Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 220/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 661/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 22.09.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 30.10.2015 Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderungsrente hat.
Die 1962 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Diätköchin absolviert und war anschließend in dem Beruf auch versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde nach eigenen Angaben der Klägerin 1996 wegen Mobbings beendet. Anschließend war sie über zehn Jahre in einer Fabrik als Verpackerin tätig. Daneben pflegte sie ihren Vater und seit 2008 ihren Ehemann, der im Jahr 2006 einen schweren Stromunfall erlitten hatte. Neben der Pflegetätigkeit (für den Ehemann ist Pflegestufe I zuerkannt, allerdings auch ein Grad der Behinderung - GdB - von 100 sowie die Merkzeichen "aG" und "B") geht sie stundenweise zum Putzen und erledigt Arbeiten in einem Büro. Der Lebensunterhalt wird von der Erwerbsminderungsrente des Ehemannes und vom Pflegegeld für die Pflegestufe I bestritten. Der Klägerin selbst ist ein GdB von 20 zuerkannt.
Am 30.10.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Erwerbsminderungsrente und gab hierbei an, sich seit ca. 2006 wegen starker körperlicher und psychischer Beschwerden für erwerbsgemindert zu halten, insbesondere wegen depressiver Störungen und Fibromyalgie. Sie könne keine Tätigkeiten mehr verrichten.
Die Beklagte holte ein sozialmedizinisches Gutachten von Dr. M. ein, der am 09.12.2015 zu dem Ergebnis gelangte, dass die Klägerin weder die Tätigkeit als Putzfrau noch die Tätigkeit einer Pflegekraft mindestens drei Stunden täglich verrichten könne. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt sei unter Beachtung qualitativer Einschränkungen aber noch ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen gegeben.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 22.12.2015 eine Rentengewährung ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 29.12.2015 Widerspruch ein, den sie sowohl telefonisch (am 08.01.2016) als auch schriftlich (Fax vom 03.02.2016) begründete. Vorgelegt wurden des Weiteren ein ärztlicher Bericht über eine am 18.01.2016 durchgeführte Skelettszintigrafie von Dr. M. sowie ein ärztliches Attest von dem behandelnden Hausarzt Dr. W ... Nach Einholung einer prüfärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 10.02.2016 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2016 als unbegründet zurück. Trotz ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit sei die Klägerin noch in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 23.03.2016 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass die Beklagte die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin nur unzureichend erfasst habe. Dr. M. habe bereits festgestellt, dass die Klägerin eine Tätigkeit als Pflegerin in der Pflegestufe I für ihren Ehemann und die Tätigkeit einer Putzfrau nur noch unter 3-stündig verrichten könne. Sie leide unter umfangreichen Erkrankungen. Ergänzend zu den im Bescheid der Beklagten aufgeführten Erkrankungen leide sie unter etlichen chronischen Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates des rheumatischen Formenkreises und der Psyche. Zusätzlich fände sich ein chronischer Vitamin B 12-Mangel durch Malabsorption bei chronischer Gastritis. Die Klägerin leide unter einer chronischen Fibromyalgie, die sich in wechselnden, teils ausgeprägten Schmerzen und Bewegungseinschränkungen nahezu der gesamten Extremitätenmuskulatur bemerkbar mache. Die Klägerin sei nur sehr eingeschränkt in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Aus diesem Grund habe sie seit dem Jahr 1996 keine regelmäßige versicherungspflichtige Beschäftigung mehr ausgeübt. Hinzukomme eine sekundäre depressive Erkrankung, die zumindest als mittelschwer und im Sinne einer Dysthymie als anhaltend anzusehen sei. Diese sei mit einem ausgeprägten somatoformen Syndrom verknüpft und gehe einher mit wechselnden Beschwerden des Herz-Kreislauf-Systems, des Magen-Darm-Traktes sowie des Bewegungsapparates.
Das SG hat Befundberichte vom Hausarzt Dr. W. mit Fremdbefunden und vom Internisten Dr. A. beigezogen, wobei dieser angab, dass die Klägerin eine Stunde vor dem Versenden des Faxes zum ersten Mal in seiner Behandlung gewesen sei.
Sodann hat das SG ein orthopädisch/neurochirurgisches Gutachten von Dr. R. eingeholt, der am 30.07.2016 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
- Funktionsbehinderung linkes Knie nach Operation im Kindesalter, venöse Ektasie
- Degeneratives HWS-/LWS-Leiden
- Operiertes Karpaltunnelsyndrom beidseits, Verdacht auf Sulcus ulnaris Syndrom beidseits
- Belastungsminderung beider Schultern ohne wesentliche Funktionseinschränkungen
- Intermittierende Epicondylitis radialis humeri beidseits, rechts mehr als links
Diagnosen außerhalb des orthopädischen Fachgebietes:
- Rezidivierende depressive Episode, chronisches Schmerzsyndrom (Fibromyalgie)
- Gastritis
- Urge-Inkontinenz
- Migräne
Trotz dieser gesundheitlichen Einschränkungen erscheine derzeit eine mindestens 6-stündige Tätigkeit noch möglich. Es müsse sich um leichte bis mittelschwere Tätigkeiten handeln, prinzipiell in einem Wechsel aus Sitzen, Stehen und Gehen, wobei die sitzende Position zu 50% bis 60 % summarisch überwiegen sollte. Die Klägerin sollte vorwiegend in geschlossenen Räumen eingesetzt werden. Bei zumindest intermittierender psychischer Beeinträchtigung sollten Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, beispielsweise Akkordarbeiten, Nachtschicht, nicht erfolgen. Aus orthopädischen Gründen sollte die Klägerin nicht an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen mit Absturzgefahr tätig sein. Zu vermeiden seien gehäufte Zwangshaltungen in Vorbeuge, Knien, Hocke, in geringerem Maße auch über Kopf. Ebenso zu vermeiden seien schwere Hebetätigkeiten über 15 kg. Die Klägerin sollte auch über längere Zeiträume nicht Witterungsbedingungen ausgesetzt sein. Bei Urge-Inkontinenz sollte eine Toilette in erreichbarer Nähe vorhanden sein. Eine außergewöhnliche Arbeitszeitgestaltung oder außergewöhnliche Pausenregelung sei nicht erforderlich. Gegenüber den Untersuchungsergebnissen von Dr. M. vom 09.12.2015 hätten sich keine wesentlichen Änderungen ergeben. In Anbetracht des Alters der Klägerin seien Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben zumindest zu prüfen. Die qualitative Erwerbsminderung bestehe mindestens seit Rentenantragstellung im Oktober 2015. Die vorliegenden Erkrankungen seien bereits zu früheren Zeitpunkten dokumentiert. Aus orthopädischer Sicht sei von einer Zunahme der Einschränkungen in Zukunft auszugehen. Die Krankengymnastik am Heimatort sollte fortgeführt werden. Weitere Begutachtungen seien derzeit nicht erforderlich. Es werde jedoch empfohlen, dass sich die Klägerin in nervenärztliche Behandlung begebe. Danach könne entschieden werden, ob eine Begutachtung auf nervenärztlichem Fachgebiet noch erforderlich wäre.