L 16 KR 182/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 27 KR 115/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 182/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 57/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des sozialgerichtlichen Urteils wie folgt gefaßt wird: "Der Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2000 und der Wider spruchsbescheid vom 15. Juni 2001 werden aufgehoben." Die Beklagte trägt die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist der Anspruch des Klägers auf Krankengeld ab 25.09.2000.

Der 1951 geborene Kläger wurde am 19.05.1999 arbeitsunfähig krank. Die Be klagte veranlasste eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Kran kenversicherung. Dr. M ... diagnostizierte nach Untersuchung des Klägers am 20.07.1999 ein HWS-Syndrom mit multisegmentalen degenerativen arthrogenen Veränderungen sowie massiver Stenose des linken Neuroformanens in Höhe HWK 6/7 sowie Lumbalsyndrom bei bekannter Skoliose. Da sich die Dauer der Ar beitsunfähigkeit nicht weiter abgrenzen lasse, werde eine stationäre Rehamaß nahme zu Lasten des zuständigen Rentenversicherungsträgers vorgeschlagen. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) sowie eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfä higkeit lägen vor. Die Beklagte forderte den Kläger daraufhin auf, beim Ren tenversicherungsträger Rehabilitationsmaßnahmen zu beantragen (Schreiben vom 28.07.1999). Im Januar 2000 übersandte die Bundesversicherungsanstalt für An gestellte (BfA) ein an sie gerichtetes Schreiben des Klägers vom 21.12.1999, worin dieser mitteilte, er ziehe seinen am 04.10.1999 gestellten Rehabilita tionsantrag zurück. Er habe am 24.08.1999 eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme "eine Straße weiter" begonnen, grosse Erfolge seien nachweisbar. Durch diese Maßnahme entstünden ihm als Arbeitslosem mit geringer Arbeitslosenhilfe keine Extrakosten. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, sie könne der Rücknah me des Antrages auf Rehabilitationsmaßnahmen nicht zustimmen. Grundsätzlich könnte eine Zustimmung nur erfolgen, wenn negative Auswirkungen auf die ggfls. zu erwartende Rentenhöhe zu erwarten wären. Eine Rücknahme aus medi zinischen Gründen könne nicht erfolgen, da weiterhin Arbeitsunfähigkeit vor liege. Daraufhin teilte der Kläger der Beklagten mit (Eingang seines Schrei bens am 04.02.2000), er nehme "die Ablehnung der Kur zurück". In einem weite ren Schreiben (eingegangen am 23.02.2000) setzte er die Beklagte davon in Kenntnis, er stelle seinen Antrag auf Rehamaßnahmen auf einen späteren Termin zurück. Auf diesem Schreiben findet sich ein Vermerk eines Mitarbeiters der Beklagten, wonach ab 28.01.2000 Arbeitsfähigkeit eingetreten sei und deshalb der Rückstellung des Antrags zugestimmt werde. Unter dem 02.03.2000 schrieb die Beklagte dem Kläger, sie stimme ausnahmsweise seinem Antrag auf Rücknahme des Antrags auf Rehabilitationsmaßnahmen zu. Sollte er jedoch zu einem späte ren Zeitpunkt erneut arbeitsunfähig werden, werde sie auf ihre Aufforderung zurückkommen.

Nach Eintritt von Arbeitsunfähigkeit am 02.03.2000 holte die Beklagte eine Stellungnahme des beratenden Arztes des MDK Dr. B ... vom 13.03.2000 ein, worin dieser die Leistungsfähigkeit des Klägers wie folgt beurteilte: Der Kläger könne ab 20.03.2000 vollschichtig in temperierten Räumen und in Tages schicht leichte Arbeiten im Sitzen vollschichtig verrichten. Dies teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 14.03.2000 mit. Es bestehe ab 20.03.2000 Ar beitsfähigkeit und das Krankengeld ende.

