L 16 KR 222/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 146/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 222/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 9/01 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. Juli 1999 geändert. Die dem Beigeladenen zu 1) von der Beklagten am 08.07.1997 erteilte Mitgliedsbescheinigung wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beigeladene zu 1) auf seine Wahl ab 01.01.1998 nicht Mitglied der Beklagten geworden ist. Die Beklagte hat die dem Beigeladenen zu 1) in beiden Rechtszügen entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Auslegung des § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und abhängig davon die Beantwortung der Frage, ob die beklagte Innungskrankenkasse (IKK) den Beigeladenen zu 1) ab 01.01.1998 als Mitglied aufnehmen durfte.

Der Beigeladene zu 1) war von Oktober 1984 bis Juli 1990 Mitglied der AOK Exxxxxxxx. Am 14.07.1990 wurde er von der Beklagten als freiwilliges Mitglied aufgenommen. Er war zum damaligen Zeitpunkt als Gastwirt selbständig tätig und Mitglied im Hotel- und Gaststättenverband. Seit dem 01.12.1994 war er aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses mit der Beigeladenen zu 2), bei der Klägerin - AOK Rheinland - krankenversichert. Zum 01.01.1998 erklärte er seine Mitgliedschaft zur Beklagten und teilte dies der Klägerin mit Schreiben vom 04.07.1997 mit.

Mit der am 24.09.1997 erhobenen Feststellungsklage hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte habe den Beigeladenen zu 1) zum 01.01.1998 nicht als Mitglied aufnehmen dürfen. Die Satzung der Beklagten enthalte keine Öffnungsklausel, wonach Versicherungspflichtige, die nicht in einem Innungsbetrieb beschäftigt seien, die Innungskrankenkasse frei wählen könnten. Eine Wahl gemäss § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB V sei daher nicht möglich. Soweit sich Betriebs- und Innungskrankenkassen in ihrer Satzung nicht für Betriebsfremde geöffnet hätten, könnten sie nur von den Beschäftigten des Betriebes, für den die Betriebs- oder Innungskrankenkasse bestehe, gewählt werden. Nach der derzeitigen Gesetzeslage bestehe noch kein allgemeines freies Wahlrecht in der Krankenversicherung. Ein Wahlrecht des Beigeladenen ergebe sich auch nicht aus § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V, wonach Versicherungspflichtige die Krankenkasse, bei der vor Beginn der Versicherungspflicht oder Versicherungsberechtigung zuletzt eine Mitgliedschaft oder eine Versicherung nach § 10 SGB V bestanden habe, wählen könnten. Dieses Wahlrecht sei an die Vorgängervorschrift des § 185 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB V a.F. angelehnt. Es diene nur der Gewährleistung des Fortbestandes eines Versicherungsverhältnisses, das möglicherweise aufgrund eines Arbeitgeberwechsel beendet werden müßte. Andernfalls würde durch die Hintertür ein Wahlrecht für betriebsfremde Personen in einem so umfassenden Maße eingeführt, dass die Einteilung des Gesetzgebers in offene und geschlossene Krankenkassenträger konterkariert würde. Nach § 173 Abs. 2 Nr. 5 SGB V sei jede Krankenkasse wählbar, bei der vor Beginn der Versicherungspflicht eine Mitgliedschaft oder eine Familienversicherung (§ 10 SGB V) bestanden habe. Das Gesetz eröffne somit die Möglichkeit einer "Anschlussversicherung", also die Wahl einer sogenannten "geschlossenen" Krankenkasse, ohne dass deren satzungsmäßige Voraussetzungen vorliegen, nur im unmittelbarem Anschluss an eine bisher bestehende Versicherung.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte den Beigeladenen nicht als Mitglied aufnehmen durfte.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Beigeladene habe sich zum 01.01.1998 bei der Beklagten krankenversichern dürfen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V seien vorliegend erfüllt. Nach dessen Wortsinn könne mit der Krankenkasse, bei der "zuletzt" eine Mitgliedschaft bestanden habe, nur die zeitlich letzte frühere Krankenkasse vor der Gegenwärtigen gemeint sein. Vor Beginn der Versicherungspflicht oder Versicherungsberechtigung (hier dem 01.12.1994, dem Beginn der AOK-Mitglied schaft) habe eine Mitgliedschaft des Beigeladenen bei der Beklagten bestanden. Hinsichtlich der Vorgängervorschrift des § 185 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB V a.F. sei darauf hinzuweisen, dass der Wortlaut geändert worden sei. Bis zum 01.01.1996 sei in der Vorgängerfassung nämlich darauf abgestellt worden, dass "unmittelbar" vor Beginn der freiwilligen Versicherung eine Versicherung nach § 10 bestanden habe. In § 173 Abs. 2 Nr. 5 SGB V werde demgegen über der Begriff "zuletzt" verwendet. Als bloße Folgevorschrift in dem von der Klägerin verstandenen Sinne wäre § 173 Abs. 2 Nr. 5 SGB V auch überflüssig. Denn die zur Wahl einer Krankenkasse berechtigenden Voraussetzungen müßten zum Zeitpunkt der Wahlausübung vorliegen, der spätere Wegfall der für die Kassenwahl maßgebenden Voraussetzungen beende aber die Mitgliedschaft nicht. Es könne aber nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit § 173 Abs. 1 Nr. 5 SGB V etwas Überflüssiges habe regeln wollen. Schließlich treffe das Gesetz eine eindeutige Zuordnung in offene und geschlossene Krankenkassenträger. Denn neben der Regelung des § 173 Abs. 2 Nr. 5 SGB V existierte das Ehegattenwahlrecht des § 173 Abs. 2 Nr. 6 SGB V und das Wahlrecht der Rentner nach § 173 Abs. 5 SGB V. Weitere Durchbrechungen der Einteilung fänden sich in den §§ 174, 175 SGB V.