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - wurde sodann ein orthopädisches Sachverständigengutachten vom Facharzt für Orthopädie Dr. Sch. eingeholt, der am 22.11.2016 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
- Chronische Schmerzen
- Chronisches LWS-Syndrom
- Osteochondrose L5/S1
- Bandscheibenprotrusion L 5/S1 ohne radikuläre Symptomatik
- ISG-Syndrom
- Fibromyalgiesyndrom ohne positive Triggerpunkte
- Cervikobrachialsyndrom ohne Funktionseinschränkung
- Zustand nach Karpaltunnel-OP beidseits ohne Funktionseinschränkung
- Tendinosis calcarea linke Schulter ohne Funktionseinschränkung
- Acromion Typ I bis II links
- Geringe AC-Gelenksarthrose links ohne Funktionseinschränkung
Nicht orthopädische Diagnosen:
- Depression
- Migräne
Bei den beschriebenen Funktionseinschränkungen handele es sich um altersgemäße degenerative Erscheinungen, die jedoch keine Einschränkungen des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin nach sich ziehen würden. Eine radikuläre Symptomatik bestehe in keinem Fall. Die HWS zeige keinerlei Funktionseinschränkungen, auch beide Schultern nicht. Alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten seien absolut frei beweglich. Wie auch schon vom Vorgutachter Dr. R. beschrieben, sei die Psyche verbunden mit einem chronischen Schmerzsyndrom erwähnenswert sowie die bekannte Urge-Inkontinenz. Es bestehe mit Sicherheit keinerlei OP-Indikation und außer degenerativen Veränderungen sei nichts zu finden. Der Klägerin sei noch eine mindestens 6-stündige Tätigkeit zumutbar, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Sie könne auch weiterhin den zuletzt ausgeübten Beruf einer Putzhilfe absolut ausführen. Gegenüber den Untersuchungsergebnissen von Dr. M. und Dr. R. bestünden keine Unterschiede.
Zum Gutachten von Dr. Sch. hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.01.2017 dahingehend Stellung genommen, dass die Klägerin bei der Begutachtung unter Einfluss schmerzlindernder Medikamente gestanden habe. Die Begutachtung sei deshalb nicht aussagekräftig. Außerdem lasse das Gutachten die psychische Situation der Klägerin völlig außer Betracht.
Mit Schreiben vom 25.01.2017 hat das Gericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es die Einholung weiterer Gutachten von Amts wegen nicht für erforderlich halte und beabsichtigt sei, die Streitsache durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Während sich die Beklagte mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärte, hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 20.02.2017 nochmals darauf hingewiesen, dass die Klägerin seit 2013 bei Dr. S. in psychiatrischer Behandlung sei und das SG ein nervenärztliches Sachverständigengutachten einholen müsse. Nach einem telefonischen Kontakt zwischen dem Vorsitzenden der 14. Kammer und der Prozessbevollmächtigten vom 23.02.2017 wurde nach § 109 SGG ein nervenärztliches Gutachten vom Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. eingeholt, der am 07.07.2017 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
- Anhaltend somatoforme Schmerzstörung
- Dysthymie
- Anpassungsstörung
- Degenerative LWS-Veränderungen ohne manifeste, radikulär bedingte Ausfälle
- Zervikales Wurzelreizsyndrom ohne manifeste, radikulär bedingte Ausfälle
Trotz dieser gesundheitlichen Einschränkungen könne die Klägerin noch eine mindestens 6-stündige Tätigkeit unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten. Im Bereich der psychischen Beeinträchtigungen seien Tätigkeiten zu vermeiden wie Akkord- oder Fließbandarbeit, Wechsel- und Nachtschicht, Arbeit an laufenden Maschinen, Arbeiten unter Zeitdruck mit Publikumsverkehr sowie mit Verantwortung für Menschen und Maschinen. Gegenüber den Untersuchungsergebnissen des Gutachtens von Dr. M. vom 09.12.2015 sei keine Veränderung eingetreten. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Putzhilfe könne der Klägerin aufgrund des entsprechenden beruflichen Anforderungsprofils nicht mehr zugemutet werden. Diese Einschränkung bestehe seit 09.12.2015. Eine medizinische Reha-Maßnahme könnte durchgeführt werden.
Zum Gutachten von Dr. W. hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 11.09.2017 darauf hingewiesen, dass das Gutachten für die Klägerin im Ergebnis nicht nachvollziehbar sei. Der Gutachter beschreibe die Klägerin als depressiv verstimmt, affektiv gedrückt und im Antrieb gemindert und erkläre, dass aus nervenärztlicher Sicht aufgrund der stattgehabten dramatischen Lebensgeschichte therapeutisch eine regelmäßige fachpsychiatrische und ambulant verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie angezeigt sei (Seite 20 des Gutachtens). Gleichzeitig fehle die entsprechende Gesundheitsstörung im Rahmen der Auflistung der Diagnosen. Die psychische Erkrankung der Klägerin habe damit im Gutachten nicht hinreichend Einfluss gefunden. Vorgelegt werde ein Attest von Dr. O. vom 19.04.2017, die die Klägerin für nur noch unter 3-stündig einsetzbar erachte. Auch der behandelnde Hausarzt Dr. W. sei der Meinung, dass die Klägerin nur noch unter drei Stunden einsatzfähig sei.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.09.2017 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erklärt.
