L 19 R 72/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 R 1010/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 72/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung erstreckt sich grundsätzlich auch auf sogenannte eingebrachte Leiden. Die Versicherten werden mit allen Krankheiten und Behinderungen in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen; es gibt keinen Ausschluss aus der Versicherung wegen so genannter eingebrachter Leiden (BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R).
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.11.2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger für die beigeladene Versicherte von der Beklagten die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung beanspruchen kann.

Die 1990 geborene Versicherte ist türkische Staatsangehörige. Nach dem Versicherungsverlauf vom 24.10.2013 absolvierte sie die Schulausbildung (mit Übergangszeit) bis zum 31.08.2007 (Hauptschulabschluss am 20.07.2007 nach Berufsvorbereitungsjahr). Für die Zeit vom 03.09.2007 bis 06.03.2010 (31 Monate) sind Pflichtbeitragszeiten aufgrund beruflicher Ausbildung verzeichnet (erfolgreicher Abschluss der Ausbildung zur Änderungsschneiderin am 06.03.2010). Im Anschluss sind im Versicherungsverlauf Pflichtbeitragszeiten aufgrund Arbeitslosigkeit vom 10.03.2010 bis 31.12.2010 aufgeführt (10 Monate). Des Weiteren war die Versicherte im Rahmen eines Minijobs geringfügig versicherungsfrei beschäftigt (16.08.2010 bis 21.08.2010, 30.09.2010 bis 31.12.2010, 01.01.2011 bis 07.01.2011). Für die Zeit vom 01.01.2011 bis 08.03.2011 sind wiederum Pflichtbeitragszeiten aufgrund Arbeitslosigkeit vermerkt.

Die Versicherte nahm ab dem 14.03.2011 an einer medizinisch-beruflichen Rehabilitationsmaßnahme in einer Übergangseinrichtung für Menschen mit Psychose und Sucht oder mit psychischer Erkrankung teil (Haus R. des Caritasverbandes E-Stadt). Kostenträger für die ersten 10 Behandlungswochen war die AOK Bayern (Bescheid vom 07.03.2011). Mit Bescheid vom 13.07.2011 bewilligte die Beklagte diese Rehabilitation ab der 11. Woche in Form der Kostenübernahme für eine stationäre Maßnahme (RPK-Maßnahme: Maßnahme in einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch kranke und behinderte Menschen). Die Bewilligung erfolgte zunächst für 13 Wochen und wurde nachfolgend aufgrund der Verlaufsberichte des Hauses R. verlängert.

Nach dem Verlaufsbericht des Hauses R. vom 18.04.2011 bestanden bei der Versicherten die folgenden Erkrankungen:
- Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) mit Störung des Sozialverhaltens (F90.1)
- Essstörung/Adipositas (F50.4)
- Emotionale Retardation (F89)
- Rezidivierende Enuresis nocturna (F98.00)

Die Versicherte habe (nach der Grundschule bis 2001 und Schule zur Lernförderung R-Stadt bis 2004) bis 2005 das Sonderpädagogische Förderzentrum II E-Stadt besucht, 2005 das Sonderpädagogische Förderzentrum I S-Stadt. Das Berufsvorbereitungsjahr dort habe sie nicht geschafft. Am 02.05.2006 sei die Versicherte in die heilpädagogisch-therapeutische Einrichtung für Mädchen und junge Frauen nach St. L. gekommen (A.-Zentrum) und habe dort im Juli 2007 ihren Hauptschulabschluss absolviert. Von 2007 bis 2010 habe sie in St. L. die interne Berufsschule (P.-Schule, Schule zur Erziehungshilfe) besucht und mit dem 06.03.2010 eine Ausbildung zur Änderungsschneiderin mit Erfolg beendet. Nach der Ausbildung sei die Versicherte nach W-Stadt in eine Außengruppe des A.-Zentrums gekommen. Dort sei sie nur einen Monat bis zum 12.04.2010 geblieben und sei dann in die Einrichtung der WAB (WAB K. gemeinnützige GmbH, Wohnen, Arbeiten, Befähigen) in H-Stadt gezogen. In der WAB H-Stadt habe die Versicherte die Regeln als strenger empfunden und erhebliche Schwierigkeiten im Sozialverhalten gehabt, auch bezüglich Zuverlässigkeit und Durchhaltevermögen. Nach der Entlassung aus der WAB H-Stadt im Juli 2010 sei die Versicherte zunächst nach Hause zu ihrer Mutter und danach zu ihrem Freund gezogen. Sowohl zu Hause als auch in der Beziehung zu ihrem Freund habe es massive Konflikte gegeben. Trotz intensiver Unterstützung durch die Betreuerin und therapeutischer Angebote der Psychiatrischen Institutsambulanz (P.) habe es anhaltende Schwierigkeiten auch in der selbstverantwortlichen Tagesstrukturierung gegeben. Der strukturierte Tagesablauf im Haus R. wirke sich positiv auf die Erkrankung der Versicherten aus. Sie habe in den ersten fünf Wochen viel Engagement gezeigt, den Therapieplan zu erfüllen. Sie sei sehr motiviert, an der Rehabilitationsmaßnahme weiter teilzunehmen. Bei einem weiteren positiven Verlauf sei eine erfolgreiche Wiedereingliederung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erwarten.

Aufgrund des weiteren Verlaufsberichts des Hauses R. vom 08.08.2011 verlängerte die Beklagte die Rehabilitationsmaßnahme bis zum 27.09.2011 und nachfolgend bis zum bis zum 20.11.2011. Nach dem Bericht nehme die Versicherte an der Arbeitstherapie der Holzwerkstatt teil. Ihr Therapieplan sehe an vier Vormittagen und an drei halben Nachmittagen die Arbeitstherapie vor. Seit Beginn der Rehabilitationsmaßnahme habe die Versicherte jedoch noch sehr viele Fehlzeiten zu verzeichnen gehabt. Gründe hierfür seien ihre häufigen körperlichen Krankheiten und psychosomatischen Beschwerden. An den Tagen, an denen die Versicherte an der Arbeitstherapie teilnehme, leiste sie jedoch gute Arbeit. So habe sie von den Arbeitstherapeuten bezüglich der Grundarbeitsfertigkeiten Pünktlichkeit, Konzentration, Sorgfalt, Auffassungsvermögen, selbstständiges Arbeiten und der Arbeitsqualität sehr positive Rückmeldungen bekommen. Trotz der vielen Fehlzeiten in der Arbeitstherapie sei aufgrund der sehr positiven Rückmeldungen im Arbeitsbereich sowie ihrer eigenen Therapiemotivation von einer positiven Prognose hinsichtlich einer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt auszugehen.

Die Beklagte verlängerte die Maßnahme weiter bis zum 20.02.2012. Nach dem Verlaufsbericht des Hauses R. vom 04.11.2011 habe sich eine Verbesserung in punkto Anwesenheit in der Arbeitstherapie, der Fehlzeiten und Krankheitstage ergeben. Mit ihrer Arbeitsleistung seien die Arbeitstherapeuten zufrieden. Bezüglich der Grundarbeitsfertigkeiten und der Arbeitsqualität habe die Versicherte positive Rückmeldungen bekommen. Aufgrund der sichtbaren Fortschritte an der Teilnahme am Therapieprogramm in den letzten Monaten sowie der Therapiemotivation sei von einer positiven Prognose hinsichtlich der Wiedereingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt auszugehen.

