Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 21 RJ 88/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 RJ 94/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 12. April 1999 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen. Das Sozialgericht wird auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab August 1996.
Der 1949 geborene Kläger hat eine 1964 begonnene Lehre als Kfz-Mechaniker abgebrochen und ist seit 1976 als Klebeabdichter bei den R ... Werken in E ... tätig. Nach der Auskunft der Arbeitgeberin vom 10.03.1997 handelte es sich bei der Tätigkeit des Klägers um eine Arbeit, die im allgemeinen von angelernten Arbeitern mit einer Ausbildung von 2 Jahren verrichtet wird; andererseits habe der Kläger durch Schulungsmaßnahmen alle praktischen und theoretischen Kenntnisse eines voll ausgebildeten Facharbeiters besessen. Er selbst hat ein Prüfungszeugnis über die Abschlußprüfung im Ausbildungsberuf "Klebeabdichter" vom 25.02.1988 vorgelegt. Aus einer Heilbehandlung zu Lasten der Beklagten vom 13.07. bis 03.08.1995 in B ... B ... ist der Kläger als arbeitsfähig in seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit entlassen worden.
Seinen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit vom 22.07.1996 lehnte die Beklagte nach medizinischen und berufskundlichen Ermittlungen durch Bescheid vom 25.10.1996 und Widerspruchsbescheid vom 15.04.1997 mit der Begründung ab, daß der Kläger als angelernter Arbeiter auf frühere Berufs- und diesen verwandte Tätigkeiten, aber auch auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar sei.
Mit der am 15.05.1997 erhobenen Klage unter Vorlage eines Attestes von dem praktischen Arzt Dr. J ... aus E ... vom 06.04.1998 hat der Kläger vorgetragen, daß sein körperliches Restleistungsvermögen für eine vollschichtige Tätigkeit jedweder Art nicht mehr ausreiche. Als Klebeabdichter sei er als Facharbeiter zu beurteilen.
Das Sozialgericht (SG) ist von dem Antrag ausgegangen,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25.10.1996 und des Widerspruchsbescheides vom 15.04.1997 zu verurteilen, dem Kläger ab 01.08.1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat darauf hingewiesen, daß der Klebeabdichter ein anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von 24 Monaten sei.
Nach Beiziehung einer Arbeitgeberauskunft vom 15.07.1997, wonach der Kläger "geh. Baufacharbeiter" sei, hat das SG ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. V ... aus N ... vom 29.08.1997 eingeholt, wonach der Kläger nicht mehr Gerüst- oder Leiterarbeiten verrichten könne, aber noch imstande sei, vollschichtig leichte bis kurzfristig auch mittelschwere Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck im Wechsel von Gehen, Sitzen und Stehen ohne einseitige Zwangshaltung und nur mit Witterungsschutz zu verrichten. Außerdem hat das SG im Termin vom 11.03.1998 den Architekten H ... als berufskundlichen Sachverständigen vernommen, der nicht in der Lage war, aus dem Berufsbereich des Klägers Verweisungstätigkeiten zu benennen. Weiter hat das SG im Termin vom 23.03.1998 den Dipl.-Ingenieur Dr. S ... als berufskundlichen Sachverständigen vernommen, der die Auffassung geäußert hat, daß der Kläger problemlos im Kleingeräteaufbau und als Schalttafelwärter einsetzbar sei. In diesem Termin haben die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gegeben; diese Erklärung ist nicht vorgelesen und genehmigt worden. Schließlich hat das SG einen Befundbericht von Dr. F ... aus E ... angefordert, der aber lediglich Kopien von medizinischen Unterlagen aus dem Jahre 1990 vorgelegt hat.
Mit Schriftsatz vom 22.07.1998, beim SG eingegangen am 24.07.1998, hat der Bevollmächtigte des Klägers "um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers" gebeten.
In einem Beratungsprotokoll vom 12.04.1999, in dem im Kopf allein die Kammervorsitzende aufgeführt ist, steht: "Nach Aufruf der Sache erscheint niemand. Es ergeht folgendes Urteil: Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten." Darunter befinden sich drei Unterschriften, und zwar diejenige der im Kopf aufgeführten Kammervorsitzenden, des weiteren die Unterschrift "M ..."(?) sowie eine unleserliche Unterschrift.
