L 6 V 240/95

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 V 179/94
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 V 240/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15. September 1995 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Witwenbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Die im Juli 1918 geborene Klägerin ist die Witwe des im März 1916 geborenen und im März 1993 verstorbenen F. R. (im folgenden: Beschädigter).

Der Beschädigte besuchte von 1926 bis 1935 das Städtische Realgymnasium in W.-E. und studierte nach Erlangung des Reifezeugnisses Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität zu K. Im September 1939 schloß er das rechtswissenschaftliche Studium mit dem Referendarexamen ab und trat anschließend als Soldat in den Dienst der ehemaligen Deutschen Wehrmacht.

Während des Krieges fanden mehrere Lazarettbehandlungen u.a. wegen eines Herzleidens statt. Im Dezember 1944 erlitt der Beschädigte in Ausübung seines Wehrdienstes einen Autounfall, bei dem er Verletzungen im Kopfbereich erlitt.

Nach dem Kriege begann er etwa 1946 seine Referendarausbildung, die er im August 1949 mit dem Assessorexamen abschloß. Anschließend war er zunächst als Anwaltsassessor und von September 1950 bis Ende Dezember 1967 als selbständiger Rechtsanwalt in W. tätig. Im Januar 1968 siedelte er zusammen mit der Klägerin nach C. in Irland über. Dort errichteten und betrieben die Eheleute über mehr als 18 Jahre ein selbständiges Kunstgewerbe. Im September 1986 kehrten sie nach Deutschland zurück.

Auf seinen Antrag vom April 1987, mit dem er die Anerkennung eines Herzmuskelschadens, einer Gehörschädigung und eines Folgezustandes nach Netzhautablösung in beiden Augen als Schädigungsfolgen begehrte, erkannte der Beklagte zunächst lediglich geringgradige Innenohrschwerhörigkeit bei Zustand nach Schädelbasisbruch mit Gehirnquetschung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von weniger als 25 v.H. als Folge des 1944 erlittenen Autounfalles an; die übrigen beim Beschädigten festgestellten Gesundheitsstörungen seien keine Schädigungsfolgen (Bescheid vom 06. Dezember 1988; Widerspruchsbescheid vom 03. April 1989).

Während des anschließenden Klageverfahrens trug der Beklagte dem Ergebnis der dortigen Beweisaufnahme Rechnung und erkannte rückwirkend ab April 1987 als Schädigungsfolge hochgradige bis an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beiderseits bei Zustand nach Schädelbasisbruch mit Gehirnquetschung mit einem Grad der MdE um 50 v.H. an; die weiteren Gesundheitsstörungen seien indes schicksalhaft entstanden; es liege auch keine besondere berufliche Betroffenheit vor, weil der Beschädigten in den Berufen als Rechtsanwalt und selbständiger Kaufmann nicht wesentlich höher erwerbsgemindert als im allgemeinen Erwerbsleben sei (Bescheid vom 30. September 1993).

Nach dem Tode des Beschädigten trat die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin in das Klageverfahren ein und beantragte vorrangig die Gewährung von Hinterbliebenenversorgung.

Der Beklagte lehnte die Gewährung einer Witwenbeihilfe ab: Mit Bescheid vom 30. September 1991 sei bereits festgestellt, daß der Beschädigte nicht besonders betroffen gewesen sei; darüber hinaus sei nicht ersichtlich, daß die Witwenversorgung schädigungsbedingt gemindert sei. Tatsächlich habe der Beschädigte die Ausbildung nach der Schädigung abgeschlossen und sei ca. 18 Jahre als Rechtsanwalt tätig gewesen. Der Umzug nach Irland sei auf höchstpersönliche Motive zurückzuführen (Bescheid vom 21. Januar 1994; Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 1994).

Mit ihrer Klage vom 11. November 1994 hat die Klägerin weiter Witwenbeihilfe begehrt. Nachdem das Sozialgericht (SG) beide Klageverfahren verbunden hatte, hat sie sich auf diesen Anspruch beschränkt und den Rechtsstreit im übrigen für erledigt erklärt.

