L 1 (9) AL 199/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AL 10/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 (9) AL 199/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 72/03 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 12.09.2001 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 24.11.2000 bis 20.03.2001.

Die am ...1979 geborene Klägerin begann am 01.08.1998 eine Ausbildung als Bauzeichnerin. Ihr Arbeitsentgelt betrug im ersten Ausbildungsjahr 620 DM, im zweiten 950 DM. Wegen eines Arbeitsunfalls erhielt sie in der Zeit vom 23.12.1999 bis zum 09.04.2000 Verletztengeld in Höhe von 31,67 DM kalendertäglich. Die Ausbildung brach sie im Hinblick auf die verbliebenen gesundheitlichen Einschränkungen mit Wirkung zum 15.05.2000 ab. Auf dringende Empfehlung ihres früheren Arbeitgebers sprach sie am 16.05.2000 im Arbeitsamt D ... vor. Sie füllte zunächst einen Vordruck aus, nahm dann in der Antrags- und Beratungsstelle von der Zeugin S ... Antragsformulare für Arbeitslosengeld entgegen und führte anschließend mit dem Zeugen K ..., Arbeitsvermittler beim Arbeitsamt D ..., ein Gespräch. Auf seine Nachfrage teilte sie ihm mit, sie sei langfristig an einer Ausbildung im kaufmännischen Bereich interessiert, vorzugsweise im Raum Köln, sei auch bereits eigeninitiativ auf Ausbildungs- bzw. Stellensuche. Weiter wies sie darauf hin, dass sie bereits zwei Tage später, am 18.05.2000, ein Vorstellungsgespräch beim W ... bezüglich einer Aushilfstätigkeit in Vollzeit habe und mit einer kurzfristigen Einstellung rechne. Der Zeuge K ... erteilte Belehrungen über Mit wirkungspflichten sowie die Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung und Verfügbarkeit und übergab ihr 2 Vermittlungsvorschläge. Den Antrag auf Arbeitslosengeld gab die Klägerin zunächst nicht ab, sondern meldete sich am 13.06.2000 ab dem 29.05.2000 in Arbeit ab. Beim W ... war sie bis zum 14.07.2000 sowie erneut vom 21.07. bis zum 17.11.2000 befristet in Vollzeit als Bürokraft zur Aushilfe tätig. Ihr Bruttoarbeitsentgelt lag bei 3.000 DM monatlich.

Am 20.11.2000 sprach sie erneut im Arbeitsamt D ... vor. Sie meldete sich im Hinblick auf die Beendigung der befristeten Tätigkeit beim W ... arbeitslos und gab Anfang Januar 2001 den ausgefüllten Antrag auf Arbeitslosengeld, unterschrieben am 02.01.2001, sowie die Arbeitsbescheinigungen betreffend die Tätigkeiten als auszubildende Bauzeichnerin sowie als Bürokraft beim W ... ab.

Mit Bescheid vom 23.01.2001 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung der erhaltenen Urlaubsabgeltung ab dem 24.11.2001 nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 210 DM in Höhe von 100,10 DM wöchentlich. Dabei ging sie von einer Arbeitslosmeldung bereits am 16.05.2000 aus und legte dementsprechend die Zeit von Mai 1999 bis Mai 2000 als Bemessungszeitraum zu Grunde, in dem das Einkommen der Klägerin wesentlich niedriger gelegen hatte als ab dem 29.05.2000.

Zum 21.03.2001 hob die Beklagte die Entscheidung über die Leistungsbewilligung wegen Aufnahme einer befristeten Tätigkeit auf.

Mit ihrem gegen den Bescheid vom 23.01.2000 gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe sich keineswegs bereits im Mai 2000 arbeitslos melden wollen. Sie sei - wie sich im Nachhinein herausstelle zutreffend - davon ausgegangen, dass sie alsbald eine Tätigkeit beim W ... aufnehmen werde. Deshalb habe sie auch keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld ab dem 16.05.2000 geltend gemacht. Falls die Beklagte die Vorsprache im Arbeitsamt an diesem Tag als Antragstellung auslege, nehme sie den Antrag vorsorglich zurück. Maßgeblich für die Berechnung der Leistungshöhe müsse auch das während der Tätigkeit beim W ... erzielte höhere Einkommen sein.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2001 als unbegründet zurück. Die Vorsprache der Klägerin am 16.05.2000 im Arbeitsamt stelle unzweifelhaft eine Arbeitslosmeldung dar. Damit seien an diesem Tag sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 117 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) erfüllt gewesen mit der Folge, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld entstanden sei. Der Bemessungszeitraum sei zutreffend bestimmt worden, ebenso die Leistungshöhe. Da ein neues Stammrecht auf Arbeitslosengeld am 20.11.2000 nicht begründet worden sei, komme eine Neubemessung des Arbeitslosengeldes nicht in Betracht.

