L 16 KR 152/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 44 KR 284/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 152/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22. August 2000 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die rückwirkende Einstufung des Klägers ab Beginn seiner selbständigen Tätigkeit am 01.01.1995 in eine Beitragsklasse mit Anspruch auf Krankengeld und eine Beitragsnachzahlung für den Zeitraum vom 01.01.1995 bis 31.03.1999 in Höhe von insgesamt DM 5.788,50.

Der 1948 geborene Kläger ist seit Mai 1986 Mitglied der Beklagten. In einer Änderungsmeldung (vom 29.12.1994) gab er an, er sei seit dem 01.01.1995 als Firmeninhaber selbständig tätig. Es handelte sich um eine Tätigkeit als geschäftsführender Gesellschafter der Stahlhandel ... GmbH & CoKG. In dem Vordruck ist ferner angekreuzt/ausgefüllt: "Ich beantrage die Versicherung in der Beitragsklasse 601 und erkläre, dass mir im Falle einer Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitseinkommen entgeht. Mir ist bekannt, dass ich keinen Anspruch auf Krankengeld habe." Die Mitgliedschaft des Klägers wurde daraufhin in der Zeit vom 01.01.1995 bis 31.03.1999 in Beitragsklassen ohne Krankengeldanspruch geführt (vom 01.04.1995 bis 31.07.1996 in der Beitragsklasse 935, ab 01.01.1998 in der Beitragsklasse 605).

Mit Telefax vom 10.03.1999 beantragte der Kläger für die Zeit ab 01.04.1999 die Einstufung in eine Beitragsklasse mit Krankengeldanspruch. Als Begründung ist angegeben: "Bei Abschluss der KV wurde nicht über die Möglichkeit eines Krankengeld-Anspruches nachgedacht. Betriebliche bzw. private Änderungen der Verhältnisse liegen nicht vor." Die Beklagte fragte bei dem Kläger daraufhin schriftlich an, aufgrund welcher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ihm nunmehr, entgegen seiner Erklärung aus Dezember 1994, im Falle der Arbeitsunfähigkeit Arbeitseinkommen entgehe. Der Kläger habe der Geschäftsstelle der Beklagten H ...- H ... offenbar mündlich mitgeteilt, eine Änderung der Verhältnisse sei insofern eingetreten, als er am 13.04.1999 einen Insolvenzantrag gestellt habe (Schreiben der Beklagten vom 06.05.1999). Wegen der Antwort des Klägers wird auf sein Schreiben vom 11.05.1999 verwiesen. Mit Schreiben vom 18.05.1999 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er hätte bei der erforderlichen sorgfältigen Prüfung der tatsächlichen Gegebenheiten bereits zu Beginn seiner selbständigen Tätigkeit erkennen können und müssen, dass ihm im Falle der Arbeitsunfähigkeit Arbeitseinkommen entgehen würde. Da er dessen ungeachtet eine unzutreffende Erklärung abgegeben habe, habe er grob fahrlässig gehandelt. Die Beklagte beabsichtige, ihn rückwirkend in einer Beitragsklasse mit Anspruch auf Krankengeld zu versichern. Hierauf teilte der Kläger über seinen Bevollmächtigten mit, die Beklagte versuche, durch die Einforderung rückständiger Beiträge die von ihr gewährte Zusage über die Einstufung in eine Beitragsklasse mit Krankengeld zu umgehen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.08.1999 versicherte die Beklagte den Kläger rückwirkend ab Beginn der selbständigen Tätigkeit am 01.01.1995 in einer Beitragsklasse mit Anspruch auf Krankengeld. Mit weiterem Bescheid vom 12.08.1999 forderte sie eine Beitragsnachzahlung von insgesamt DM 5.788,50 für den Zeitraum vom 01.01.1995 bis 31.03.1999. Mit seinem hiergegen am 30.08.1999 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit wirksam erklärt, dass ihm kein Arbeitseinkommen entgehe. Diese Erklärung habe er nicht widerrufen. In seinem Schreiben vom 11.05.1999 habe er in chronologischer Abfolge die Unternehmensentwicklung bis 11.05.1999 geschildert. Es werde insbesondere ausgeführt, inwieweit eine Reduzierung des Verkaufspersonals eine zunehmende persönliche Mitarbeit des geschäftsführenden Gesellschafters in der Verkaufsabteilung des Unternehmens bedingt habe. Anfang 1999 sei der Kläger für ca. drei Wochen krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, zur Umsatzsteigerung des Unternehmens mitzuwirken, was zu Einbußen geführt habe. Bei Übernahme des Unternehmens seien im Betrieb insgesamt 36 Mitarbeiter, 16 davon im Vertrieb, tätig gewesen. Erst durch spätere Einsparungen seien sukzessive Stellen im Vertrieb abgebaut worden. Anfang 1999 sei der maßgeblich zur Umsatzerzielung beitragende Prokurist aus dem Unternehmen ausgeschieden. Der Kläger habe sich deshalb gezwungen gesehen, nunmehr überwiegend verkäuferisch tätig zu werden. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 zurück. Es ist u.a. ausgeführt, die nach § 22 Abs. 3 der Satzung in der bis zum 31.12.1997 geltenden Fassung geforderte Erklärung, dass dem Mitglied im Falle der Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitseinkommen entgehe, diene ersichtlich dazu, eine den tatsächlich vorliegen den Verhältnissen entsprechende Einstufung vorzunehmen. Es sollte den Selbständigen keineswegs freigestellt werden, ob sie sich mit oder ohne Krankengeldanspruch versichern, indem sie falsche Erklärungen abgeben. Wenn es in das Belieben des Versicherten gestellt werden sollte, ob die Einstufung mit oder ohne Krankengeldanspruch erfolge, wäre das Erfordernis der Erklärung unsinnig. Hätte der Satzungsgeber dies beabsichtigt, hätte er es bei der bis zum 31.12.1988 gültigen Fassung belassen. Aus der Neufassung der Satzung zum 01.01.1999 werde somit deutlich, dass eine "freie Wahl" nicht möglich sein sollte. Die Erklärung des Klägers vom 29.12.1994 sei offensichtlich unzutreffend. Die Voraussetzungen des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) für eine Rücknahme der Einstufungsbescheide seien erfüllt.

