L 1 AL 56/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 12 (17) AL 87/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AL 56/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 03.07.2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:
I.
Umstritten ist, ob die Beklagte ihren bestandskräftigen Ablehnungsbescheid vom 02.08.1994 zurücknehmen und dem Kläger Arbeitslosenhilfe bewilligen muss.

Der 1942 geborene Kläger, der in einer Mietwohnung in D. lebt, ist seit 1991 Eigentümer eines von ihm bislang nicht selbst genutzten Mehrfamilienhauses in R.

Vom 01.04.1992 bis zur Erschöpfung dieses Anspruchs am 28.02.1994 bezog er Arbeitslosengeld. Die Bewilligung von Anschluss-Arbeitslosenhilfe lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.08.1994 mit der Begründung ab, der Kläger müsse mit Ausnahme eines Freibetrags von 8.000 DM zunächst das Hausgrundstück in R. verwerten, dessen Verkehrswert er selbst mit 90.000 DM angegeben habe. Bei Teilung des zu berücksichtigenden Vermögenswertes von 82.000 DM durch das für die Bemessung der Arbeitslosenhilfe maßgebliche wöchentliche Arbeitsentgelt von 1.290 DM ergebe sich, dass er für einen Zeitraum von 63 Wochen mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe habe. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.08.1994 als unbegründet zurück.

Am 24.05.1995 beantragte der Kläger unter Hinweis darauf, dass die von der Beklagten errechneten 63 Wochen mittlerweile verstrichen seien, erneut Arbeitslosenhilfe. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24.05.1995 und Widerspruchsbescheid vom 16.06.1995 mit der Begründung ab, der geltend gemachte Anspruch bestehe nunmehr deshalb nicht, weil der Kläger innerhalb der Vorfrist von einem Jahr weder Arbeitslosengeld bezogen noch mindestens 150 Kalendertage in einer der Erfüllung der Anwartschaftszeit dienenden Beschäftigung gestanden habe. Die dagegen erhobene Klage vom 19.06.1995 (SG Duisburg, S 14 Ar 138/95) nahm der Kläger im Erörterungstermin am 04.10.1995 zurück, nachdem die Beklagte die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 02.08.1994 nach § 44 SGB X zugesagt hatte.

Mit Bescheid vom 23.10.1995 und Widerspruchsbescheid vom 16.11.1995 lehnte es die Beklagte ab, den Bescheid vom 02.08.1994 nach § 44 SGB X zurückzunehmen und dem Kläger Arbeitslosenhilfe zu bewilligen. Deren Versagung sei im Hinblick auf das zu berücksichtigende Vermögen rechtmäßig gewesen. Hiergegen richtete sich die Klage des Klägers vom 08.12.1995, die das Sozialgericht Duisburg (S 12 Ar 285/95) am 31.10.1997 rechtskräftig abwies.

Am 11.03.1999 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.10.1998 - B 7 AL 118/97 - (SozR 3-4220 § 6 Nr. 6) erneut die Überprüfung des Bescheides vom 02.08.1994. Er machte geltend, das von der Beklagten berücksichtigte Hausgrundstück diene seiner Alterssicherung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.09.1999 und Widerspruchsbescheid vom 11.11.1999 ab. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Klage vom 24.11.1999 (SG Duisburg, S 17/14 AL 304/99), die er im Erörterungstermin am 10.08.2000 zurücknahm.

Am 11.08.2000 stellte der Kläger einen weiteren Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X, den die Beklagte mit Bescheid vom 11.09.2000 und Widerspruchsbescheid vom 16.11.2000 mit der Begründung ablehnte, der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe stehe die Vorschrift des § 44 Abs. 4 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) entgegen, nach der Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides bzw. der Stellung des entsprechenden Rücknahmeantrags erbracht werden könnten.

Zur Begründung seiner am 20.11.2000 erhobenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, der von ihm geltend gemachte Anspruch ergebe sich unmittelbar aus dem Urteil des BSG vom 20.10.1998.

Durch Urteil vom 03.07.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen auf die Begründung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2000 Bezug genommen.

