L 14 RA 21/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 4 RA 79/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 RA 21/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 RA 5/02 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11.11.1999 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.1997 verurteilt, den Bescheid vom 22.02.1962 hinsichtlich der Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit vom 01.09.1963 bis 31.12.1975 aufzuheben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Fortwirkung einer Befreiung von der Versicherungspflicht und um die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, diese Befreiung zu widerrufen bzw. zurückzunehmen.

Die im Juli 1936 geborene Klägerin ist Zahnärztin und wurde ab dem 08.01.1962 aufgrund der Aufnahme einer zahnärztlichen Tätigkeit (im Angestelltenverhältnis) gemäß § 6 der Satzung des Versorgungswerkes der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe vom 17. April 1957 in der Fassung vom 19.03.1963 (MBl. NW. 1963 S. 371) Pflichtmitglied des Altersversorgungswerkes der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe. Mit Bescheid vom 22.02.1962 befreite die Beklagte die Klägerin von der Angestelltenversicherungspflicht gemäß § 7 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der Fassung des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 88) mit Wirkung vom 08.01.1962. Zum 01.07.1963 gab die Klägerin ihre Assistentenstelle auf und war fortan für die nächsten Jahre nicht mehr berufstätig. Mit Beschluss des Versorgungswerkes vom 23.01.1964 wurde die Klägerin daraufhin mit Wirkung vom 31.08.1963 gem. § 7 Abs. 1 Buchstabe b der Satzung von der Pflichtmitgliedschaft befreit, da sie zahnärztlich nicht mehr tätig war. In der Folgezeit entrichtete die Klägerin keine Beiträge an das Versorgungswerk.

Zwischen 1963 und 1968 brachte die Klägerin vier Kinder, geb. 18.08.1963, 05.10.1964, 14.03.1967, 19.05.1968, zur Welt. Ab dem 01.04.1971 war sie als Arzthelferin in der Praxis ihres Ehemannes tätig. Hierfür wurden Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet.

Zum 01.01.1976 ließ sich die Klägerin als freipraktizierende Zahnärztin nieder. Mit Bescheid vom 02.02.1976 widerrief das Versorgungswerk die seinerzeit ausgesprochene Befreiung von der Mitgliedschaft zum Versorgungswerk und führte die Klägerin ab dem 01.01.1976 erneut als Pflichtmitglied mit einem Monatsbeitrag von DM 506,-.

Im August 1976 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Zulassung zur freiwilligen Versicherung. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.12.1976 ab. In diesem Zusammenhang nahm die Beklagte eine Überprüfung des gesamten Versicherungsverhältnisses vor. Nachdem das Versorgungswerk mit Schreiben vom 24.05.1977 mitgeteilt hatte, dass die Klägerin "nach wie vor Mitglied unserer Versorgungseinrichtung" sei (richtigerweise hätte es heißen müssen: Dass die Klägerin ab dem 01.01.1976 wieder Pflichtmitglied der Versorgungseinrichtung ist) und im Hinblick auf die am 08.01.1962 angesprochene Befreiung beanstandete die Beklagte mit Bescheid vom 10.05.1977 die zwischen dem 01.04.1971 und 30.06.1976 entrichteten Pflichtbeiträge. Die Klägerin erklärte sich mit der Beanstandung der zwischen April 1971 bis Juni 1976 entrichteten Pflichtbeiträge einverstanden. Mit Bescheid vom 19.12.1977 und 03.01.1978 wurden die Beiträge je zur Hälfte an die Klägerin bzw. ihren Ehemann als damaligen Arbeitgeber erstattet.

Im Rahmen eines im August 1987 eingeleiteten Kontenklärungsverfahrens, mit dem die Klägerin auch die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten begehrte, erließ die Beklagte den Bescheid vom 06.11.1987, in dem Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 1 wegen Schul- und Hochschulausbildung anerkannt wurden. Die Vormerkung von Kindererziehungszeiten nach § 28a AVG lehnte die Beklagte jedoch mit der Begründung ab, dass die Klägerin während dieser Zeit von der Versicherungspflicht befreit gewesen sei. Hiergegen legte die Klägerin keinen Widerspruch ein.

