L 2 U 41/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 U 37/92
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 U 41/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 30.04.2001 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben auch im Berufungsverfahren einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung von Verletztenrente wegen einer neurologisch-psychiatrischen Erkrankung als Folge einer Berufskrankheit (BK).

Der am ...19 ... geborene Kläger arbeitete von ... 1957 bis ... 1965 im Malerhandwerk mit Lacken, Farben sowie Verdünner. Von Februar 1965 bis Mai 1990 arbeitete er als Fußbodenverleger bei der Parkettverlegung mit lösungsmittelhaltigen Klebern, Grundierungen sowie säurehärtenden Lacken und Versiegelungen bei der Firma G ...

Nach der Anamnese kam es ab den 70er Jahren immer wieder zu Herzschmerzen ohne kardiologisch erkennbare Ursache bei Fettleber mit erhöhten Blutfett- und Gamma-GT-Werten sowie Zeichen psychovegetativer Labilität, die sich gegenüber ambulanten und stationären nervenärztlichen Therapien als resistent erwiesen.

Am 03.06.1991 machte der Kläger geltend, sein Nervenleiden sei Folge einer BK. Die Firma G ... zeigte den BK-Verdacht an (07.08.1991). Dr. Hole gab in seiner BK-Anzeige (26.06.1991) an, der Kläger klage über Kopfdruck, Konzentrationsstörungen, innere Unruhe und Gedächtnisstörungen. Er führe dies auf die Inhalation von Dämpfen der Kleber und Lösungsmittel zurück. Ergebnis der Untersuchung: Liegt nicht vor. Die Beklagte zog bei Berichte der IKK T ... (17.07.1991) sowie der AOK Kreis S ... (08.08.1990), der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. C .../I ... (22.07.1991/31.01.1978), von Dr. E ... (24.07.1991), dem Marienhospital B ... (09.07.1990), dem v. Bodelschwingh-Krankenhaus I ... (31.07.1990), der LVA Westfalen (23.12.1981; 05.12.1986; 06.03.1991; 31.05.1991; 16.08.1991; 03.09.1991), dem TAD (02.10.1991) und der Paracelsus-Klinik O ... (09.01.1992). Die LVA Westfalen erkannte den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit an (Vergleich vom 28.02.1992). In einem Gutachten für den staatlichen Gewerbearzt gelangte Dr. K ... (27.03.1992) zu dem Ergebnis, Anhaltspunkte für eine BK bestünden nicht. Der staatliche Gewerbearzt sah die neurotische Fehlentwicklung als von der versicherten Tätigkeit unabhängig an (Dr. med. Dipl. Chem. P ..., 06.04.1992). Die Beklagte lehnte es ab, die psychische Störung als oder wie eine BK zu entschädigen (Bescheid vom 27.05.1992; zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 03.11.1992).

Mit seiner Klage zum Sozialgericht (SG) Münster hat der Kläger begehrt, seine "neurologisch-psychiatrische Erkrankung" als BK zu entschädigen.

Die Beklagte hat behauptet, die durch eine Angstsymptomatik geprägte neurotische Fehlentwicklung mit psychosomatischen Tendenzen sei schicksalsbedingt und nicht auf berufliche Schadstoffeinwirkungen zurückzuführen. Sie hat auf Stellungnahmen des TAD (22.09.1995), von Prof. Dr. P ... (17.06.1998) und von Prof. Dr. W .../Dr. B ... (28.02.2000) verwiesen.

Das Sozialgericht hat Berichte eingeholt von Dr. H ... (04.10.1993; beigefügt Briefe von Dr. Lohmen (05.05. und 11.06.1993) sowie von Dr. B .../Dr. B ... (29.09.1998) und ein Aufsatz von Prof. Dr. C ...) und von Dr. S ... (18.1.1995). Es hat Beweis erhoben durch die Sachverständigen Dr. B ... (21.04.1996), Dr. M ...-K ... (03.03.1997) und Prof. Dr. S ... (10.03.00) und die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.04.2001).