Mit Bescheid vom 16.02.2012 lehnte die Beklagte eine weitere Verlängerung der Maßnahme aufgrund einer negativen Erfolgsprognose ab. Nach dem Verlaufsbericht des Hauses R. vom 03.02.2012 habe die Versicherte in der Arbeitstherapie viele Krankheitstage und Fehlzeiten gehabt. Sie habe wenig Durchhaltevermögen und Ausdauer gezeigt. Es habe ein Gespräch mit der Versicherten stattgefunden, in dem die Versicherte auf die Dringlichkeit hingewiesen worden sei, an der Arbeitstherapie teilnehmen zu müssen, um die berufliche Rehabilitation zu bewerkstelligen. Ein Wechsel in den Montagebereich sei vereinbart worden. Hiervon erhoffe man sich eine deutliche Veränderung. Eine eindeutige Prognose bezüglich einer Wiedereingliederung in das Erwerbsleben in den ersten Arbeitsmarkt könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben werden.

Der Kläger bewilligte der Versicherten für die Zeit ab dem 21.02.2012 Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zum Lebensunterhalt für die Maßnahme in der Einrichtung Haus R ... Der Aufenthalt der Versicherten im Haus R. dauerte bis zum Wechsel in das Wohnheim F-Straße in F-Stadt am 04.12.2012.

Mit Antrag vom 02.04.2012, eingegangen bei der Beklagten am 04.04.2012, beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung für die Versicherte. Auf die zu gewährenden Leistungen ab Rentenbeginn meldete er am 07.06.2012 einen Erstattungsanspruch an.

Die beratende Ärztin der Beklagten Frau Dr. G. kam zum Schluss, dass der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung bereits seit der Schulzeit und befristet bis zum Juli 2014 bestanden habe. Sie führte in ihrer Stellungnahme vom 02.08.2012 aus, dass die Versicherte bereits während der Schulzeit Verhaltensauffälligkeiten gezeigt habe. Der Förderschulbesuch sei nicht nur wegen der sprachlichen Probleme notwendig gewesen. Dies ergebe sich auch aus einem Befundbericht der P. der Klinik für Psychiatrie des Klinikums am E. E-Stadt vom 24.01.2011. Danach sei der Besuch der Förderschule wegen sprachlicher Schwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten, vor allem sozialer Zurückgezogenheit und der Enuresis notwendig geworden. Dem Bericht vom 24.01.2011 war der folgende psychopathologische Befund zu entnehmen: Antriebsschwankungen, Verlangsamung/ Desorganisation, vor allem bei der Koordination komplexerer Aufgaben, "Vergesslichkeit" bezüglich Terminen, immer wieder auftretende soziale Konflikte, Kommunikationsprobleme und mangelndes Durchhaltevermögen.

Mit Bescheid vom 04.10.2012 lehnte die Beklagte den Antrag vom 04.04.2012 ab. Die Versicherte sei seit der Schulzeit, spätestens seit dem 20.07.2007, befristet bis zum 31.07.2014, voll erwerbsgemindert. Weder habe die Versicherte bis zum 20.07.2007 die allgemeine Wartezeit noch die Voraussetzungen nach §§ 43 Abs. 6 in Verbindung mit § 50 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erfüllt.

Der Kläger erhob Widerspruch mit dem Antrag, der Versicherten auf der Grundlage eines Leistungsfalls am 20.02.2012 (der letzte Tag der Kostenträgerschaft der Beklagten für die RPK-Maßnahme), hilfsweise aufgrund eines Leistungsfalls am 14.03.2011 (der erste Tag der RPK-Maßnahme) Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit zu gewähren. Die Versicherte sei nicht bereits seit dem 20.07.2007 voll erwerbsgemindert. Denn die Versicherte habe in der Zeit vom 03.09.2007 bis 06.03.2010 eine rentenversicherungspflichtige Berufsausbildung absolviert, die entsprechend den Ergebnissen im Prüfungszeugnis der Handwerkskammer für U. vom 06.03.2010 auch erfolgreich abgeschlossen worden sei. Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Verlängerungen der Kostenübernahme für die RPK-Maßnahme sei der beratungsärztliche Dienst der Beklagten von einer positiven Erwerbsprognose ausgegangen. Erst für die Zeit ab 20.02.2012 könne aufgrund der Ausführungen im Kostenverlängerungsantrag (Verlaufsbericht) vom 03.02.2012 ein aufgehobenes Leistungsvermögen angenommen werden. Zum Datum 20.02.2012 seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aufgrund der Wartezeitfiktion des § 53 Abs. 2 S. 1 SGB VI vorzeitig erfüllt gewesen, da in diesem Fall die volle Erwerbsminderung vor Ablauf von 6 Jahren nach Beendigung einer Ausbildung eingetreten sei. Im maßgeblichen Zweijahreszeitraum seien auch 12 Pflichtbeiträge vorhanden.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 13.03.2013 ein. Dr. S. verwies darauf, dass die Versicherte im zweiten Anlauf die Gesellenprüfung zur Änderungsschneiderin im März 2010 bestanden habe, und dies auf ein doch ausreichendes Maß an sozialen Fähigkeiten trotz der zugrundeliegenden Diagnose ADS schließen lasse. Somit spreche aus nervenärztlicher Sicht einiges dafür, dass die Versicherte unter gewissen Rahmenbedingungen erwerbsfähig sein könne. Allerdings spreche der Befundbericht der P. der Klinik für Psychiatrie des Klinikums am E. E-Stadt vom 24.01.2011 gegen eine vollschichtige Leistungsfähigkeit auch unter Beachtung qualitativer Einschränkungen. Das dort beschriebene Ausmaß der Störung dürfte nicht erst zwischen der Abschlussprüfung im März 2010 und dem Zeitpunkt der Erstellung des Befundberichtes am 24.01.2011 eingetreten sein. Die beschriebenen Auffälligkeiten seien vielmehr Auswirkungen und Fähigkeitsstörungen des seit Geburt bzw. seit der Kindheit bestehenden ADS. Somit bestehe ein kaum zu überbrückender Widerspruch zwischen der Fähigkeit zur Berufsausbildung und den beschriebenen Defiziten, die eigentlich eine Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht erlauben würden. Auffällig sei, dass die Versicherte von April 2006 bis zur Beendigung der Berufsausbildung ein Medikament mit dem Wirkstoff Methylphenidat gegen das ADS eingenommen habe. Vielleicht sei es so gewesen, dass die Versicherte unter dieser Medikation die beschriebenen Defizite nicht oder nicht in der Ausprägung aufwies und somit die Berufsausbildung abschließen konnte.

Auf Befragen der Beklagten teilte die Betreuerin der Versicherten unter dem 23.04.2013 mit, dass das Medikament Methylphenidat nach der Ausbildung abgesetzt worden sei, da dieses von der Krankenkasse nicht mehr bezahlt worden sei. Während des Aufenthaltes im Haus R. sei es wieder verordnet worden, da aufgrund einer Gesetzesänderung die Krankenkasse das Medikament wieder bezahlt habe. Im Rahmen einer stationären Behandlung vom 25.02.2013 bis 15.04.2013 sei es durch ein anderes Medikament ersetzt worden.

Die Beklagte holte weiter eine Stellungnahme der berufskundlichen Beraterin J. vom 21.05.2013 ein. Die Versicherte habe erst als Bewohnerin einer speziellen heilpädagogischen Einrichtung für Mädchen und junge Frauen unter geschützten Bedingungen den Hauptschulabschluss ablegen können. Anschließend habe die Versicherte ebenfalls unter diesen geschützten Bedingungen eine interne Berufsschule besucht, wo sie nur unter Verlängerung der Ausbildungszeit und mehreren Versuchen eine Ausbildung zur Änderungsschneiderin (eigentlich 2 Jahre) beendete. Die Versicherte habe nie unter normalen Bedingungen eine allgemeinbildende Schule besucht, eine Berufsausbildung absolviert oder eine Arbeitstätigkeit verrichtet. Der Leistungsfall liege eindeutig in der Kindheit bzw. schon vor Eintritt ins Berufsleben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2013 hielt die Beklagte daran fest, dass der Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung während der Schulzeit der Versicherten, spätestens am 20.07.2007, eingetreten sei. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt.