Das in den Akten befindliche Original des Urteils vom 12.04.1999, durch das das SG die Klage abgewiesen hat, enthält auf seinem Titelblatt den Satz " ... hat die 21. Kammer des Sozialgerichts Duisburg ohne mündliche Verhandlung am 12.04.1999 durch die Richterin am Sozialgericht ... für Recht erkannt:". In den Entscheidungsgründen ist zunächst ausgeführt, daß im schriftlichen Verfahren habe entschieden werden können, da die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt hätten, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klage sei nicht begründet, weil der Kläger keinen Rentenanspruch habe. Auszugehen sei vom Beruf des Klebeabdichters, bei dem es sich um einen anerkannten Anlernberuf mit zweijähriger Ausbildung handele. Die Entlohnung als gehobener Baufacharbeiter begründe keinen weitergehenden Berufsschutz und keine Gleichstellung mit einem Facharbeiter. Als Arbeitnehmer eines anerkannten Anlernberufes sei der Kläger auf die Anlernberufe verweisbar. Er könne noch körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zwangshaltungen verrichten. Ohne weiteres einsetzbar sei er als Schalttafelwärter, wobei er jede beliebige Körperhaltung bei deren Beobachtung einnehmen könne. Ferner seien nach einer neueren Entscheidung des erkennenden Landessozialgerichts Beschäftigte des anerkannten Anlernberufes auch auf die Tätigkeit des Pförtners an der Nebenpforte verweisbar, da dieser Beruf eine wenige Tage umfassende Anlernzeit beinhalte. Beide Berufe entsprächen dem körperlichen Leistungsvermögen des Klägers.
Gegen das ihm am 28.04.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.05.1999 Berufung eingelegt. Unter Bezugnahme auf die beigefügte Bescheinigung von Dr. J ... vom 11.06.1999 trägt er vor, daß eine weitere medizinische Sachverständigenüberprüfung erforderlich sei. Hinsichtlich des Vorliegens von Berufsunfähigkeit vertritt der Kläger die Auffassung, daß er durchaus den Verweisungsschutz eines Facharbeiters erlangt habe, weswegen im übrigen auch weitere Sachaufklärung erforderlich sei. Insbesondere habe das Vordergericht aber keinerlei Ausführungen zum körperlichen Belastungsprofil der genannten Tätigkeiten in der Kleingerätemontage und als Schalttafelwärter gemacht. Auch die Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte komme wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nicht in Betracht. Für ihn eventuell in Betracht zu ziehende Verweisungstätigkeiten seien nicht erkennbar.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Duisburg vom 12.04.1999 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.1997 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit ab August 1996 zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
In dem Erörterungstermin vom 26.08.1999 sind die Beteiligten auf den Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie eine möglicherweise nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts hingewiesen worden.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sowie einer solchen durch den Berichterstatter erklärt und diese ihnen vorgelesene Erklärung auch genehmigt.
Auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Streitakten wird wegen aller weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte im Einverständnis mit beiden Beteiligten durch Urteil durch den Berichterstatter (§ 155 Absätze 3 und 4 SGG) und ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entschieden werden.
Die Berufung des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz begründet. Das erstinstanzliche Verfahren ist in so wesentlicher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden, daß es sinnvoll ist, den Beteiligten im Sinne der Erhaltung zweier ordnungsgemäßer Tatsacheninstanzen die Wiederholung der ersten Instanz zu ermöglichen.
