L 6 SB 239/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 28 SB 190/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 SB 239/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 01.09.1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).

Mit Bescheid vom 03.04.1997 war bei dem 1934 geborenen Kläger nach Beiziehung verschiedener Befundberichte und deren Auswertung (gutachtliche Stellungnahme des Dr. E ... vom 25.03.1997) wegen der Behinderungen:

"1. Herzschrittmacherimplantat, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Mitralklappenverschlussschwäche,

2. Schlafbezogene Atemstörung"

zuletzt ein GdB von 40 festgestellt worden.

Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde wegen Verfristung als unzulässig verworfen (Widerspruchsbescheid vom 03.06.1977) und die anschließende Klage - Sozialgericht Düsseldorf, Az.: S 28 Vs 254/97 - wegen der Verfristung des Widerspruchs abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 27.10.1997).

Auf den bereits im Vorprozess mit Schriftsatz vom 17.09.1997 gestellten Überprüfungsantrag hin zog der Beklagte weitere Befundberichte bei. Nach Auswertung dieser Berichte (gutachtliche Stellungnahme des Dr. R ... vom 25.02.1998) lehnte es der Beklagte mit Bescheid vom 16.03.1998 ab, den Bescheid vom 03.04.1997 nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) zurückzunehmen. Der vom Kläger hiergegen erhobene Widerspruch wurde unter Hinweis darauf, dass keine wesentliche Änderung nach § 48 SGB X eingetreten sei, mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.1998 zurückgewiesen.

Mit seiner hiergegen am 13.05.1998 erhobenen Klage hat der Kläger unter Hinweis auf neuerlich vorgelegte medizinische Unterlagen aus den Jahren 1982, 1993 und 1995 weiterhin die Auffassung vertreten, dass der festgestellte GdB von 40 seinem Gesundheitzustand nicht hinreichend Rechnung trage. Vielmehr rechtfertigten seine Behinderungen einen GdB von deutlich über 50.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16.03.1998 und des Widerspruchsbescheides vom 17.04.1998 zu verurteilen, den Bescheid vom 03.04.1997 zurückzunehmen und den Grad der Behinderung ab 27.05.1993 mit 70 zu bewerten.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat unter Vorlage einer versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. S ... vom 10.04.1999 den festgestellten GdB von 40 für zutreffend erachtet.

Das Sozialgericht hat im wesentlichen Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens des Dr. L ... vom 21.10.1998 sowie eines orthopädischen Zusatzgutachtens des Dr. B ... vom 08.02.1999. Dr. B ... hat im einzelnen beschriebene Wirbelsäulenveränderungen mit einem GdB von 20 bewertet. Dr. L ... hat einen GdB von insgesamt 50 vorgeschlagen und dabei Teil-GdB von 30 für "Zustand nach Herzschrittmacher-Implantation, behandelter Bluthochdruck, hämodynamisch geringgradige Mitralklappenverschlussschwäche", von 20 für eine "anamnestisch schlafbezogene Atemstörung" (sogenanntes Schlaf-Apnoe-Syndrom) sowie entsprechend der Beurteilung des Dr. B ... von ebenfalls 20 für die "Wirbelsäulenveränderungen" berücksichtigt.

Mit Urteil vom 01.09.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Schlaf-Apnoe-Syndrom entgegen der Einschätzung des Dr. L ... wegen der nicht erforderlichen kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung nach den Bewertungsmaßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", 1996 (AHP) allenfalls einen Einzel-GdB von 10 rechtfertige. Damit habe es keinen Einfluß auf die Bildung des Gesamt-GdB. Deshalb sei der von Dr. L ... vorgeschlagene Gesamt-GdB von 50 unzutreffend. Unter Berücksichtigung der Leitbehinderung, also des Herzleidens, und des Wirbelsäulenleidens sei ein höherer GdB als 40 nicht gerechtfertigt.

Gegen dieses ihm am 10.11.1999 zugestellte Urteil richtet sich die am 11.11.1999 eingelegte Berufung des Klägers. Gestützt auf die Beurteilung des Dr. L ... hält er nunmehr einen GdB von 50 für angemessen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 01.09.1999 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 16.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.1998 zu verurteilen, unter Rücknahme des Bescheides vom 03.04.1997 einen GdB von 50 für die Zeit ab Mai 1993 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält weiterhin einen höheren GdB als 40 für nicht gerechtfertigt.

Im Berufungsverfahren ist von Dr. L ... eine ergänzende Stellungnahme vom 03.02.2000 eingeholt worden. Der Sachverständige hat an seiner früheren Beurteilung festgehalten und im einzelnen dargelegt, dass das Schlaf-Apnoe-Syndrom einen Einzel-GdB von 20 bedinge.