Mit der am 27.09.2013 erhobenen Klage zum Sozialgericht Nürnberg hat der Kläger (zuletzt) geltend gemacht, dass der Leistungsfall bei der Versicherten erst am 20.02.2012 eingetreten sei. Ergänzend zu dem Widerspruchsvorbringen hat der Kläger auf die von der Agentur für Arbeit D-Stadt eingeholten sozialmedizinischen Leistungsbeurteilungen Bezug genommen. In einer Stellungnahme vom 06.12.2010 sei die Agentur für Arbeit noch davon ausgegangen, dass die Versicherte zu diesem Zeitpunkt selbst unter Berücksichtigung der bei ihr bestehen gesundheitlichen Einschränkungen dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden habe, und erst nach den Ergebnissen im Gutachten nach Aktenlage vom 03.02.2011 sei ein Leistungsvermögen von 3 bis unter 6 Stunden anzunehmen.

Das Sozialgericht hat die Akten des Klägers und der Beklagten sowie des Zentrums Bayern Familie und Soziales - Region Mittelfranken - Versorgungsamt beigezogen. Der Akte des Versorgungsamtes ist ein im Rahmen des Betreuungsverfahrens von Th. G. erstelltes Gutachten vom 16.06.2010 zu entnehmen. Es wird dort ausgeführt, dass die Behandlung mit Methylphenidat der Versicherten geholfen habe, die Lehre durchzustehen und erfolgreich zu beenden. Des Weiteren hat das Sozialgericht ärztliche Befundberichte eingeholt. Das Klinikum D-Stadt, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie hat unter dem 20.01.2014 den Bericht vom 07.08.2006 über den Aufenthalt in der dortigen Ambulanz im März und April 2006 sowie über die Behandlung mit Methylphenidat ab Mitte April 2006 übermittelt. Übersandt wurden weitere Befundberichte und zwar von der Psychiaterin W. vom 16.01.2014, vom Psychiater Dr K. vom 20.01.2014, von den Allgemeinärzten Dres. L. und S. vom 23.01.2014, Dres. Sch. und C. vom 27.01.2014 sowie Dres. R. und L. vom 03.02.2014, jeweils mit Fremdbefunden, und von der Klinik für Psychiatrie des Klinikums am E. E-Stadt (Berichte vom 24.01.2011, 12.06.2012, 25.04.2013). Nach dem eingeholten Bericht des A.-Zentrums vom 30.01.2014 habe die Versicherte durch das heilpädagogisch-therapeutische Setting im A.-Zentrum (enge Kooperation von Wohngruppe, Schule und Berufsausbildung), ergänzt durch die psychotherapeutische und kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung, einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung erreichen können. Die vielfältigen und gravierenden psychischen Störungen der Versicherten, die durch ihre frühkindliche und bis ins Jugendalter anhaltende Traumatisierung bedingt seien, hätten nur teilweise aufgearbeitet werden können.

Das Sozialgericht hat sodann den Neurologen und Psychiater Dr. J. mit Gutachten nach Aktenlage vom 31.10.2014 gehört. Dr. J. kam zum Schluss, dass der Leistungsfall am 20.02.2012 eingetreten sei. Am 20.07.2007 habe keine Einschränkung des zeitlichen Umfangs der Arbeitstätigkeit (gemeint: Erwerbsfähigkeit) vorgelegen. Bei der Versicherten habe sich eine Störung von Aufmerksamkeit und Konzentration gezeigt, die einen Förderschulbesuch erforderlich gemacht habe. Nach Aufnahme der Medikation mit Methylphenidat im Jahre 2006 seien die Absolvierung des Berufsschulgrundjahres (gemeint: Berufsvorbereitungsjahr) und die erfolgreiche Ausbildung zur Änderungsschneiderin möglich gewesen. Aus der Stellungnahme der Psychiaterin Dr. W. vom 18.05.2011 (die Konzentrationsstörung und die Vergesslichkeit hätten sich nach Absetzen der Medikation deutlich verschlechtert und es sei damit auch eine psychische Verschlechterung mit ausgeprägter Selbstwertproblematik, Selbstvorwürfen und Selbstzweifeln einhergegangen), aus dem Gutachten von Th. G. vom 16.06.2010 im Betreuungsverfahren und aus den Ausführungen im Bericht der Klinik für Psychiatrie des Klinikums am E. vom 15.04.2013 (die Versicherte habe berichtet, in den letzten Jahren auch unter vermehrter Impulsivität und Schneidedruck gelitten zu haben) ließe sich schlussfolgern, dass für die Zeit der Betreuung im A.-Heim die Erwerbsfähigkeit der Versicherten möglicherweise zwar als gefährdet zu betrachten gewesen sei, aufgrund der medikamentösen Therapie sich jedoch primär die Behandlungsfähigkeit dargestellt habe. Bestätigt werde dies mit der Einleitung der Rehabilitationsmaßnahme im Haus R. und der Kostenbewilligung durch die Beklagte vom 13.07.2011 mit dreimaliger Verlängerung bis 20.02.2012 bei jeweils positiver Beurteilung und positiver Erwerbsprognose. Letztendlich begründe erst die negative Erwerbsprognose den Leistungsfall ab 20.02.2012.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 18.02.2015 vorgetragen, bei der von der Versicherten absolvierten Berufsausbildung habe es sich nicht um eine Ausbildung auf dem zweiten Arbeitsmarkt im Sinne einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) gehandelt. Vielmehr habe die Berufsausbildung vergleichbare Qualifikationen und Ausbildungsinhalte umfasst, wie wenn die Ausbildung in einem regulären Berufsausbildungsverhältnis absolviert worden wäre. Auch sei die Ausbildung unter den üblichen Prüfungsbedingungen und Prüfungskriterien vor der Handwerkskammer für U. ausweislich des Zeugnisses vom 06.03.2010 erfolgreich abgeschlossen worden.

Die Beklagte hat daran festgehalten, dass der Leistungsfall in der Schulzeit eingetreten sei. Die Versicherte sei zwischen 2006 und 2010 nur aufgrund der Einnahme des Medikaments Methylphenidat, welches gegen das ADS-Syndrom gewirkt habe, in der Lage gewesen, nach mehreren Anläufen und Verlängerung der Berufsschule die Ausbildung zur Änderungsschneiderin unter geschützten Bedingungen zu absolvieren. Auch spreche schon der Umstand, dass die Versicherte vor Februar 2012 an einer RPK-Maßnahme teilnehmen musste, gegen eine vollschichtige Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Vollschichtig leistungsfähige Personen seien für eine solche Maßnahme nicht vorgesehen.

Dr. J. ist mit der ergänzenden Stellungnahme vom 19.05.2015 bei seiner Leistungsbeurteilung verblieben. Es gäbe aus nervenärztlicher Sicht keinen Hinweis dafür, dass die Versicherte die Gesellenprüfung als Änderungsschneiderin abgeschlossen habe, obwohl sie schon seit 2007 nicht mehr leistungsfähig gewesen wäre.

Der Kläger hat am 11.11.2015 den Teil B (sozialmedizinische Stellungnahme) des nach Aktenlage erstellten Gutachtens der Agentur für Arbeit B-Stadt vom 03.02.2011 übersandt (erstellt von der Ärztin C. S.). Danach seien der Versicherten nur Tätigkeiten über 3 bis unter 6 Stunden täglich in einem geschützten Rahmen (z.B. medizinisch-berufliche Rehabilitation) zumutbar. Es liege eine schwerwiegende Leistungseinschränkung vor, die die Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, nicht nur vorübergehend wesentlich mindere. Medizinisch-berufliche Rehabilitationsmaßnahmen seien anzuraten.