Mit seiner Berufung wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 30.04.2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 27.05.1992 und 03.11.1992 zu verurteilen, wegen seiner neurologisch-psychiatrischen Erkrankung (Berufskrankheit) Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Behandlungsunterlagen von Dr. H .../Dr. A ... sowie die Schwerbehindertenakten (SchwbGA) des Versorgungsamtes Münster beigezogen und Beweis durch die Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. T ... /Dr. K ... erhoben (27.05.2002).

Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten der Beklagten sowie der SchwbGA verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente wegen seiner neurologisch-psychiatrischen Erkrankung als Folge einer BK.

Der geltend gemachte Anspruch richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die als Versicherungsfall geltend gemachte neurologisch-psychiatrische Erkrankung ist spätestens im Juni 1991 (ärztliche Anzeige einer BK vom 26.06.1991) und somit vor dem Inkrafttreten des 7. Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 01.01.1997 aufgetreten (§ 212 SGB VII). Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Leistungen, insbesondere Verletztenrente. Als Arbeitsunfall gilt gem. § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK. BKen sind nach § 551 Abs.1 Satz 2 RVO die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach Nr. 1101 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung ((BKV) vom 31.10.1997, BGBl. I S. 2623 ff., zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV-ÄndV) vom 05.09.2002, BGBl. I S. 3541) gehören zu den BKen auch "Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen". Nr. 1302 der Anlage zur BKV erfasst "Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe", Nr. 1306 der Anlage zur BKV "Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol)". Nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV gehören zu den BKen auch "Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische".

Die Voraussetzungen der BKen Nr. 1101, 1302, 1306 sowie 1317 sind nicht erfüllt.