Zum 31.12.1991 gab die Klägerin ihre Praxistätigkeit auf. Die Klägerin wurde auf ihren Antrag vom Versorgungswerk zum 31.12.1991 aus der Mitgliedschaft entlassen. Ihr wurde der Rückkaufswert ihrer Versorgungsansprüche in Höhe von 261.138,- DM erstattet, so dass gegenüber dem Versorgungswerk keine Ansprüche mehr bestehen.

Danach nahm die Klägerin erneut eine versicherungspflichtige Tätigkeit als Arzthelferin bei ihrem Ehemann auf und entrichtete Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten.

Nachdem die Beklagte hierüber im September 1994 durch das Versorgungswerk informiert worden war, widerrief sie mit Bescheid vom 02.11.1994 die Befreiung von der Versicherungspflicht zum 31.12.1991 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Befreiung von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten nach § 7 Abs. 2 AVG seien weggefallen, weil die Mitgliedschaft zu der Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe beendet worden sei.

Nachdem die Klägerin in Zusammenhang mit der Abwicklung ihrer Versorgungsansprüche durch die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe erfahren hatte, dass seitens des Versorgungswerkes die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten satzungsmäßig nicht vorgesehen sei, beantragte die Klägerin im November 1994 erneut die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten. Sie sei während der Geburt ihrer Kinder gerade nicht Pflichtmitglied des Versorgungswerkes gewesen, da sie zum damaligen Zeitpunkt nicht zahnärztlich tätig gewesen sei. Mit Schreiben vom 24.10.1995 beantragte die Klägerin sodann den Widerruf der Befreiung von der Versicherungspflicht nach dem 31.08.1963 nach § 7 Abs. 5 AVG a.F ... Wegen Aufgabe der zahnärztlichen Tätigkeit sei die Mitgliedschaft durch Beschluss des Geschäftsführenden Ausschusses des Versorgungswerkes zum 31.08.1963 beendet worden. Die Beklagte hätte demnach die Befreiung widerrufen müssen. Eine erneute Mitgliedschaft habe anschließend für den Zeitraum vom 01.01.1976 bis 31.12.1991 bestanden. Somit seien auch die von April 1971 bis zum 31.12.1975 entrichteten Pflichtbeiträge zu Unrecht beanstandet und erstattet worden. Der Beanstandungsbescheid vom 10.05.1977 müsse aufgehoben werden. Sie sei bereit, die erstatteten Beiträge zurückzuzahlen. Außerdem sei der Vormerkungsbescheid vom 06.11.1987, mit dem die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten wegen Befreiung von der Versicherungspflicht abgelehnt worden sei, zurückzunehmen.

Mit Bescheid vom 17.10.1996 lehnte die Beklagte den Widerruf der Befreiung zum 31.08.1963 ab. Ein Widerruf der Befreiung (§ 48 Abs. 1 SGB X) komme nur in Betracht, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für die Befreiung entfallen seien. Die Klägerin sei jedoch in der Zeit vom 01.09.1963 bis zum 31.12.1975 wegen Nichtausübung der zahnärztlichen Tätigkeit satzungsgemäß weiterhin als beitragsfreies Mitglied geführt worden. Es liege somit ab dem 01.09.1963 kein Widerrufsgrund vor, da die Klägerin weiterhin Mitglied im Versorgungswerk gewesen sei. Über die Frage der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten und die "Rückabwicklung" der Beanstandung und Beitragserstattung für den Zeitraum April 1971 bis Juni 1976 wurde in diesem Bescheid nicht entschieden.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.03.1997 zurück. Grundlage für die am 22.02.1962 mit Wirkung vom 08.01.1962 gemäß § 7 Abs. 2 AVG ausgesprochene Befreiung von der Versicherungspflicht sei die Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe gewesen. Eine Beendigung der wirksam ausgesprochenen Befreiung von Versicherungspflicht hätte nur bei Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen, der unverzüglich durch den Befreiten oder die berufsständische Versorgungseinrichtung anzuzeigen gewesen wäre, durch einen Widerruf der Befreiung gemäß § 7 Abs. 5 AVG für die Zukunft erfolgen könne. Weder die Klägerin noch das Versorgungswerk hätten die Beklagte davon in Kenntnis gesetzt, dass ihres Erachtens in der Zeit vom 01.09.1963 bis 31.12.1975 die Voraussetzungen für die Befreiung entfallen gewesen sein könnten. Vielmehr habe die Klägerin auch die an den Befreiungsbescheid geknüpfte Folgeentscheidung widerspruchslos hingenommen. Eine entsprechende Mitteilung durch das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe sei offensichtlich deshalb nicht vorgenommen worden, weil auch nach dortiger Ansicht die Befreiungsvoraussetzungen über den 31.08.1963 hinaus vorgelegen hätten, weil die Mitgliedschaft im Versorgungswerk - beitragsfrei - weiterhin fortbestanden habe. Dieser Sachverhalt habe den Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen nicht zur Folge. Eine Widerruf der Befreiung gemäß § 7 Abs. 5 AVG sei daher ausgeschlossen.

