L 7 Vs 52/95

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 24 Vs 258/93
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 Vs 52/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.01.1995 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "RF" vorliegen.

Bei dem 1936 geborenen Kläger war zuletzt ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Nachteilsausgleiche "G" und "B" festgestellt. Am 22.11.1990 beantragte der Kläger wegen neu hinzugetretener Leiden die Feststellung weiterer Behinderungen und eines höheren GdB so wie der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "RF". Das Versorgungsamt Essen holte Befundberichte der praktischen Ärztin J sowie des Arztes für Neurologie und Psychiatrie H und sodann ein Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. B ein. Hierauf gestützt stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 23.03.1993 unter einer erweitern den Neufassung der als Behinderungen bezeichneten Gesundheitsstörungen einen GdB von 100 sowie weiterhin das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Nachteilsausgleiche "G" und "B" fest; die Feststellung der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "RF" wurde dagegen abgelehnt. Hier gegen legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, auf grund seines Anfallsleidens nicht mehr in der Lage zu sein, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Der Beklagte holte einen erneuten Befundbericht des Neurologen und Psychiaters H sowie eine gutachtliche Stellungnahme des Arztes für Allgemeinmedizin L ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.1993 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 18.11.1993 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben und zu deren Begründung im wesentlichen geltend gemacht, wegen seiner Leiden nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen zu können. Zur Bekräftigung seines Vorbringens hat er eine Bescheinigung des Neurologen und Psychiaters H vorgelegt, in der es heißt, der Kläger leide an einem cerebralen Anfallsleiden und einer Polyneuropathie mit Gangstörung; er sei nicht mehr in der Lage, an öffentlichen kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen.

Der Kläger hat beantragt,

unter Abänderung des Bescheides vom 23.03.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.10.1993 den Beklagten zu verpflichten, den Nachteilsausgleichs "RF" festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat die Behandlungsberichte der Abteilung für Klinische Geriatrie und der Inneren Abteilung des E Krankenhauses O über stationäre Behandlungen im Juni 1993 und April 1994 beigezogen sowie einen Befundbericht der praktischen Ärztin J und ein internistisches Sachverständigengutachten von Dr. B , dessen Inhalt aus Blatt 45 ff. der Gerichtsakte ersichtlich ist, eingeholt.

Mit Urteil vom 27.01.1995 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des an gefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihm am 08.02.1995 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21.02.1995 Berufung eingelegt. Zu deren Begründung macht er geltend, seiner verstorbenen Ehefrau sei der Nachteilsausgleich "RF" zuerkannt gewesen, weshalb er erst nach deren Tod auf "RF" geklagt habe. Seine behandelnde Ärzte würden ihn schon länger kennen und er verstehe nicht, daß man diese Ärzte übergehe.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 27.01.1995 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.1993 zu verurteilen, das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "RF" seit Antragstellung fest zustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat einen erneuten Befundbericht des Neurologen und Psychiaters H eingeholt, in dem dieser mitteilt, die Befunde seien gleichgeblieben; im Rollstuhl und mit einer Begleitperson könne der Kläger an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten (Geschäftszeichen: ), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

Dies gilt zunächst insoweit, als das Sozialgericht die Klage als fristgerecht erhoben erachtet hat. Der am 14.10.1993 als Einschreiben zur Post gegebene Widerspruchsbescheid gilt gemäß § 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) mit dem 17.10.1993 als zugestellt, so daß die Klagefrist am 17.11.1993 abgelaufen wäre. Da es sich bei diesem Tag jedoch um einen Feiertag gehandelt hat (Buß- und Bettag), gilt die Frist für die Erhebung der Klage mit dem Eingang der Klage am 18.11.1993 beim Versorgungsamt Essen gemäß § 91 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als gewahrt.