Zunächst leidet das erstinstanzliche Verfahren an dem wesentlichen Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 202 SGG in Verbindung mit § 551 Nr. 5 Zivilprozeßordnung - ZPO -), der zugleich einen absoluten (unbedingten) Revisionsgrund darstellt (Bundessozialgericht - BSG - SozR 1500 § 62 Nr. 6 mit weiteren Nachweisen; anderer Auffassung, nämlich, daß nur ein wesentlicher Verfahrensfehler und kein absoluter Revisionsgrund vorliege, Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 6. Aufl. 1998, § 124 Rn. 2a und § 162 Rn. 10e) und für sich allein schon die Zurückverweisung rechtfertigt (Meyer-Ladewig aaO § 62 Rn. 11). Das SG hat nämlich, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein, ohne mündliche Verhandlung entschieden. Zwar haben die Beteiligten im Termin vom 23.03.1998 ihr Einverständnis mit einer schriftlichen Entscheidung erteilt, wobei offen bleiben kann, ob diese wichtige Prozeßerklärung nach § 124 Abs. 2 SGG nicht zu ihrer Wirksamkeit gemäß § 122 SGG in Verbindung mit § 162 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ZPO hätte vorgelesen und genehmigt werden müssen (vgl. dazu Meyer-Ladewig aaO § 122 Rn. 7 und 11). Jedenfalls aber ist dieses - unterstellte - Einverständnis des Klägers mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung am 24.07.1998 entfallen, indem sein Bevollmächtigter schriftsätzlich ausdrücklich um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gebeten hat. Diese das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung beseitigende Erklärung hätte das SG bei seiner Entscheidung des Rechtsstreits nicht übergehen dürfen. Unabhängig vom vorliegenden Falle ist auch zu beachten (s. BSG aaO), daß eine Einverständniserklärung mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch ohne ausdrücklichen oder konkludenten Widerruf durch weitere Prozeßhandlungen des Gerichts verbraucht sein kann (s.a. Meyer-Ladewig § 124 Rn. 4).
Weiterhin erscheint es möglich, daß das SG in falscher Besetzung entschieden hat, worin ein weiterer wesentlicher Verfahrensfehler liegt, der ebenfalls zugleich einen absoluten Revisionsgrund darstellt, wie sich aus § 202 SGG in Verbindung mit § 551 Nr. 1 ZPO ergibt (Meyer-Ladewig aaO § 162 Rn. 10 a). Nach dem Titelblatt des Urteils vom 12.04.1999 hat das SG nämlich nur durch die Vorsitzende der Kammer entschieden und nicht in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern, wie es § 3 SGG verlangt. Auch dem Beratungsprotokoll ist im maschinengeschriebenen Kopf keine Teilnahme von ehrenamtlichen Richtern zu entnehmen. Zwar enthält dieses Protokoll außer der Unterschrift der Kammervorsitzenden zusätzlich eine in etwa leserliche und eine unleserliche Unterschrift. Damit ist aber die Teilnahme der zuständigen beiden ehrenamtlichen Richter nicht in ausreichender Weise dokumentiert, und zwar schon nicht für die Teilnahme an der Beratung und erst recht nicht für die ordnungsgemäße Beteiligung an dem Urteil. Im übrigen enthält dieses Beratungsprotokoll weitere Fehler. Durch den Satz "Nach Aufruf der Sache erscheint niemand." wird die Möglichkeit in den Raum gestellt, daß doch in öffentlicher Sitzung verhandelt worden ist. Das ist zwar angesichts fehlender Ladung und der entsprechenden Bemerkung in den Entscheidungsgründen unwahrscheinlich, aber ein solcher Satz gehört nicht in das Protokoll über eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das SG zur Vermeidung eines - weiteren - wesentlichen Verfahrensfehlers bei der Sachaufklärung zu beachten haben, daß zur Feststellung, daß Berufsunfähigkeit nicht vorliegt, die schlichte Benennung von Verweisungstätigkeiten nicht ausreicht. Zunächst ist der bisherige Beruf des Klägers in das vom BSG entwickelte Mehrstufenschema einzuordnen. Dazu genügt nicht die Feststellung, daß keine Gleichstellung mit einem Facharbeiter erfolgen könne und der Kläger keinen weitergehenden Berufsschutz genieße, sondern die entsprechende Stufe ist zu benennen. Sollte etwa, ohne daß hiermit einer Sachentscheidung irgendwie vorgegriffen würde, die Einstufung als Angelernter im oberen Bereich in Betracht kommen, so hat sich die Verweisung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG daran auszurichten. Für diese Benennung reicht es jedoch nicht aus, daß ein berufskundlicher Sachverständiger den Kläger für bestimmte Tätigkeiten "problemlos" einsetzbar hält. Vielmehr sind die gesundheitlichen Anforderungen dieser Tätigkeiten aufzuzeigen und mit den individuell verbliebenen Kräften und Fähigkeiten des jeweiligen Klägers abzugleichen. Nur wenn er mit seiner noch vorhandenen Leistungsfähigkeit die gestellten körperlichen Anforderungen erfüllen kann, kommt eine Verweisung in medizinischer Hinsicht überhaupt in Betracht.
Über die Kosten wird das SG bei seiner erneuten Entscheidung zu befinden haben. Anlaß, die Revision zuzulassen, bestand nicht.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab August 1996.
