L 13 EG 60/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 15 (3,10) EG 1/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 EG 60/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 EG 3/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30. Oktober 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Erziehungsgeld für ihr am.1994 geborenes Kind H im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X).

Die in der Türkei geborene Klägerin lebt seit dem 09.09.1987 im Bundesgebiet, wo sie zunächst eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens erhielt. Nachdem dieses zunächst erfolglos verlaufen war, wurde ihr aufgrund eines Erlasses des Innenministers NW weiterhin der Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Am 29.08.1991 erhielt sie eine Aufenthaltsbefugnis, welche bis zum 29.08.1993 befristet war und am 12.08.1993 bis zum 29.08.1995 verlängert wurde. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21.03.1995 wurde sie als Asylberechtigte anerkannt; dieser Bescheid wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 20.11.1995 bestandskräftig. Am 06.09.1995 erhielt sie eine bis zum 29.08.1997 befristete Aufenthaltserlaubnis, welche am 14.02.1996 als unbefristete erteilt wurde. Seit dem 05.09.2000 ist die Klägerin deutsche Staatsangehörige.

Das beklagte Land lehnte mit Bescheid vom 14.03.1994/Widerspruchsbescheid vom 21.06.1994 einen Antrag der Klägerin vom 07.03.1994 auf Erziehungsgeld für die Betreuung von H mit der Begründung ab, sie sei nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder entsprechender Aufenthaltserlaubnis. In dem gegen diese Bescheide geführten Klageverfahren S 3 (9) KG 99/94, Sozialgericht (SG) Detmold, erkannte das beklagte Land am 06.09.1995 den Erziehungsgeldanspruch für die Betreuung von H dem Grunde nach ab dem Tag des Erhalts der Aufenthaltserlaubnis, dem 06.09.1995, an. Den von der Klägerin weiter verfolgten Anspruch auf Zahlung von Erziehungsgeld auch für die Zeit zuvor wies das SG mit Urteil vom 06.09.1995 ab. Die hiergegen gerichtete Berufung nahm die Klägerin am 31.05.1996 zurück.

Mit einem am 01.09.2000 beim Versorgungsamt B eingegangen Schreiben beantragte die Klägerin rückwirkend Erziehungsgeld für die Betreuung von H ... auch für die Zeit vom 25.02.1994 bis zum 05.09.1995. Sie wies auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 04.05.1999 in der Rechtssache C-262/96 hin, wonach ihr auch für die Zeit vor dem 06.09.1995 als seinerzeit noch türkischer Staatsangehöriger Erziehungsgeld zugestanden habe.

Mit Bescheid vom 20.09.2000 lehnte das beklagte Land den Antrag ab und berief sich zur Begründung auf die Rückwirkungsfrist von vier Jahren nach § 44 Abs. 4 SGB X. Danach habe der jetzige Zugunstenantrag der Klägerin nur eine Rückwirkung bis zum 01.01.1996. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Kägerin wies es mit Bescheid vom 08.12.2000 zurück und führte zur Begründung aus, in dem von der Klägerin in Bezug genommenen Urteis des EuGH habe dieser die Rückwirkung seiner Entscheidung begrenzt und bestimmt, dass keine Ansprüche auf Leistungen vor Erlass des Urteils, d.h. vor dem 04.09.1999, geltend gemacht werden könnten, es sei denn, die Betroffenen hätten bereits vor diesem Zeitpunkt Widerspruch, Klage oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt. Die Klägerin habe die Berufung gegen das Urteil des SG Detmold aber am 31.05.1996 zurückgenommen; damit verbleibe es bei der Vorschrift des § 44 SGB X.

Die Klägerin hat am 05.01.2001 Klage zum SG Detmold erhoben und ausgeführt, sie habe, wie vom EuGH im Urteil vom 04.05.1999 (C-262/96) verlangt, seinerzeit gegen die ablehnenden Bescheide des beklagten Landes Widerspruch und Klage eingelegt und erfülle damit die Voraussetzungen für eine rückwirkende Zahlung von Erziehungsgeld.