Mit Urteil vom 12.11.2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Leistungsfall der Erwerbsminderung sei nicht am 20.02.2012, sondern spätestens mit Abschluss der Ausbildung im März 2010 eingetreten (06.03.2010). Zu diesem Zeitpunkt seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt gewesen. Bei der Abschlussprüfung im März 2010 habe es sich zwar um eine reguläre Prüfung vor der Handwerkskammer gehandelt. Jedoch habe die Ausbildung unter geschützten Bedingungen in einer speziellen Einrichtung stattgefunden. Die Versicherte habe statt der üblichen 2 Jahre eine Ausbildungsdauer von 3 Jahren benötigt. Mit dem Abschluss sei die Versicherte grundsätzlich befähigt gewesen, die Tätigkeit als Änderungsschneiderin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Es habe sich aber nach dem Ende der Ausbildung gezeigt, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Sie sei im Jahr 2010 insgesamt nur wenige Tage erwerbstätig bzw. geringfügig beschäftigt gewesen. Aus medizinischer Sicht sei dies nach der Äußerung des gerichtlichen Sachverständigen und der beratungsärztlichen Stellungnahmen der Beklagten bedingt gewesen durch die Absetzung der Medikation mit dem Präparat Methylphenidat. Allerdings sei die Versicherte auch unter Einnahme von Methylphenidat nicht in der Lage gewesen, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine reguläre Ausbildung durchzuführen. Trotz der Medikation habe sie den geschützten Rahmen einer spezialisierten Einrichtung und eine längere Ausbildungsdauer benötigt. Ein anderes Datum für den Leistungsfall ergebe sich nicht aus den von der Beklagten im Jahr 2011 abgegebenen positiven Erwerbsprognosen. Dies seien Voraussagen einer zukünftigen Entwicklung. Dass die tatsächliche Entwicklung schließlich nicht so eingetreten sei, wie ursprünglich von den Ärzten der Beklagten angenommen, habe sich erst im Februar 2012 in einem weiteren Verlaufsbericht offenbart. Entgegen Dr. J. könne für die Beurteilung des Leistungsfalls nicht allein auf diese Verneinung einer positiven Erwerbsprognose im Februar 2012 abgestellt werden. Diese sei lediglich ein Teil der Gesamtbetrachtung. In der Zusammenschau des Lebenslaufes sei die Versicherte bereits zu Beginn der RPK-Maßnahme am 14.03.2011 erwerbsgemindert gewesen, sonst wäre eine solche Maßnahme nicht indiziert gewesen. Dies bestätige auch das Gutachten der C. vom 03.02.2011, in dem ein Leistungsvermögen von täglich 3 bis unter 6 Stunden nur in einem geschützten Rahmen festgestellt worden sei, also eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gar nicht mehr möglich gewesen sei. Die Versicherte habe in einer Gesamtbetrachtung nie unter normalen Bedingungen eine allgemeinbildende Schule besucht, zudem habe sie nie unter normalen, das heißt nicht geschützten Bedingungen eine Berufsausbildung absolviert oder eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt. Sie sei demnach nicht erst nach "Abschluss" der RPK-Maßnahme im Februar 2012 erwerbsgemindert gewesen, sondern spätestens nach Abschluss der Ausbildung (06.03.2011) und dem gescheiterten Versuch, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu werden.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 02.02.2016 zum Bayer. Landessozialgericht. Das Sozialgericht habe bei der Bewertung des Gutachtens von Dr. J. die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. Weitere Ermittlungen des Sozialgerichts wären notwendig gewesen. Bereits mit der Klagebegründung sei die Beiziehung der Gutachten der Agentur für Arbeit vom 06.12.2010 sowie vom 03.02.2011 beantragt worden. Diese würden die Ergebnisse im Gutachten von Dr. J. stützen. Zumindest unter dem 06.12.2010 sei festgestellt worden, dass die Versicherte zu diesem Zeitpunkt noch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt habe verrichten können. Dies schließe das Vorliegen eines durchgehend aufgehobenen Leistungsvermögens seit Beendigung der Schulausbildung aus. Im Übrigen habe die Versicherte nach Abschluss der Berufsausbildung bis zum 08.03.2011 Arbeitslosengeld bezogen. Der Bezug von Arbeitslosengeld setze aber zwingend voraus, dass der Leistungsempfänger dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem Leistungsumfang von mindestens 15 Wochenstunden zur Verfügung stehe. Von entsprechenden Eigenbemühungen der Versicherten sei auszugehen. Aber selbst bei Annahme eines Eintritts des Leistungsfalls bereits im März 2010 nach Beendigung der Berufsausbildung mit Ablauf des 06.03.2010 sei der Anspruch gegeben, da zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen der vorzeitigen Wartezeiterfüllung nach § 53 Abs. 2 SGB VI erfüllt gewesen seien.

Die Beklagte hat mit der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 01.03.2016 entgegnet, dass offengeblieben sei, weshalb die Versicherte ausschließlich unter besonderen und geschützten Bedingungen die Abschlüsse geradeso habe erreichen können. Es fehle auch der Hinweis, weshalb trotz erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung in 2010 bis zu dem geltend gemachten Leistungsfall am 20.02.2012 der Beruf nicht ausgeübt worden sei. Die Versicherte dürfte sich auf mehrere Arbeitsstellen beworben haben. Dass bereits für die Dauer der RPK-Maßnahme ab Januar 2010 eine gewinnbringende regelmäßige Tätigkeit konkurrenzfähig auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht möglich gewesen sei, ergebe sich aus den Verlaufsberichten des Hauses R ... Soweit dort von einer positiven Prognose hinsichtlich der Eingliederung in den Arbeitsmarkt gesprochen worden sei, setze dies voraus, dass zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit der direkten Überführung in eine entsprechende Tätigkeit bestanden habe. Die RPK-Maßnahme habe dann am 20.02.2012 ohne Abgabe einer positiven Prognose geendet und genau dieses Datum habe Dr. J. als Beginn der Leistungsminderung bestimmt. Eine Leistungsminderung, die während der gesamten RPK-Maßnahme bereits offensichtlich gewesen sei.

Mit Beschluss vom 23.02.2017 hat der Senat die Versicherte zum Verfahren beigeladen.

Mit Schreiben vom 02.06.2017 hat die Beklagte mitgeteilt, dass bei einem angenommenen Eintritt der Erwerbsminderung im März 2010 die allgemeine Wartezeit und die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorzeitig erfüllt wären.

Der Senat hat die über die Beigeladene geführte Leistungsakte mit ärztlichen Unterlagen der Agentur für Arbeit D-Stadt beigezogen. An ärztlichen Unterlagen wurde ein Gutachten nach Aktenlage des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit B-Stadt vom 03.02.2011 und weiter ein Auftragsschreiben der Sachbearbeitung an den ärztlichen Dienst vom 22.12.2010 übersandt. Nach dem Auftragsschreiben habe die Versicherte gemeinsam mit ihrer Betreuerin vorgesprochen und berichtet, dass sie unter ADS leide und keine Medikamente mehr erhalte. Seit sie diese nicht mehr bekomme, funktioniere in ihrem Leben nichts mehr. Vermerkt wurde von der Sachbearbeitung: "AM schlecht, med. oder berufl. Reha angedacht". Die Gesundheitsfragen seien am 20.12.2010 zum ärztlichen Dienst gesandt worden. Dem Teil A (Medizinische Dokumentation und Erörterung) des Gutachtens nach Aktenlage vom 03.02.2011 (Ärztin C. S.) lag ein Befundbericht der P. der Psychiatrischen Klinik am E. E-Stadt vom 19.01.2011 zu Grunde. In dem Gutachten wird ausgeführt, dass sich die Versicherte aufgrund des ADS, einer Störung des Sozialverhaltens, einer Essstörung (Übergewicht) und der rezidivierenden Enuresis nocturna in ständiger Behandlung in der P. befinde. Die Versicherte sei überfordert mit der selbstständigen Lebensführung. Es herrschten deutliche Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen vor, sowie eine fehlende Selbststrukturierung, Stimmungsschwankungen und Impulskontrollstörungen. Eine Aufnahme ins Haus R. (med.-berufl.-soz. Reha) sei zeitnah geplant. Nach dem Teil B (sozialmedizinische Stellungnahme) des Gutachtens vom 03.02.2011 seien der Versicherten nur Tätigkeiten über 3 bis unter 6 Stunden täglich in einem geschützten Rahmen (z.B. medizinisch-berufliche Rehabilitation) zumutbar. Es liege eine schwerwiegende Leistungseinschränkung vor, die die Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, nicht nur vorübergehend wesentlich mindere. Medizinisch-berufliche Rehabilitationsmaßnahmen seien anzuraten.

