L 11 KA 106/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 25 KA 19/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 106/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.03.2001 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind sachlich-rechnerische Berichtigungen der Nr. 1577 Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) in den Quartalen IV/1997 und I/1998.

Der Kläger ist als Hals-Nasen-Ohren-Arzt in K ... niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung Teil. Dabei führt er u.a. ambulante Operationen am Ohr durch. In Nr. 1570 EBM-Ä ist die Eröffnung des Warzenfortsatzes mit 1.100 Punkten, in Nr. 1571 EBM-Ä die Eröffnung des Warzenfortsatzes mit Freilegung sämtlicher Mittelohrräume mit 1.800 Punkten und in Nr. 1572 EBM-Ä die Operation eines Mittelohrtumors oder Cholesteatoms einschließlich der genannten Leistungen mit 2.500 Punkten bewertet. Für eine zusätzlich zu den Leistungen nach Nr. 1571 oder 1572 EBM-Ä vorgenommene Tympanoplastik mit Interposition sieht Nr. 1575 EBM-Ä einen Zuschlag von 1.800 Punkten vor. In Nr. 1576 EBM-Ä ist die Tympanoplastik mit Interposition als selbstständige Leistung mit 2.500 Punkten, in Nr. 1577 EBM-Ä die Tympanoplatik mit Interposition und Aufbau der Gehörknöchelchen kette mit 3.200 Punkten bewertet. Hinter Nr. 1578 EBM-Ä ist bestimmt: "Die Leistungen nach den Nrn. 1570 bis 1572 und die Leistungen nach den Nrn. 1576 bis 1578 sind nicht nebeneinander berechnungsfähig."

Soweit der Kläger in den Streitquartalen Mittelohrtumoren oder Cholesteatome operierte und außerdem eine Tympanoplastik mit Interposition und Aufbau der Gehörknöchelchenkette durchführte, setzte er die Nrn. 1572 und 1577 EBM-Ä nebeneinander an. Gestützt auf die Anmerkung hinter Nr. 1578 EBM-Ästrich die Beklagte im Quartal IV/1997 die Nr. 1572 EBM-Ä, während sie im Quartal I/1998 die Nr. 1577 EBM-Ä in die Nr. 1575 EBM-Ä umwandelte (Bescheide vom 26.03.1998 und 09.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.1999).

Mit der Klage zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat der Kläger gerügt, die Beklagte habe die Anmerkung hinter Nr. 1578 EBM-Ä missverstanden. Sie beziehe sich jeweils nur auf die dort getrennt aufgeführten Leistungskomplexe der Nrn. 1570 bis 1572 EBM-Ä einerseits und der Nrn. 1576 bis 1578 EBM-Ä andererseits. Andernfalls bleibe der zeitaufwändige und schwierige Aufbau der Gehörknöchelchenkette unvergütet, wenn er in einer Operation mit der Entfernung des Mittelohrtumors bzw. des Cholesteatoms stattfinde, obwohl dies im Interesse der Patient(inn)en liege. Ein solches Ergebnis sei offensichtlich unvertretbar.

Der Kläger hat beantragt,

die Berichtigungsbescheide der Beklagten vom 26.03.1998 und 09.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.1999 aufzuheben, soweit darin die neben der Nr. 1572 abgerechnete Nr. 1577 durch Nr. 1575 ersetzt bzw. Vergütungen nach Nr. 1572 EBM-Ä neben Nr. 1577 EBM-Ä gestrichen worden sind und die Beklagte zu verurteilen, die entsprechenden Leistungen nachzuvergüten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Regelungen des EBM-Ä für eindeutig gehalten.

Mit Urteil vom 14.02.2001 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger für das Quartal IV/1997 die Nr. 1572 EBM-Ä zu vergüten und die Nr. 1577 EBM-Ä in die Nr. 1575 EBM-Ä umzuwandeln. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und sich zur Begründung jeweils auf den auch seines Erachtens eindeutigen Wortlaut der Anmerkung hinter Nr. 1578 EBM-Ä berufen.

Mit der Berufung wiederholt der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen und meint, das SG habe die für den EBM-Ä geltenden Auslegungsgrundsätze verletzt, indem es den inneren Sachzusammenhang der Leistungen außer Acht gelassen habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.03.2001 abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend und sieht sich in ihrer Auffassung durch zwei vom Senat eingeholte Auskünfte der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vom 17.08.2001 und 10.06.2003 bestätigt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Die Verwaltungsakte der Beklagten ist beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind in der Fassung, die der Bescheid vom 26.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.01.1999 durch das insoweit rechtskräftig gewordene Urteil des SG erlangt hat, nicht rechtswidrig.