Mit der am 09.05.2001 zum Sozialgericht Aachen erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie habe im Mai 2000 keine Leistungsansprüche geltend machen wollen. Zudem sei sie von der Beklagten unzureichend beraten worden.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23.01.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2001 abzuändern und ihren Arbeitslosengeldanspruch zu berechnen nach einem Bemessungszeitraum vom 20.11.1999 bis zum 19.11.2000.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung vorgetragen, es habe am 16.05.2000 keinerlei Anlass bestanden, die Klägerin auf die Möglichkeit des Aufschiebens der Arbeitslosmeldung hinzuweisen und sie entsprechend zu beraten. Von einer konkreten Arbeitsaufnahme sei zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt gewesen. Es habe lediglich ein Vorstellungsgespräch beim W ... bevorgestanden mit ungewissem Ausgang. Die Erklärung der Arbeitslosmeldung könne im Übrigen ab dem Folgetag nicht mehr korrigiert werden.

Das Sozialgericht hat schriftliche Auskünfte von den Zeugen S ... und K ... eingeholt und Auszüge aus dem Bewerberangebot der Klägerin beigezogen.

Mit Urteil vom 12.09.2001 hat es den Bescheid der Beklagten vom 23.01.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2001 ab geändert und die Beklagte verurteilt, das der Klägerin auszuzahlende Arbeitslosengeld nach einem Bemessungszeitraum vom 20.11.1999 bis zum 19.11.2000 zu berechnen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe sich zwar am 16.05.2000 arbeitslos gemeldet und das Stammrecht auf Arbeitslosengeld begründet. Im Rahmen des sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei sie aber so zu stellen, als habe sie sich erstmals am 20.11.2000 arbeitslos gemeldet. Wegen der näheren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des erst instanzlichen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 01.10.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10.10.2001 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, das Sozialgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Vorsprache der Klägerin im Arbeitsamt am 16.05.2000 als Arbeitslosmeldung zu werten sei; denn die Arbeitslosmeldung sei eine Tatsachenerklärung, mit der ein Arbeitnehmer die Tatsache seiner Arbeitslosigkeit erkläre. Aus dem Verhalten der Klägerin am 16.05.2000 habe nur der Schluss gezogen werden können, dass sie sich arbeitslos melden wolle. Sie habe Vermittlungsvorschläge entgegengenommen und auf die Absicht, eine Ausbildung durchführen zu wollen, verwiesen. Keines falls habe sie erklärt, lediglich allgemeine Erkundigungen einholen zu wollen.

Die vom Sozialgericht angenommenen Voraussetzungen für das Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs lägen jedoch nicht vor. Es fehle bereits an einer Verletzung der Beratungspflicht. Am 16.05.2000 seien Beginn, Dauer und Arbeitsentgelt einer zukünftigen Beschäftigung ungewiss gewesen. Nur deshalb seien der Klägerin weitere Vermittlungsvorschläge ausgehändigt worden. Es habe sich damit bei dem Aufschub der Arbeitslosmeldung nicht um eine konkrete, klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeit gehandelt, deren Wahrung offensichtlich so zweckmäßig war, dass sie ein verständiger Versicherter mutmaßlich genutzt hätte. Der erlittene Nachteil könne darüber hinaus auch nicht mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene, zulässige und rechtmäßige Amtshandlung ausgeglichen werden. Eine einmal vorgenommene Arbeitslosmeldung könne - im Gegensatz zu einer Antragstellung - weder zurückgenommen noch angefochten werden. Damit entfalle von vornherein die Möglichkeit, eine verfrühte Arbeitslosmeldung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auszugleichen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 12.09.2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, das Sozialgericht sei im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf höheres Arbeitslosen geld bestehe. Es fehle allerdings bereits an einer Arbeitslosmeldung am 16.05.2000. Nicht jede Vorsprache des Arbeitslosen im Arbeitsamt stelle eine Arbeitslosmeldung dar. Vielmehr seien besondere Anforderungen an den Inhalt der Meldung zu stellen. Aus dem Zweck der Arbeitslosmeldung, der Beklagten Kenntnis von der Arbeitslosigkeit zu verschaffen und sie zugleich in die Lage zu versetzen, durch geeignete Maßnahmen die Arbeitslosigkeit zu beenden, folge, dass eine Arbeitslosmeldung nur dann vorliege, wenn das Arbeitsamt aufgesucht werde, um ihm den Eintritt oder das Fortbestehen des Versicherungsfalles mitzuteilen. Sie, die Klägerin, habe im Rahmen der Vorsprache bei dem Arbeitsvermittler K ... deutlich gemacht, dass sie nur zu einer allgemeinen Erkundigung erschienen sei. Sie habe sich im Hinblick auf die in Aussicht stehende Einstellung als Bürokraft nicht arbeitslos melden wollen, habe auch keine Unterlagen zurückgelassen. Dabei sei sie der Auffassung gewesen, Leistungen könne sie erst nach Abgabe eines Antrages erhalten. Sie habe sich nach dem 16.05.2000 auch zunächst nicht mehr bei der Beklagten gemeldet. Erst im Zusammenhang mit der Arbeitslosmeldung am 20.11.2000 habe sie bei der Beklagten Unterlagen eingereicht. Gegen eine Arbeitslosmeldung bereits am 16.05.2000 spreche auch, dass die Beklagte keinerlei Aktivitäten entfaltet habe, sie in Arbeit zu vermitteln.