Zur Begründung hat sie angeführt, der Beschädigte sei in seiner Tätigkeit als Anwalt durch das bereits anerkannte Schädigungsleiden erheblich beeinträchtigt gewesen. Er habe nicht richtig verstehen können, so daß sie bei Mandantengesprächen habe vermitteln müssen. Langwierige Strafverfahren habe er wegen der damit verbundenen Belastungen nicht mehr durchführen können, sondern sich auf Zivilrechtsstreitigkeiten spezialisiert. Wegen der Auswirkungen des Augen- und Ohrenleidens sei er schließlich außerstande gewesen, den Beruf als Rechtsanwalt weiter auszuüben, so daß er nach einer anderen Tätigkeit habe suchen müssen. Als sich eine entsprechende Gelegenheit ergeben habe, habe er sich als Kaufmann in Irland selbständig gemacht.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21. Januar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1994 zu verurteilen, ihr Witwenbeihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das SG hat die Klage abgewiesen, weil der Beschädigte den angestrebten Beruf als Rechtsanwalt 18 Jahre lang ausgeübt habe und die Übersiedlung nach Irland aus höchstpersönlichen Motiven er folgt sei. Aus diesen Gründen sei nicht ersichtlich, daß die anerkannten Schädigungsfolgen den beruflichen Werdegang maßgeblich beeinflußt hätten (Urteil vom 15. September 1995, den Klägerbevollmächtigten zugestellt am 04. Dezember 1995).

Mit ihrer Berufung vom 21. Dezember 1995 hat die Klägerin ihr Be gehren weiterverfolgt:

Ihr Ehemann sei in seinen Möglichkeiten gegenüber einem Rechtsanwalt ohne Beschädigung sehr benachteiligt gewesen; er habe keine entsprechenden Verdienstmöglichkeiten gehabt, so daß er das Vergleichseinkommen anderer Rechtsanwälte nicht erreicht habe. Die Übersiedlung nach Irland sei erfolgt, weil er wegen seiner Beschädigung den Anwaltsberuf auf Dauer nicht mehr habe rentabel ausüben können. Ohne die Schädigung ihres Ehemannes hätte die Klägerin daher eine erheblich höhere Witwenversorgung erhalten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 15.09.1995 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21.01.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.1994 zu verurteilen, ihr ab April 1993 Witwenbeihilfe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin sei den Beweis dafür schuldig geblieben, daß die anerkannten Schädigungsfolgen einen beruflichen Erfolg wesentlich verhindert hätten; insbesondere sei nicht erwiesen, daß die Schädigungsfolgen wesentliche Ursache für die Übersiedlung nach Irland gewesen seien.

Wegen der Darstellung der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere wegen der Aussagen der vom Senat ge hörten Zeugen E ... V ... und G ... P ..., wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (B-Akten: Grdl.-Nr ...; W-Akten: Grdl.-Nr ...) Bezug genommen; sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch die Bescheide vom 21. Januar und 21. Oktober 1994 nicht beschwert, weil diese Bescheide nicht rechtswidrig sind, § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Denn das SG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, daß ein Anspruch auf Witwenbeihilfe nicht besteht, § 48 Abs. 1 BVG.

Da nach Aktenlage keinesfalls klar und offensichtlich auf der Hand liegt, daß die Voraussetzungen eines der Vermutungstatbestände (§ 48 Abs. 1 S. 5 und 6 BVG) gegeben sein könnten, kommt als Anspruchsgrundlage realistischerweise nur der Grundtatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 1 BVG in Betracht. Danach erhält die Witwe eines rentenberechtigten Beschädigten, der - wie der Ehemann der Klägerin - nicht an den Folgen einer Schädigung verstorben ist, Witwenbeihilfe, wenn der Beschädigte durch die Folgen der Schädigung gehindert war, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben, und dadurch die aus der Ehe hergeleitete Witwenversorgung im gesetzlich umschriebenen Umfange gemindert ist (sog. schädigungsbedingte Versorgungslücke).

Die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch lassen sich vorliegend nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen. Dabei geht der Senat entsprechend dem überzeugenden Beweisergebnis des Vorprozesses, dem auch die Beteiligten Rechnung getragen haben, davon aus, daß der Beurteilung ausschließlich die mit Bescheid vom 30. September 1993 anerkannten Schädigungsfolgen zugrundezulegen sind.