Das SG hat sodann durch Gerichtsbescheid vom 22.09.2017 die Klage als unbegründet abgewiesen. Aufgrund der vorliegenden Gutachten sei davon auszugehen, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein könne, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Dies ergebe sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. R ... Auch die beiden Gutachter nach § 109 SGG Dr. Sch. und Dr. W. hätten in ihrem jeweiligen Gutachten jedenfalls ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesehen. Daran würden auch die Ausführungen der klägerischen Hausärzte und der Bevollmächtigten der Klägerin nichts ändern. Das Gericht habe keine Notwendigkeit gesehen, weitere Gutachten einzuholen bzw. den Sachverständigen Dr. W. zur Stellungnahme zu den Attesten von Frau Dr. O. von April 2017 und des Hausarztes Dr. W. von Januar 2017 aufzufordern. Das psychiatrisch relevante Attest der Dr. O. habe dem Sachverständigen ausweislich seines Gutachtens bereits vorgelegen. Das Attest des Hausarztes von Januar 2017 habe keine wesentlich neuen Aspekte aufgeführt.
Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 09.10.2017 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und darauf hingewiesen, dass die eingeholten Sachverständigengutachten den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin nicht gerecht würden. Es werde jeweils nur das eigene Fachgebiet erfasst, nicht aber die Komplexität der Erkrankung der Klägerin. Die Klägerin sei spätestens seit Oktober 2015 aufgrund ihrer umfangreichen und chronischen Erkrankungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden einsetzbar. Rechtsfehlerhaft habe das SG auch keine Notwendigkeit gesehen, ein weiteres neurologisches Gutachten einzuholen, obgleich die Klägerin mit Schriftsatz vom 11.09.2017 ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass der Sachverständige sich mit den Befunden und Bewertungen von Dr. O. und Dr. W. in keinster Weise auseinandergesetzt habe. Beigefügt ist der Berufungsschrift ein ärztliches Attest von Dr. W. vom 02.10.2017.
Mit weiterem Schriftsatz vom 21.02.2018 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein ärztliches Attest von Dr. O. vom 31.01.2018 vorgelegt und eine Einvernahme der Dr. O. als Zeugin angeregt. Mit weiterem Schriftsatz vom 06.03.2018 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein ärztliches Attest von Dr. W. vom 28.02.2018, einen Medikationsplan vom 23.02.2018 sowie ein ärztliches Attest von Dr. Sch. vom 23.02.2018 übersandt. Die Beklagte hat hierzu durch Dr. M. am 27.03.2018 prüfärztlich Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass bisher keinerlei leitliniengerechte Behandlung der psychischen Erkrankung der Klägerin erfolge. Hier bestünden aber durchaus erhebliche erfolgversprechende Behandlungsoptionen.
Auf gerichtliches Anschreiben vom 25.04.2018, wonach aufgrund der bestehenden Gutachten und der offensichtlich bestehenden Behandlungsoptionen der Klägerin eine Erfolgsaussicht für die Berufung nicht gesehen werde, hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 11.05.2018 weitere ärztliche Unterlagen übersandt, nämlich eine Bestätigung des Ärztezentrums G. vom 19.03.2018, einen Arztbrief von Dres. M. und W. vom 23.04.2018, eine weitere Bestätigung des Ärztezentrum G. vom 23.03.2018 sowie ein Schreiben der Gemeinschaftspraxis Dres. H., K. und N. vom 19.03.2018. Die Klägerin sei der Auffassung, dass ihr eine Erwerbsminderungsrente zustehe. Nach ihrer Auffassung und Einschätzung der behandelnden Ärzte sei sie nur unter 3-stündig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar. Im Übrigen sei die Klägerin der Auffassung, dass ihre gesundheitliche Situation nicht durch Behandlungsoptionen verbesserbar sei. Die medizinischen Möglichkeiten seien nach ihrem Dafürhalten ausgeschöpft.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 22.09.2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 30.10.2015 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 22.09.2017 zurückzuweisen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 22.09.2017 die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI -. Ihr Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ist zwar qualitativ, d. h. hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, nicht aber quantitativ, d. h. zeitlich auf unter 6 Stunden täglich eingeschränkt.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne des § 43 Abs 1 Nr. 2 bzw. § 43 Abs 2 Nr. 2 SGB VI sind bei der Klägerin unzweifelhaft gegeben. Der Versicherungsverlauf vom 07.08.2018 weist durchgehend seit März 2012 Pflichtbeitragszeiten für Pflegetätigkeiten sowie zusätzlich die Ausübung einer geringfügigen, nicht versicherungspflichtigen Tätigkeit aus. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2018 hierzu angegeben, dass sie nach wie vor ihren Ehemann pflege und daneben 11 mal 3 Stunden, also insgesamt 33 Stunden pro Monat Raumpflegetätigkeiten und leichte Sortierarbeiten (Bürohilfsarbeiten) verrichte.
Zur Überzeugung des Senats steht aufgrund der vorliegenden Sachverständigengutachten und eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte jedoch fest, dass ein medizinischer Leistungsfall der Erwerbsminderung nicht vorliegt. Die Klägerin ist nach wie vor in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Es muss sich um leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen handeln, die im Wechselrhythmus mit überwiegend sitzendem Anteil ausgeübt werden müssten. Zu vermeiden sind Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten; zu vermeiden sind des Weiteren Tätigkeiten mit wechselnden Wetterbedingungen ohne entsprechenden Bekleidungsschutz sowie nervlich besonders belastende Tätigkeiten wie Nacht- und Akkordarbeit sowie Tätigkeiten mit Verantwortung für Maschinen und Personen.