Auf Nachfrage des Senats hat der ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit B-Stadt mit Schreiben vom 02.06.2017 bestätigt, dass im Jahr 2010 kein weiteres Gutachten angefertigt worden sei.

Die Betreuerin der Versicherten hat unter dem 03.07.2017 mitgeteilt, dass nach ihrer Kenntnis - bezogen auf die Zeit nach Errichtung der Betreuung am 03.09.2010 - die Versicherte sich nicht bemüht habe, die Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Es sei sehr schnell klargeworden, dass eine berufliche Rehabilitation notwendig sei. Bewerbungen seien nicht geschrieben worden. Vorstellungen bei Arbeitgebern seien nicht erfolgt.

Der Senat hat den Internisten und Sozialmediziner Dr. D. mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Dr. D. hat mit Gutachten vom 27.10.2017 festgestellt, das bei der Versicherten ein komplexes psychiatrisches Störungsbild vorliege, bei dem im Laufe der Zeit verschiedene Störungen, teilweise gleichzeitig bestehend und von unterschiedlicher Ausprägung und Schwere diagnostiziert worden seien:
- Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung mit Störung des Sozialverhaltens
- Persönlichkeitsstörung
- Belastungs- und Anpassungsstörung
- Depressive Störung - Essstörung mit Entwicklung einer Adipositas

Unter diesen Störungen leide die Versicherte seit ihrer Kindheit und Jugendzeit. Diese Störungen seien bisher weder willentlich durch die Versicherte selbst noch mit ärztlichen und therapeutischen Hilfen so zu bessern gewesen, dass die Verrichtung einer regelmäßigen mindestens 3- oder gar 6-stündigen Erwerbstätigkeit hätte abverlangt werden können. Alle zumutbaren Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft worden. Das zeitliche Leistungsvermögen der Versicherten im erlernten Beruf als Änderungsschneiderin oder für irgendeine andere Tätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes betrage dauerhaft weniger als drei Stunden am Tag.

Der Zeitpunkt des Leistungsfalles der vollen Erwerbsminderung sei auf das Ende des Schulbesuchs am 20.07.2007 bzw. spätestens auf den 03.09.2007, also auf den Beginn der Ausbildung und Eintritt der Versicherten in die Rentenversicherung zu legen. Das komplexe psychiatrische Störungsbild habe stets in einem solchen Ausmaß bestanden, dass über die gesamte Zeit seit Eintritt in die Rentenversicherung von einer vollumfänglichen Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht habe gesprochen werden können. Zwar könne nach letztlich erfolgreich abgelegter Prüfung die Qualität und Vollwertigkeit der Ausbildung der Versicherten nicht in Zweifel gezogen werden. Allerdings sei darauf hinzuweisen, dass dieser Ausbildungsabschluss unter sehr günstigen äußeren Bedingungen erzielt worden sei, die nicht einem normalen Arbeits- bzw. Ausbildungsverhältnis entsprochen haben. Der Auffassung von Dr. J., der Eintritt der Erwerbsminderung sei erst ab dem 20.02.2012 zweifelsfrei zu begründen gewesen, könne nicht gefolgt werden. Dr. J. gehe davon aus, dass die Versicherte aufgrund der Einnahme von Methylphenidat in der Zeit von April 2006 bis März 2010 die schulische und die spätere berufliche Ausbildung erfolgreich habe abschließen können und eine negative Erfolgsprognose Anfang 2012 nicht gerechtfertigt gewesen wäre, wenn weiterhin die Verordnung von Methylphenidat erfolgt wäre. Dies sei - so Dr. D. - unrichtig, da die Versicherte ab September 2011 wieder Methylphenidat bis Anfang des Jahres 2013 erhalten habe.

Der Kläger hat zum Gutachten Dr. D. ausgeführt, dass das Vorhandensein einer maßgeblichen Leistungseinschränkung bereits bei Eintritt in die Rentenversicherung noch nicht den Ausschluss des Rentenanspruches zur Folge habe. Es sei auch eine zu klärende Rechtsfrage, ob während des Ableistens einer Berufsausbildung in einer Bildungseinrichtung, die nachweislich Inhalte erfolgreich vermittelt und grundsätzlich die Befähigung zur Aufnahme eines Ausbildungsberufes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht habe, ein aufgehobenes Leistungsvermögen vorgelegen haben könne.

Ebenfalls unzutreffend sei die Annahme von Dr. D., die Versicherte habe zu keinem Zeitpunkt Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichtet. Vielmehr habe die Versicherte in der Zeit vom 16.08.2010 bis 21.08.2010 sowie 30.09.2010 bis 07.01.2011 eine Tätigkeit als Putzkraft ausgeübt. Arbeitstäglich seien mindesten 3 Stunden verrichtet worden. Dr. D. habe auch nicht berücksichtigt, dass die Versicherte in der Zeit vom 10.03.2010 bis 08.03.2011 durchgehend Arbeitslosengeld bezogen habe. Der Bezug von Arbeitslosengeld setze aber voraus, dass der Leistungsempfänger eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben könne. In der Leistungsakte der Arbeitsagentur sei unter dem 06.12.2010 vermerkt worden, dass aufgrund der Gesamtumstände und den gesundheitlichen Einschränkungen Verfügbarkeit für den gesamten Zeitraum unterstellt werden könne.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.11.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 04.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung auf Zeit bei der Beigeladenen mit dem 20.02.2012 anzuerkennen und der Beigeladenen Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.09.2012 bis zum 31.07.2014 in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung auf Zeit bei der Beigeladenen mit dem 07.03.2010 anzuerkennen und der Beigeladenen Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.04.2012 bis zum 31.07.2014 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.11.2015 zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Ergänzend wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Klägers und der Beklagten, den Inhalt der ebenfalls beigezogenen Akten der Agentur für Arbeit D-Stadt sowie den Inhalt der Akten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.11.2015 ist zulässig. Insbesondere ist der Kläger nach § 95 Abs. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) befugt, den Rentenanspruch der beigeladenen Versicherten in gesetzlicher Prozessstandschaft geltend zu machen (vgl. hierzu BSG Urteil vom 26.01.2000 - B 13 RJ 37/98 R - nach juris).

Die Berufung ist unbegründet. Denn die Beklagte hat zutreffend mit Bescheid vom 04.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2013 die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung an die beigeladene Versicherte abgelehnt, so dass im Ergebnis das Urteil des Sozialgerichts vom 12.11.2015 nicht zu beanstanden ist.

Gemäß § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Die allgemeine Wartezeit im Sinne der § 43 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB VI ist gemäß § 50 Abs. 1 S. 1. Nr. 2 i.V.m. §§ 51 Abs. 1, 54, 55 SGB VI erfüllt, wenn vor Eintritt der teilweisen oder vollen Erwerbsminderung eine Versicherungszeit von 5 Jahren zurückgelegt ist.

Dies zu Grunde gelegt hat die Versicherte keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. J. und Dr. D. ist die Versicherte zwar aufgrund der bestehenden psychiatrischen Erkrankungen und Einschränkungen auf Dauer außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein und somit voll erwerbsgemindert. Allerdings hat die Versicherte die für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung erforderliche allgemeine Wartezeit nicht erfüllt. Ausweislich des unstreitigen Versicherungsverlaufes hat die Versicherte nur 43 Monate und nicht die erforderlichen 60 Monate an Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt (31 Monate vom 03.09.2007 bis 06.03.2010 wegen beruflicher Ausbildung und 13 Monate vom 10.03.2010 bis 31.12.2010 sowie vom 01.01.2011 bis 08.03.2011 Pflichtbeitragszeiten bei Bezug von Arbeitslosengeld).