Zutreffend hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen, denn der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 23.03.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.1993 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG, weil dieser nicht rechtswidrig ist. Der Beklagte hat es vielmehr zu Recht abgelehnt, im Rahmen seiner Aufgaben nach § 4 des Gesetzes zur Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG) das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "RF" festzustellen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 der nordrhein-westfälischen Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht werden Behinderte befreit, die nicht nur vorübergehend um mindestens 80 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Die 1983 vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP), die normähnliche Wirkung haben und als geschlossenes Beurteilungsgefüge nur eingeschränkter richterlicher Kontrolle unterliegen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 -), sehen hierzu in Nr. 33 Abs. 2 c vor, daß die Behinderten allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein müssen und daß es nicht genügt, daß sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenen Veranstaltungen - bestimmter Art - verbietet; Behinderte, die noch in nennenswertem Umfang an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, er füllen die Voraussetzungen nicht. Zu den Behinderten mit einem GdB von wenigstens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können, gehören nach den AHP, soweit hier relevant, Behinderte, bei denen schwere Bewegungsstörungen - auch durch innere Leiden - bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in ihnen zumutbarer Weise nicht besuchen können, und Behinderte, die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirken (z.B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche wie etwa bei Asthmaanfällen und Kanülenträgern). Dabei ist bei der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "RF" nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts davon auszugehen, daß gerade im Hinblick auf die in der vollständigen Bezeichnung des SchwbG zum Ausdruck kommende Zielsetzung der Eingliederung Behinderter eine enge Auslegung geboten ist; der Behinderte muß danach allgemein und umfassend von öffentlichen Veranstaltungen behinderungsbedingt ausgeschlossen sein, wobei weder maßgeblich ist, welche Veranstaltungen gerade im Umfeld des Behinderten angeboten werden und welche der gegebenen falls noch besuchbaren Veranstaltungen seinen Neigungen und Interessen entsprechen, noch ob er aus subjektiven Gründen öffentliche Veranstaltungen meidet, so daß die Erfüllung der gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "RF" im Ergebnis einer "Bindung an das Haus" gleichkommt (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.1993 - 9/9a RVs 7/91 -; BSG, SozR 3870, § 3 SchwbG Nrn. 24, 25 und SozR 3 - 3870 § 4 SchwbG Nr. 2).

Das Vorliegen der hiernach an die gesundheitlichen Merkmale für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht zu stellenden Voraussetzungen hat sich durch die Beweisaufnahme nicht bestätigen lassen. Nach dem Gutachten des vom Sozialgericht gehörten Sachverständigen Dr. B ist der Kläger trotz seiner vielfachen und erheblichen Behinderungen durchaus in der Lage, mit einer Begleitperson öffentliche Veranstaltungen in geschlossenen Räumen und ohne längeres Stehen zu besuchen. Zutreffend hat das Sozialge richt hieraus den Schluß gezogen, aus dem großen Angebot öffentlicher Veranstaltungen sei dem Kläger ein wesentlicher Teil durch aus zugänglich. Auf die von ihm beispielhaft angeführten Veranstaltungen wird verwiesen. Es bestehen auch keine Bedenken, die Entscheidung auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. B zu stützen. Das Gutachten beruht auf umfassenden und sorgfältigen Untersuchungen. Die unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen vorgenommenen Wertungen sind in sich schlüssig und überzeugend. Bedenken gegen die Richtigkeit des Gutachtens bestehen nicht, insbesondere geben die Befundberichte und Atteste der behandelnden Ärzte hierzu keinen Anlaß. Unabhängig davon, daß Dr. B das Vorliegen eines hirnorganischen Anfallsleidens aufgrund der klinischen sowie der elektroenzephalographischen Untersuchung für fraglich erachtet hat, hat auf konkrete Nachfrage inzwischen auch der behandelnde Nervenarzt die Ansicht bestätigt, der Kläger könne mit einer Begleitperson an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Soweit die praktische Ärztin J die Auffassung vertreten hat, der Kläger könne wegen seiner multiplen Erkrankungen auch mit einer Begleitperson nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, läßt sich hierauf angesichts des Ergebnisses der fachärztlichen Begutachtung eine andere Beurteilung nicht stützen. Davon, daß der Kläger im Sinne der AHP wegen schwerer Bewegungsstörungen oder wegen einer auf seine Umgebung im Hinblick auf häufige hirnorganische Anfälle unzumutbar störenden Wirkung auf Dauer und allgemein daran gehindert wäre, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen, kann danach nicht ausgegangen werden.

Auch der nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme anzunehmende chronische Alkoholismus läßt nicht darauf schließen, der Kläger könne nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Soweit als Folge eine hirnorganische Leistungsminderung eingetreten ist, könnte zwar daran zu denken sein, der Kläger könne, jedenfalls teilweise, geistig nicht in der Lage sein, öffentlichen Veranstaltungen zu folgen. Wie das Bundessozialgericht (Urteil vom 20.01.1992 - 9a RVs 9/90 -, SozR 3 - 3870, § 4 SchwbG Nr. 2), dessen Rechtsprechung sich der Senat anschließt, jedoch bereits entschieden hat, ist nach der Systematik der Verordnungen über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht davon auszugehen, daß diese Vergünstigung nur für solche Behinderte in Betracht kommt, die, sei es wegen körperlicher Behinderung oder Unzumutbarkeit für ihre Umgebung, physisch nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, nicht aber für Behinderte mit geistigen oder seelischen Behinderungen.

Einen Anlaß für weitere Ermittlungen hat der Senat nicht gesehen. Insbesondere geben auch die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung zu den Akten gereichten Behandlungsunterlagen keinen Hinweis auf eine zwischenzeitliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse, die hinsichtlich der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches "RF" von Bedeutung sein könnte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Anlaß für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG hat der Senat nicht gesehen.
Rechtskraft
Aus
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