Der 1949 geborene Kläger hat eine 1964 begonnene Lehre als Kfz-Mechaniker abgebrochen und ist seit 1976 als Klebeabdichter bei den R ... Werken in E ... tätig. Nach der Auskunft der Arbeitgeberin vom 10.03.1997 handelte es sich bei der Tätigkeit des Klägers um eine Arbeit, die im allgemeinen von angelernten Arbeitern mit einer Ausbildung von 2 Jahren verrichtet wird; andererseits habe der Kläger durch Schulungsmaßnahmen alle praktischen und theoretischen Kenntnisse eines voll ausgebildeten Facharbeiters besessen. Er selbst hat ein Prüfungszeugnis über die Abschlußprüfung im Ausbildungsberuf "Klebeabdichter" vom 25.02.1988 vorgelegt. Aus einer Heilbehandlung zu Lasten der Beklagten vom 13.07. bis 03.08.1995 in B ... B ... ist der Kläger als arbeitsfähig in seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit entlassen worden.
Seinen Antrag auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit vom 22.07.1996 lehnte die Beklagte nach medizinischen und berufskundlichen Ermittlungen durch Bescheid vom 25.10.1996 und Widerspruchsbescheid vom 15.04.1997 mit der Begründung ab, daß der Kläger als angelernter Arbeiter auf frühere Berufs- und diesen verwandte Tätigkeiten, aber auch auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar sei.
Mit der am 15.05.1997 erhobenen Klage unter Vorlage eines Attestes von dem praktischen Arzt Dr. J ... aus E ... vom 06.04.1998 hat der Kläger vorgetragen, daß sein körperliches Restleistungsvermögen für eine vollschichtige Tätigkeit jedweder Art nicht mehr ausreiche. Als Klebeabdichter sei er als Facharbeiter zu beurteilen.
Das Sozialgericht (SG) ist von dem Antrag ausgegangen,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25.10.1996 und des Widerspruchsbescheides vom 15.04.1997 zu verurteilen, dem Kläger ab 01.08.1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat darauf hingewiesen, daß der Klebeabdichter ein anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von 24 Monaten sei.
Nach Beiziehung einer Arbeitgeberauskunft vom 15.07.1997, wonach der Kläger "geh. Baufacharbeiter" sei, hat das SG ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. V ... aus N ... vom 29.08.1997 eingeholt, wonach der Kläger nicht mehr Gerüst- oder Leiterarbeiten verrichten könne, aber noch imstande sei, vollschichtig leichte bis kurzfristig auch mittelschwere Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck im Wechsel von Gehen, Sitzen und Stehen ohne einseitige Zwangshaltung und nur mit Witterungsschutz zu verrichten. Außerdem hat das SG im Termin vom 11.03.1998 den Architekten H ... als berufskundlichen Sachverständigen vernommen, der nicht in der Lage war, aus dem Berufsbereich des Klägers Verweisungstätigkeiten zu benennen. Weiter hat das SG im Termin vom 23.03.1998 den Dipl.-Ingenieur Dr. S ... als berufskundlichen Sachverständigen vernommen, der die Auffassung geäußert hat, daß der Kläger problemlos im Kleingeräteaufbau und als Schalttafelwärter einsetzbar sei. In diesem Termin haben die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gegeben; diese Erklärung ist nicht vorgelesen und genehmigt worden. Schließlich hat das SG einen Befundbericht von Dr. F ... aus E ... angefordert, der aber lediglich Kopien von medizinischen Unterlagen aus dem Jahre 1990 vorgelegt hat.
Mit Schriftsatz vom 22.07.1998, beim SG eingegangen am 24.07.1998, hat der Bevollmächtigte des Klägers "um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers" gebeten.
In einem Beratungsprotokoll vom 12.04.1999, in dem im Kopf allein die Kammervorsitzende aufgeführt ist, steht: "Nach Aufruf der Sache erscheint niemand. Es ergeht folgendes Urteil: Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten." Darunter befinden sich drei Unterschriften, und zwar diejenige der im Kopf aufgeführten Kammervorsitzenden, des weiteren die Unterschrift "M ..."(?) sowie eine unleserliche Unterschrift.