Auch eine vorzeitige Erfüllung der allgemeinen Wartezeit kommt nicht in Betracht. Nach § 53 Abs. 2 S. 1 SGB VI ist die Wartezeit erfüllt, wenn Versicherte vor Ablauf von 6 Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden oder gestorben sind und in den letzten zwei Jahren vorher mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Richtig ist zwar, dass bei Annahme eines Eintritts des Leistungsfalls bereits im März 2010 (06.03.2010, Ende der Berufsausbildung), 14.03.2011 (Aufnahme in die RPK-Maßnahme) oder am 20.02.2012 (letzter Tag der Kostenträgerschaft der Beklagten für die RPK-Maßnahme) die Voraussetzungen der vorzeitigen Wartezeiterfüllung nach § 53 Abs. 2 S. 1 SGB VI grundsätzlich erfüllt wären. Es wäre jeweils die volle Erwerbsminderung vor Ablauf von 6 Jahren nach Beendigung der Schulausbildung am 20.07.2007 eingetreten (6-Jahreszeitraum vom 21.07.2007 bis 20.07.2013). Dies ergibt sich auch, falls - entgegen BSG (Urteil vom 21.06.2000 - B 4 RA 14/99 R - nach juris) - hinsichtlich des Begriffes der Ausbildung iSv § 53 Abs. 2 S. 1 SGB VI auf die versicherungspflichtige Berufsausbildung (6-Jahreszeitraum vom 07.03.2010 bis 06.03.2016) abgestellt wird. In den jeweiligen maßgeblichen Zweijahreszeiträumen wären auch mindestens 12 Pflichtbeiträge vorhanden gewesen. Auf die oben genannten Pflichtbeitragszeiten wird Bezug genommen.

Allerdings ist die Versicherte nicht vor Ablauf von 6 Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden. Denn sie war nach Überzeugung des Senats schon vor Beginn der Berufsausbildung voll erwerbsgemindert. Der Senat geht mit Dr. D. davon aus, dass die Versicherte bereits bei Eintritt in die Rentenversicherung mit dem Beginn der Ausbildung am 03.09.2007 aufgrund des psychiatrischen Störungsbildes voll erwerbsgemindert war.

Indes bedeutet dies nicht, dass die Versicherte allein aufgrund des Vorbestehens der psychischen Störungen von der Geltendmachung des Rentenanspruches ausgeschlossen wäre. Vielmehr erstreckt sich der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich auch auf sogenannte eingebrachte Leiden. Die Versicherten werden mit allen Krankheiten und Behinderungen in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen; es gibt keinen Ausschluss aus der Versicherung wegen so genannter eingebrachter Leiden (BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R, BSG Urteil vom 04.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R, jeweils nach juris). Allein durch das Erfordernis der Mindestbeitragszeit von 5 Jahren für die Renten wegen Erwerbsminderung erfolgt eine vom Gesetz vorgesehene faktische "Erprobung", nach deren Ablauf ein "Herabsinken" der beruflichen Leistungsfähigkeit insgesamt zum Eintritt eines Versicherungsfalls führen kann (vgl. BSG Urteil vom 10.12.2003 a.a.O.).

Etwas anderes gilt aber, wenn bereits bei Eintritt in die Rentenversicherung die Erwerbsminderung bestanden hat (BSG Urteil vom 10.12.2003 a.a.O.). Soweit daher Versicherte wegen angeborener, frühkindlich oder juvenil erworbener Krankheiten oder Behinderungen bereits vor Eintritt in das Versicherungsleben erwerbsgemindert waren, können sie wegen dieser Krankheiten oder Behinderungen keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente begründen.

Dass die Versicherte bereits vor Beginn der Ausbildung am 03.09.2007 aufgrund des psychiatrischen Störungsbildes voll erwerbsgemindert war, ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen von Dr. D ... Der vom Kläger behauptete spätere Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung der Versicherten ist dagegen nicht mit der erforderlichen Gewissheit nachgewiesen (§ 128 Abs. 1 SGG).

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden erwerbstätig zu sein. Die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten beurteilt sich nicht allein nach dessen Fähigkeit, Arbeiten zu verrichten, sondern auch nach der Fähigkeit, durch Arbeit einen auf gewisse Dauer gedachten Erwerb zu erzielen (BSG Beschluss vom 11.12.1969 - GS 2/68 - nach juris). Zu den "übliche Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" gehört daher auch, dass der Versicherte wettbewerbsfähig zu anderen Arbeitnehmern (ohne Behinderung) erwerbstätig sein kann. Hierzu ist Voraussetzung, dass der Versicherte über ein Mindestmaß an Selbstständigkeit, Ausdauer, Eigenverantwortung und Eigeninitiative verfügt.

Dies war bei der beigeladenen Versicherten bereits vor Beginn der Ausbildung am 03.09.2007 nicht der Fall. Bei der Versicherten lagen die folgenden Störungen vor.
- Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) mit Störung des Sozialverhaltens (F90.1)
- Essstörung/Adipositas (F50.4)
- Emotionale Retardation (F89)
- Rezidivierende Enuresis nocturna (F98.00).

Dr. D. führt überzeugend aus, dass aufgrund des Ausmaßes dieser Störungen von einer Erwerbsfähigkeit der Versicherten vor Beginn der Ausbildung keine Rede sein kann. Er bezieht sich zutreffend auf ärztliche Unterlagen und Berichte der Einrichtungen. Die Versicherte hatte sich seit dem 02.05.2006 im A.-Zentrum befunden, einer heilpädagogisch-therapeutischen Einrichtung für Mädchen und junge Frauen. Zuvor hatte sie die Förderschule besucht und ein Berufsschulvorbereitungsjahr nicht geschafft. Nach dem Bericht des A.-Zentrums vom 30.01.2014 habe die Versicherte durch das heilpädagogisch-therapeutische Setting im A.-Zentrum (enge Kooperation von Wohngruppe, Schule und Berufsausbildung), ergänzt durch die psychotherapeutische und kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung, einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung erreichen können. Der die Versicherte seit dieser Zeit (2006) behandelnde Jugendpsychiaters Dr. K. berichtet hierzu unter dem 19.11.2009, dass die bisherige Behandlung in Form einer multimodalen Therapie sowie die institutionelle Erziehung durch intensive pädagogische Arbeit innerhalb des A.-Zentrums eine Integration in der Gruppe sowie Schule ermöglicht habe. Weiter führt Dr. K. aus, dass die Versicherte (noch im Jahr 2009) durch erhebliche Defizite im Bereich der Konzentration, Sprache und Sozialverhalten auffällig sei. Deutlich wird das Ausmaß der Beeinträchtigung im Bericht des A.-Zentrums vom 03.02.2010 zur geistig-seelischen und sozialen Entwicklung der Versicherten. Die Versicherte wäre - noch im Jahr 2010 - überfordert, wenn sie selbstständig leben müsse. Hierbei, aber auch auf dem freien (gemeint: allgemeinen) Arbeitsmarkt wäre sie überfordert; sie benötige einen gewissen geschützten Rahmen. Es mangele an Konzentration, Sprache, Sozialverhalten, Eigenverantwortlichkeit und Eigeninitiative. Ganz offensichtlich werden die Beeinträchtigungen im Bericht des Stadtjugendamtes E-Stadt vom 18.03.2011 über die Zeit der Betreuung im A.-Zentrum ab 2006. Die Bemühungen, die Versicherte zu mehr persönlicher Reife, Selbstständigkeit, Eigenverantwortung und Eigeninitiative anzuleiten, hätten keinerlei Fortschritte im Entwicklungsprozess gebracht, vielmehr hätten die Anforderungen immer weiter nach unten angepasst werden müssen. Aufgrund ihrer seelischen Behinderung benötige die Versicherte mit ihren fast 21 Jahren dauerhaft einen geschützten Arbeits-, Wohn- und Lebensrahmen.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann aus dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zur Änderungsschneiderin nicht abgeleitet werden kann, dass die Versicherte wettbewerbsfähig und unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden konnte. Richtig ist zwar, dass es sich nicht um eine Ausbildung auf dem zweiten Arbeitsmarkt gehandelt hat und die Versicherte die Ausbildung unter den üblichen Prüfungs-bedingungen und Prüfungskriterien vor der Handwerkskammer ausweislich des Zeugnisses vom 06.03.2010 erfolgreich abgeschlossen hat. Es kann auch unterstellt werden, dass die von der Versicherten absolvierte Berufsausbildung vergleichbare Qualifikationen und Ausbildungsinhalte beinhaltete wie eine Ausbildung in einem regulären Berufsausbildungsverhältnis.