Der Senat gewinnt diese Überzeugung aus den vorliegenden Sachverständigengutachten, nämlich aus dem im Rentenverfahren eingeholten sozialmedizinischen Gutachten von Dr. M. vom 09.12.2015 sowie aus den vom SG eingeholten Sachverständigengutachten nach § 106 SGG auf orthopädisch/neurochirurgischem Fachgebiet von Dr. R. vom 30.07.2016 und den nach § 109 SGG auf Antrag der Klägerin eingeholten Sachverständigengutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Dr. Sch. vom 22.11.2016 sowie auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet von Dr. W. vom 07.07.2017. Alle Sachverständigen kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass relevante Funktionseinschränkungen, die auf Dauer zu einer Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin führen könnten, noch nicht bestehen bzw. auf nervenärztlichem Fachgebiet auch zumindest behandlungs- und besserungsfähig sind. Insbesondere die Gutachten nach § 109 SGG sind sehr deutlich in dieser Einschätzung, wenngleich jeweils im Nachgang von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin geltend gemacht wurde, dass diese Gutachten nicht aussagekräftig seien, zum einen weil die Klägerin bei Dr. Sch. zuvor Schmerzmittel eingenommen habe und deshalb ihre Schmerzen während der Untersuchung nicht geäußert habe. Das Gutachten von Dr. W. wird unter Hinweis auf ein Attest von Dr. O. in Frage gestellt, die aber lediglich eine Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin umschreibt. Der Orthopäde Dr. Sch. sah etwa lediglich altersentsprechende degenerative Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates, der nervenärztliche Sachverständige Dr. W. nur leichte Beeinträchtigungen der psychischen Belastbarkeit, die durchaus einer Behandlung zugänglich sind. Wesentliche Leistungseinschränkungen der Klägerin konnten beide Sachverständige nicht bestätigen. Eine wesentliche Änderung im Laufe des Verfahrens ist ebenfalls nicht dokumentiert.
Insbesondere aus dem bei Dr. W. von der Klägerin geschilderten Tagesablauf lässt sich eine relevante Einschränkung der Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit der Klägerin nicht ableiten. Danach stehe die Klägerin meistens gegen 6.00 Uhr auf, mache das Frühstück, kümmere sich um das drei Jahre alte Enkelkind und frühstücke dann zusammen mit ihrem Ehemann. Sie würde dann den Enkel in den Kindergarten fahren. Sie kümmere sich anschließend um die Körperhygiene und das Anziehen bei ihrem Ehemann. Sie fahre ihn anschließend zu Massage- und Krankengymnastikterminen. Mittags hole sie das Enkelkind ab, mache Mittagessen, kaufe ein und führe den Haushalt. Am Nachmittag lege sie sich oft hin. Danach gehe sie meistens mit ihrem Ehemann im Wald spazieren, sitze mit ihm am Computer oder spiele Puzzle. Sie richte dann das Abendessen und sie schauten anschließend gemeinsam fern. Obwohl die Klägerin angibt, dass sie schon lange nicht mehr unter Menschen gehe, weil sie das belaste, muss ein solcher Tagesablauf zwingend mit entsprechenden zwischenmenschlichen Kontakten einhergehen. Die Klägerin hat offensichtlich auch keine Schwierigkeiten, ärztliche Termine mit dem Ehemann zu koordinieren, sie kann ihn zur Begutachtung im Rollstuhl mitbringen, fährt selbst mit dem Auto zur Untersuchung und kann sich auch in ausreichendem Maße um ihr Enkelkind kümmern. Sie hat seit 2014 auch wieder einen Hund, nachdem ihr vorhergehender Hund nur wenige Tage vor der Hochzeit ihrer Tochter vergiftet worden sein und sie darauf mit einer Anpassungsstörung reagiert haben soll.
Aus der geltend gemachten Urge-Inkontinenz ergeben sich keine quantitativen Einschränkungen. Lediglich Dr. R. hat angegeben, es wäre hilfreich, wenn eine Toilette in der Nähe wäre. Die Klägerin ist aber trotz dieser Inkontinenz in der Lage, alle notwendigen Behandlungs-/ Pflegemaßnahmen, Einkäufe, hauswirtschaftliche Versorgung und ähnliches zu verrichten.
Eine internistische Behandlung findet nicht statt, ebenso wenig eine nervenärztliche Behandlung. Die Klägerin hat sich zwar im April 2017 erstmals nach langer Zeit - wie von Dr. O. in ihrem Bericht vermerkt - wieder bei ihr vorgestellt, eine entsprechende Behandlung durch eine Änderung der Medikation bzw. durch Durchführung einer ambulanten Psychotherapie möchte die Klägerin aber nicht in Anspruch nehmen. Insoweit kann von einem schwerwiegenden Leidensdruck der Klägerin offensichtlich nicht ausgegangen werden. Im Gutachten von Dr. M. ist festgehalten, dass die Klägerin in einer sozialen Überforderungssituation gefangen sei, nachdem sie sich um die Pflege ihres Mannes kümmern müsse. Nach ihren eigenen Angaben leidet ihr Bruder, der noch bei ihrer Mutter lebt, ebenfalls unter psychischen Problemen (Spielsucht) und ist nach ihrer Ansicht wohl nicht in der Lage, sein Leben selbst in den Griff zu bekommen, so dass sie ihn ebenfalls unterstützen müsse.
Die im Berufungsverfahren eingeholten und von Klägerseite vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen bzw. Befundberichte veranlassen den Senat nicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen. Die von Dr. W. und Dr. O. vorgelegten Atteste vom 02.10.2017 und 31.01.2018 haben keine neuen Erkrankungen dokumentiert. Darauf hat die Beklagte in ihrer prüfärztlichen Stellungnahme (Dr. M.) auch zutreffend hingewiesen. Die weiteren Bestätigungen des Ärztezentrums G. über die Verordnung von Krankengymnastik bzw. über eine Infusionstherapie im Jahr 2013 bis 2016 vermögen keine neue Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin zu stützen. Einzig bei Dr. H. im Bericht vom 19.03.2018 wird als neuer Befund eine Rhizarthrose bei seit zwei Wochen spontan aufgetretenen Schmerzen dokumentiert. Dies stellt aber ebenfalls lediglich einen Behandlungsfall dar und ändert nichts an der oben dargelegten Leistungseinschätzung und den von den Sachverständigen aufgezeigten Behandlungsoptionen.
Soweit die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein "Zeugnis" der behandelnden Ärzte angeregt hatte, sah der Senat hierzu keine Veranlassung. Es wurden die Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und die von Klägerseite im Berufungsverfahren vorgelegten "Atteste" oder Bescheinigungen zur Kenntnis genommen. Ein förmlicher Beweisantrag, dem der Senat gegebenenfalls hätte nachgehen müssen, wurde nicht gestellt.
Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Würzburg vom 22.09.2017 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 30.10.2015 Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderungsrente hat.