Das in den Akten befindliche Original des Urteils vom 12.04.1999, durch das das SG die Klage abgewiesen hat, enthält auf seinem Titelblatt den Satz " ... hat die 21. Kammer des Sozialgerichts Duisburg ohne mündliche Verhandlung am 12.04.1999 durch die Richterin am Sozialgericht ... für Recht erkannt:". In den Entscheidungsgründen ist zunächst ausgeführt, daß im schriftlichen Verfahren habe entschieden werden können, da die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt hätten, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klage sei nicht begründet, weil der Kläger keinen Rentenanspruch habe. Auszugehen sei vom Beruf des Klebeabdichters, bei dem es sich um einen anerkannten Anlernberuf mit zweijähriger Ausbildung handele. Die Entlohnung als gehobener Baufacharbeiter begründe keinen weitergehenden Berufsschutz und keine Gleichstellung mit einem Facharbeiter. Als Arbeitnehmer eines anerkannten Anlernberufes sei der Kläger auf die Anlernberufe verweisbar. Er könne noch körperlich leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Zwangshaltungen verrichten. Ohne weiteres einsetzbar sei er als Schalttafelwärter, wobei er jede beliebige Körperhaltung bei deren Beobachtung einnehmen könne. Ferner seien nach einer neueren Entscheidung des erkennenden Landessozialgerichts Beschäftigte des anerkannten Anlernberufes auch auf die Tätigkeit des Pförtners an der Nebenpforte verweisbar, da dieser Beruf eine wenige Tage umfassende Anlernzeit beinhalte. Beide Berufe entsprächen dem körperlichen Leistungsvermögen des Klägers.
Gegen das ihm am 28.04.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.05.1999 Berufung eingelegt. Unter Bezugnahme auf die beigefügte Bescheinigung von Dr. J ... vom 11.06.1999 trägt er vor, daß eine weitere medizinische Sachverständigenüberprüfung erforderlich sei. Hinsichtlich des Vorliegens von Berufsunfähigkeit vertritt der Kläger die Auffassung, daß er durchaus den Verweisungsschutz eines Facharbeiters erlangt habe, weswegen im übrigen auch weitere Sachaufklärung erforderlich sei. Insbesondere habe das Vordergericht aber keinerlei Ausführungen zum körperlichen Belastungsprofil der genannten Tätigkeiten in der Kleingerätemontage und als Schalttafelwärter gemacht. Auch die Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte komme wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes nicht in Betracht. Für ihn eventuell in Betracht zu ziehende Verweisungstätigkeiten seien nicht erkennbar.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Duisburg vom 12.04.1999 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.10.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.04.1997 zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit ab August 1996 zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
In dem Erörterungstermin vom 26.08.1999 sind die Beteiligten auf den Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie eine möglicherweise nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erstinstanzlichen Gerichts hingewiesen worden.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sowie einer solchen durch den Berichterstatter erklärt und diese ihnen vorgelesene Erklärung auch genehmigt.
Auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Streitakten wird wegen aller weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Über die Berufung konnte im Einverständnis mit beiden Beteiligten durch Urteil durch den Berichterstatter (§ 155 Absätze 3 und 4 SGG) und ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entschieden werden.
Die Berufung des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz begründet. Das erstinstanzliche Verfahren ist in so wesentlicher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden, daß es sinnvoll ist, den Beteiligten im Sinne der Erhaltung zweier ordnungsgemäßer Tatsacheninstanzen die Wiederholung der ersten Instanz zu ermöglichen.
Zunächst leidet das erstinstanzliche Verfahren an dem wesentlichen Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 202 SGG in Verbindung mit § 551 Nr. 5 Zivilprozeßordnung - ZPO -), der zugleich einen absoluten (unbedingten) Revisionsgrund darstellt (Bundessozialgericht - BSG - SozR 1500 § 62 Nr. 6 mit weiteren Nachweisen; anderer Auffassung, nämlich, daß nur ein wesentlicher Verfahrensfehler und kein absoluter Revisionsgrund vorliege, Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 6. Aufl. 1998, § 124 Rn. 2a und § 162 Rn. 10e) und für sich allein schon die Zurückverweisung rechtfertigt (Meyer-Ladewig aaO § 62 Rn. 11). Das SG hat nämlich, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein, ohne mündliche Verhandlung entschieden. Zwar haben die Beteiligten im Termin vom 23.03.1998 ihr Einverständnis mit einer schriftlichen Entscheidung erteilt, wobei offen bleiben kann, ob diese wichtige Prozeßerklärung nach § 124 Abs. 2 SGG nicht zu ihrer Wirksamkeit gemäß § 122 SGG in Verbindung mit § 162 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ZPO hätte vorgelesen und genehmigt werden müssen (vgl. dazu Meyer-Ladewig aaO § 122 Rn. 7 und 11). Jedenfalls aber ist dieses - unterstellte - Einverständnis des Klägers mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung am 24.07.1998 entfallen, indem sein Bevollmächtigter schriftsätzlich ausdrücklich um Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gebeten hat. Diese das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung beseitigende Erklärung hätte das SG bei seiner Entscheidung des Rechtsstreits nicht übergehen dürfen. Unabhängig vom vorliegenden Falle ist auch zu beachten (s. BSG aaO), daß eine Einverständniserklärung mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auch ohne ausdrücklichen oder konkludenten Widerruf durch weitere Prozeßhandlungen des Gerichts verbraucht sein kann (s.a. Meyer-Ladewig § 124 Rn. 4).
