L 10 B 11/00 SB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 43 (18) SB 255/95
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 B 11/00 SB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 25.07.2000 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist die Kostenentscheidung gem. § 193 SGG nach sachgerechtem Ermessen zu treffen. Zu berücksichtigen sind dabei alle Umstände des Einzelfalles. Wesentlich sind grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Klage und die Frage, wer Anlaß für die Klageerhebung gegeben hat (LSG NRW vom 21.08.1998 - L 11 SKa 52/97-).Hierzu rechnet die falsche Sachbehandlung, eine fehlende oder fehlerhafte Begründung des Bescheides, unrichtige Beratung oder unzutreffende Rechtsmittelbelehrung (Senatsbeschlüsse vom 18.01.1999 - L 10 B 9/98 - und vom 28.05.1999 - L 10 B 6/99 P -). Gleichermaßen ist das Verhalten des Klägers zu würdigen (z.B. verspätete Vorlage einer Vollmacht oder unzureichender Sachvortrag). Abweichend vom Zivilprozeß und vom Verwaltungsgerichtsprozeß sind die Gründe für die Klageerhebung und für die Erledigung des Rechtsstreits auch dann im Rahmen der Kostengrundentscheidung zu berücksichtigen, wenn der Kläger letztlich mit seinem Begehren durchgedrungen ist (Zeihe, SGG, § 193 Rdn. 7h; Senatsbeschlüsse vom 13.09.1999 - L 10 B 15/99 P - und vom 14.03.2000 - L 10 B 1/00 SB -). Für die Kostenentscheidung wesentlich ist im übrigen, ob sich die Sach- und Rechtslage nach Erlaß des Bescheides geändert hat; trägt ein Beteiligter dem so fort Rechnung, hat er ggf. keine Kosten zu tragen (vgl. Zeihe § 193 Rdn. 7h; LSG Rheinland-Pfalz vom 04.12.1998 - L 7 B 78/98 - sowie LSG Schleswig-Holstein in NZS 1997, 392; Senatsbeschlüsse vom 16.08.1999 - L 10 B 11/99 P - und vom 13.09.1999 - L 10 B 15/99 P -). Im Beschluss vom 13.09.1999 hat der Senat dies dahin präzisiert, daß das Anerkenntnis unverzüglich (§ 121 Abs. 1 BGB) abgegeben werden muß, um kostenrechtlich beachtlich zu sein. Eine angemessene Prüfungsfrist ist dabei einzuräumen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist es nicht gerechtfertigt, dem Beklagten außergerichtliche Kosten des Klägers aufzuerlegen. Eine wesentliche Änderung in den beim Kläger vorliegenden "Behinderungen" ist erst nach Abschluß des Widerspruchsverfahrens eingetreten. Nachgewiesen war dies letztlich erst auf der Grundlage des Entlassungsberichts des St. J ...-H ... von Dortmund vom 02.12.1999. Dieser ist dem Beklagten mit Verfügung vom 18.01.2000 zugeleitet worden. Der Beklagte hat hierauf unter dem 08.02.2000 - unverzüglich - ein Vergleichsangebot unterbreitet. Bearbeitungsmängel, die es gleichwohl rechtfertigen könnten, die außergerichtlichen Kosten des Klägers ganz oder teilweise dem Beklagten aufzuerlegen, sind nicht ersichtlich.

Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung.

Soweit der Beklagte ab 01.09.1996 einen GdB von 70 anerkannt, beruht dies auf einer wesentlichen Änderung, die nach Abschluß des Widerspruchsverfahrens nachgewiesen ist. Dem liegt ein im Gutachten des Prof. Dr. W ... vom 31.01.1997 erstmals diagnostiziertes Bauchaortenaneurysma zugrunde. Der Sachverständige hat hierfür zu treffend einen GdB von 30 vorgeschlagen, ist indes insgesamt - verfehlt - zu einem Gesamt-GdB von 90 gekommen. Der Beklagte hat hierauf sachgerecht und zeitnahe reagiert, indem er nach einem angemessenen Überprüfungszeitraum mit Schriftsatz vom 21.07.1997 mitgeteilt hat, ein Regelungsangebot mit einem GdB von 70 könnte unterbreitet werden. Zu einem Vergleichsabschluß ist es letztlich deswegen nicht gekommen, weil der Beklagte nach weiterer Korrespondenz mit dem Klägerbevollmächtigten unter dem 13.10.1997 nur noch bereit war, einen GdB von 70 ab September 1995 und ab März 1997 einen GdB von noch 60 festzustellen. Der Kläger hat dieses Angebot nicht angenommen. Auch diese Differenzierung war im we sentlichen sachgerecht, wie die weitere Beweisaufnahme ergeben hat und durch den schließlich angenommenen Vergleichsvorschlag vom 08.05.2000 belegt wird.