Selbst wenn von einer Arbeitslosmeldung am 16.05.2000 ausgegangen werden sollte, so lägen jedenfalls die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch vor. Die Beklagte sei an die sem Tag ihrer Beratungspflicht nicht nachgekommen. Dazu habe im Hinblick auf das bevorstehende Vorstellungsgespräch Anlass bestanden. Während der Ausbildung habe sie nur ein geringes Arbeitsentgelt erhalten, während die Vergütung einer Bürokraft wesentlich höher liege. Dies mache sich bei der Höhe des Arbeitslosengeldes spürbar bemerkbar. Es habe sich um eine naheliegende Gestaltungsmöglichkeit gehandelt. Der Vorteil einer sehr geringen Leistungsberechtigung bis zur Aufnahme der Tätigkeit als Bürokraft wiege gering im Verhältnis zu einem relativ geringen Bemessungsentgelt über einen unter Umständen langen Bezugszeitraum. Es gehe im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht um eine Rücknahme der Arbeitslosmeldung, sondern um eine Verschiebung, gegen die rechtlich keine Bedenken bestünden.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht mit Urteil vom 12.09.2001 den Bescheid der Beklagten vom 23.01.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2001 geändert und die Beklagte zur Bewilligung höheren Arbeitslosengeldes auf der Grundlage des Bemessungszeitraumes vom 20.11.1999 bis zum 19.11.2000 verurteilt. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig. Der Klägerin steht ein Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld zu.

Gemäß § 130 Abs. 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die Entgeltabrechnungszeiträume, die in den letzten 52 Wochen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen Versicherungspflicht bestand, enthalten sind und beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem Versicherungspflichtverhältnis vor der Entstehung des Anspruchs abgerechnet waren. Entstanden ist der Anspruch im Sinne von § 130 Abs. 1 SGB III, wenn die Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 i.V.m. § 323 Abs. 1 S. 2 SGB III gegeben sind. Danach haben Anspruch auf Arbeitslosengeld Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe gelten mit der persönlichen Arbeitslosmeldung als beantragt, wenn der Arbeitslose keine andere Erklärung abgibt.

Maßgeblicher Bemessungszeitraum für die Berechnung der Höhe der der Klägerin zustehenden Leistungen ist der Zeitraum 20.11.1999 bis 19.11.2000. Nicht bereits am 16.05.2000, sondern erst mit der Vorsprache der Klägerin im Arbeitsamt Düren am 20.11.2000 ist ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld entstanden. Nur zum letztgenannten Zeitpunkt lagen sämtliche Anspruchsvoraussetzungen vor.

Die Klägerin war arbeitslos im Sinne von § 118 SGB III: Sie stand nach Beendigung der befristeten Tätigkeit beim W ... vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis, war also beschäftigungslos im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III und suchte eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Wochenstunden umfassende Beschäftigung, vgl. § 118 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 119 Abs. 1 SGB III. Durch die einen Zeitraum von mehr als 21 Monaten umfassende Beschäftigung als auszubildende Bauzeichnerin sowie die anschließende befristete

Tätigkeit als Sekretärin hat sie die Anwartschaftzeit gemäß § 123 S. 1 Nr. 1 SGB III erfüllt. Sie hat sich auch persönlich arbeitslos gemeldet, vgl. § 122 SGB III. Die Arbeitslosmeldung stellt eine Tatsachenerklärung dar. Mit ihr wird dem Arbeitsamt gegenüber die Tatsache des Eintritts der Arbeitslosigkeit, also des Eintritts des in der Arbeitslosenversicherung gedeckten Risikos der Arbeitslosigkeit, angezeigt (vgl. BSG, SozR 3-4300 § 122 Nr. 1, SozR 3-4100 § 105 Nr. 2).