Nach Eintritt einer erneuten Arbeitsunfähigkeit am 20.04.2000 schrieb die Be klagte dem Kläger (Schreiben vom 11.05.2000), sie habe sich mit der BfA be züglich eines neuen Kurtermins in Verbindung gesetzt. Sie weise den Kläger darauf hin, dass er im Rahmen seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht den Kur termin wahrnehmen müsse. Von der BfA erfuhr die Beklagte, der Kläger habe die in der A ...klinik in Bad S ... bewilligte Rehabilitationsmaß nahme nicht angetreten. Mit Bescheid vom 31.05.2000 informierte sie den Klä ger darüber, dass sie ab 01.06.2000 kein Krankengeld zahle. Mit seinem hier gegen erhobenen Widerspruch (eingegangen am 09.06.2000) machte der Kläger u.a. geltend, er sei seit einigen Jahren arbeitslos und könne sich von den paar Mark keine Neuanschaffungen für den Kuraufenthalt aufbringen. Er habe bei der BfA einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente gestellt. Seit dem 25.08.1999 befinde er sich in Physiotherapie und werde von einem Facharzt für Orthopädie mit Schmerzspritzen behandelt. Die Beklagte antwortete dem Kläger daraufhin (Schreiben vom 12.07.2000), sie helfe seinem Widerspruch ab und zahle ab 01.06.2000 Krankengeld. Die medizinischen Voraussetzungen für eine stationäre Rehamaßnahme seien weiterhin gegeben und die BfA habe bereits den Antrag bewilligt. Es werde deshalb gebeten, den nächstmöglichen Aufnahmeter min wahrzunehmen. Mit Schreiben vom 14.07.2000, auf das Bezug genommen wird, wies die Beklagte den Kläger auf die gesetzlichen Bestimmungen des § 51 Abs. 1 SGB V hin.

In der Verwaltungsakte findet sich ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, erstellt von Frau Dr. H ... nach Untersuchung des Klägers am 18.07.2000. Darin ist u.a. festgehalten, eine stationäre Reha maßnahme werde nach erneuter ausführlicher Besprechung der Zielsetzung vom Versicherten nicht abgelehnt, so dass eine stationäre Rehamaßnahme mit sowohl vordergründig psychosomatischer als auch physikalischer Therapie bezüglich der Wirbelsäulenbeschwerden empfohlen werde. Eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit liege vor. In diesem Gutachten finden sich als Diagnose eine reaktive Depression und als weitere Diagnose das schon zuvor festgestellte HWS- und Lumbalsyndrom.