Hiergegen hat die Klägerin am 22.04.1997 Klage vor dem Sozialgericht Münster erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, die Beklagte hätte nach § 7 Abs. 5 AVG, der bis zum 31.12.1980 gegolten habe, ab dem 01.09.1963 die Befreiung von der Versicherungspflicht widerrufen müssen, da sie ab diesem Zeitpunkt eine zahnärztliche Tätigkeit nicht ausgeübt habe und somit die Grundlage für eine Befreiung von der Versicherungspflicht entfallen sei. Erst vom 01.01.1976 bis zum 31.12.1991 sei erneut eine Befreiung von der Versicherungspflicht zu berücksichtigen. Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten, es sei an die ununterbrochen bestehende Mitgliedschaft in der Zahnärzteversorgung Westfalen-Lippe anzuknüpfen.

Mit Urteil vom vom 11.11.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe keine Anspruch auf den Widerruf der Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit vom 01.09.1963 bis zum 31.12.1975. Entgegen der Ansicht der Beklagten seien mit der Aufgabe der zahnärztlichen Tätigkeit zum 31.08.1963 zwar die Befreiungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 2 AVG a.F. weggefallen. Denn für die Befreiung von der Versicherungspflicht sei es wesentlich auf die für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit gesetzlich angeordnete oder auf Gesetz beruhende Pflichtmitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung, nicht jedoch auf die Kammerzugehörigkeit angekommen. Mit der Beendigung der Pflichtmitgliedschaft der Klägerin in dem berufsständischen Versorgungswerk sei aber nicht automatisch ein Wegfall der Befreiung eingetreten. Vielmehr habe § 7 Abs. 5 AVG a.F. vorgesehen, dass die Befreiung durch die Beklagte bei Wegfall der Voraussetzungen widerrufen werde. Im vorliegenden Fall sei seinerzeit der Widerruf der Befreiung von der Versicherungspflicht in Unkenntnis, dass die Befreiungsvoraussetzungen weggefallen seien, unterblieben. Weder die Klägerin noch das Versorgungswerk hätten die Beklagte über die Entlassung aus der Pflichtmitgliedschaft informiert. Der Befreiungsbescheid vom 22.02.1962 sei damit bestandskräftig geblieben. Anstelle des Widerrufs nach § 7 Abs. 5 AVG a.F. sei mit Wirkung vom 01.01.1981 die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung wegen Änderung in den Verhältnissen nach § 48 Abs. 1 SGB X getreten, der auch gelte, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 01.01.1981 erlassen worden sei. Daraus folge, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht erst mit der Aufhebung des Befreiungsbescheides beseitigt sei. Eine rückwirkende Aufhebung des Befreiungsbescheides nach § 48 SGB X sei jedoch nicht möglich. Würde der Befreiungsbescheid vom 22.02.1962 mit Wirkung ab dem 01.09.1963 aufgehoben, hätte dies zur Folge, dass die seit dem 01.01.1976 erneut bestehende Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk wiederum einen Befreiungstatbestand zur Folge hätte. Die Klägerin hätte dann einen neuen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht stellen müssen. Eine rückwirkende Antragstellung sei jedoch nicht möglich. Der Antrag auf Befreiung könne nur für die Zukunft gestellt werden. Auch habe die Klägerin seit dem 01.01.1976 von dem bestandskräftig gebliebenem Befreiungsbescheid Gebrauch gemacht. Die Klägerin müsse letztlich die Konsequenzen dafür tragen, dass sie seinerzeit die Beklagte nicht über den Wegfall der Befreiungsvoraussetzungen informiert habe.

