L 16 KR 171/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 93/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 171/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 30. April 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten, die ihr anläßlich einer zahnärztlichen Implantat- einschließlich prothetischer (Suprakonstruktion) Versorgung entstanden sind. Im März 1997 reichte die Klägerin bei der Beklagten vorläufige Kostenpläne ihres behandelnden Zahnarztes Dr. R. vom 17.02.1997 über chirurgische Leistungen für 7 geplante Implantate (vorläufige Gesamtkosten 13.021,75 DM) sowie 7 implantatgetragene Brücken (vorläufige Gesamtkosten 15.108,27 DM) ein. Dr. R. begründete die Implantat-Versorgung mit dem Umstand, daß bei der Klägerin verkürzte Zahnreihen im Oberkiefer rechts, im Unterkiefer rechts nach Extraktion des Zahnes 48 und im Oberkiefer links bestünden. Um einen herausnehmbaren Zahnersatz zu ersparen und den bestehenden suffizienten Zahnersatz nicht entfernen zu müssen, müsse eine Implantation im Unterkiefer rechts erfolgen. Des weiteren lasse sich nur durch Implantate und damit verschraubten Brücken ein herausnehmbarer Zahnersatz vermeiden.

Unter dem 17.03.1997 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab, weil die beantragten Leistungen nicht Bestandteil der vertraglichen Regelungen und über die Krankenversichertenkarte nicht abrechnungsfähig seien.

Die Klägerin legte am 09.04.1997 Widerspruch ein und machte geltend, bereits vor dem 01.01.1997 seien Zähne gezogen worden, ohne daß eine kieferorthopädische Behandlung habe durchgeführt werden können wegen fehlender Wundausheilung. Erst zum 01.04.1997 seien die Regelungen über den Ausschluß der Kostenübernahme in Kraft getreten. Die Implantat-Versorgung sei bei ihr zwingend geboten, weil die Anbringung einer verschraubten Brücke an den noch vorhandenen Zähnen nicht möglich sei. Für eine Vollprothese müßten 20 gesunde Zähne geopfert werden. Unter dem 16.04.1997 begründete Dr. R. nochmals das Erfordernis einer Implantation, weil u.a. die schon progrediente Atrophie im Oberkiefer rechts und links durch eine weitere Belastung mit einem herausnehmbaren Zahnersatz weiter fortschreiten würde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.1997 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin hat am 18.11.1997 vor dem Sozialgericht - SG - Münster Klage erhoben auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, die Kosten über die zahnärztliche Heilbehandlung gemäß dem Kostenvoranschlag zu übernehmen. Sie hat geltend gemacht, daß die geltenden gesetzlichen Bestimmungen erst nach Beginn ihrer Behandlung in Kraft getreten seien. Die Versorgung mit Implantaten sei bei ihr auch notwendig, weil angesichts der bestehenden Zahnlücken sowie der fortschreitenden Knochenatrophie eine herkömmliche Versorgung mit Brücken nicht ausreiche, da die vorhandenen Zähne nicht hinreichenden Halt gewährten und die Brücken nach einiger Zeit nicht mehr passen würden.

Auch unter Beachtung der zum 22.09.1998 in Kraft getretenen Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen sei eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung, zu gewährleisten, auch wenn durch die Richtlinien der vorliegende Fall nicht geregelt sei; daher müsse unter Beachtung des Gebotes der Wirtschaftlichkeit die Implantat-Versorgung durch die Beklagte gewährt werden. Ohne Einbringung der Implantate hätten nämlich größere Maßnahmen in Form des Ersetzens von Zähnen und des Erstellens von neuem Zahnersatz in absehbarer Zeit infolge der progredienten Atrophie vorgenommen werden müssen.