Gegen das ihm am 11.07.2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 12.07.2001 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Die ihm jetzt vorgehaltene Vier-Jahres-Grenze gelte in seinem Fall nicht, weil die Beklagte ihn arglistig getäuscht habe, indem sie seine Bedürftigkeit für (nur) 63 Wochen verneint, dann aber auch nach Ablauf dieses Zeitraums keine Arbeitslosenhilfe bewilligt habe. Im Übrigen sei die "Verjährung" durch seine Überprüfungsanträge immer wieder rechtzeitig unterbrochen worden. Die Beklagte habe von Anfang an unberücksichtigt gelassen, dass das Hausgrundstück in R. seiner Alterssicherung diene. Die Rechtswidrigkeit der damaligen Ablehnungsentscheidung ergebe sich jetzt aus dem Urteil des BSG vom 22.10.1998.

Der Kläger, der ab Dezember 1995 Rente wegen Berufsunfähigkeit erhalten hat und inzwischen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezieht, beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 03.07.2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2000 zu verurteilen, den Bescheid vom 02.08.1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.08.1994, den Bescheid vom 24.05.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.06.1995, den Bescheid vom 23.10.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.1995 sowie den Bescheid vom 17.09.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.11.1999 zurückzunehmen und ihm Arbeitslosenhilfe zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung und bezüglich des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte, die Vorprozessakten SG Duisburg, S 14 Ar 138/95, S 12 Ar 285/95 und S 17 (14) AL 304/99 sowie die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.
Der Senat durfte die Berufung gem. § 153 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu im Erörterungstermin am 31.10.2001 gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG). Dabei hat der Berichterstatter - wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt - dem Kläger die Vorschrift des § 153 Abs. 4 SGG und die Vorgehensweise nach dieser Bestimmung im Einzelnen erklärt. Der Kläger hat Gelegenheit erhalten, sich bis zum 30.11.2001 zu dem angekündigten Verfahren und in der Sache zu äußern. Diese Gelegenheit hat er mit seinem Schriftsatz vom 20.11.2001 wahrgenommen.

Die Beklagte lehnt es zu Recht ab, die im Berufungsantrag aufgeführten bestandskräftigen Bescheide nach § 44 SGB X zurückzunehmen und dem Kläger Arbeitslosenhilfe zu bewilligen. Ob deren Versagung rechtswidrig war, weil das Hausgrundstück in Rostock zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt und dessen Verwertung unzumutbar ist, war in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Dem Klagebegehren steht nämlich unabhängig von dieser Frage die Verfallklausel des § 44 Abs. 4 SGB X entgegen, nach der im Falle der Ersetzung eines zurückgenommenen Ablehnungsbescheides durch einen Zugunstenbescheid Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Stellung des entsprechen den Überprüfungsantrags erbracht werden. Darf ein Antragsteller aufgrund dieser Vorschrift keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten, so hat er schon deshalb keinen Anspruch auf Überprüfung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides. Kann nämlich die zusprechende Entscheidung nach § 44 Abs. 4 SGB X nicht vollzogen werden, so besteht an der Rücknahme der ablehnenden Entscheidung kein rechtliches Interesse, denn sie wäre wirkungslos (BSG, Urteil vom 06.03.1991, 9b RAr 7/90, SozR 3-1300 § 34 Nr. 1).

Um einen solchen Fall handelt es sich hier: Der letzte noch nicht bestandskräftig beschiedene Überprüfungsantrag des Klägers stammt vom 11.08.2000. Aufgrund dieses Antrags darf Arbeitslosenhilfe frühestens für die Zeit ab 01.01.1996 (vgl. § 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X) erbracht werden. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte der Kläger aber schon nicht mehr die besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe. So hatte nach der bis zum 31.12.1997 maßgeblichen Vorschrift des § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nur derjenige, der (u.a.) innerhalb einer Vorfrist von einem Jahr Arbeitslosengeld bezogen oder mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen können. Keinen dieser Tatbestände erfüllte der Kläger noch am 01.01.1996. Arbeitslosengeld hat er zuletzt am 28.02.1994 und damit außerhalb der Vorfrist vom 01.01. bis 31.12.1995 bezogen. Danach hat er weder eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt noch Zeiten zurückgelegt, die einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung nach §§ 107 bis 109 AFG gleichgestanden haben.