Allerdings hat Dr. D. in Übereinstimmung mit der berufskundlichen Beraterin J. (Auskunft vom 21.05.2013) überzeugend darauf hingewiesen, dass die Versicherte nie unter normalen Bedingungen eine allgemeinbildende Schule besucht, eine Berufsausbildung absolviert oder eine Arbeitstätigkeit verrichtet hat. Der Ausbildungsabschluss ist unter sehr günstigen äußeren Bedingungen erzielt worden, die nicht einem normalen Ausbildungsverhältnis entsprochen haben. Die Versicherte hat in der Zeit vom 03.09.2007 bis 06.03.2010 im A.-Zentrum die berufliche Ausbildung absolviert und dort die interne Berufsschule (P.-Schule), eine Schule zur Erziehungshilfe, besucht. Unter den geschützten Bedingungen dieser speziellen heilpädagogischen Einrichtung und nach Verlängerung der Ausbildungszeit mit Wiederholung der Abschlussprüfung konnte die Versicherte die Ausbildung abschließen. Auch hier ist auf den Bericht des A.-Zentrums vom 30.01.2014 hinzuweisen, nach dem die Versicherte durch das heilpädagogisch-therapeutische Setting im A.-Zentrum (enge Kooperation von Wohngruppe, Schule und Berufsausbildung), ergänzt durch die psychotherapeutische und kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung, einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung erreichen konnte.

Unabhängig von den äußeren Bedingungen der Berufsausbildung ist auch maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Versicherte trotz erfolgreichen Abschlusses der Berufsausbildung aus gesundheitlichen Gründen weiterhin nicht in der Lage war, wettbewerbsfähig und unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu werden. Dr. D. weist überzeugend darauf hin, dass allein der erfolgreiche Ausbildungsabschluss ohne gleichzeitige Besserung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Defizite die Versicherte nicht habe befähigen können, konkurrenzfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzutreten. Aus den vorliegen ärztlichen Unterlagen (z.B. Bericht Dr. K. vom 19.11.2009) oder sonstigen Berichten ist nicht zu entnehmen, dass sich das Ausmaß der bei der Versicherten bestehen Störungen zum Zeitpunkt des Abschlusses der Berufsausbildung geändert hätte.

Nicht gefolgt wird den Ausführungen des Dr. J. (Gutachten vom 31.10.2014), dass für die Zeit der Betreuung im A.-Zentrum ab dem 02.05.2006 die Erwerbsfähigkeit der Versicherten möglicherweise zwar als gefährdet zu betrachten gewesen sei, sich aber aufgrund der medikamentösen Therapie mit Methylphenidat primär die Behandlungsfähigkeit dargestellt habe. Die Versicherte hat von Mitte April 2006 bis März 2010 das Medikament mit dem Wirkstoff Methylphenidat zur Behandlung des ADS-Syndroms erhalten (Bericht des Klinikums D-Stadt, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 07.08.2006, Auskunft der Betreuerin der Versicherten vom 23.04.2013). Dem im Betreuungsverfahren erstellten Gutachten ist zu entnehmen, dass die Behandlung mit Methylphenidat der Versicherten geholfen habe, die Lehre durchzustehen und erfolgreich zu beenden (Th. G. vom 16.06.2010). Auch Dr. S. vermutete unter dem 13.03.2013, dass der Widerspruch zwischen der Fähigkeit zur Berufsausbildung und den Auswirkungen und Fähigkeitsstörungen des seit Geburt bzw. seit der Kindheit bestehenden ADS so aufzulösen sei, dass die Versicherte unter der Medikation mit Methylphenidat die Berufsausbildung habe abschließen können. Allerdings hat das Sozialgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Versicherte auch unter Einnahme des Medikaments mit dem Wirkstoff Methylphenidat nicht in der Lage gewesen sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine reguläre Ausbildung durchzuführen. Denn trotz der Medikation hat die Versicherte den geschützten Rahmen einer spezialisierten Einrichtung und eine längere Ausbildungsdauer benötigt. Notwendig waren das heilpädagogisch-therapeutische Setting im A.-Zentrum und die psychotherapeutische sowie kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung, um den Schulabschluss und die Berufsausbildung zu erreichen (Bericht des A.-Zentrums vom 30.01.2014). Dr. K. verweist darauf, dass die Behandlung in Form einer multimodalen Therapie sowie die institutionelle Erziehung durch intensive pädagogische Arbeit notwendig waren (Bericht vom 19.11.2009).

Im Übrigen stellt Dr. D. auch die Behandlungsfähigkeit des psychischen Störungsbildes (ADS) (allein) mittels der Medikation mit Methylphenidat und den Behandlungserfolg in Frage. Er widerspricht damit auch der von Dr. J. geäußerten Auffassung, eine negative Erfolgsprognose im Februar 2012 wäre nicht gerechtfertigt gewesen, wenn über den März 2010 hinaus die Verordnung von Methylphenidat erfolgt wäre. Die Versicherte hätte dann - so Dr. J. - durchaus als Putzhilfe arbeiten bzw. eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit verrichten können. Dr. D. führt aus, dass dieses Medikament zwar nach der Ausbildung der Versicherten im März 2010 abgesetzt, aber während des Aufenthaltes im Haus R. ab September 2011 wieder verordnet worden sei und die Versicherte es durchgehend bis zur Änderung der Medikation im März/ April 2013 erhalten habe (Auskunft der Betreuerin der Versicherten vom 23.04.2013, Verlaufsbericht des Hauses R. vom 04.11.2011). Das Haus R. hat unter dem 04.11.2011 berichtet, dass das Medikament bei der Versicherten "anschlage" und von "sichtbaren Fortschritten" bei der Teilnahme am Therapieprogramm und bezüglich der Therapiemotivation gesprochen werden könne. Dies sei nach Dr. D. aber nur als vorübergehender positiver Effekt einzuordnen gewesen, denn trotz weiterer Verordnung des Medikaments habe im Verlaufsbericht des Hauses R. vom 03.02.2012 eine eindeutig positive Prognose nicht mehr abgegeben werden können.