Das SG hat mit Urteil vom 30.10.2002 die Klage abgewiesen:

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Überprüfung der Bescheide vom 14.03.1994, 21.06.1994 und des Ausführungsbescheides vom 13.11.1995 nach § 44 SGB X, weil die Frist des Abs. 4 dieser Vorschrift bereits abgelaufen sei. Werde ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, würden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches längstens für einen Zeitraum von 4 Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wurde der Zeitpunkt der Rücknahme vom Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen werde. Erfolge die Rücknahme auf Antrag, trete bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen seien, anstelle der Rücknahme der Antrag. Damit könne unter Berücksichtigung von § 44 Abs. 4 SGB X ein Erziehungsgeldanspruch der Klägerin nur noch frühestens ab dem 01.01.1996 bestehen. Eine über diese Frist hinausgehende Rückwirkung könne auch nicht aus dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-262/96 hergeleitet werden. In dem genannten Urteil habe der EuGH für Recht erkannt, dass die unmittelbare Wirkung des Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assosationsrates vom 19.09.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft auf die türkischen Arbeitnehmer und deren Familienangehörige nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten für Erlass des Urteils vom 04.05.1999 geltend gemacht werden könne, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt hätten. Zwar habe die Klägerin gegen die ablehnenden Bescheide vom 14.03.1994 und 21.06.1994 Klage und gegen das klageabweisende Urteil auch Berufung erhoben bzw. eingelegt. Sie habe die Berufung jedoch am 31.05.1996 zurückgenommen. Damit handele es sich vorliegend um ein Rechtsverhältnis, das vor Erlass des Urteils des EuGH vom 04.05.1999 abschließend geregelt gewesen sei.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 04.12.2002 zugestellte Urteil am 13.12.2002 Berufung eingelegt. Sie vertritt weiterhin die Ansicht, es genüge für eine Rückwirkung des Urteils des EuGH, wenn der bzw. die Betroffene irgendwann Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt hätten. Auch auf die Frage, ob diese Rechtsmittel noch anhängig seien, komme es nicht an.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 30. Oktober 2002 zu ändern und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 20.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2000 zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 14.03.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.08.1994 und Änderung des Bescheides vom 13.11.1995 Erziehungsgeld für die Betreuung von H auch für die Zeit vom 25.02.1994 bis zum 05.09.1995 zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten des beklagten Landes sowie der Beiakte L 13 KG 103/95, Landessozialgericht NRW und der Ausländerakten der Klägerin Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erziehungsgeld für die Betreuung des Kindes H auch für die Zeit vor dem 06.09.1995. Zur Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden und ausführlichen Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug.

Der Senat hält insbesondere die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 04.05.1999 (C-262/96) zum Umfang der zeitlichen Rückwirkung dieser Entscheidung für eindeutig. So heisst es unter Rd.-Nr. 111 des Urteils: "Unter diesen Umständen schließen es zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit aus, Rechtsverhältnisse, die vor Erlaß des vorliegenden Urteils abschließend geregelt waren, in einer Situation in Frage zu stellen, in der dies die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedsstaaten rückwirkend erschüttern würde." Bei verständiger Würdigung dieser Ausführungen ergibt sich, dass der EuGH eine Ausnahme von der von ihm zuvor gemachten zeitlichen Beschränkung der Wirkungen seines Urteils nur für den Personenkreis vorsehen wollte, der vor Erlass des Urteils gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt hatte und dessen Rechtsbehelfe zum Zeitpunkt des Urteils noch nicht abschließend erledigt waren.

Damit ist es auch ohne Bedeutung, dass die Klägerin seinerzeit die Berufung gegen das klageabweisende Urteil vom 06.09.1995 in der Sache S 3 (9) KG 99/94 SG Detmold, zurückgenommen und nicht auf einem Berufungsurteil bestanden hat. Ihr Rechtsverhältnis wäre auch dann abschließend geregelt gewesen, wenn die Berufung durch Urteil zurückgewiesen worden wäre, denn eine Nichtzulassungsbeschwerde hatte nach der seinerzeitigen Sach- und Rechtslage keine Aussicht auf Erfolg gehabt.

Es besteht kein Anlass, die Revision nach § 160 SGG zuzulassen.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved