L 16 B 66/02 KR ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 11 KR 79/02 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 B 66/02 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 21. Juni 2002 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Streitwert wird auf 4.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Im Oktober 2001 machte die Antragstellerin, eine Betriebskrankenkasse (BKK), die Versicherten in ihrer Mitgliederzeitschrift auf die Möglichkeit aufmerksam, Arzneimittel auf telefonische Bestellung oder auf Bestellung mittels Internet von einer niederländischen (Versandhandels-) Apotheke beziehen zu können. Die Antragstellerin hatte am 8.10.2001 mit der niederländischen Apotheke ... eine Vereinbarung über den Verfahrensgang getroffen. Nach Schriftwechsel der Beteiligten entschied die Antragsgegnerin (als Aufsichtsbehörde des Bundes) mit Aufsichtsanordnung vom 8.5.2002, die Antragstellerin werde verpflichtet, I. es zu unterlassen, ihre Versicherten auf die Möglichkeit des Bezugs von apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hinzuweisen, die im Wege des Versandhandels durch fernmündliche, schriftliche oder Bestellung im Internet erworben würden,

II. ihren Versicherten Kosten für apothekenpflichtige Arzneimittel, die über einen Versandhandel erworben seien, weder ganz noch teilweise zu erstatten oder im Wege der Direktabrechnung zu tragen

und

III. die "Verfahrensregelung ..." vom 8.10.2001 unverzüglich zu kündigen.

Zugleich ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung des Bescheides an.

Die Antragstellerin beantragte am 21.5.2002 beim Sozialgericht (SG) Münster, die aufschiebende Wirkung ihrer zugleich am 21.5.2002 erhobenen Klage zur Hauptsache herzustellen. Das SG lehnte den Antrag mit Beschluss vom 21.6.2002 ab. Zur Begründung führte es aus, es habe von der Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung der Klage (hier: § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) anzuordnen, keinen Gebrauch gemacht, weil die Erfolgsaussichten der Klage gering seien; der beanstandete Beschaffungsweg verstoße gegen die Bestimmung des § 43 Abs 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG), nach der Arzneimittel berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbrauch nur in Apotheken und nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht werden dürften; dem gegenüber könne sich die Antragstellerin auch nicht auf die Regelung in § 73 Abs 2 Nr 6 a AMG berufen, dass Arzneimittel ausnahmsweise dann nach Deutschland verbracht werden dürften, wenn diese im Herkunftsland in Verkehr gebracht werden dürften und ohne gewerbs- oder berufsmäßige Vermittlung in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge aus einem Mitgliedsstaat der EU bezogen würden; diese Sicht der Dinge verstoße auch nicht gegen Art 30 des EWG-Vertrages (EGV - freier Warenverkehr); demgegenüber könne sich die Antragstellerin auch nicht mit Erfolg auf den Vorlagebeschluss des Landgerichts (LG) Frankfurt vom 10.8.2001 zum Aktenzeichen 3/11 O 64/01 berufen (mit dem das LG dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Rechtsstreit des Deutschen Apothekenverbandes./ ... Fragen zur Vereinbarkeit des internetgestützten grenzüberschreitenden Bezugs von Arzneimitteln mit Art 28 und 30 EGV vorgelegt hatte).

Gegen den ihr am 03.07.2002 zugestellten Beschluss des SG hat die Antragstellerin am 19.7.2002 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 21.06.2002 zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 21.05.2002 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 08.05.2002 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht begründet.

Auch zur Überzeugung des Senats sind die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht erfüllt.