Bei der Prüfung, ob durch diese eine schädigungsbedingte Versorgungslücke im gesetzlich geforderten Umfang hervorgerufen wird, ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht von ihrer tatsächlichen Hinterbliebenenversorgung auszugehen. Denn bei Beschädigten, die - wie ihr Ehemann - selbständig tätig waren, ist die Hinterbliebenenversorgung anders als bei unselbständig Tätigen, die der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegen, einer individuellen Gestaltung zugänglich. Ob und inwieweit die individuelle Altersversorge Selbständiger indes durch Schädigungsfolgen, persönliche Entscheidungen oder sonstige Lebensumstände geprägt ist, läßt sich kaum einmal zuverlässig feststellen (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3 3642 § 8 Nr. 1 = Breithaupt 1991, 941ff = SuP 1991, 439ff). Aus diesem Grunde hat das BSG im Interesse der beweispflichtigen Betroffenen bereits entschieden, daß die schädigungsbedingte Versorgungslücke bei der Witwenbeihilfe nach den gleichen pauschalierenden und generalisierenden Grundsätzen zu bestimmen ist, die beim Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSA) (§ 30 Abs. 3 bis 5 BVG) zur Feststellung eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes heranzuziehen sind (BSG SozR 3100 § 48 Nr. 13 unter Bezugnahme auf BSG SozR 3100 § 30 Nr. 47). Damit ist der aus dem hiernach maßgeblichen Vergleichsein kommen ermittelten hypothetischen Hinterbliebenenversorgung der Klägerin, wie sie ohne die Schädigungsfolgen ihres Ehemannes vorläge, eine ebenfalls fiktiv zu ermittelnde tatsächliche Hinterbliebenenversorgung gegenüberzustellen, die sich aus dem ebenfalls pauschal zu ermittelnden Durchschnittseinkommen derjenigen Tätigkeit errechnet, die der Beschädigte trotz seiner Schädigungsfolgen noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten konnte (BSG SozR 3 § 48 Nr. 8 = Breithaupt 1996, 237ff = SuP 1995, 790 unter Bezugnahme auf BSGE 64, 283ff - SozR 3100 § 30 Nr. 76; BSG SozR 3100 § 30 Nr. 77; BSG SozR 3641 § 9 Nr. 3; vgl. auch Rundschreiben des BMA vom 15. Mai 1996 - VI 1 - 53073 in BArbBl 1996, 94).

Erste vorrangige Voraussetzung für den Anspruch auf Witwenbeihilfe ist indes wie beim Anspruch auf BSA, daß entweder der berufliche Werdegang ohne die Schädigungsfolgen wahrscheinlich anders verlaufen wäre (Nichtidentität von "Hätte-" und "Ist-Beruf") oder daß - bei Identität von "Hätte-" und "Ist-Beruf" - ein konkreter Anhaltspunkt für die Vermutung einer schädigungsbedingten Einkommenseinbuße, z.B. eine schädigungsbedingte wesentliche Einschränkung in der beruflichen Verwendungsbreite, nachweislich vorlag (BSG SozR 3 3100 § 30 Nr. 3 = Breithaupt 1991, 867ff = SuP 1991, 374; LSG NRW Breithaupt 1993, 299ff; LSG NRW Urteil v. 06.12.1994, Az.: L 6 V 47/94). Beides kann vorliegend nicht festgestellt werden.

Nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat nicht davon überzeugt, daß der berufliche Werdegang des Beschädigten ohne die Schädigungsfolgen anders als tatsächlich geschehen verlaufen wäre. Der Beschädigte hat die vor dem Kriege begonnene Ausbildung zum Volljuristen nach dem Kriege wieder aufgegriffen und zielgerichtet zu Ende geführt, er hatte offenbar sogar eine Promotion geplant. Er ist dann fast 20 Jahre lang als Rechtsanwalt tätig gewesen. Insbesondere vermag der Senat sich nicht davon zu überzeugen, daß die 1968 durch die Übersiedlung nach Irland er folgte Aufgabe des Rechtsanwaltsberufes wahrscheinlich wesentlich auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen war. Es spricht mehr dafür, daß der wahrscheinliche berufliche Werdegang ohne Schädigungsfolgen und der tatsächliche berufliche Werdegang mit Schädigungsfolgen identisch sind.