Hiergegen hat der Kläger am 09.11.1999 Klage erhoben und vorgebracht, freiwillige Mitglieder hätten nach der aktuellen Satzung wählen können, ob sie eine Versicherung mit oder ohne Krankengeldanspruch abschließen wollten. Dies sei aus der bis zum 31.12.1988 gültigen Regelung ohne weiteres ersichtlich. Die Neufassung der Satzung zum 01.01.1989 folge diesem Grundgedanken und lasse nicht erkennen, dass tatsächlich kein Einkommensverlust im Falle von Arbeitsunfähigkeit vorliegen dürfe. Der freiwillig Versicherte trage zulässigerweise das Risiko des Ausgleichs eines Einkommensverlustes selbst.

Der Kläger hat beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 02.08.1999 und vom 12.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.1999 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.

Mit Urteil vom 22.08.2000 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Eine Auslegung der Satzungsregelung des § 22 Abs. 3 ergebe nach Auffassung der Kammer, dass für die Einstufung eines hauptberuflich Selbständigen in eine Beitragsklasse ohne Anspruch auf Krankengeld die Abgabe der in der Satzung geforderten Erklärung ausreichend sei. Darüber hinaus habe sich die Kammer auch nicht der Auffassung der Beklagten anzuschließen vermocht, der Kläger habe bereits im Jahre 1994 eine falsche Erklärung abgegeben. Der Kläger habe mit der Schilderung der Unternehmensentwicklung den Hintergrund für seine Erklärungen aus dem Jahre 1994 bzw. 1999 deutlich gemacht. Die in diesem Zusammenhang gemachten Angaben seien nachvollziehbar. Ob sich die Tatsachen zu einem Zeitpunkt nach 1994 geändert hätten, könne dahinstehen. Jedenfalls zu dem Zeitpunkt, als der Kläger die Erklärung abgegeben habe, habe sie offenbar mit den Tatsachen übereingestimmt.

Gegen dieses ihr am 15.09.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 05.10.2000 Berufung eingelegt. Die Auffassung des Sozialgerichts, für die Einstufung in eine krankengeldlose Beitragsklasse reiche alleine die Erklärung aus, vermöge nicht zu überzeugen. Offensichtlich habe mit der Satzungsänderung Manipulationen vorgebeugt werden sollen, nämlich der Umstufung in eine Klasse mit Anspruch auf Krankengeld bei absehbarer Arbeitsunfähigkeit. Wenn eine Erklärung über einen bestimmten Tatbestand gefordert werde, verstehe es sich von selbst, dass der Empfänger erwarte, dass diese Erklärung wahrheitsgemäß sei. Unabhängig davon gehe das Sozialgericht bei seiner Entscheidung davon aus, dass die zunächst abgegebene Erklärung nicht unrichtig gewesen sei. Die Erklärungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung erschienen demgegenüber jedoch nicht schlüssig. Auffällig sei vielmehr, dass die Berichtigung der damaligen Erklärung erst geschehen sei, nachdem der wirtschaftliche Zusammenbruch der Firma und die längerfristige Arbeitsunfähigkeit absehbar gewesen seien. Nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung leide er seit Jahren an der chronischen Erkrankung Morbus Bechterew. Nach Kenntnis der Beklagten seien Ursache der Arbeitsunfähigkeit ab 09.04.1999 Depressionen, die auf der vorgenannten Krankheit beruhten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.08.2000 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Verwaltungsakte der Beklagten hat neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Bescheide der Beklagten vom 02.08. und 12.08.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.10.1999 aufgehoben. Denn einer rückwirkenden Einstufung des Klägers ab dem Beginn seiner selbständigen Tätigkeit am 01.01.1995 in eine Beitragsklasse mit Anspruch auf Krankengeld und der daraus resultierenden Beitragsnachforderung stehen die früheren bestandskräftigen Einstufungsbescheide entgegen. Auch die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes kann nur aufgrund einer dies rechtfertigenden gesetzlichen Vorschrift erfolgen.