Mit Urteil vom 23.07.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewieen. Die Beklagte habe den Beigeladenen zum 01.01.1998 als Mitglied aufnehmen dürfen. Dies ergebe sich aus § 173 Abs. 2 Nr. 5 SGB V. Die Kammer hat sich dabei nicht der Auffassung der Klägerin angeschlossen, dass diese Vorschrift einengend auszulegen sei und das Wahlrecht auf den Beginn der Versicherungspflicht oder -berechtigung beschränke. Mit der Neuregelung durch diese Norm habe im Gegensatz zu der Vorgängervorschrift des § 185 Abs. 2 Nr. 3 SGB V a.F. die Wahlmöglichkeit der Versicherten erweitert werden sollen. Dass der Gesetzgeber den bislang verwendeten Begriff der Unmittelbarkeit in die neugeregelte Norm nicht wieder aufgenommen habe, spreche dafür, dass eine einengende Auslegung nicht seiner Zielsetzung entsprochen habe. Auch aus der Systematik der Vorschrift ergebe sich nicht die Notwendigkeit einer einengen den Auslegung. Zwar habe der Gesetzgeber einerseits an der Einteilung in offene und geschlossene Krankenkassenträger festgehalten. Er habe aber andererseits dieses System durch das Ehegattenwahlrecht und das Rentnerwahlrecht durchbrochen.

Gegen dieses ihr am 17.09.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.10.1999 Berufung eingelegt. Sie wiederholt, § 173 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 SGB V eröffne nur die Wahl einer Anschlußversicheung, es handele sich lediglich um ein sog. Bleiberecht. Gegen das vom Sozialgericht angenommene Rückkehrwahlrecht sprächen sowohl der Normzweck als auch der Wortlaut und die grammatikalische Auslegung der Vorschrift.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23.07.1999 zu ändern und unter Aufhebung der dem Beigeladenen zu 1) erteilten Mitgliedsbescheinigung vom 08.07.1997 festzustellen, dass der Beigeladene zu 1) auf seine Wahl nicht Mitglied der Beklagten geworden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Sie macht weiter geltend, die von der Klägerin gewollte Auslegung sei nicht überzeugend, da nach den gesetzlichen Regelungen ohnehin ein Bleibewahlrecht bestehe.

Der Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) haben keine Anträge gestellt.

Sämtliche Beteiligten haben sich auf Anfrage des Senats mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten haben neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, §§ 153, 124 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist zulässig. Die von der Klägerin erhobene Klage ist zudem als Feststellungsklage zulässig. Die begehrte Feststellung, dass der Beigeladene zu 1) auf seine Wahl nicht Mitglied der Beklagten geworden ist, fällt unter § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG und ein Feststellungsinteresse der Klägerin ist zu bejahen.

Die Berufung ist auch begründet. Die Beklagte durfte dem Beigeladenen zu 1) auf seine Wahl hin nicht ab 01.01.1998 als Mitglied aufnehmen. Der Beigeladene zu 1) konnte die Beklagte zu diesem Zeitpunkt nicht als Krankenkasse wählen. Insbesondere gibt § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V hierfür keine Rechtsgrundlage.

Der Beigeladene zu 1) war aufgrund seines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses mit der Beigeladenen zu 2) seit dem 01.12.1994 bei der Klägerin krankenversichert. Er war somit Mitglied der Klägerin, § 173 Abs. 1 SGB V. Das Gesetz eröffnete ihm zum 01.01.1998 unstreitig nicht die Wahl der beklagten Krankenkasse gemäss § 173 Abs. 2 Nr. 4 SGB V, denn die Satzung der Beklagten sieht bis zum heutigen Zeitpunkt keine Öffnung für Versicherungspflichtige vor, die nicht in einem Innungsbetrieb beschäftigt sind. Die Tatsache, dass der Beigeladene zu 1) früher einmal ab 14.07.1990 vor Beginn der derzeitigen Versicherungspflicht aufgrund der Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung ab dem 01.12.1994 (freiwilliges) Mitglied der Beklagten gewesen ist, eröffnet ihm nicht die Möglichkeit ab 01.01.1998 wieder Mitglied der Beklagten zu werden.