Die 1962 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Diätköchin absolviert und war anschließend in dem Beruf auch versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde nach eigenen Angaben der Klägerin 1996 wegen Mobbings beendet. Anschließend war sie über zehn Jahre in einer Fabrik als Verpackerin tätig. Daneben pflegte sie ihren Vater und seit 2008 ihren Ehemann, der im Jahr 2006 einen schweren Stromunfall erlitten hatte. Neben der Pflegetätigkeit (für den Ehemann ist Pflegestufe I zuerkannt, allerdings auch ein Grad der Behinderung - GdB - von 100 sowie die Merkzeichen "aG" und "B") geht sie stundenweise zum Putzen und erledigt Arbeiten in einem Büro. Der Lebensunterhalt wird von der Erwerbsminderungsrente des Ehemannes und vom Pflegegeld für die Pflegestufe I bestritten. Der Klägerin selbst ist ein GdB von 20 zuerkannt.
Am 30.10.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Erwerbsminderungsrente und gab hierbei an, sich seit ca. 2006 wegen starker körperlicher und psychischer Beschwerden für erwerbsgemindert zu halten, insbesondere wegen depressiver Störungen und Fibromyalgie. Sie könne keine Tätigkeiten mehr verrichten.
Die Beklagte holte ein sozialmedizinisches Gutachten von Dr. M. ein, der am 09.12.2015 zu dem Ergebnis gelangte, dass die Klägerin weder die Tätigkeit als Putzfrau noch die Tätigkeit einer Pflegekraft mindestens drei Stunden täglich verrichten könne. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt sei unter Beachtung qualitativer Einschränkungen aber noch ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen gegeben.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 22.12.2015 eine Rentengewährung ab.
Hiergegen legte die Klägerin am 29.12.2015 Widerspruch ein, den sie sowohl telefonisch (am 08.01.2016) als auch schriftlich (Fax vom 03.02.2016) begründete. Vorgelegt wurden des Weiteren ein ärztlicher Bericht über eine am 18.01.2016 durchgeführte Skelettszintigrafie von Dr. M. sowie ein ärztliches Attest von dem behandelnden Hausarzt Dr. W ... Nach Einholung einer prüfärztlichen Stellungnahme von Dr. B. vom 10.02.2016 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2016 als unbegründet zurück. Trotz ihrer eingeschränkten Leistungsfähigkeit sei die Klägerin noch in der Lage, Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten.
Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 23.03.2016 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass die Beklagte die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin nur unzureichend erfasst habe. Dr. M. habe bereits festgestellt, dass die Klägerin eine Tätigkeit als Pflegerin in der Pflegestufe I für ihren Ehemann und die Tätigkeit einer Putzfrau nur noch unter 3-stündig verrichten könne. Sie leide unter umfangreichen Erkrankungen. Ergänzend zu den im Bescheid der Beklagten aufgeführten Erkrankungen leide sie unter etlichen chronischen Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates des rheumatischen Formenkreises und der Psyche. Zusätzlich fände sich ein chronischer Vitamin B 12-Mangel durch Malabsorption bei chronischer Gastritis. Die Klägerin leide unter einer chronischen Fibromyalgie, die sich in wechselnden, teils ausgeprägten Schmerzen und Bewegungseinschränkungen nahezu der gesamten Extremitätenmuskulatur bemerkbar mache. Die Klägerin sei nur sehr eingeschränkt in der Lage, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Aus diesem Grund habe sie seit dem Jahr 1996 keine regelmäßige versicherungspflichtige Beschäftigung mehr ausgeübt. Hinzukomme eine sekundäre depressive Erkrankung, die zumindest als mittelschwer und im Sinne einer Dysthymie als anhaltend anzusehen sei. Diese sei mit einem ausgeprägten somatoformen Syndrom verknüpft und gehe einher mit wechselnden Beschwerden des Herz-Kreislauf-Systems, des Magen-Darm-Traktes sowie des Bewegungsapparates.
Das SG hat Befundberichte vom Hausarzt Dr. W. mit Fremdbefunden und vom Internisten Dr. A. beigezogen, wobei dieser angab, dass die Klägerin eine Stunde vor dem Versenden des Faxes zum ersten Mal in seiner Behandlung gewesen sei.
Sodann hat das SG ein orthopädisch/neurochirurgisches Gutachten von Dr. R. eingeholt, der am 30.07.2016 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
- Funktionsbehinderung linkes Knie nach Operation im Kindesalter, venöse Ektasie
- Degeneratives HWS-/LWS-Leiden
- Operiertes Karpaltunnelsyndrom beidseits, Verdacht auf Sulcus ulnaris Syndrom beidseits
- Belastungsminderung beider Schultern ohne wesentliche Funktionseinschränkungen
- Intermittierende Epicondylitis radialis humeri beidseits, rechts mehr als links
Diagnosen außerhalb des orthopädischen Fachgebietes:
- Rezidivierende depressive Episode, chronisches Schmerzsyndrom (Fibromyalgie)
- Gastritis
- Urge-Inkontinenz
- Migräne
Trotz dieser gesundheitlichen Einschränkungen erscheine derzeit eine mindestens 6-stündige Tätigkeit noch möglich. Es müsse sich um leichte bis mittelschwere Tätigkeiten handeln, prinzipiell in einem Wechsel aus Sitzen, Stehen und Gehen, wobei die sitzende Position zu 50% bis 60 % summarisch überwiegen sollte. Die Klägerin sollte vorwiegend in geschlossenen Räumen eingesetzt werden. Bei zumindest intermittierender psychischer Beeinträchtigung sollten Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, beispielsweise Akkordarbeiten, Nachtschicht, nicht erfolgen. Aus orthopädischen Gründen sollte die Klägerin nicht an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen mit Absturzgefahr tätig sein. Zu vermeiden seien gehäufte Zwangshaltungen in Vorbeuge, Knien, Hocke, in geringerem Maße auch über Kopf. Ebenso zu vermeiden seien schwere Hebetätigkeiten über 15 kg. Die Klägerin sollte auch über längere Zeiträume nicht Witterungsbedingungen ausgesetzt sein. Bei Urge-Inkontinenz sollte eine Toilette in erreichbarer Nähe vorhanden sein. Eine außergewöhnliche Arbeitszeitgestaltung oder außergewöhnliche Pausenregelung sei nicht erforderlich. Gegenüber den Untersuchungsergebnissen von Dr. M. vom 09.12.2015 hätten sich keine wesentlichen Änderungen ergeben. In Anbetracht des Alters der Klägerin seien Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben zumindest zu prüfen. Die qualitative Erwerbsminderung bestehe mindestens seit Rentenantragstellung im Oktober 2015. Die vorliegenden Erkrankungen seien bereits zu früheren Zeitpunkten dokumentiert. Aus orthopädischer Sicht sei von einer Zunahme der Einschränkungen in Zukunft auszugehen. Die Krankengymnastik am Heimatort sollte fortgeführt werden. Weitere Begutachtungen seien derzeit nicht erforderlich. Es werde jedoch empfohlen, dass sich die Klägerin in nervenärztliche Behandlung begebe. Danach könne entschieden werden, ob eine Begutachtung auf nervenärztlichem Fachgebiet noch erforderlich wäre.