Mit vom Kläger angenommenen Teilanerkenntnis hat sich der Beklagte im Termin am 23.05.2000 verpflichtet, den GdB von 40 auch rückwirkend für die Zeit ab Mai 1993 festzustellen. Dies gelte auch für die Anerkennung einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit.

Auf die Inhalte der Gerichtsakte, der beigezogenen Vorprozessakte Sozialgericht Düsseldorf Az.: S 28 VS 254/97 sowie der Verwaltungsakte des Beklagten wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide, in denen der GdB sowohl unter dem Gesichtspunkt des § 44 SGB X als auch des § 48 SGB X geprüft worden ist, sind nicht zu beanstanden.

Denn es lässt sich weder feststellen, dass der mit Bescheid vom 03.04.1997 festgestellte GdB von 40 im Sinne des § 44 im Sinne des § 44 SGB X unrichtig gewesen ist, noch ist erkennbar, dass in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 03.04.1997 vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist. Vielmehr wurde und wird ein GdB von 40 in Anwendung der maßgeblichen Bewertungskriterien der AHP dem Gesamtausmaß der feststellbaren Funktionsbeeinträchtigungen gerecht.

Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere aber aus den von den Sachverständigen Dr. L ... und Dr. B ... festgestellten und im einzelnen beschriebenen Befunden. Angesichts der hiernach erkennbaren Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander ist ein höherer GdB als 40 nicht gerechtfertigt. Soweit Dr. L ... demgegenüber vorschlägt, den GdB mit 50 zu bewerten, entspricht dieser Vorschlag nicht den Bewertungskriterien der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung von den Gerichten wie untergesetzliche Normen anzuwenden sind (BSG vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - in SozR 3-3870 Nr. 19 m.w.N.).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sind Funktionsbeeinträchtigungen feststellbar in den Bereichen der Funktionssysteme Herz-Kreislauf, Atmung und Rumpf.

Dabei steht die Behinderung im Bereich des Funktionssystems Herz-Kreislauf, also der Behinderungskomplex "Zustand nach Herzschrittmacher-Implantation, behandelter Bluthochdruck, hämodynamisch geringgradige Mitralklappenverschlussschwäche", im Vordergrund. Die hieraus folgenden Funktionsstörungen rechtfertigen, wie bislang übereinstimmend angenommen und auch von Dr. L ... vorgeschlagen, einen Teil-GdB von 30. Wesentlich für diesen Teil-GdB ist der Bluthochdruck, der in Anwendung der Bewertungskriterien der AHP (S. 92) unter Würdigung der von Dr. L ... mitgeteilten Befunde - Ruheblutdruck 134/100 mmHg - einen guten Einzel-GdB von 20 bedingt. Der Zustand nach Herzschrittmacher-Inplantation sowie die hämodynamisch geringgradige Mitralklappenverschlussschwäche sind nicht geeignet, den Teil-GdB für das System Herz-Kreislauf auf über 30 zu erhöhen. Gegenüber dem Bluthochdruck kommt ihnen nur eine nachrangige Bedeutung zu. Die AHP (S. 89) sehen nach Implantation eines Herzschrittmachers lediglich einen GdB von 10 vor. Anfallsweise auftretende hämodynamisch relevante Rhythmusstörungen sind ebenso wenig wie eine andauernde Leistungsbeeinträchtigung des Herzens erkennbar. So zeigte auch das Belastungs-EKG bei einer Belastung von 90 Watt nominell, 78 Watt effektiv keine kardiopulmonale Symptomatik. Die Belastungslimitierung erfolgte wegen muskulärer Erschöpfung.

Insgesamt ist vornehmlich wegen des Bluthochdruckleidens für das Funktionssystem Herz-Kreislauf ein Teil-GdB von 30 gerechtfertigt. Die daneben feststellbaren weiteren Funktionseinschränkungen in den Bereichen der Funktionssysteme Atmung und Rumpf rechtfertigen zwar jeweils Teil-GdB von 20. Sie sind aber nicht geeignet, den Gesamt-GdB aus über 40 zu erhöhen.

Für das Funktionssystem Rumpf ist aufgrund der von Dr. B ... im einzelnen beschriebenen Wirbelsäulenveränderungen entsprechend dem Vorschlag des Sachverständigen ein Teil-GdB von 20 in Ansatz zu bringen. Dieser Teil-GdB wird den nach den mitgeteilten Befunden feststellbaren Funktionsstörungen gerecht und entspricht auch den Bewertungsmaßstäben der AHP (S. 139f). Insbesondere sind mittelgradige oder schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten - für die die AHP einen höheren GdB als 20 vorsehen - nicht erkennbar.

