februar bis 1. März 1991 (Anhang 1), die bereits die deutsche Absicht einer Aufhebung der uneingeschränkten Gebietsgleichstellung erkennen ließen. Ziel sei es gewesen, auch in Bezug auf Österreich die Wirkung des § 272 SGB VI - ebenso wie beim Aufenthalt in den anderen ausländischen EWR-Staaten - anzuwenden.
8. Demgegenüber hat die Klägerin unter Bezugnahme auf das Erstgericht ausgeführt, die völlige Gebietsgleichstellung aufgrund des deutsch-österreichischen Sozialversicherungsabkommens sei nicht aufgrund der Geltung von EWG-Recht außer Kraft getreten. a) Die Vorschrift des Anhang III Nr.35 Buchstabe e der EWGV 1408/71 erfasse gerade solche Fälle, in denen eine laufende Leistung spätestens am 01.01.1994 begonnen habe und der Betroffene zum Stichtag bereits zum privilegierten Personenkreis des Art.4 Abs.1 des bilateralen Abkommens gehört habe, wenngleich er erst nach dem 01.01.1994 nach Österreich verzogen sei. Nur diese Auslegung sei vom Wortlaut der Regelung gedeckt und entspreche dem Gebot, Ausnahmen eng auszulegen. b) Die Nr. i) stelle absichtlich nicht auf einen Ausschlussstichtag hinsichtlich der Wahl des Wohnorts ab, sondern mache die Leistung einzig und allein davon abhängig, ob sie bereits gezahlt worden sei oder hätte gezahlt werden können. Anders stelle sich der Inhalt der Nr. ii) dar: Hier werde ausdrücklich darauf abgestellt, dass der Umzug nach Österreich vor dem 1. Januar 1994 stattgefunden haben müsse. Kumulativ hierzu müsse die Leistung aus der Rentenversicherung bis spätestens 31. Dezember 1994 begonnen haben. Dies mache deutlich, dass bei Neufällen ein derart umfassender Besitz- und Vertrauensschutz nicht habe gewährt werden sollen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. April 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. April 2001 zurückzuweisen.
II.
Das Verfahren ist auszusetzen.
1. Nachdem die Auslegung und Gültigkeit europarechtlicher Regelungen für die Entscheidung des Rechtsstreits vorgreiflich sind und das Bundessozialgericht in einem Parallelfall bereits ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hat, gebietet es die Prozessökonomie, diese Fragen dem Europäischen Gerichtshof direkt zur Entscheidung vorzulegen. Die Berechtigung hierzu ergibt sich aus Art.234 EG-Vertrag.
2. Nach dem anzuwendenden deutschen Recht können Renten, soweit sie auf FRG-Zeiten beruhen, nicht in das Ausland gezahlt werden. Entscheidend ist, ob die einem entsprechenden Rentenexport entgegenstehenden Vorschriften des nationalen Rechts (§ 110 Abs.2, § 113 Abs.1, § 272 SGB VI) wegen Weitergeltung des Privilegs der "uneingeschränkten Gebietsgleichstellung" in § 4 Abs.1 Satz 1 Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966 trotz des Beitritts Österreichs zum EWR am 1. Januar 1994 und zur EU am 1. Januar 1995 (mit grundsätzlicher Geltung der EWGV 1408/71 ab 1. Januar 1994) nicht anwendbar sind.
Gemäß § 110 Abs.2 SGB VI erhalten Berechtigte, die einen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, Rentenleistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen. Im Fall der Klägerin ist insoweit § 113 Abs.1 SGB VI einschlägig, wonach für Leistungen persönliche Entgeltpunkte nur ermittelt werden aus Entgeltpunkten für Bundesgebietsbeitragszeiten.
Die Ausnahmevorschrift des § 272 SGB VI wirkt sich nicht zu Gunsten der Klägerin aus. Danach werden für vor dem 19. Mai 1950 geborene berechtigte Deutsche auch Entgeltpunkte für Beitragszeiten nach dem FRG ermittelt, wenn sie vor dem 19. Mai 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland genommen haben. Die Klägerin hat jedoch ihren Wohnsitz erst im August 1995 nach Österreich verlegt.
3. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch könnte sich jedoch aus dem nach § 110 Abs.3 SGB VI vorrangigen über- oder zwischenstaatlichem Recht ergeben, insbesondere aus dem Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966. Art.4 Abs.1 Satz 1 dieses Abkommens bestimmt: "Soweit dieses Abkommen nichts anderes bestimmt, gelten die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die in Art.3 genannten Personen, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten." Zu diesem Personenkreis zählt die Klägerin als Hinterbliebene. Zweifelhaft ist, ob diese Bestimmung nach dem Beitritt Österreichs zum EWR ab 1. Januar 1994 zu Gunsten der Klägerin fortgilt.
4. Seit dem Beitritt Österreichs zum EWR findet die EWGV 1408/71 für Österreich Anwendung (Art.6 EWGV 1408/71). Diese Verordnung enthält in ihrem Art.10 Abs.1 zwar eine Gebietsgleichstellung. Nach Anhang VI C Nr.1 Deutschland zur EWGV 1408/71 berührt Art.10 der Verordnung aber nicht die Rechtsvorschriften, nach denen aus Zeiten, die außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt sind, Leistungen an Berechtigte außerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen gezahlt werden. Die Aufhebung der Wohnortklausel in Art.10 Abs.1 EWGV 1408/71 wird mithin durch diese Anhangsbestimmung hinsichtlich Reichsgebietsbeitragszeiten bzw. FRG-Zeiten grundsätzlich außer Kraft gesetzt. Hiervon gilt jedoch eine Ausnahme: In Anhang III Teil A und B sind Bestimmungen aus Abkommen genannt, die unbeschadet des Art.6 der Verordnung weitergelten bzw. fortgeltende Bestimmungen aus Abkommen, deren Geltungsbereich nicht alle Personen umfasst, auf die die Verordnung anzuwenden ist; beide Teile (A und B) führen unter Nr.35 Buchstabe e im Hinblick auf das Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966 auf: "Art.4 Abs.1 in Bezug auf die deutschen Rechtsvorschriften, nach denen Unfälle (und Berufskrankheiten), die außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland eingetreten sind, sowie Zeiten die außerhalb dieses Hoheitsgebietes zurückgelegt werden, keinen Anspruch auf Leistungen begründen, bzw. einen solchen nur unter bestimmten Bedingungen begründen, wenn die Berechtigten ihren Wohnsitz außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland haben, und zwar in Fällen, in denen: I.) die Leistungen am 1. Januar 1994 bereits erbracht werden oder erbracht werden können, II.) die betreffende Person vor dem 1. Januar 1994 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich genommen hat und die Leistung aus der Renten- und Unfallversicherung bis zum 31. Dezember 1994 beginnt; dies gilt auch für Zeiten eines weiteren Rentenbezugs einschließlich einer die erste Rente ersetzenden Hinterbliebenenrente, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen."
a) Orientiert am Wortlaut könnten Anhang III Teil A und B Nr.35 Buchstabe e Nr. i) dahingehend auszulegen sein, dass für die Klägerin, die am 1. Januar 1994 bereits rentenberechtigt war, eine Wohnsitznahme in Österreich vor dem 1. Januar 1994 nicht erforderlich war. Dies würde bedeuten, dass Arbeitnehmern und ihren Hinterbliebenen die durch das Abkommen Österreich Sozialversicherung 1966 geschützte Rechtsposition einschließlich der Option des Wohnortwechsels erhalten geblieben wäre.