Weiterhin erscheint es möglich, daß das SG in falscher Besetzung entschieden hat, worin ein weiterer wesentlicher Verfahrensfehler liegt, der ebenfalls zugleich einen absoluten Revisionsgrund darstellt, wie sich aus § 202 SGG in Verbindung mit § 551 Nr. 1 ZPO ergibt (Meyer-Ladewig aaO § 162 Rn. 10 a). Nach dem Titelblatt des Urteils vom 12.04.1999 hat das SG nämlich nur durch die Vorsitzende der Kammer entschieden und nicht in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern, wie es § 3 SGG verlangt. Auch dem Beratungsprotokoll ist im maschinengeschriebenen Kopf keine Teilnahme von ehrenamtlichen Richtern zu entnehmen. Zwar enthält dieses Protokoll außer der Unterschrift der Kammervorsitzenden zusätzlich eine in etwa leserliche und eine unleserliche Unterschrift. Damit ist aber die Teilnahme der zuständigen beiden ehrenamtlichen Richter nicht in ausreichender Weise dokumentiert, und zwar schon nicht für die Teilnahme an der Beratung und erst recht nicht für die ordnungsgemäße Beteiligung an dem Urteil. Im übrigen enthält dieses Beratungsprotokoll weitere Fehler. Durch den Satz "Nach Aufruf der Sache erscheint niemand." wird die Möglichkeit in den Raum gestellt, daß doch in öffentlicher Sitzung verhandelt worden ist. Das ist zwar angesichts fehlender Ladung und der entsprechenden Bemerkung in den Entscheidungsgründen unwahrscheinlich, aber ein solcher Satz gehört nicht in das Protokoll über eine Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das SG zur Vermeidung eines - weiteren - wesentlichen Verfahrensfehlers bei der Sachaufklärung zu beachten haben, daß zur Feststellung, daß Berufsunfähigkeit nicht vorliegt, die schlichte Benennung von Verweisungstätigkeiten nicht ausreicht. Zunächst ist der bisherige Beruf des Klägers in das vom BSG entwickelte Mehrstufenschema einzuordnen. Dazu genügt nicht die Feststellung, daß keine Gleichstellung mit einem Facharbeiter erfolgen könne und der Kläger keinen weitergehenden Berufsschutz genieße, sondern die entsprechende Stufe ist zu benennen. Sollte etwa, ohne daß hiermit einer Sachentscheidung irgendwie vorgegriffen würde, die Einstufung als Angelernter im oberen Bereich in Betracht kommen, so hat sich die Verweisung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG daran auszurichten. Für diese Benennung reicht es jedoch nicht aus, daß ein berufskundlicher Sachverständiger den Kläger für bestimmte Tätigkeiten "problemlos" einsetzbar hält. Vielmehr sind die gesundheitlichen Anforderungen dieser Tätigkeiten aufzuzeigen und mit den individuell verbliebenen Kräften und Fähigkeiten des jeweiligen Klägers abzugleichen. Nur wenn er mit seiner noch vorhandenen Leistungsfähigkeit die gestellten körperlichen Anforderungen erfüllen kann, kommt eine Verweisung in medizinischer Hinsicht überhaupt in Betracht.
Über die Kosten wird das SG bei seiner erneuten Entscheidung zu befinden haben. Anlaß, die Revision zuzulassen, bestand nicht.
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