Maßgeblich für einen Teil-GdB von 20 für das Organsystem Atmung ist grundsätzlich allein das Schlaf-Apnoe-Syndrom. Eine wesentliche Einschränkung der Lungenfunktion ist nach den von Dr. L ... mitgeteilten Messergebnissen nicht feststellbar. Da das Schlaf-Apnoe-Syndrom keine kontinuierliche nasale Überdruckbeatmung erfordert, bedingt es nach den AHP (S. 85) - worauf das Sozialgericht zu Recht hingewiesen hat - grundsätzlich einen Einzel-GdB von 10. Angesichts der von Dr. L ... insbesondere in seiner im Berufungsverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 03.02.2000 aufgezeigten medizinischen Gesichtspunkte hält es der Senat aber für vertretbar, hier von dem in den AHP vorgegebenen Anhaltswert von 10 abzuweichen und mit Dr. L ... für das Schlaf-Apnoe-Syndrom einen Einzel-GdB von 20 anzunehmen. Maßgeblich hierfür ist, dass nach den AHP - worauf Dr. L ... hingewiesen hat - Folgeerscheinungen oder Komplikationen (z.B. Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, Cor pulmonale) des Schlaf-Apnoe-Syndroms zusätzlich zu berücksichtigen sind. Dr. L ... hat im einzelnen dargelegt, dass hier der Bluthochdruck eng mit der schlafbezogenen Atemstörung korreliert. Unter Berücksichtigung des Bluthochdrucks als Folgeerscheinung ist es daher grundsätzlich vertretbar, für das Schlaf-Apnoe-Syndrom - wie von Dr. L ... vorgeschlagen - einen Einzel-GdB von 20 in Ansatz zu bringen.

Demgegenüber vermochte sich der Senat aber dem Vorschlag des Dr. L ..., den Gesamt-GdB mit 50 zu bewerten, nicht anzuschließen. Denn ein GdB von 50, mithin die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers, entspricht nicht den nach den AHP für die Bildung des Gesamt-GdB maßgeblichen Beurteilungskriterien (vgl. AHP Ziffer 19, S. 33ff).

Insgesamt rechtfertigen die für den Gesamt-GdB maßgeblichen Teil-GdB von 30 für den Organbereich Herz-Kreislauf und von jeweils 20 für die Funktionssysteme Rumpf und Atmung keinen höheren GdB als 40. Vielmehr wird der bereits festgestellte GdB von 40 in Anwendung der Beurteilungskriterien der AHP und unter Würdigung von Art und Ausmaß der von den Sachverständigen beschriebenen Befunde den Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander gerecht.

Maßgeblich hierfür ist, dass der Teil-GdB von 20 für die schlafbezogene Atemstörung, also für das Funktionssystem Atmung, nicht geeignet ist, den Teil-GdB von 30 für das Funktionssystem Herz-Kreislauf zu erhöhen. Nach den für die Bildung des Gesamt-GdB maßgeblichen Beurteilungskriterien der AHP (Ziffer 19 Abs. 4, S. 35), wonach sich abgesehen von Ausnahmefällen Einzelgrade von 10 nicht erhöhend auswirken, ist es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Letzteres ist hier der Fall.

Entscheidend hierfür ist, dass sich die mit dem Bluthochdruck einhergehenden Funktionseinschränkungen in den Bereichen der Funktionssysteme Herz-Kreislauf und Atmung überschneiden. Eine Erhöhung des Teil-GdB von 30 für den Bereich Herz-Kreislauf aufgrund des Einzel-GdB von 20 für die schlafbezogene Atemstörung würde im Ergebnis die durch den Bluthochdruck bedingten Funktionseinschränkungen doppelt berücksichtigen. Denn der Bluthochdruck ist - wie oben ausgeführt - zum einen wesentlich dafür, dass für das Funktionssystem Herz-Kreislauf ein Teil-GdB von 30 angesetzt werden kann. Zum anderen ist die Bewertung des Schlaf-Apnoe-Syndroms mit einem Einzel-GdB von 20 nur vertretbar unter Berücksichtigung des Bluthochdrucks als Folgeerscheinung.

Der Teil-GdB von 20 für die durch das Wirbelsäulenleiden bedingten Funktionsstörungen, die unabhängig von dem im Vordergrund stehenden Herz- bzw. Kreislaufleiden sind, bestätigt lediglich den bereits festgestellten GdB von 40 und rechtfertigt es nicht, die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers festzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz.

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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