Mit Urteil vom 30.04.1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Gegen das ihr am 13.07.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.08.1999 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, bei ihr liege ein Zustand vor entsprechend der in den Richtlinien geregelten Ausnahmeindikationen für implantologische Leistungen im Sinne besonders schwerer Fälle bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache in Operationen infolge von Osteopathien haben, sofern keine Kontraindikation für eine Implantat-Versorgung vorliegt. Osteopathien seien aber ganz allgemein Knochenerkrankungen, wozu die bei ihr bestehende Atrophie zähle. Zwar müsse nach den Richtlinien die Osteopathie aufgrund von Operationen entstanden sein, es widerspräche aber Sinn und Zweck der Regelung, die Bedürftigkeit an einer Operation zu messen und genetische Fehlbildungen auszugrenzen. Soweit die Beklagte geltend gemacht habe, bei ihr bestehe die Möglichkeit einer kostengünstigeren Versorgung durch herausnehmbaren Zahnersatz, sei dem entgegenzuhalten, daß die in Betracht zu ziehenden Ankerzähne bereits wurzelgefüllt und daher auf Dauer nicht der Belastung gewachsen seien. Darüber hinaus sei herausnehmbarer Zahnersatz infolge der Atrophie grundsätzlich ungeeignet. Hätte sie sich für einen herausnehmbaren schleimhautgelagerten Zahnersatz entschieden, so hätte wahrscheinlich jährlich ein neuer Zahnersatz angefertigt werden müssen. Eine solche Lösung sei ihr auch deshalb nicht zumutbar, weil sie im Kundenverkehr ganztags berufstätig und daher auf ein gepflegtes Äußeres und eine normale Artikulation angewiesen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 30.04.1999 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.03.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.1997 zu verurteilen, die Kosten für die Implantat-Versorgung sowie für die zusätzlichen prothetischen Leistungen in Höhe von insgesamt 28.130,02 DM abzüglich der von der Beihilfe übernommenen Leistungen zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, bei der Klägerin liege eine Ausnahmeindikation nicht vor. Es sei auch nicht erkennbar, weshalb ein herausnehmbarer Zahnersatz für die Klägerin grundsätzlich ungeeignet sein solle, zumal sie nach Darstellung ihrer behandelnden Zahnärzte zuvor bereits mit herausnehmbarem Zahnersatz ausgestattet gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin der begehrte Kostenerstattungsanspruch nicht zusteht. Da die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) vom Sachleistungsprinzip geprägt ist, (BSG SozR 3-2500 § 13 Nrn. 2, 15) kommt ein Kostenerstattungsanspruch wegen der von der Versicherten selbst beschafften Leistung nur unter den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V vorliegend in Betracht. Die Voraussetzungen dessen Zweiter Alternative, die hier allein in Betracht zu ziehen ist, wonach Kosten zu erstatten sind, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, sind nicht erfüllt, weil die Implantat-Versorgung einschließlich Suprakonstruktion der Klägerin durch die Beklagte nicht geschuldet worden ist. Durch das Beitragsentlastungsgesetz (BeitrEnt G) vom 01.11.1996 (BGBl I S. 1631) ist mit Wirkung vom 01.01.1997 in § 28 Abs. 2 SGB V die Regelung aufgenommen worden, daß implantologische Leistungen nicht zur zahnärztlichen Behandlung (im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB V) gehören. Der Gesetzgeber hat diese Regelung als notwendig angesehen, weil implantologische Leistungen einschließlich dazu gehörender Suprakonstruktionen ohnehin nicht zum Leistungskatalog der GKV gehörten, Krankenkassen aber gleichwohl solche Leistungen ohne Rechtsgrund übernähmen oder Zuschüsse gewährten (BT-Drucks. 13/4615 S. 9). Da die vollständige Ausnahme aus dem Leistungskatalog als problematisch angesehen worden ist, hat der Gesetzgeber durch das Zweite GKV-Neuordnungsgesetz - 2. GKV-NOG - vom 23.06.1997 (BGBl. I 1520) mit Wirkung vom 01.07.1997 § 28 Abs. 2 Satz 8 SGB V dahin gefaßt, daß der Leistungsausschluß für implantologische Leistungen einschließlich Suprakonstruktion dann nicht gilt, wenn seltene vom Bundesausschuß der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vorliegen, in denen die Krankenkasse diese Leistungen als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Eine solche Ausnahmeindikation ist bei der Klägerin nicht gegeben. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten hierdurch nur besondere zwingend notwendige Ausnahmefälle erfaßt werden, insbesondere die Versorgung nach einer Tumoroperation mit Resektion/Teilresektion am Kieferknochen und nach Schädel- und Gesichtstraumata bei nicht rekonstruierbaren Kieferabschnitten (BT-Drucks. 13/7264 S. 79).