Maßgeblich für diese Einschätzung ist zunächst, daß sich das genaue Ausmaß der im Jahre 1968 vorliegenden Schädigungsfolgen retrospektiv nicht feststellen läßt. Medizinische Unterlagen aus der Zeit vor 1968, die einen zuverlässigen Rückschluß auf die damals vorliegende Beeinträchtigung des Hörvermögens zuließen, liegen nicht vor. Auch die Klägerin vermochte nicht anzugeben, wo solche Unterlagen noch beigezogen werden könnten. Der vom Beschädigten noch selbst angegebene Hals-, Nasen-, Ohrenarzt Dr. L., den er etwa 1962 wegen verstärkter Hörschwierigkeiten aufgesucht haben will, konnte nicht mehr ermittelt werden; überdies ist auch zweifelhaft, ob dort nach Ablauf sämtlicher Aufbewahrungsfristen noch Unterlagen vorlägen. Es spricht indes einiges dafür, daß das Ausmaß der Gehörbeeinträchtigung vor der Übersiedlung nach Irland noch nicht so erheblich gewesen sein kann wie nach der Rückkehr von dort. So hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung angegeben, ihr Ehemann - der selbst eine ohrenärztliche Behandlung in Irland ausdrücklich verneint hatte - habe für das eine Ohr im Jahre 1975 in Irland ein Hörgerät erhalten. Dies deutet darauf hin, daß sich das Gehörleiden in Irland verschlechtert hat. Auch der Beschädigte selbst hat bei Dr. P. (1987) und Prof. Dr. L. (1990) angegeben, es sei im Laufe der Jahre zu einer kontinuierlichen, langsamen Verschlechterung des Hörvermögens - insbesondere nach einer Netzhautablösung im Jahre 1975 - gekommen.

Es sprechen aber auch noch weitere gewichtige Gesichtspunkte dagegen, daß der Beschädigte im Jahr 1968 den Rechtsanwaltsberuf schädigungsbedingt aufgegeben hat. So hat er sich nach eigenen Angaben von Irland aus durchgehend Gedanken gemacht, ob und in welcher Form er nach der Rückkehr aus Irland seinen Rechtsanwaltsberuf wieder ausüben könne, und sich insoweit sogar mit dem W. Rechtsanwalt Dr. S. in Verbindung gesetzt. Hätte er aber im Jahre 1968 bereits wegen des Gehörleidens den Anwaltsberuf endgültig aufgegeben, wäre nicht verständlich, warum er sich später - nach einer weiteren langsamen Verschlechterung des Gehörleidens und zwischenzeitlicher Versorgung mit einem Hörgerät - gleichwohl ernsthafte Gedanken machen sollte, diesen Beruf wieder auszuüben. Hinzu kommt, daß das in Irland ausgeübte Kunstgewerbe schon lange vor der Übersiedlung nach Irland in hohem Maße den Neigungen des Beschädigten entsprochen haben dürfte. So hat die Klägerin selbst mitgeteilt, sie und ihr Ehemann hätten schon seit etwa 1960 die kunstgewerbliche Tätigkeit betrieben, wobei er sich regelmäßig - soweit möglich - auch an Arbeitstagen vormittags und in den Abendstunden dieser Tätigkeit gewidmet habe. Dann liegt es aber durchaus nahe, daß die Übersiedlung nach Irland und der damit verbundene Berufswechsel eine höchstpersönliche Entscheidung der individuellen Lebensgestaltung darstellten, zumal - wie die Klägerin selbst vorträgt - auch die wirtschaftlichen Aussichten positiv beurteilt wurden, weil für derartige Produkte in Irland noch kein Markt vorhanden gewesen sein soll.

Für den Senat stellt sich damit diese Übersiedlung als aus Sicht des Beschädigten durchaus reizvolle Einleitung eines neuen Lebensabschnitts dar, mit der er eine Tätigkeit, die ihm bereits zuvor mehr Freude als sein Rechtsanwaltsberuf bereitet hatte, nunmehr auch zum Inhalt seines Erwerbsleben machen wollte. Im Rahmen sämtlicher Überlegungen, die ihn zu dieser Entscheidung veranlaßt haben, mag eine gewisse Beeinträchtigung im Rechtsanwaltsberuf durch das damalige Ausmaß der Schädigungsfolgen eine Rolle gespielt haben, wie ja erfahrungsgemäß bei einer solchen Entscheidung alle dafür und dagegen sprechenden Gesichtspunkte sorgfältig abgewogen werden. Daß hierdurch die Entscheidung wesentlich oder gar ausschlaggebend beeinflußt worden sein könnte, vermag der Senat indes nicht zu erkennen. Daneben lagen beim Kläger ausweislich der aktenkundigen medizinischen Unterlagen aus Irland zahlreiche weitere, schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen vor, die eine weitaus eingehendere ärztliche Behandlung erforderlich machten.