Nachdem die Beklagte erfahren hatte, dass der Kläger das Heilverfahren in der A ...klinik in Bad S ... am 26.09.2000 nicht angetreten hatte, entschied sie mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.10.2000, die Zahlung des Krankengeldes werde mit dem 25.09.2000 eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt ende auch die Pflichtmitgliedschaft des Klägers. Mit seinem hiergegen am 06.10.2000 erhobenen Widerspruch wiederholte der Kläger, es sei ihm nicht möglich, die für die Rehamaßnahmen notwendigen Sachen zu beschaffen, sein Konto sei überzogen. Seine behandelnden Ärzte befürworteten ausdrücklich eine Langzeittherapie anstelle einer Rehamaßnahme in einer Kurklinik. Mit Schreiben vom 12.10.2000 ging die Beklagte auf diese Stellungnahme des Klägers ein. Sie führte u.a. aus, dem Widerspruch des Klägers fehle ein ausführlicher ärztlicher Bericht, weshalb medizinische Gründe gegen eine stationäre Rehamaßnahme sprächen. Es folgt folgende Passage: "Es verbleibt somit bei der Einstellung der Krankengeldzahlung. Wir sind jedoch bereit, die Angelegenheit erneut zu prüfen, wenn uns ein entsprechendes ärztliches Attest vorgelegt wird." Der Kläger legte daraufhin eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Orthopädie Dr. M ...-T ... vom 11.10.2000 vor, auf die Bezug genommen wird. Nach weiterer Korrespondenz mit dem Kläger (Schreiben der Beklagten vom 26.10.2000, 07.11.2000) wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2001, auf den verwiesen wird, zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 27.06.2001 Klage erhoben. Rechtsgrundlage für die Beendigung der Krankengeldzahlung ab 25.09.2000 könne nicht § 51 Abs. 1 SGB V sein. Fraglich sei hier allein, ob die Beklagte die Krankengeldzahlung habe einstellen dürfen, weil der Kläger die Rehamaßnahme am 25.09.2000 nicht ange treten habe. Die Beklagte stütze also ihre Entscheidung auf die Norm des § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I). Danach dürfe der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen. Die Beklagte habe von dem ihr gesetzlich eingeräumten Ermessen jedoch keinen Gebrauch gemacht. Deshalb seien die ange fochtenen Bescheide rechtswidrig. Sie hätte abwägen müssen, ob zunächst eine abgestufte Kürzung des Krankengeldes in Betracht komme. Insbesondere habe sie einbeziehen müssen, dass der Entzug der Lebensgrundlage eines depressiv erkrankten Versicherten zu erheblichen Verschlimmerungen führen könne. Auch sei zu beachten, dass der Entzug der Sozialleistung den Betroffenen zum Sozialhilfeempfänger herabwürdige. Im übrigen spreche vieles dafür, dass die Beklagte die Mitwirkungspflicht des § 65 SGB I überdehnt habe. Der Kläger habe trifftige Gründe dafür vorgetragen, dass eine ambulante Rehamaßnahme ausreichend sei und insoweit auf Stellungnahmen seines behandelnden Arztes verwiesen. Der Kläger bestreite, dass eine stationäre Rehamaßnahme überhaupt erforderlich sei.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 03.06.2002 hat der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.10.2000 in Ge stalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2001 zu verurteilen, über seinen Anspruch auf Krankengeld ab dem 25.09.2000 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut rechtsmittelfähig zu entscheiden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ihre Aufforderung zur Stellung des Rehabilitationsantrages sowie ihre Auf fassung bezüglich der Einschränkung des Dispositionsrechts würden durch § 51 Abs. 1 SGB V gedeckt. Auch nach dem Ergebnis des von der BfA eingeholten Gutachtens des Facharztes für Orthopädie Dr. Th ... sei die Leistungsfähig keit des Klägers erheblich gefährdet oder gemindert. Da der Kläger zum dritten Male von der BfA bewilligte Rehamaßnahme nicht wahrgenommen habe, sei der Krankengeldanspruch nach Ablauf der zehn Wochenfrist mit Beginn der Rehamaßnahmen einzustellen.

Mit Urteil vom 03.06.2002, auf das verwiesen wird, hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, über den Anspruch des Klägers auf Krankengeld ab dem 25.09.2000 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut rechtsmittelfähig zu entscheiden und der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt.

Gegen dieses ihr am 25.07.20002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.08.2002 Berufung eingelegt. Der Krankengeldanspruch sei gemäss § 51 Abs. 3 SGB V analog entfallen, da der Kläger ohne Zustimmung der Beklagten die Rehamaßnahme am 26.09.2000 nicht angetreten habe. Der Hinweis auf die §§ 60 ff. SGB I sei lediglich hilfsweise und unterstützend erfolgt. Auf die Vorschriften der §§ 60 ff. SGB I werde die Entscheidung nicht gestützt, da die Versagung des Krankengeldes erst ab dem 26.09.2000 erfolgt sei. Eine Ermessensausübung sei nicht mehr vorzunehmen gewesen, da bereits bei Prüfung der Zustimmung im Sinne des § 51 Abs. 3 SGB V eine Abwägung erfolgt gewesen sei. Sollte der Kläger ab 20.04.2001 arbeitsfähig gewesen sein, hätte ohnehin kein Krankengeldanspruch bestanden. Die Bewilligung von Krankengeld stelle nach der Rechtsprechung keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar. Eine Anhörung sei insofern erfolgt, als sich der Kläger mit seinem Widerspruchs schreiben zu den von der Beklagten vorgetragenen Aspekten habe äußern können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 03.06.2002 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Das Sozialgericht habe auch zutreffend ausgeführt, dass die von der BfA beauftragten Gutachter Berufsunfähigkeit verneint hätten, da er seinen ursprünglichen Beruf als Büroangestellter weiterhin ausüben könne. Der Begriff der Berufsunfähigkeit sei im Wesentlichen durch das Moment der Dauer geprägt, während Arbeitsunfähigkeit seiner Natur nach etwas Vorübergehendes sei.