b) Die gegenteilige Ansicht der Beklagten, dass die Formulierung der Nr. i) lediglich sog. Altfälle erfasse, in denen am 1. Januar 1994 bereits Leistungen nach Österreich gezahlt wurden oder an bereits in Österreich wohnende Versicherte hätten erbracht werden können, stützt sich insbesondere auf die Niederschriften über die deutsch-österreichischen Regierungsverhandlungen im Rahmen der Abkommen über die soziale Sicherheit vom 1. bis 5. September 1986 (dort unter Nr.7), vom 30. November bis 4. Dezember 1987 (dort unter Nr.1) und vom 25. Februar bis 1. März 1991 (dort unter Nr.I 1); diese ließen bereits die deutsche Absicht einer Aufhebung einer uneingeschränkten Gebietsgleichstellung erkennen und zeigten die Gründe auf, die deutscherseits gegen eine Zahlung der vollen Leistung aus Fremdrentenzeiten bei einem Wohnsitz in Österreich sprächen. Zudem sollten nach der Systematik des Art.6 EWGV 1408/71 die bilateralen Sozialversicherungsabkommen mit dem In-Kraft-Treten der EWGV 1408/71 grundsätzlich abgelöst werden. Dies könnte eine enge Auslegung der Ausnahmeregelungen nahe legen, zumal eine besondere Schutzbedürftigkeit eines Betroffenen aus dem außer Kraft getretenen bilateralen Abkommen, der nach In-Kraft-Treten der europäischen Gemeinschaftsnormen ins EWG-Ausland verzieht, nicht zu erkennen ist (vgl. EuGH, Urteile vom 7. Juni 1973, (Rs Walder) - 82/72 - EuGHE I 1993, 599 und vom 9. November 1995 (Rs Thevenon) - C-475/93 - EuGHE I 1995, 3813).
Wenn jedoch die Wohnsitznahme der Klägerin in Österreich erst im Jahre 1995 der Anwendung der Anhangs-Vorschrift III Teil A und B jeweils Nr.35 Buchstabe e Nr. i) zur EWGV 1408/71 nicht entgegen steht, kann die Hinterbliebenenrente der Klägerin in voller Höhe ausgezahlt werden. Es bedarf daher der verbindlichen Auslegung des Anhangs III Teil A und B jeweils Nr.35 Buchstabe e zur EWGV 1408/71 durch den EuGH im Sinne der Verlagefrage 1.
5. Bejaht der EuGH diese Vorlagefrage, bleibt jedoch im Sinne der Vorlagefrage 2 zu prüfen, ob die genannten Vorschriften sowie der Anhang VI C. Deutschland Nr.1 zur EWGV 1408/71 gegen höherrangiges Europarecht verstoßen. Bedenken gegen die Vereinbarkeit der genannten Normen mit höherrangigem Recht ergeben sich aus dem in Art.8a, 48 und 51 EG-Vertrag geregelten Recht auf Freizügigkeit. Zu dem hierdurch geschützten Personenkreis zählen nicht nur die Arbeitnehmer im engerem Sinn, sondern auch die Rentner.
Der Prüfungsmaßstab zu Vorschriften, die Vergünstigungen aus bilateralen Vereinbarungen abschaffen, die durch Europarecht abgelöst wurden, ergibt sich aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Thevenon (Urteil vom 9. November 1995, a.a.O.). Hiernach bleiben frühere Vergünstigungen aus bilateralen Abkommen nur dann anwendbar, wenn besondere Umstände vorliegen. Solche besonderen Umstände könnten deshalb zu bejahen sein, weil die Klägerin bereits seit langem Bestandsrentnerin war und vor dem In-Kraft-Treten der EWGV 1408/71 für Österreich aufgrund der uneingeschränkten Gebietsgleichstellung die ungekürzte Auszahlung der deutschen Rente nach Österreich verlangen konnte. Dies könnte dafür sprechen, dass die Grundsätze über die Weitergeltung des bilateralen Abkommens zu Gunsten von Bestandsrentnern, die erst nach dem 31. Dezember 1993 Wohnsitz in Österreich genommen haben, Anwendung finden.
Im Übrigen wird auf die EuGH-Vorlage des 5. Senats des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2002 Bezug genommen.
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