Auch zur Überzeugung des Senats sind die Voraussetzungen des von der Beklagten angeführten § 45 SGB X für eine Rücknahme für die Vergangenheit nicht erfüllt. Der Senat lässt es in diesem Zusammenhang dahingestellt, ob die Führung der Mitgliedschaft des Klägers in einer Beitragsklasse ohne Krankengeldanspruch gegenüber der von der Beklagten für richtig erachteten Beitragsklasse mit Krankengeldanspruch einen rechtlich erheblichen Vorteil i.S.d. Legaldefinition des begünstigenden Verwaltungsaktes in § 45 Abs. 1 SGB X darstellt, da der niedrigeren Beitragszahlung die fehlende Absicherung des Arbeitsunfähigkeitsrisikos gegenübersteht. Nach Auffassung des Senats sind jedoch schon die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 SGB V für eine Rücknahme der Einstufungsentscheidung für die Vergangenheit nicht erfüllt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger selbst schuldhaft eine wesentliche Ursache für seine Einstufung in eine Beitragsklasse ohne Krankengeldanspruch gesetzt hat, mit der Rechtsfolge, dass er nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB XI keinen Vertrauensschutz beanspruchen kann. Die Situation des Klägers und die Firmengeschichte zum Zeitpunkt des Erlasses der betreffenden früheren Einstufungsbescheide geben keinen Anhalt dafür, dass der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 2 SGB V) oder er bei Zustellung der betreffenden Einstufungsbescheide deren Rechtswidrigkeit kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 3 SGB V). In diesem Zusammenhang darf nicht außer Betracht bleiben, dass es sich bei den Angaben des Klägers in der von ihm am 29.12.1994 unterzeichneten Änderungsmitteilung um eine Prognose seiner zukünftigen Einkommensverhältnisse als Firmeninhaber gehandelt hat. Wenn der Kläger erklärt hat, dass ihm im Falle einer Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitseinkommen entgehen werde, stellt dies schon wegen seiner Stellung als Kommanditist und der daraus resultierenden Einkünfte keine Verletzung der in dieser Personengruppe herrschenden Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße dar. Dies belegt anschaulich die im August 1996 abgegebene Einkommenserklärung, die laut vorläufigem Jahresabschluß für 1995 ein Jahreseinkommen als Kommanditist von DM 95285,00 ausweist. Allein schon aus dem vorgenannten Grund musste dem Kläger bei Erhalt der Einstufungsbescheide in eine Beitragsklasse ohne Krankengeldanspruch nicht einleuchten oder auffallen, dass diese fehlerhaft gewesen wären. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger im Rückblick die Erkenntnis gewonnen hat, dass das Firmenergebnis durch seinen krankheitsbedingten Ausfall negativ beeinflusst wurde und er deshalb fälschlicherweise bei der Änderungsmitteilung von Dezember 1994 davon ausgegangen wäre, dass ihm im Falle einer Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitseinkommen entgehen werde. Der Kläger hat hierzu glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass erst krankheitsbedingte Ausfälle in den Jahren von 1996 bis 1998 das Betriebsergebnis und somit seine Einkünfte beeinflusst hätten.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind zudem deshalb rechtswidrig, da sie die Gesichtspunkte nicht erkennen lassen, von denen die Behörde bei Ausübung des nach § 45 Abs. 1 SGB X ihr abverlangten Ermessens ("darf") ausgegangen ist. Auch die Ausführungen im Widerspruchsbescheid belegen, dass die Beklagte eine Ermessensausübung gänzlich unterlassen hat. Eine Schrumpfung des Ermessens auf Null ist vorliegend nicht gegeben, denn es liegen nach vorliegen den Ausführungen keine Umstände vor, die eine anderweitige Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei zuließen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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