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - wurde sodann ein orthopädisches Sachverständigengutachten vom Facharzt für Orthopädie Dr. Sch. eingeholt, der am 22.11.2016 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
- Chronische Schmerzen
- Chronisches LWS-Syndrom
- Osteochondrose L5/S1
- Bandscheibenprotrusion L 5/S1 ohne radikuläre Symptomatik
- ISG-Syndrom
- Fibromyalgiesyndrom ohne positive Triggerpunkte
- Cervikobrachialsyndrom ohne Funktionseinschränkung
- Zustand nach Karpaltunnel-OP beidseits ohne Funktionseinschränkung
- Tendinosis calcarea linke Schulter ohne Funktionseinschränkung
- Acromion Typ I bis II links
- Geringe AC-Gelenksarthrose links ohne Funktionseinschränkung
Nicht orthopädische Diagnosen:
- Depression
- Migräne
Bei den beschriebenen Funktionseinschränkungen handele es sich um altersgemäße degenerative Erscheinungen, die jedoch keine Einschränkungen des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin nach sich ziehen würden. Eine radikuläre Symptomatik bestehe in keinem Fall. Die HWS zeige keinerlei Funktionseinschränkungen, auch beide Schultern nicht. Alle Gelenke der oberen und unteren Extremitäten seien absolut frei beweglich. Wie auch schon vom Vorgutachter Dr. R. beschrieben, sei die Psyche verbunden mit einem chronischen Schmerzsyndrom erwähnenswert sowie die bekannte Urge-Inkontinenz. Es bestehe mit Sicherheit keinerlei OP-Indikation und außer degenerativen Veränderungen sei nichts zu finden. Der Klägerin sei noch eine mindestens 6-stündige Tätigkeit zumutbar, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Sie könne auch weiterhin den zuletzt ausgeübten Beruf einer Putzhilfe absolut ausführen. Gegenüber den Untersuchungsergebnissen von Dr. M. und Dr. R. bestünden keine Unterschiede.
Zum Gutachten von Dr. Sch. hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.01.2017 dahingehend Stellung genommen, dass die Klägerin bei der Begutachtung unter Einfluss schmerzlindernder Medikamente gestanden habe. Die Begutachtung sei deshalb nicht aussagekräftig. Außerdem lasse das Gutachten die psychische Situation der Klägerin völlig außer Betracht.
Mit Schreiben vom 25.01.2017 hat das Gericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es die Einholung weiterer Gutachten von Amts wegen nicht für erforderlich halte und beabsichtigt sei, die Streitsache durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Während sich die Beklagte mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärte, hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 20.02.2017 nochmals darauf hingewiesen, dass die Klägerin seit 2013 bei Dr. S. in psychiatrischer Behandlung sei und das SG ein nervenärztliches Sachverständigengutachten einholen müsse. Nach einem telefonischen Kontakt zwischen dem Vorsitzenden der 14. Kammer und der Prozessbevollmächtigten vom 23.02.2017 wurde nach § 109 SGG ein nervenärztliches Gutachten vom Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. eingeholt, der am 07.07.2017 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
- Anhaltend somatoforme Schmerzstörung
- Dysthymie
- Anpassungsstörung
- Degenerative LWS-Veränderungen ohne manifeste, radikulär bedingte Ausfälle
- Zervikales Wurzelreizsyndrom ohne manifeste, radikulär bedingte Ausfälle
Trotz dieser gesundheitlichen Einschränkungen könne die Klägerin noch eine mindestens 6-stündige Tätigkeit unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten. Im Bereich der psychischen Beeinträchtigungen seien Tätigkeiten zu vermeiden wie Akkord- oder Fließbandarbeit, Wechsel- und Nachtschicht, Arbeit an laufenden Maschinen, Arbeiten unter Zeitdruck mit Publikumsverkehr sowie mit Verantwortung für Menschen und Maschinen. Gegenüber den Untersuchungsergebnissen des Gutachtens von Dr. M. vom 09.12.2015 sei keine Veränderung eingetreten. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Putzhilfe könne der Klägerin aufgrund des entsprechenden beruflichen Anforderungsprofils nicht mehr zugemutet werden. Diese Einschränkung bestehe seit 09.12.2015. Eine medizinische Reha-Maßnahme könnte durchgeführt werden.
Zum Gutachten von Dr. W. hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 11.09.2017 darauf hingewiesen, dass das Gutachten für die Klägerin im Ergebnis nicht nachvollziehbar sei. Der Gutachter beschreibe die Klägerin als depressiv verstimmt, affektiv gedrückt und im Antrieb gemindert und erkläre, dass aus nervenärztlicher Sicht aufgrund der stattgehabten dramatischen Lebensgeschichte therapeutisch eine regelmäßige fachpsychiatrische und ambulant verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie angezeigt sei (Seite 20 des Gutachtens). Gleichzeitig fehle die entsprechende Gesundheitsstörung im Rahmen der Auflistung der Diagnosen. Die psychische Erkrankung der Klägerin habe damit im Gutachten nicht hinreichend Einfluss gefunden. Vorgelegt werde ein Attest von Dr. O. vom 19.04.2017, die die Klägerin für nur noch unter 3-stündig einsetzbar erachte. Auch der behandelnde Hausarzt Dr. W. sei der Meinung, dass die Klägerin nur noch unter drei Stunden einsatzfähig sei.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.09.2017 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid erklärt.