Der Kläger leidet an einer vegetativen Dystonie bei ausgeprägter Psychasthenie und Durchblutungsstörungen des Gehirns bei Ateriosklerose mit Narbe nach Kleinhirninfakt 1990. Das ergibt sich aus der überzeugenden Beurteilung der Sachverständigen Priv. Doz. Dr. T .../Dr. K ... Deren Einschätzung gebührt gegenüber den zum Teil abweichenden anderen ärztlichen Meinungen der Vorrang, da ihnen umfassend die Behandlungsunterlagen zur Verfügung gestanden haben, von denen die anderen Ärzte nicht in gleicher Weise Kenntnis gehabt haben.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind die Erkrankungen nicht zumindest mit Wahrscheinlichkeit wesentlich mitverursacht durch Lösemittel oder sonstige chemische Stoffe, insbesondere Halogenkohlenwasserstoffe, Methylalkohol, organische Lösungsmittel oder deren Gemische, ebenso wenig durch Metalle und Metalloxyde, insbesondere durch Blei oder seine Verbindungen. Vielmehr ist die vegetative Dystonie und die ausgeprägte Psychasthenie allein wesentlich auf eine entsprechende eigene Anlage zurückzuführen. Das haben die Sachverständigen Priv. Doz. Dr. T .../Dr. K ... überzeugend ausgeführt. Dafür spricht bereits das Krankheitsbild in seiner konkreten Ausprägung und dem Krankheitsverlauf, wie er schon im Vermerk auf der Karteikarte über Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von 1957 bis 1965 deutlich wird ("Vorsicht bei Krankmeldung, sofort vorladen, in den meisten Fällen besteht keine Arbeitsunfähigkeit"). Hinzu kommt, dass es an Hinweisen darauf mangelt, dass die Psychasthenie/Neurasthenie und vegetative Minderbelastbarkeit zumindest mit Wahrscheinlichkeit durch die Einwirkung von Lösungsmitteln oder Metallen und Metalloxyde zumindest mitverursacht ist. Für die Annahme einer Metallvergiftung fehlt jeglicher Anhaltspunkt (Priv. Doz. Dr. T .../Dr. K ...). Allein Dr. M ...-K ... erwähnt im Gesamtergebnis seines Gutachtens auch die Nrn. 1101ff. der Anlage zur BKV, ohne aber zuvor einen solchen Zusammenhang zu begründen. Abgesehen davon, dass eine relevante Exposition zweifelhaft ist, führen Schwermetallvergiftungen zu chronischen, lange Zeit nachweisbaren Folgen vor allem auch an Blutbild und Nieren, die beim Kläger nicht diagnostiziert worden sind. Schäden am Nervensystem kommen nicht ohne diese anderen Veränderungen, vor allem des Blutbildes vor (Priv. Doz. Dr. T .../Dr. K ...). Aber auch der ursächliche Zusammenhang durch die Einwirkung von Lösungsmitteln ist nicht wahrscheinlich. Zum genauen Nachweis besonders hoher Expositionen ist es nicht gekommen, sondern nur zum Nachweis der Möglichkeit hoher Expositionen. Insoweit hätte es parallel zur Exposition akuter allgemeiner Vergiftungserscheinungen, der parallelen Schädigung anderer Organe und einer adäquaten Entwicklung der Beschwerden im Krankheitsverlauf bedurft, um den Zusammenhang mit der Lösemittelexposition wahrscheinlich zu machen (Priv. Doz. Dr. T .../Dr. K ...; im Ansatz vergleichbar Prof. Dr. S ... und Dr. B ...). Insbesondere die eingehende hausärztliche Dokumentation der Beschwerden und Klagen verdeutlicht, dass es an Vergiftungserscheinungen gefehlt hat, die auf Lösungsmittel zurückgeführt werden können. So sind ganz überwiegend Klagen über Herzschmerzen und Depressionen, nicht aber Rauschzustände dokumentiert. Müdigkeit und Ängste besserten sich unter üblicher Pharmakotherapie bei fortbestehender Arbeitsfähigkeit, was zugleich gegen lösungsmittelbedingte Gehirnfunktionsstörungen spricht. Zu passenden Veränderungen der Leberwerte oder des Blutbildes, wie sie bei erheblichen Löse mitteleinwirkungen zu erwarten sind, ist es im Rahmen der engmaschigen Kontrollen nicht gekommen. Auch das typische Begleitphänomen einer Schädigung des peripheren Nervensystems im Sinne einer Polyneuropathie hat sich nicht gezeigt. Ebenso wenig ist es zu einer relevanten Besserung bei Expositionskarenz gekommen, teilweise sogar zur Verschlechterungen während der Arbeitsunfähigkeitszeit (Priv. Doz. Dr. T .../Dr. K ...). Zu seiner abweichenden Beurteilung konnte Prof. Dr. S ... bei prinzipiell gleichem methodischen Ansatz nur deshalb gelangen, weil ihm nicht die vollständigen Behandlungsunterlagen vorgelegen haben, die den genauen Abgleich der Beschwerden und Schädigungen mit den späteren Angaben in der Anamnese ermöglichen. Im Ergebnis gilt nichts anderes für die abweichende Beurteilung von Dr. M ...-K ... Bereits Prof. Dr. W .../Dr. B ... hatten zudem in ihrer als Beteiligtenvorbringen verwertbaren Stellungnahme (28.02.2000) darauf hingewiesen, dass es um Beschwerden im Bereich des neurologisch-psychiatrischen Formkreises geht. Für die Kausalitätsbeurteilung solcher Beeinträchtigungen mit Blick auf die Exposition bei versicherter Tätigkeit mißt der Senat aber den Gutachten, die von Ärzten für Neurologie und Psychiatrie/Nervenärzten erstattet sind, besondere Bedeutung zu.

Der beginnende organische Hirnschaden ist allein wesentlich auf arterielle Durchblutungsstörungen, nicht aber auf toxische Agenzien zurückzuführen (Priv. Doz. Dr. T .../Dr. K ...). Die sklerotischen Veränderungen der Hirnarterien sind sowohl doppler-duplex-sonographisch als auch kernspintomographisch bewiesen. Der Krankheitsverlauf ist vor dem Hintergrund der erheblichen Risikofaktoren schlüssig zu erklären. Zur diesem Risikoprofil für Aterienverkalkung gehören seit den 70er Jahren Übergewicht, exzessiv erhöhte Blutfettwerte, arterieller Bluthochdruck und erhöhte Harnsäurewerte (Priv. Doz. Dr. T .../Dr. K ...).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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