Entgegen der Auffassung der Klägerseite lässt sich ein Leistungsfall zu einem Zeitpunkt erst nach Eintritt der Versicherten in die Rentenversicherung nicht begründen. Der spätere Eintritt des Leistungsfalls ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass die Versicherte in der Zeit vom 16.08.2010 bis 21.08.2010 sowie vom 30.09.2010 bis 07.01.2011 eine geringfügige versicherungsfreie Beschäftigung als Putzkraft ausgeübt hat. Nach der Bescheinigung der G. GmbH vom 04.11.2010 war die Versicherte vom 16.08.2010 bis 21.08.2010 insgesamt 19,5 Stunden und mit einem Lohn von insgesamt 163,80 EUR tätig. Nach der Bescheinigung der F. vom 15.12.2010 waren es im September 2010 0,35 Std (Lohn 3,03 EUR), im Oktober 2010 14,5 Stunden (Lohn 127,76 EUR) und im November 2010 8,5 Stunden (Lohn 77,36 EUR). Unter Berücksichtigung der Angaben im Versicherungsverlauf vom 24.10.2013 verbleiben für den Dezember 2010 ein Lohn von 66,00 EUR (etwa 7,5 Stunden) und für Januar 2011 ein Lohn von 14,00 EUR (etwa 1,5 Stunden). Als Entgelt hat die Versicherte nicht mehr als den Mindestlohn bezogen (vgl. Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung vom 03.03.2010, BAnz. Nr. 37 S. 951). Lediglich in der Zeit vom 16.08.2010 bis 21.08.2010 wurde eine Arbeitszeit von täglich mindestens 3 Stunden erreicht. Es ist aber ersichtlich, dass aus diesen gelegentlichen und nur vereinzelten Arbeitsstunden nicht hergeleitet werden kann, dass die Versicherte wettbewerbsfähig erwerbstätig war.

Auch aus dem Bezug von Arbeitslosengeld ergibt sich kein Anhalt für einen Leistungsfall zu einem Zeitpunkt erst nach Eintritt in die Rentenversicherung. Richtig ist, dass die Versicherte nach der Ausbildung bis zur Aufnahme im Haus R., in der Zeit vom 10.03.2010 bis 08.03.2011, durchgehend Arbeitslosengeld bezogen hat und der Bezug von Arbeitslosengeld formal voraussetzt, dass der Leistungsempfänger eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann. Allerdings ist das Leistungsvermögen der Versicherten bei Antragstellung unterstellt worden. Eine Überprüfung durch den ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit ist nicht erfolgt. Es kann dahinstehen, ob dies überhaupt tatsächlich möglich war. Die Versicherte ist nach dem 06.03.2010 von St. L. nach W-Stadt in eine Außengruppe des A.-Zentrums verzogen. Dort ist sie bis zum 12.04.2010 verblieben. Danach war sie in der WAB H-Stadt bis zum Juli 2010. In der Folgezeit hat sie bei ihrer Mutter und danach bei ihrem Freund gewohnt. Eigenbemühungen der Versicherten sind nicht erfolgt, da - so die Betreuerin unter dem 03.07.2017 - sehr schnell klar geworden sei, dass eine berufliche Rehabilitation notwendig sei.

Eine Überprüfung durch den ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit ist erst aufgrund der Vorsprache der Versicherten bei der Agentur für Arbeit am 22.12.2010 veranlasst worden. Bereits aus dem Auftragsschreiben der Sachbearbeitung vom 22.12.2010 an den ärztlichen Dienst wird das aufgehobene Leistungsvermögen der Versicherten deutlich. Nach dem Auftragsschreiben habe die Versicherte gemeinsam mit ihrer Betreuerin vorgesprochen und berichtet, dass sie unter ADS leide und keine Medikamente mehr erhalte. Seit sie diese nicht mehr bekomme, funktioniere in ihrem Leben nichts mehr. Vermerkt wurde von der Sachbearbeitung: "AM schlecht, med. oder berufl. Reha angedacht". Unter Berücksichtigung eines Befundberichtes der P. der Psychiatrischen Klinik am E. vom 19.01.2011 ist sodann das Gutachten nach Aktenlage des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit B-Stadt vom 03.02.2011 erstellt worden. Im Ergebnis seien der Versicherten nur Tätigkeiten über 3 bis unter 6 Stunden täglich in einem geschützten Rahmen (z.B. medizinisch-berufliche Rehabilitation) zumutbar. Es liege eine schwerwiegende Leistungseinschränkung vor, die die Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, nicht nur vorübergehend wesentlich mindere.

Soweit der Kläger noch im Berufungsverfahren die Beiziehung eines Gutachtens der Agentur für Arbeit vom 06.12.2010 beantragt hat, ist darauf hinzuweisen, dass unter diesem Datum ein Gutachten nicht erstellt wurde. Dies hat die Agentur für Arbeit B-Stadt mit Schreiben vom 02.06.2017 bestätigt. Indes ist in der Leistungsakte der Agentur für Arbeit unter dem 06.12.2010 vermerkt worden, dass aufgrund der Gesamtumstände und den gesundheitlichen Einschränkungen Verfügbarkeit für den gesamten Zeitraum unterstellt werden könne. Dies bedeutet aber nicht, dass damit die Leistungsfähigkeit unterstellt wird, schon gar nicht aus ärztlicher Sicht. Vielmehr ergibt sich aus dem übrigen Akteninhalt, dass die genannte Verfügbarkeit die Erreichbarkeit der Versicherten trotz oder nach dem Umzug nach Neunkirchen a. Brand zum 01.10.2010 betrifft. Eine nähere Einordung im Sinne des § 138 Abs. 5 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) erfolgte nicht.

Dass die Beklagte die Eignung der Versicherten für die RPK-Maßnahme im Haus R. zunächst festgestellt und aufgrund der Verlaufsberichte des Hauses R. die Bewilligung dreimal bis zum 20.02.2012 verlängert hat, beinhaltet keine Aussage zur Erwerbsfähigkeit der Versicherten im Sinne des § 43 SGB VI. Die Versicherte nahm ab dem 14.03.2011 an der RPK-Maßnahme teil, d.h. an einer stationären Maßnahme in einer Rehabilitationseinrichtung für psychisch kranke und behinderte Menschen. Dr. D. weist zutreffend darauf hin, dass eine solche Maßnahme im Wesentlichen stabilisierende, trainierende, berufsvorbereitende und arbeitstherapeutische sowie soziotherapeutische Maßnahmen beinhalte und sich insbesondere an jüngere Menschen wende, die krankheitsbedingt noch nicht in der Lage seien, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten. Es sei nachvollziehbar, so Dr. D., dass die Beklagte bei der Antragstellung zur Kostenübernahme auch vergleichsweise geringfügige positive Effekte und teilweise Verbesserungen als Hinweise auf einen möglichen späteren Einsatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gewertet habe. Zutreffend hat das Sozialgericht hier ausgeführt, dass sich die Prognosen nur auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt beziehen und Voraussagen einer zukünftigen Entwicklung sind. Im Ergebnis sind daher weder die Kostenübernahme, noch die Verlängerungen oder die Erfolgsprognosen als Beleg für eine volle Erwerbsfähigkeit der Versicherten zu den jeweiligen Zeitpunkten anzusehen. Die Annahme einer uneingeschränkten Erwerbfähigkeit wäre auch nicht mit dem Gutachten nach Aktenlage des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit vom 03.02.2011 und den Berichten der P. der Klinik für Psychiatrie des Klinikums am E. E-Stadt vom 19.01.2011 und 24.01.2011 in Übereinstimmung zu bringen. Letztlich spricht auch die der Kostenträgerschaft der Beklagten vorausgehende und auf Kosten der AOK durchgeführte medizinische Rehabilitation gegen die behauptete Erwerbsfähigkeit der Versicherten, da diese zur Heranführung und auch nur der Klärung gedient hat, ob sich berufliche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben anschließen sollen.

All dies zu Grunde gelegt kann sich ein Rentenanspruch nur aus § 43 Abs. 6 SGB VI ergeben. Danach haben Versicherte dann Anspruch auf eine volle Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben. Da aber die Versicherte die Wartezeit von 20 Jahren (§ 50 Abs. 2 i.V.m. § 51 Abs. 1, § 54, § 55 SGB VI) nicht erfüllt hat, kommt ein Rentenanspruch nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Kläger macht im Wege der Prozessstandschaft Rentenansprüche der beigeladenen Versicherten nach § 95 SGB XII geltend und kommt damit in den Genuss der Kostenprivilegierung nach § 183 SGG (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 183 SGG, Rdnr. 6 b m.w.N.).

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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