Die Aussagen der gehörten Zeugen ergeben kein anderes Bild.

So hat der Sohn der Klägerin in seiner von dieser vorgelegten schriftlichen Aussage vom 03. Oktober 1996 ausgeführt, ihm sei nicht mehr erinnerlich, warum im einzelnen die Übersiedlung nach Irland erfolgt sei; sein Vater habe sich damals vermutlich aufgrund seiner zunehmender Schwerhörigkeit psychisch in einem eher depressiven Zustand befunden. Soweit er von einer Episode aus dem Jahre 1962 berichtet, sind seine Angaben weder positiv noch negativ ergiebig. Es kann sogar unterstellt werden, daß der damalige Zustand des Beschädigten auch mit Hörproblemen in Zusammenhang stand (Behandlung durch Dr. L.). Indes hat der Beschädigte hernach noch etwa sechs Jahre lang den Rechtsanwaltsberuf ausgeübt, wobei nach Angaben des Sohnes die dann erfolgte - zeitnähere - Übersiedlung nicht positiv erinnerlich mit Hörbeeinträchtigungen im Rechtsanwaltsberuf in Zusammenhang stand. Dann aber spricht nicht viel dafür, daß es sich bei dem 1962 beobachteten Zustand um einen nicht nur vorübergehenden depressiven Zustand handelte, der wesentlich auf die Schädigungsfolgen zurückgeführt werden könnte, da sich diese nach Angaben des Beschädigten nicht gebessert, sondern kontinuierlich verschlechtert haben.

Auch die Aussagen der Zeugen V. und P. sind nicht positiv ergiebig. Die Zeugin V., die sich nach so langer Zeit verständlicherweise nicht mehr so genau erinnern konnte, vermochte nur mitzuteilen, daß ihr eine gewisse Schwerhörigkeit des Beschädigten in Erinnerung geblieben ist. Zu deren genauem Ausmaß und den Auswirkungen auf seine berufliche Tätigkeit vermochte sie keine näheren, verwertbaren Angaben zu machen. Auch die Aussage des Zeugen Pattberg spricht nicht für eine wesentliche schädigungsbedingte Einschränkung der Rechtsanwaltstätigkeit. So teilte dieser mit, der Beschädigte habe ihm schon früher mitgeteilt, er wolle sein Hobby zur Grundlage seiner Existenz machen. Im übrigen habe er bis 1967 mit dem Beschädigten eine laufende Geschäftsbeziehung aufrechterhalten, während der er sich durch ihn als Rechtsanwalt immer gut vertreten fühlte und ihn sogar weiterempfohlen hat. Er sei immer mit ihm zufrieden gewesen und kenne niemanden, der nicht mit ihm zufrieden war; auch im Rahmen der Prozeßführung hätten sich aus seiner Sicht keine Beanstandungen ergeben.

Auch für den Zeitraum vor dem wohl schädigungsunabhängigen (s.o.) Berufswechsel im Jahre 1968 läßt sich ein Anhaltspunkt für die Vermutung einer schädigungsbedingten Einkommensminderung, z.B. eine schädigungsbedingte wesentliche Einschränkung in der beruflichen Verwendungsbreite, nicht feststellen, so daß auch für diesen Zeitraum eine schädigungsbedingte Einkommenseinbuße nicht festgestellt werden kann. Dafür spricht zum einen die schon genannte Aussage des Zeugen P., der als Mandant mit den Dienstes des Beschädigten bis 1967 durchgehend zufrieden war. Zu berücksichtigen ist des weiteren auch hier, daß für den maßgeblichen Zeitraum eine Hörbeeinträchtigung, die eine wesentliche Kommunikationsstörung darstellen könnte, nicht erwiesen ist. Selbst wenn eine nicht unerhebliche Hörstörung, die etwa mit einer Einzel-MdE um 30 v.H. zu bewerten gewesen wäre, vorlag, die wegen gewisser Verständnisschwierigkeiten gelegentliches Nachfragen oder genaueres Hinhören erforderlich gemacht hätte, genügte dies nach Auffassung des Senates noch nicht, eine wesentliche Einschränkung innerhalb des breiten Spektrums des Rechtsanwaltsberufes zu belegen; im übrigen hat der Beschädigte selbst dargelegt, daß zielgerichtetes Hören im wesentlichen noch uneingeschränkt möglich war und sich Beeinträchtigungen lediglich dann ergaben, wenn Halleffekte oder störende Nebengeräusche auftraten.