Die Leistungen des Klägers sind zutreffend nach den Nrn. 1572 und 1575 EBM-Ä vergütet worden. Wenn der Kläger einen Mittelohrtumor oder ein Cholesteatom entfernt und in derselben Operation eine Tympanoplastik mit Interposition und Aufbau der Gehörknöchelchenkette vornimmt, kann er nicht nebeneinander die Nrn. 1572 und 1577 EBM-Ä abrechnen. Dies wird nämlich durch die Anmerkung hinter Nr. 1578 EBM-Ä ausgeschlossen.

Für die Auslegung von Gebührentatbeständen des EBM-Ä ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Vertragspartner der vertragsärztlichen Versorgung durch den Bewertungsausschuss den Wortlaut des EBM-Ä im Wege des Ausgleichs ihrer unterschiedlichen Standpunkte und Interessen vereinbart haben und dass es vorrangig ihre Sache ist, einen unklaren oder in der Praxis missverstandenen Wortlaut zu ändern oder zu präzisieren. Dementsprechend haben sich die Gerichte in erster Linie an den Wortlaut der maßgeblichen Bestimmung zu halten. Eine systematische Interpretation dürfen sie nur im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenziffern vornehmen. Eine ausdehnende Auslegung der Leistungsbeschreibungen oder -bewertungen ist demgegenüber unzulässig (vgl. zu alledem BSG, SozR 3-5533 Nr. 100 Nr. 1; SozR 3-5533 Nr. 75 Nr. 1; SozR 3-5533 Nr. 2449 Nr. 1 m.w.N).

Ausgehend von diesen Grundsätzen, zeigt der Wortlaut der Anmerkung hinter Nr. 1578 EBM-Ä bereits eindeutig, dass von den Nrn. 1570 bis 1572 und 1576 bis 1578 EBM-Ä immer jeweils nur ein Gebührentatbestand und damit nicht Nr. 1577 EBM-Ä neben Nr. 1572 EBM-Ä abgerechnet werden darf (str.; wie hier: Wezel/Liebold, EBM, Anm. 9 L - 30; a.A. Kölner Kommentar zum EBM, Anm. 1 zu Nr. 1578). Wenn sich der Ausschluss jeweils nur auf die Nrn. 1570 bis 1572 EBM-Ä einerseits und 1576 bis 1578 EBM-Ä andererseits bezöge, hätte dies klargestellt werden müssen: entweder durch zwei Zusätze (einen hinter Nr. 1572 EBM-Ä und den anderen hinter 1578 EBM-Ä) oder aber durch Einfügen von "jeweils" vor der Wendung "nicht nebeneinander berechnungsfähig". Hierauf hat im Übrigen auch die KBV in ihren Auskünften gegenüber dem Senat hingewiesen.

Die innere Systematik der Gebührenziffern bestätigt dieses Ergebnis. Mit den Nrn. 1570 bis 1578 EBM-Ä hat der Bewertungsausschuss ein System aufeinander aufbauender Leistungsziffern geschaffen. Die Leistungslegenden betreffen operative Eingriffe, von denen die höher bewerteten die niedriger bewerteten ganz oder jedenfalls zu wesentlichen Teilen erfassen. Dass dies nicht nur die Leistungen nach Nrn. 1570 bis 1572 EBM-Ä und 1576 bis 1578 EBM-Ä für sich genommen betrifft, belegt die Zuschlagsziffer nach Nr. 1575 EBM-Ä. Diese ergibt nur deshalb einen Sinn, weil Nr. 1576 EBM-Ä nicht neben Nr. 1572 EBM-Ä berechnet werden kann. Als Ausgleich hierfür (und weil beide Gebührentatbestände gleich hoch bewertet sind), hat der Bewertungsausschuss abweichend von der allgemeinen Regel, wonach in diesem Fall nur eine der beiden Leistungen, nämlich die höher bewertete berechnet werden darf (vgl. Abschn A.I. Teil A Ziff. 1 Abs. 3 EBM-Ä), die Zuschlagsziffer nach Nr. 1575 EBM-Ä geschaffen. Wenn aus den genannten Gründen der Zusatz hinter Nr. 1578 EBM-Ä aber auch die Leistungen nach Nrn. 1572 und 1576 EBM-Ä erfasst, so kann für Nrn. 1572 und 1577 EBM-Ä nichts Abweichendes gelten. Sonst hätte es einer weiteren Klarstellung bedurft.