Dem tragen auch die - allerdings im Zeitpunkt der implantologischen Versorgung der Klägerin noch nicht neugefaßten - Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung vom 07.12.1962 (BAnz. 1963 Nr. 116) in der Fassung des Beschlusses vom 24.07.1998 (BAnz. 177 S. 14090) - BZK-RL - Rechnung. Nach BZK-RL VII Nr. 29 liegen besonders schwere Fälle vor;bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache in Tumoroperationen, in Entzündungen des Kiefers, in Operationen infolge von großen Zysten (z.B. follikuläre Zysten oder Keratozysten, in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-Kiefer-Gaumenspalten) oder in Unfällen haben, die bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung, bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, wie bei nicht willentlich beeinflußbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken). Bei der Klägerin liegt eine solche Ausnahmeindikation nicht vor. Bei ihr ist die Behandlung aufgrund einer genetisch entstandenen Atrophie und damit nicht infolge einer durch eine Operation entstandenen Osteopathie erfolgt. Wollte man auch solche Indikationen unter die Ausnahmebestimmung des § 28 Abs. 2 Satz 8 SGB V subsummieren, würde die Implantatversorgung zur Regelleistung, weil zum einen sowohl alle genetisch entstandenen als auch traumatischen Veränderungen die Behandlungsindikation zuließen und zum anderen nur notwendige, zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungen von der GKV zu erbringen sind (§ 12 Abs. 1 SGB V), so daß ohne eine der beiden genannten Indikationen eine Behandlung zu Lasten der GKV ohnehin nicht in Betracht käme. Auch die Bundesregierung sieht die Fälle schwerster Kieferatrophien nicht als Ausnahmeindikation i.S. des § 28 Abs. 2 Satz 8 SGB V an, berät allerdings die Aufnahme einer zukünftigen Zuschußmöglichkeit für die Krankenkassen bei derartigen Sachverhalten (BT-Drucks. 14/1648).

Der Senat kann es dahinstehen lassen, ob Fälle, in denen aufgrund entsprechender genetischer Defekte (Atrophien) ausschließlich eine Versorgung mit Implantaten in Betracht kommt, eine Ausnahmeindikation i.S. des § 28 Abs. 2 S. 8 SGB V in Betracht zu ziehen ist (vgl. dazu auch BSG SozR 3-2500 § 28 Nr. 3; BSG Urt. 09.12.1997 - 1 RK 10/97 -). Bei der Klägerin ist die Versorgung mit herausnehmbarem Zahnersatz nach der Überzeugung des Senats durchaus möglich, wie ihre frühere Behandlung zeigt. Auch ihr behandelnder Arzt hat eine solche Versorgung nicht als ausgeschlossen bescheinigt, sondern vielmehr auf die Vorteile der implantologischen Behandlung verwiesen. Die Versicherte hat aber keinen Anspruch auf die optimale Versorgung oder ein Wahlrecht zwischen vertraglichen und nichtvertraglichen Leistungen. Schließlich steht ihr auch nicht der Einwand zu, die nichtvertragliche Leistung sei kostengünstiger als die vertragliche.

Die Berufung mußte daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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