Bei dieser Beweislage erscheint es dem Senat allenfalls denkbar, aber keineswegs wahrscheinlich, daß der Beschädigte durch eine Hörstörung im Rechtsanwaltsberuf erheblich beeinträchtigt war. Genauso gut denkbar erscheint es, daß die Hörstörung lediglich in einem Ausmaß vorlag, das die Ausübung dieses Berufes nur unwesentlich oder gar nicht beeinträchtigte. Diese Beweisnot wirkt sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Klägerin aus. Nach diesem Grundsatz hat derjenige, der aus einer behaupteten Tatsache ein Recht herleiten will, den Nachteil der Nichterweislichkeit der behaupteten Tatsache zu tragen. Letztlich spielt für die derzeitige Beweislage eine wesentliche Rolle, daß der Beschädigte, der als Rechtsanwalt über die Gewährung von Leistungen an Kriegsopfer nach dem BVG hinreichend informiert gewesen sein dürfte, - aus welchen Gründen auch immer - niemals einen solchen Versorgungsantrag gestellt hat. Wäre dies geschehen, hätten damals bereits entsprechende zeitnahe Ermittlungen angestellt werden können. Erfahrungsgemäß werden solche Anträge dann, wenn schwere, auf Kriegseinwirkungen zurückgeführte Gesundheitsstörungen vorliegen, auch gestellt, so daß die diesbezügliche Untätigkeit des rechtskundigen Beschädigten auch als Hinweis dafür angesehen werden kann, daß eine derart schwere Beeinträchtigung bei ihm damals noch nicht vorlag. Es kann aber offenbleiben, warum der Beschädigte keinen Versorgungsantrag gestellt hat; denn allein die Tatsache, daß ein möglicher Antrag unterblieben ist, recht fertigt eine nachteilige Beweislastentscheidung (BSG SozR 3-3100 § 5 Nr. 2 = Breithaupt 1995, 715ff = MDR 1995, 938ff).

Selbst wenn man aber annähme, daß eine schädigungsbedingte Einschränkung in der beruflichen Verwendungsbreite als Rechtsanwalt in der Zeit bis 1967 vorlag, ergäbe sich kein schädigungsbedingter Einkommensverlust, der sich auf die Hinterbliebenenversorgung ausgewirkt hätte. Denn dem Beschädigten wäre es trotz der Schädigungsfolgen möglich gewesen, als Volljurist einen anderen Beruf als denjenigen des Rechtsanwaltes auszuüben, der weniger mit Publikumsverkehr (Gerichtsterminen, Mandantengesprächen) verbunden ist, wie z.B. die Tätigkeit eines Juristen in der öffentlichen Verwaltung. In einer solchen Tätigkeit hätte er wahrscheinlich auch das hier als Vergleichseinkommen zu berücksichtigende Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 15 des Bundesbesoldungsgesetzes (§ 5 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs. 3 bis 6 des Bundesversorgungsgesetzes - Berufsschadensausgleichsverordnung - BSchAV) erzielt. Selbst wenn er aber in einer solchen Tätigkeit lediglich das Endgrundgehalt der entsprechenden Besoldungsgruppe A 14 erzielt hätte, ergäbe sich bei der Gegenüberstellung der Vergleichsgrößen gemäß dem oben genannten, der Rechtsprechung des BSG Rechnung tragenden Rundschreiben des BMA vom 15. Mai 1996 kein Einkommensverlust in der hier erforderlichen Höhe von 15%.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.

Anlaß, die Revision zuzulassen, besteht nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, § 160 Abs. 2 Satz 1 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind im wesentlichen die konkreten Umstände des Einzelfalles; soweit Rechtsfragen entscheidungserheblich sind, steht die Entscheidung des Senats im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Rechtskraft
Aus
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