Die genannten Voraussetzungen Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung und Erfüllung der Anwartschaftszeit lagen auch bereits am 16.05.2000 vor, insbesondere hatte sich die Klägerin arbeitslos gemeldet. Dass sie nach ihren glaubhaften Angaben im Vor- und gerichtlichen Verfahren gar keinen Leistungsanspruch geltend machen wollte, steht dem nicht entgegen. Denn aus der Sicht eines objektiven Dritten als Empfänger der Tatsachenerklärung konnte ihr Verhalten bei der Vorsprache nur so gewertet werden, dass sie dem Zeugen K ... die Tatsache ihrer Arbeitslosigkeit mitgeteilt hat.

Am 16.05.2000 fehlte es jedoch im Gegensatz zu der späteren Vorsprache am 20.11.2000 an einer Antragstellung. Grundsätzlich bedarf es zur Begründung des Leistungsanspruchs keiner gesonderten Antrag stellung mehr. Der bis zum 31.12.1997 als materielle Anspruchsvoraussetzung ausgestalteten Antragstellung - § 100 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) - kommt nach der Neuregelung des § 117 SGB III i.d.F. des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) nunmehr lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung zu (vgl. BT-Drucks. 13/4941 S. 38, S. 175, BT-Drucks. 13/5936 und 13/6845). Nach § 323 Abs. 1 S. 2 SGB III gilt das Arbeitslosengeld mit der Arbeitslosmeldung als beantragt, wenn der Arbeitslose keine andere Erklärung abgibt (BSG, SozR 3-4300 § 150 Nr.1). Der Antrag ist - anders als die Arbeitslosmeldung nach § 122 SGB III - eine an das Arbeitsamt gerichtete Willenserklärung. Aus dieser muss sich lediglich das Begehren erkennen lassen, dass vom Arbeitsamt eine Leistung begehrt wird (Niesel, SGB III, § 323 RdNr. 3). Als Willenserklärung unterliegt der Antrag den entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten (BSG, SozR 1300 § 28 Nr. 1). Die Rücknahme des Antrags ist bis zum Eintritt der Bestands kraft der Entscheidung über die Bewilligung der Leistung möglich (Niesel, a.a.O., § 323 RdNr. 5 m.w.N.).

Die Antragsfiktion des § 323 Abs. 1 S. 2 SGB III hat die Klägerin für den 16.05.2000 widerlegt. Dabei kann offen bleiben, ob sie nie einen Leistungsantrag hat stellen wollen oder den zunächst gestellten Antrag wirksam zurückgenommen hat. Spätestens mit Einlegung des Widerspruchs hat sie jedenfalls deutlich gemacht, dass sie am 16.05.2000 keinen Antrag auf Arbeitslosengeld stellen und bis zur Aufnahme der Beschäftigung beim W ... keine Leistungen beziehen wollte.

Ohne Antragstellung ist das für die Festlegung des Bemessungszeit raumes maßgebliche Stammrecht nicht am 16.05.2000, sondern erst am 20.11.2000 entstanden. Diesem Lösungsansatz steht auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht entgegen. Vielmehr hat das BSG entschieden, dass der Antragsteller - im Falle einer fehlerhaften Beratung durch das Arbeitsamt - im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen ist, als hätte er seinen Antrag zu einem anderen (für ihn günstigeren) Zeitpunkt gestellt (vgl. BSG, B 7 AL 54/00 R) und damit das Entstehen des Stammrechts beeinflusst. Mittels des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs werden damit die Wirkungen einer bereits erfolgten Arbeitslosmeldung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben (siehe auch Niesel, a.a.O., § 323 RdNr. 36, Gagel, a.a.O., § 122 Anm. 63 f. SGB III, LSG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 22.11.2001, Az: L 1 AL 74/01, SG Dortmund, Urt. vom 06.12.2002, Az: S 5 AL 2002/02, offen lassend LSG Baden-Württemberg, Urt. vom 13.03.2002, Az: L 3 AL 128/00). Die genannten Fälle sind dadurch gekennzeichnet, dass der Antragsteller, weil er es auf Grund fehlender oder unzeichender Beratung nicht besser wusste, zum Zeitpunkt der Vorsprache im Arbeitsamt einen Leistungsanspruch geltend machte. Wenn in einem solchen Fall - im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs - eine Verschiebung des Entstehens des Stammrechts auf einen späteren Zeitpunkt rechtlich für möglich gehalten wird, so muss dies nach Auffassung des Senates erst recht gelten, wenn ein Antrag auf Gewährung von Leistungen gar nicht erst vorgelegen hat. Genau dies bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, wenn er in § 323 Abs. 1 S. 2 SGB III von der - widerlegbaren - Antragsfiktion spricht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat der Senat gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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