Dass der Bewertungsausschuss es bei der Zuschlagsziffer nach Nr. 1575 EBM-Ä belassen und davon abgesehen hat, für die von Nr. 1577 EBM-Ä zusätzlich zu Nr. 1576 EBM-Ä erfasste Leistung des vollständigen Aufbaus der Gehörknöchelchenkette eine eigenständige Zuschlagsleistung zu schaffen, rechtfertigt kein anderes Auslegungsergebnis. Vielmehr führt dies nur zu der vom SG angenommenen Konsequenz, den Anwendungsbereich der Nr. 1575 EBM-Ä auf die von Nr. 1577 EBM-Ä erfasste Leistung, die Tympanoplastik mit Interposition und Aufbau der Gehörknöchelchenkette, zu erstrecken. Ebensowenig wie die Gerichte oder die Beklagte demgegenüber eine eigenständige Zuschlagsziffer neuen Inhalts schaffen können, können sie den Inhalt der Anmerkung hinter Nr. 1578 EBM-Ä verändern. In beiden Fällen nähmen sie nämlich eine Rechtsfortbildung vor, die wegen der Regelungsprägorative des Bewertungsausschusses nur dann statthaft ist, wenn dieser seinen Regelungsspielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgeübt hat (BSG SozR 3-2500 § 87 Nr. 12, S. 43; Nr. 21, S. 109 m.w.N.). Hiervon vermag sich der Senat im vorliegenden Fall jedoch nicht zu überzeugen.

Der Ausschluss der Berechnung von Nr. 1577 EBM-Ä neben Nr. 1572 EBM-Ä durch die Anmerkung hinter Nr. 1578 EBM-Ä ist grundsätzlich durch § 87 Abs. 2, 2a Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gedeckt. Danach ist es Aufgabe des Bewertungsausschusses, den Inhalt der abrechnungsfähigen Leistungen und ihr wertmäßiges Verhältnis zueinander zu bestimmen und dabei die ärztlichen Leistungen zu Leistungskomplexen zusammenzufassen. Das berechtigt ihn, die gleichzeitige Berechnung von Leistungen, deren Inhalt sich ganz oder zum Teil überschneidet, vollständig auszuschließen oder, wie hier in Gestalt von Nr. 1575 EBM-Ä, auf Zuschlagsziffern zu beschränken.

Soweit er sich für die zweite Alternative entscheidet, ist er nicht verpflichtet, Differenzierungen, die er bei der Bewertung als selbstständige Einzelleistung vorgenommen hat, auch auf die Bewertung im Wege des Zuschlags zu übertragen. Vielmehr erlaubt es ihm insbesondere seine Befugnis zur Bildung von Leistungskomplexen, mehrere, auch unterschiedlich bewertete, Leistungen im Rahmen einer Zuschlagsziffer zusammenzufassen. Dies ist hier dadurch geschehen, dass die Tympanoplastik mit Interposition von Nr. 1575 EBM-Ä erfasst wird, gleichgültig, ob sie mit oder ohne den vollständigen Aufbau der Gehörknöchelchenkette erfolgt. Entgegen der Auffassung des Klägers bleibt dieser Aufbau dabei nicht unvergütet. Zwar werden im Rahmen der Zuschlagsziffer sämtliche Formen der Tympanoplastik gleich bewertet. Damit "sinkt" auch die Vergütung für die beiden Leistungsbestandteile (Tympanoplastik, Aufbau der Gehörknöchelchenkette) gegenüber ihrer Erbringung als selbstständige Leistung. Zu derartigen Pauschalierungen ist der Bewertungsausschuss im Hinblick auf § 87 Abs. 2a Satz 1 SGB V jedoch befugt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung.

Der Senat hält die aufgeworfene, bislang höchstrichterlich nicht entschiedene Rechtsfrage nicht zuletzt im Hinblick auf die in der einschlägigen Literatur bestehenden Meinungsverschiedenheiten für grundsätzlich klärungsbedürftig und hat daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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