Gegen das am 13.03.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.04.2000 Berufung eingelegt. Die Klägerin vertritt weiterhin die Ansicht, dass mit der Aufgabe ihrer zahnärztlichen Tätigkeit die Voraussetzungen für eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk entfallen seien und deshalb ein Widerruf des Befreiungsbescheides vom 22.02.1962 nach Maßgabe des § 7 Abs. 5 AVG a.F. erfolgen müsse in den hier streitigen Zeiten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11.11.1999 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.10.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.03.1997 zu verurteilen, die Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit vom 01.09.1963 bis zum 31.12.1975 zu widerrufen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Eine Rücknahme oder ein Widerruf der Befreiung von der Versicherungspflicht für den hier streitigen Zeitraum komme nicht in Betracht, da es insoweit an einer wesentlichen Änderung der Befreiungsvoraussetzungen im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X fehle. Die Klägerin habe zwar seinerzeit ihren Beruf als Zahnärztin nicht mehr aus geübt und sei deshalb nicht mehr Pflichtmitglied des Versorgungswerkes gewesen, dennoch sei die Beendigung der Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk nicht auf das Ausscheiden aus der Berufsgruppe, deren Angehörige sie ununterbrochen gewesen sei, zurückzuführen. Auch ein Verzicht auf die Befreiung nach § 7 Abs. 2 AVG in der bis zum 11.06.1976 geltenden Fassung scheide aus, da die nach § 7 Abs. 2 AVG befreiten Personen, d. h. die Mitglieder berufsständischer Versorgungseinrichtungen zu keiner Zeit die gesetzliche Möglichkeit des Verzichts auf die Befreiung gehabt hätten.

Die Klägerin bezieht zwischenzeitlich eine Altersrente ab dem 01.08.2001 (Bescheid der Beklagten vom 04.07.2001).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der beigezogenen Akte des Versorgungswerkes der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 22.02.1962 hinsichtlich der Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit vom 01.09.1963 bis 31.12.1975.

Gegenstand des vorliegenden Klage- und Berufungsverfahrens ist allein die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Bescheid vom 22.02.1962, mit dem die Klägerin mit Wirkung vom 08.01.1962 von der Versicherungspflicht der Angestellten befreit worden war, hinsichtlich des genannten Zeitraums aufzuheben. Die weitere Frage, inwieweit eine Rückabwicklung der Beanstandung und Erstattung der für den Zeitraum vom 01.04.1971 bis 30.06.1976 entrichteten Pflichtbeiträge in Betracht kommt und ob die Beklagte verpflichtet ist, zugunsten der Klägerin Kindererziehungszeiten gemäß § 56 Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI) zu berücksichtigen, ist von der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid vom 17.10.1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.1997 nicht beschieden worden. Auch in dem zwischen zeitlich ergangenen Altersrentenbescheid hat sich die Beklagte eine Bescheidung ausdrücklich bis zum Zeitpunkt nach Abschluss des vorliegenden Rechtsstreites vorbehalten, so dass es diesbezüglich an einer anfechtbaren Entscheidung der Beklagten fehlt. Dementsprechend hat die Klägerin sowohl ihren Klage- wie auch ihren Berufungsantrag auf die Aufhebung des Befreiungsbescheides vom 22.02.1962 für den hier allein streitigen Zeitraum vom 01.09.1963 bis 31.12.1975 beschränkt.

Der Anspruch der Klägerin gründet sich auf § 48 Abs. 1 SGB X. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X.

Bei dem die Befreiung von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten regelnden Bescheid vom 22.02.1962 handelte es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der Bindung nach § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erlangt hatte. Die ursprünglich den Widerruf derartiger Befreiungsbescheide regeln de Vorschrift des § 7 Abs. 5 AVG ist mit Einführung des SGB X mit Wirkung vom 01. Januar 1981 entfallen. Hiernach war der Widerruf der Befreiung für den Fall vorgesehen, dass die Voraussetzungen der Befreiung weggefallen waren. Die Rücknahme, der Widerruf und die Aufhebung eines solchen Befreiungsbescheides richten sich nunmehr nach den Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X; an die Stelle des Widerrufs nach § 7 Abs. 5 AVG ist jetzt die Aufhebung nach Maßgabe des § 48 SGB X getreten.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist in den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Befreiungsbescheid vom 22.02.1962 zugrunde lagen, eine wesentliche Änderung eingetreten, die eine Aufhebung bzw. Änderung dieses Bescheides zugunsten der Klägerin im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X ermöglicht.

Grundlage des Befreiungsbescheides vom 22.02.1962 war § 7 Abs. 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (Bundesgesetzblatt I S 88). Nach dieser Vorschrift (ab 1965 § 7 Abs. 2 AVG) konnten auf Antrag Personen von der Versicherungspflicht befreit werden, die aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe waren. Die Befreiung war von der Beklagten nach § 7 Abs. 5 AVG zu widerrufen, wenn ihre Voraussetzungen weggefallen waren. § 7 Abs. 2 AVG bot für Angehöriger sogenannter Kammerberufe, also z.B. Apotheker, Ärzte, Architekten oder Rechtsanwälte, die Pflichtmitglieder von berufsständischen Versorgungswerken sind, die Möglichkeit zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung, wenn für die angestellten Mitglieder nach näherer Maßgabe der Satzungen einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zu entrichten waren und aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall der Invalidität und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst wurden. Soweit die Mitglieder dieser Kammerberufe ihren Beruf nicht als selbständige Erwerbstätige, sondern als Arbeitnehmer ausübten, gehörten sie also grundsätzlich zwei Versorgungssystemen mit entsprechender Beitragspflicht an. Dadurch entstanden nicht notwendige Doppelversorgungen; als Gegenstück hierzu waren die doppelten Belastungen in der Beitragsphase für die Versicherungspflichtigen oft nicht tragbar. Dem hatte der Gesetzgeber mit Schaffung des § 7 Abs. 2 AVG Rechnung getragen, indem er dieser Personengruppe die Möglichkeit einräumte, sich von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung befreien zu lassen. Im Rahmen des Rentenreformgesetzes 1992 wurden in § 231 und § 6 SGB VI in modifizierter Form entsprechende Vorschriften geschaffen, die vorliegend jedoch nicht einschlägig sind, da der gesamte Befreiungstatbestand von der Klägerin in einem Zeitraum vor dem 01.01.1992 verwirklicht und abgeschlossen wurde.

Die Klägerin wurde damals auf ihren Antrag von der Versicherungspflicht der Rentenversicherung der Angestellten befreit, weil sie ab dem 08.01.1962 eine abhängige Beschäftigung als Assistenzzahnärztin aufgenommen hatte und damit Pflichtmitglied der Zahnärztekammer und des Versorgungswerkes Westfalen-Lippe wurde. Der monatlich von der Klägerin zu entrichtende Pflichtbeitrag belief sich auf 15,00 DM.

Mit Aufgabe der ärztlichen Tätigkeit bzw. der Berufstätigkeit insgesamt - die Klägerin war ab dem 01.09.1963 Hausfrau und Mutter - war eine Änderung dergestalt eingetreten, dass die Klägerin nicht mehr aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Pflichtmitglied ihrer Versorgungseinrichtung war, sondern seitens des Versorgungswerkes mit Bescheid vom 23.01.1964 nach Maßgabe der Satzung (§ 24 i.V.m. § 7) aus der Mitgliedschaft entlassen worden war, womit die Beitragspflicht entfallen war. Die Voraussetzungen für die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung waren jedoch in dem Moment entfallen, in dem die Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung wegen Ausscheidens aus der Berufsgruppe endete, für die die Versorgungseinrichtung errichtet ist. Soweit die Klägerin fortan als bei tragsfreies Mitglied beim Versorgungswerk geführt worden ist, berechtigte dies weder zur Erteilung noch zur Aufrechterhaltung einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Denn wenn § 7 Abs. 2 AVG für die Befreiung eine durch Gesetz angeordnete oder auf Gesetz beruhende Verpflichtung zur Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk voraussetzte, so war damit nur eine Pflichtmitgliedschaft gemeint. Bei einer nur freiwilligen Mitgliedschaft in einer Versorgungseinrichtung fehlt es an einer solchen gesetzlich angeordneten Mitgliedschaft. Somit lagen die Voraussetzungen einer Befreiung nicht mehr vor (so auch BSG Urteil vom 30.04.1997 - 12 RK 34/96 - SozR 3 - 2940 § 7 Nr. 4 - und BSG Urteil vom 22.10.1998 - B 5/4 RA 80/97 R - SozR 3 - 2600 § 56 Nr. 12 -).