Für die Kostenentscheidung hat dies keinerlei Bedeutung, denn nachgewiesen war die Änderung erst durch das Gutachten des Sachverständigen W. vom 31.01.1997. Im übrigen kann der Beklagte Änderungen, die nach Fertigung des Widerspruchsbescheides (hier am 31.08.1995) eintreten, schwerlich berücksichtigen. Selbst in der Klageschrift vom 14.09.1995 wird auf die Regelwidrigkeit "Bauch aortenaneurysma" nicht hingewiesen. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, jede noch so fernliegende Sachverhaltsvariante zu erforschen. Dies überspannt die Ermittlungspflicht. Hätte der Beklagte eine dermaßen umfassende Sachaufklärungspflicht, so müßte er, ohne daß sich aus dem Antrags- oder Widerspruchsvorbringen hierzu auch nur ansatzweise ein Anhalt ergibt, in jedem Einzelfall umfangreiche Untersuchungen durchführen lassen, um alle medizinisch denkbaren Funktionsbeeinträchtigungen zu ermitteln. Dem kann der Senat schon deswegen nicht beitreten, weil von jedem Antragsteller zu verlangen ist, daß er, wenn er einen Feststellungs- oder Änderungsantrag stellt, den Fragebogen des Beklagten korrekt und umfassend ausfüllt, um hierdurch entsprechende Ermittlungen zu veranlassen. Geschieht dies nicht, kann sich der insoweit säumige Antragsteller im nachgängigen Gerichtsverfahren nicht darauf berufen, der Beklagte habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt und damit die Klage veranlaßt (hierzu Senatsbeschlüsse vom 14.03.2000 - L 10 B 1/00 SB -, vom 10.03.1999 - L 10 B 5/98 SB - und vom 02.10.2000 - L 10 B 9/00 SB -). Vorliegend hat der Kläger weder im Antrag noch im Widerspruch noch in der Klageschrift auf die Regelwidrigkeit "Bauchaortenaneurysma" hingewiesen. Sollte ihm diese Erkrankung vor der Begutachtung durch den Sachverständigen W. nicht bekannt gewesen sein, ergibt sich keine andere Beurteilung. Umsoweniger war der Beklagte dann im Verwaltungsverfahren ver pflichtet, einer dem Kläger noch nicht bekannten Regelwidrigkeit nachzugehen.

Die Auffassung des Klägers, eine vergleichsweise Regelung beinhalte immer ein gegenseitiges Nachgeben, trifft zwar zu, ist indes kostenrechtlich irrelevant. Nach der Rechtsprechung des Senats ist wesentlich allein, ob der Beklagte auf eine geänderte Sach- und Rechtslage unverzüglich eine sachgerechte Erklärung abgibt. Das war hier der Fall. Wie diese Erklärung prozessual zu werten ist, nämlich entweder als Vergleichsangebot oder als Anerkenntnis, ist unbeachtlich.

Auf das Gutachten des Sachverständigen W. kann sich der Kläger nicht berufen. Zu Recht hat der Beklagte hierauf nicht mit einem Angebot reagiert, den GdB mit 90 oder auch nur 80 festzusetzen. Der vom Sachverständigen vorgeschlagene Gesamt-GdB von 90 dokumentiert unter Berücksichtigung der unzulänglichen Begründung eine unzureichende Kenntnis der Anhaltspunkte. Der Grad der Behinderung ist im übrigen ein rechtlicher Begriff, dessen Festlegung nicht die Aufgabe von Sachverständigen ist und auch nicht auf medizinischer Erfahrung beruht, sondern sich als rechtliche Wertung von Tatsachen darstellt (Senatsbeschluß vom 05.11.1999 - L 10 B 9/99 SB - m.w.N.). M.a.W.: Auf das unzulängliche Gutachten des Sachverständigen W. durfte der Beklagte kein Anerkenntnis auf Feststellung eines GdB von 90 abgeben.

Die Beschwerde konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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