Das SG hat sodann durch Gerichtsbescheid vom 22.09.2017 die Klage als unbegründet abgewiesen. Aufgrund der vorliegenden Gutachten sei davon auszugehen, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein könne, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Dies ergebe sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. R ... Auch die beiden Gutachter nach § 109 SGG Dr. Sch. und Dr. W. hätten in ihrem jeweiligen Gutachten jedenfalls ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesehen. Daran würden auch die Ausführungen der klägerischen Hausärzte und der Bevollmächtigten der Klägerin nichts ändern. Das Gericht habe keine Notwendigkeit gesehen, weitere Gutachten einzuholen bzw. den Sachverständigen Dr. W. zur Stellungnahme zu den Attesten von Frau Dr. O. von April 2017 und des Hausarztes Dr. W. von Januar 2017 aufzufordern. Das psychiatrisch relevante Attest der Dr. O. habe dem Sachverständigen ausweislich seines Gutachtens bereits vorgelegen. Das Attest des Hausarztes von Januar 2017 habe keine wesentlich neuen Aspekte aufgeführt.
Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 09.10.2017 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und darauf hingewiesen, dass die eingeholten Sachverständigengutachten den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin nicht gerecht würden. Es werde jeweils nur das eigene Fachgebiet erfasst, nicht aber die Komplexität der Erkrankung der Klägerin. Die Klägerin sei spätestens seit Oktober 2015 aufgrund ihrer umfangreichen und chronischen Erkrankungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter drei Stunden einsetzbar. Rechtsfehlerhaft habe das SG auch keine Notwendigkeit gesehen, ein weiteres neurologisches Gutachten einzuholen, obgleich die Klägerin mit Schriftsatz vom 11.09.2017 ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass der Sachverständige sich mit den Befunden und Bewertungen von Dr. O. und Dr. W. in keinster Weise auseinandergesetzt habe. Beigefügt ist der Berufungsschrift ein ärztliches Attest von Dr. W. vom 02.10.2017.
Mit weiterem Schriftsatz vom 21.02.2018 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein ärztliches Attest von Dr. O. vom 31.01.2018 vorgelegt und eine Einvernahme der Dr. O. als Zeugin angeregt. Mit weiterem Schriftsatz vom 06.03.2018 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein ärztliches Attest von Dr. W. vom 28.02.2018, einen Medikationsplan vom 23.02.2018 sowie ein ärztliches Attest von Dr. Sch. vom 23.02.2018 übersandt. Die Beklagte hat hierzu durch Dr. M. am 27.03.2018 prüfärztlich Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass bisher keinerlei leitliniengerechte Behandlung der psychischen Erkrankung der Klägerin erfolge. Hier bestünden aber durchaus erhebliche erfolgversprechende Behandlungsoptionen.
Auf gerichtliches Anschreiben vom 25.04.2018, wonach aufgrund der bestehenden Gutachten und der offensichtlich bestehenden Behandlungsoptionen der Klägerin eine Erfolgsaussicht für die Berufung nicht gesehen werde, hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 11.05.2018 weitere ärztliche Unterlagen übersandt, nämlich eine Bestätigung des Ärztezentrums G. vom 19.03.2018, einen Arztbrief von Dres. M. und W. vom 23.04.2018, eine weitere Bestätigung des Ärztezentrum G. vom 23.03.2018 sowie ein Schreiben der Gemeinschaftspraxis Dres. H., K. und N. vom 19.03.2018. Die Klägerin sei der Auffassung, dass ihr eine Erwerbsminderungsrente zustehe. Nach ihrer Auffassung und Einschätzung der behandelnden Ärzte sei sie nur unter 3-stündig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar. Im Übrigen sei die Klägerin der Auffassung, dass ihre gesundheitliche Situation nicht durch Behandlungsoptionen verbesserbar sei. Die medizinischen Möglichkeiten seien nach ihrem Dafürhalten ausgeschöpft.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 22.09.2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 30.10.2015 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 22.09.2017 zurückzuweisen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 22.09.2017 die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI -. Ihr Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ist zwar qualitativ, d. h. hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, nicht aber quantitativ, d. h. zeitlich auf unter 6 Stunden täglich eingeschränkt.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die notwendigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Sinne des § 43 Abs 1 Nr. 2 bzw. § 43 Abs 2 Nr. 2 SGB VI sind bei der Klägerin unzweifelhaft gegeben. Der Versicherungsverlauf vom 07.08.2018 weist durchgehend seit März 2012 Pflichtbeitragszeiten für Pflegetätigkeiten sowie zusätzlich die Ausübung einer geringfügigen, nicht versicherungspflichtigen Tätigkeit aus. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2018 hierzu angegeben, dass sie nach wie vor ihren Ehemann pflege und daneben 11 mal 3 Stunden, also insgesamt 33 Stunden pro Monat Raumpflegetätigkeiten und leichte Sortierarbeiten (Bürohilfsarbeiten) verrichte.
Zur Überzeugung des Senats steht aufgrund der vorliegenden Sachverständigengutachten und eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte jedoch fest, dass ein medizinischer Leistungsfall der Erwerbsminderung nicht vorliegt. Die Klägerin ist nach wie vor in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Es muss sich um leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen handeln, die im Wechselrhythmus mit überwiegend sitzendem Anteil ausgeübt werden müssten. Zu vermeiden sind Zwangshaltungen und Überkopfarbeiten; zu vermeiden sind des Weiteren Tätigkeiten mit wechselnden Wetterbedingungen ohne entsprechenden Bekleidungsschutz sowie nervlich besonders belastende Tätigkeiten wie Nacht- und Akkordarbeit sowie Tätigkeiten mit Verantwortung für Maschinen und Personen.