Anders als bei einem Berufswechsel (Aufgabe oder Abkehr von der zur Befreiung von der Versicherungspflicht berechtigenden Tätigkeit) ab dem 01.01.1992, bei dem über § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt ist und im Fall der Nichtausübung des Kammerberufes ein Ende der Befreiung von der Versicherungspflicht bewirkt wird, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung des ursprünglichen Befreiungsbescheides bedarf (vgl. BSG, Urteil vom 22.10.1998, aaO), ist in den allein nach dem AVG zu beurteilenden Fallgestaltungen eine Aufhebung des Befreiungsbescheides nach Maßgabe des § 48 SGB X vorzunehmen, die inhaltlich dem früheren Widerruf im Sinne des § 7 Abs. 5 AVG entspricht.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts erlaubt dabei § 48 Abs. 1 SGB X auch eine zeitliche Eingrenzung - hier für den Zeitraum vom 01.09.1963 bis zum 31.12.1975 -, also den Zeitraum, in dem die Klägerin nicht berufstätig war. Diese zeitliche Gestaltungsmöglichkeit im Rahmen des § 48 SGB X ergibt sich schon aus dem Wort "soweit" (vgl. hierzu BSG SozR 1300 § 48 Nr. 21). Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts wird hierdurch auch nicht rückwirkend in den Status der Klägerin eingegriffen, soweit sie am 01.01.1976 eine Tätigkeit als niedergelassene Zahnärztin aufgenommen hatte. Denn in dieser selbständigen Tätigkeit war ohnehin keine Versicherungspflicht gemäß § 2 AVG entstanden, so dass der vom Sozialgericht als notwendig angesehene erneute Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht überflüssig gewesen wäre. Da mit der Aufhebung des Bescheides über die Aufhebung der Versicherungspflicht vom 22.02.1962 für den hier streitigen Zeitraum Vorteile für die Klägerin verbunden sind (zumindest die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten gemäß § 56 SGB VI für ihre vier zwischen 1963 und 1968 geborenen Kinder), erfolgt hier eine Änderung zugunsten des Betroffenen, so dass die Aufhebung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse erfolgen soll, wobei "soll" bedeutet, dass dies in aller Regel zu geschehen hat (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 19). Die Beklagte hat keine Gründe vorgebracht, die ein Absehen von einer derartigen Aufhebung zugunsten der Klägerin im Sinne eines "atypischen" Falls bewirken könnten und die Beklagte zu einer Ermessensausübung berechtigen würden. Der Vortrag der Beklagten zielt allein auf die materiell-rechtliche Bewertung des vorliegenden Falles ab, wobei der Senat der Auffassung der Beklagten, dass allein eine formale und beitragsfreie Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk die Fortdauer der Befreiung von der Versicherungspflicht im Sinne des § 7 Abs. 2 AVG rechtfertigen soll, aus den dargestellten Gründen nicht folgt. Ebensowenig hat sich die Beklagte auf Verwirkung oder auf Verjährung berufen, sodass keine Gründe erkennbar sind, warum von einer für die Klägerin günstigen Aufhebung des Befreiungsbescheides vom 22. Februar 1962 mit Wirkung für die Vergangenheit abgesehen werden sollte.

Dem steht auch nicht der Aufhebungsbescheid vom 02.11.1994 entgegen. Hier hatte die Beklagte die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X mit Wirkung zum 31.12.1991 widerrufen. Dieser Bescheid beruhte auf der Mitteilung des Versorgungswerkes vom 03.08.1994, wonach die Klägerin zum 31.12.1991 wegen Praxisaufgabe und Aufgabe der zahnärztlichen Tätigkeit aus dem Versorgungswerk entlassen worden war. Der Regelungsgehalt dieses Bescheides erfasste gerade nicht den hier streitigen Zeitraum vom 01.09.1963 bis zum 31.12.1975, so dass es der Durchführung eines gesonderten Zugunstenverfahrens im Sinne des § 44 SGB X (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 30.04.1991, Az.: 4 RA 29/90 - SozR 3 - 2200 § 1251 a Nr. 16 -) nicht bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Ziff. 1 bzw. 2 SGG liegen nach Ansicht des Senats nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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