Nach Auffassung des Senats räumt der am 01.01.1996 in Kraft getretene § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V einem Versicherungspflichtigen lediglich ein Bleiberecht bei der bisherigen Krankenkasse ein, eröffnet aber nicht die Möglichkeit, ein ursprünglich nicht wahr genommenes Wahlrecht nach § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V im Laufe eines Versicherungsverhältnisses auszuüben (so auch Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Stand August 2000, § 173 SGB V Randziffer 19; Wasem, GKV-Kommentar, Stand November 2000, § 173 SGB V Randziffer 43 a-g; anderer Auffassung Peters in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand August 2000, § 173 SGB V Randziffer 21; anderer Ansicht auch: Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen, Urteil vom 19.12.2000, L 4 KR 15/00 = JURIS Dokument KSRE 067371517). Der Beklagten ist zuzugeben, dass der Wortlaut der Norm insofern nicht eindeutig ist, als der Gesetzgeber formuliert hat, die Krankenkasse sei wählbar, bei der vor Beginn der Versicherungspflicht oder Versicherungsberechtigung "zuletzt" eine Mitgliedschaft oder eine Versicherung nach § 10 bestanden hat. Das Sozialgericht hat damit argumentiert, der Gesetzgeber habe das Wort "unmittelbar" aus der Vorgängervorschrift des § 185 Abs. 2 Nr. 3 SGB V alte Fassung nicht in die ab 01.01.1996 geltende Neufassung des § 173 SGB V übernommen. Auch hieraus läßt sich zur Überzeugung des Senats nicht eindeutig ein Wille des Gesetzgebers zur Normierung eines Rückkehrwahlrechts herleiten. Denn in den Motiven zum Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheits-Strukturgesetz) - Drucksache 12/3608 vom 05.11.1992 S. 112 zu § 173 SGB V ist lediglich angeführt, alle Versicherungspflichtigen und -berechtigten sollten zwischen den verschiedenen wählbaren Kassen, der "letzten" Krankenkasse oder der des Ehemannes wählen können. Die zusätzlichen Wahlrechte der Absätze 3 bis 5 entsprächen weitgehend dem bisherigen Recht. Mit Blick auf die historische Entwicklung und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung kann es sich bei der nach § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V wählbaren Krankenkasse nur um die der letzten Mitgliedschaft oder Versicherung handeln, und müssen bei jeder Ausübung des Wahlrechts die Voraussetzungen hierfür im Zeitpunkt der Wahlentscheidung erfüllt sein. Würde man das bei Beginn des Versicherungsverhältnisses bestehende Wahlrecht auf Dauer latent fortbestehen lassen, bedeutete dies die vollständige Gleichbehandlung für Betriebsfremde nicht geöffneter Betriebskrankenkassen. Eine Gleichstellung in der Möglichkeit der Zuwanderung setzt aber nach der ausdrücklichen gesetzgeberischen Entscheidung in § 173 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB V voraus, dass die betreffenden Betriebskrankenkassen bzw. Innungskrankenkassen infolge einer Satzungsänderung allgemein zugängliche Kassen geworden sind. Entgegen der Auffassung der Beklagten macht die hier vertretene enge Auslegung die Vorschrift des § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V auch nicht überflüssig. Denn sie eröffnet beispielsweise die Rückkehr zur Innungskrankenkasse nach Ausübung einer Berufstätigkeit in der Seefahrt und einem sich anschließendem Monat ohne Versicherungspflicht. Im übrigen behält sie ihre Bedeutung für das Weiterbestehen einer Versicherung bei nicht allgemein geöffneten Krankenkassen. Mangels Wahlmöglichkeit der Beklagten ist die von dieser nach § 175 Abs. 2 SGB V ausgestellte Mitgliedsbescheinigung vom 08.07.1997 aufzuheben. Das Urteil des Sozialgerichts ist zu ändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat läßt die Revision gegen dieses Urteil gemäss § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zu. Denn er mißt der Entscheidung der Rechtsfrage, ob § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB V dem Versicherungspflichtigen bzw. -berechtigten nur ein Bleibe- oder auch ein Rückkehrwahlrecht einräumt, grundsätzliche Bedeutung bei; der Senat weist insoweit auf das bereits anhängige Revisionsverfahren B 12 KR 3/01 R - BSG - in der vom LSG Niedersachsen, a.a.O., entschiedenen Streitsache hin.
Rechtskraft
Aus
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