Der Senat gewinnt diese Überzeugung aus den vorliegenden Sachverständigengutachten, nämlich aus dem im Rentenverfahren eingeholten sozialmedizinischen Gutachten von Dr. M. vom 09.12.2015 sowie aus den vom SG eingeholten Sachverständigengutachten nach § 106 SGG auf orthopädisch/neurochirurgischem Fachgebiet von Dr. R. vom 30.07.2016 und den nach § 109 SGG auf Antrag der Klägerin eingeholten Sachverständigengutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Dr. Sch. vom 22.11.2016 sowie auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet von Dr. W. vom 07.07.2017. Alle Sachverständigen kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass relevante Funktionseinschränkungen, die auf Dauer zu einer Einschränkung der quantitativen Leistungsfähigkeit der Klägerin führen könnten, noch nicht bestehen bzw. auf nervenärztlichem Fachgebiet auch zumindest behandlungs- und besserungsfähig sind. Insbesondere die Gutachten nach § 109 SGG sind sehr deutlich in dieser Einschätzung, wenngleich jeweils im Nachgang von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin geltend gemacht wurde, dass diese Gutachten nicht aussagekräftig seien, zum einen weil die Klägerin bei Dr. Sch. zuvor Schmerzmittel eingenommen habe und deshalb ihre Schmerzen während der Untersuchung nicht geäußert habe. Das Gutachten von Dr. W. wird unter Hinweis auf ein Attest von Dr. O. in Frage gestellt, die aber lediglich eine Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin umschreibt. Der Orthopäde Dr. Sch. sah etwa lediglich altersentsprechende degenerative Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates, der nervenärztliche Sachverständige Dr. W. nur leichte Beeinträchtigungen der psychischen Belastbarkeit, die durchaus einer Behandlung zugänglich sind. Wesentliche Leistungseinschränkungen der Klägerin konnten beide Sachverständige nicht bestätigen. Eine wesentliche Änderung im Laufe des Verfahrens ist ebenfalls nicht dokumentiert.
Insbesondere aus dem bei Dr. W. von der Klägerin geschilderten Tagesablauf lässt sich eine relevante Einschränkung der Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit der Klägerin nicht ableiten. Danach stehe die Klägerin meistens gegen 6.00 Uhr auf, mache das Frühstück, kümmere sich um das drei Jahre alte Enkelkind und frühstücke dann zusammen mit ihrem Ehemann. Sie würde dann den Enkel in den Kindergarten fahren. Sie kümmere sich anschließend um die Körperhygiene und das Anziehen bei ihrem Ehemann. Sie fahre ihn anschließend zu Massage- und Krankengymnastikterminen. Mittags hole sie das Enkelkind ab, mache Mittagessen, kaufe ein und führe den Haushalt. Am Nachmittag lege sie sich oft hin. Danach gehe sie meistens mit ihrem Ehemann im Wald spazieren, sitze mit ihm am Computer oder spiele Puzzle. Sie richte dann das Abendessen und sie schauten anschließend gemeinsam fern. Obwohl die Klägerin angibt, dass sie schon lange nicht mehr unter Menschen gehe, weil sie das belaste, muss ein solcher Tagesablauf zwingend mit entsprechenden zwischenmenschlichen Kontakten einhergehen. Die Klägerin hat offensichtlich auch keine Schwierigkeiten, ärztliche Termine mit dem Ehemann zu koordinieren, sie kann ihn zur Begutachtung im Rollstuhl mitbringen, fährt selbst mit dem Auto zur Untersuchung und kann sich auch in ausreichendem Maße um ihr Enkelkind kümmern. Sie hat seit 2014 auch wieder einen Hund, nachdem ihr vorhergehender Hund nur wenige Tage vor der Hochzeit ihrer Tochter vergiftet worden sein und sie darauf mit einer Anpassungsstörung reagiert haben soll.
Aus der geltend gemachten Urge-Inkontinenz ergeben sich keine quantitativen Einschränkungen. Lediglich Dr. R. hat angegeben, es wäre hilfreich, wenn eine Toilette in der Nähe wäre. Die Klägerin ist aber trotz dieser Inkontinenz in der Lage, alle notwendigen Behandlungs-/ Pflegemaßnahmen, Einkäufe, hauswirtschaftliche Versorgung und ähnliches zu verrichten.
Eine internistische Behandlung findet nicht statt, ebenso wenig eine nervenärztliche Behandlung. Die Klägerin hat sich zwar im April 2017 erstmals nach langer Zeit - wie von Dr. O. in ihrem Bericht vermerkt - wieder bei ihr vorgestellt, eine entsprechende Behandlung durch eine Änderung der Medikation bzw. durch Durchführung einer ambulanten Psychotherapie möchte die Klägerin aber nicht in Anspruch nehmen. Insoweit kann von einem schwerwiegenden Leidensdruck der Klägerin offensichtlich nicht ausgegangen werden. Im Gutachten von Dr. M. ist festgehalten, dass die Klägerin in einer sozialen Überforderungssituation gefangen sei, nachdem sie sich um die Pflege ihres Mannes kümmern müsse. Nach ihren eigenen Angaben leidet ihr Bruder, der noch bei ihrer Mutter lebt, ebenfalls unter psychischen Problemen (Spielsucht) und ist nach ihrer Ansicht wohl nicht in der Lage, sein Leben selbst in den Griff zu bekommen, so dass sie ihn ebenfalls unterstützen müsse.
Die im Berufungsverfahren eingeholten und von Klägerseite vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen bzw. Befundberichte veranlassen den Senat nicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen. Die von Dr. W. und Dr. O. vorgelegten Atteste vom 02.10.2017 und 31.01.2018 haben keine neuen Erkrankungen dokumentiert. Darauf hat die Beklagte in ihrer prüfärztlichen Stellungnahme (Dr. M.) auch zutreffend hingewiesen. Die weiteren Bestätigungen des Ärztezentrums G. über die Verordnung von Krankengymnastik bzw. über eine Infusionstherapie im Jahr 2013 bis 2016 vermögen keine neue Einschätzung des Leistungsvermögens der Klägerin zu stützen. Einzig bei Dr. H. im Bericht vom 19.03.2018 wird als neuer Befund eine Rhizarthrose bei seit zwei Wochen spontan aufgetretenen Schmerzen dokumentiert. Dies stellt aber ebenfalls lediglich einen Behandlungsfall dar und ändert nichts an der oben dargelegten Leistungseinschätzung und den von den Sachverständigen aufgezeigten Behandlungsoptionen.
Soweit die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ein "Zeugnis" der behandelnden Ärzte angeregt hatte, sah der Senat hierzu keine Veranlassung. Es wurden die Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und die von Klägerseite im Berufungsverfahren vorgelegten "Atteste" oder Bescheinigungen zur Kenntnis genommen. Ein förmlicher Beweisantrag, dem der Senat gegebenenfalls hätte nachgehen müssen, wurde nicht gestellt.
Nach alledem war die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Würzburg vom 22.09.2017 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Aus
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