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 08.05.2002 durch die Antragsgegnerin ist nach Auffassung des Senats nicht aus formellen Gründen rechtswidrig (ebenso Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.11.2002 - L 1 A 2881/02 ER-B -; anderer Auffassung jedenfalls bezüglich der dort angefochtenen Bescheide Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 30.09.2002 - L 4 KR 122/02 ER - sowie Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 05.11.2002 - L 4 B 326/02 KR ER ). Zwar muss die Behörde bei ihrer Entscheidung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die Interessen abwägen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten (zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen s. Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 7. Aufl. 2002, § 86a Rdz. 18 m.w.N.). Die von der Antragsgegnerin dargelegten Ermessenserwägungen sind jedoch im Hinblick auf das generelle und uneingeschränkte Versandhandelsverbot für apothekenpflichtige Arzneimittel des § 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) als ausreichend zu bewerten. Insbesondere belegen die Ausführungen der Antragsgegnerin eine Ermessensentscheidung unter Abwägung des öffentlichen Interesses (Gefährdung der allgemeinen Rechtsgüter Arzneimittelsicherheit und Volksgesundheit) gegenüber dem Interesse der Krankenkasse an Kosteneinsparungen. Die Antragsgegnerin hat auch die Anordnung des sofortigen Vollzugs hinreichend begründet. Insbesondere hat die Antragsgegnerin im Rahmen der ihr obliegenden Ermessensausübung eingehend begründet, dass nicht nur eine allgemeine Gefährdung, sondern eine erhebliche Gefährdung hoher Rechtsgüter vorliege. Darüber hinaus ist der Antragsgegnerin darin zu folgen, dass ohne eine sofortige Anordnung der Vollziehung erhebliche Wettbewerbsverzerrungen eintreten können, deren Auswirkungen später nicht oder nur unzureichend ausgeglichen werden können. Dabei mag offen bleiben, ob das Ermessen der Antragsgegnerin angesichts des eindeutigen bundesgesetzlichen Versandhandelsverbotes nicht schon auf Null geschrumpft war.

2. Nach Auffassung des Senats ist die in Ausübung des auch ihm eingeräumten Ermessens und aufgrund einer Interessenabwägung ergangene Entscheidung des Sozialgerichts, die aufschiebende Wirkung nicht anzuordnen, nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Insbesondere hat das erstinstanzliche Gericht zutreffend entschieden, dass die Entscheidung der Frage, ob das nationale Versandhandelsverbot für apothekenpflichtige Arzneimittel gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht verstößt, im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Eilentscheidung nicht Gegenstand der Prüfung sein kann (ständige Rechtsprechung für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm oder Gesetzmäßigkeit einer untergesetzlichen Norm, vgl. Zeihe, SGG Kommentar, 8. Aufl. 2002, § 86b Rdz. 23d). Dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Frage der Vereinbarkeit des deutschen Versandhandelsverbots für apothekenpflichtige Arzneimittel mit dem Gemeinschaftsrecht aussteht, rechtfertigt keine Aussetzung der Vollziehung. Nach Auffassung des erkennenden Senats wie auch des 1. Senats des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in der zitierten Entscheidung sind die Bestimmungen der §§ 43 Abs. 1 und 73 Abs. 1 Nr. 1 sowie Abs. 2 Nr. 6a AMG unverändert gültig und anzuwenden. Dass der Gesetzgeber laut Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums vom 10.12.2002 den Versandhandel mit Arzneimitteln liberalisieren will und demzufolge sowohl das Versandhandelsverbot des § 43 Abs. 1 AMG als auch das Verbringungsverbot des § 73 Abs. 1 Nr. 1 AMG modifizieren wird, ändert hieran ebensowenig. Der zeit jedenfalls gibt es keinerlei Regelungen zur Kontrolle und Überwachung des Versandhandels mit Arzneimitteln. Auch aus diesem Grunde scheidet die von der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung geforderte europakonforme Auslegung der §§ 69 und 129 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) aus. Denn den Gerichten ist es verwehrt, die hier anstehenden gesetzgeberischen Grundentscheidungen zu ersetzen.

Nach allem überwiegt das geltend gemachte Aufschubinteresse der Antragstellerin nicht das allgemeine Vollzugsinteresse.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten und die Gerichtskosten beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert beträgt 4.000,-- Euro; die Entscheidung ergeht nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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