Allerdings ist § 134 Abs. 1 AFG durch Art. 1 Nr. 2a Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz (AlhiRG) vom 24.06.1996 dahingehend ergänzt worden, dass sich die einjährige Vorfrist u.a. um Zeiten verlängert, in denen der Arbeitslose nur deshalb keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatte, weil er nicht bedürftig war, längstens jedoch um zwei Jahre (§ 134 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AFG n.F.). Diese Regelung hilft dem Kläger aber nicht, denn sie ist erst am 01.04.1996 in Kraft getreten (Art. 4 AlhiRG), also zu einem Zeitpunkt, als der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe schon nicht mehr bestand. Weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus ihrem Zweck ergibt sich, dass sie auch auf solche Sachverhalte anwendbar sein soll, die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits verwirklicht waren (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17.03.1999, L 3 AL 3678/97). Vielmehr spricht gegen eine Erstreckung des zeitlichen Geltungsbereichs des § 134 Abs. 1 Satz 3 AFG auf Sachverhalte, die sich vor seinem Inkrafttreten am 01.04.1996 bereits verwirklicht haben, dass der Gesetzgeber anders als bei dem ebenfalls mit dem AlhiRG neu gefassten § 136 Abs. 2b AFG (vgl. Art. 1 Nr. 5 AlhiRG) keine Übergangsregelung (vgl. Art. 1 Nr. 9 AlhiRG) mit Anordnung einer Rückwirkung getroffen hat (LSG Baden-Württemberg a.a.O.). Für die Richtigkeit dieser Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Nach den Gesetzesmaterialien sollte mit der Verlängerung der Vorfrist durch § 134 Abs. 1 Satz 3 AFG ein Anreiz zur Selbsthilfe geschaffen werden. Künftig (also nicht schon vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens) sollten deshalb Arbeitslose auch dann Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben, wenn sie innerhalb von drei Jahren vor dem Tag, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe vorlagen, wegen der Berücksichtigung von Einkommen oder Vermögen nicht bedürftig waren (vgl. BT-Drucks. 13/2898, S. 6). Hätte der Gesetzgeber nicht mehr bestehende Ansprüche für die Zeit ab dem 01.04.1996 neu zuerkennen wollen, so hätte dies einer gesonderten Regelung bedurft, die aber fehlt (LSG Baden-Württemberg a.a.O.; zu der entsprechenden Neuregelung der Erlöschensfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 AFG vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.02.1997, L 5 Ar 121/96).

Den vor dem 11.08.2000 gestellten Überprüfungsanträgen kommt entgegen der Auffassung des Klägers keine Bedeutung für die Bestimmung der Vier-Jahres-Grenze des § 44 Abs. 4 SGB X zu. Dabei handelt es sich um eine materiell-rechtliche Anspruchsbeschränkung (vgl. Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3. Aufl., § 44 RdNr. 19), auf die die Vorschriften über die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung (vgl. § 45 Abs. 2 SGB I) gerade nicht anwendbar sind (BSG, Urteil vom 15.12.1992, 10 RKg 11/92, SozR 3-5870 § 1 Nr. 2). Abzustellen ist allein auf den letzten noch nicht bestandskräftigen Antrag nach § 44 Abs. 1 SGB X, hier also den vom 11.08.2000. Frühere Anträge, die bereits bindend abgelehnt worden sind, sind nicht mehr maßgeblich (BSG, Urteil vom 15.12.1992 a.a.O.), erst recht nicht frühere Anträge auf die Leistung selbst (Schroeder-Printzen/Wiesner a.a.O. § 44 RdNr. 20).

Unerheblich ist auch, ob der Kläger sein Begehren wegen der missverständlichen Begründung des Bescheides vom 02.08.1994 auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen kann. Denn die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X ist auf den Herstellungsanspruch entsprechend anzuwenden (BSG, Urteil vom 11.04.1985, SozR 4b/9a RV 5/84, SozR 1300 § 44 Nr. 17), d. h. auch auf diesem Wege könnte Arbeitslosenhilfe frühestens ab 01.01.1996 erbracht werden, also erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die besonderen Voraussetzungen dieses Anspruchs aus den dargelegten Gründen schon nicht mehr erfüllt waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§§ 153 Abs. 4 Satz 3, 158 Sätze 3 und 4, 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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