Auf Anfrage des Senats teilte die BfA mit, sie habe dem Kläger auf seinen Antrag vom 12.10.1999 mit Bescheid vom 01.11.1999 eine dreiwöchige Leistung zur medizinischen Rehabilitation in der A ...klinik in Bad S ... bewilligt. Da der Kläger mehrere Aufnahmetermine nicht wahrgenommen habe, sei der Bescheid am 28.02.2001 aufgehoben worden. Ferner holte der Senat von dem Facharzt für Orthopädie Dr. M ...-T ... einen Befund- und Behandlungsbericht vom 19.05.2003 ein.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 02.10.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2001 ist rechtswidrig. Die Einstellung der Zahlung von Krankengeld mit Wirkung ab 25.09.2000, dem Zeitpunkt zu dem der Kläger die ihm erneut von der BfA bewilligte medizinische Leistung zur Rehabilitation in der A ...klinik in Bad S ... nicht angetreten hat, ist rechtswidrig.

Insbesondere kann die Beklagte ihre Entscheidung nicht auf eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 3 Satz 1 SGB V stützen. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann die Krankenkasse Versicherten, deren Erwerbsfähigkeit nach ärztlichen Gutachten erheblich gefährdet oder gemindert ist, eine Frist von zehn Wochen setzen, innerhalb der sie einen Antrag auf Maßnahmen zur Rehabilitation zu stellen haben. Gemäss § 51 Abs. 3 Satz 1 SGB V entfällt der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf der Frist, wenn Versicherte innerhalb der Frist den Antrag nicht stellen. Das Gesetz normiert somit Rechtsfolgen einer unterlassenen Antragstellung. In der Kommentarliteratur (Höfler in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2002, § 51 Rdz. 17; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, SGB V, Stand 01.07.2002, § 51 Rdz. 49), findet sich die Auffassung, der unterlassenen Antragstellung stehe es gleich, wenn der Antrag nach Abs. 1 zwar gestellt, dann aber wieder zurückgenommen wird. Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang entschieden (BSG vom 01.09.1999 - B 13 RJ 49/98 R - SozR 3-1300 § 86 Nr. 3), eine Krankenkasse könne die Ausübung des Dispositionsrechts des Versicherten zu ihrem Nachteil verhindern, indem sie die Wirksamkeit entsprechender Erklärungen des Versicherten gegenüber dem Rentenversicherungsträger von ihrer Zustimmung abhängig mache. Die Beklagte erweitert hier den Tatbestand des § 51 Abs. 3 SGB V, indem sie den Nichtantritt einer medizinischen Maßnahme der Rehabilitation als konkludente Rücknahme eines Antrags im Sinne des § 51 Abs. 1 Satz 1 SGB V wertet. Nach Auffassung des Senats ist eine solche erweiternde Auslegung aber nicht zulässig. Sie widerspricht sowohl dem Rechtsstaatsprinzip als auch der Gesetzessystematik. Denn zum einen verbietet das Gebot der Rechtsklarheit eine Erweiterung gesetzlicher Tatbestände bei eingreifenden/versagenden Rechtsnormen. Nur die Aufstellung klarer und ein deutiger Rechtsnormen ermöglicht es dem Einzelnen, sein Verhalten im Rechtsleben nach der Erkenntnis einzurichten, welche rechtliche Wertung sein Verhalten aufgrund der bestehenden Rechtsordnung erfahren wird. Zum anderen regelt bereits § 66 SGB I abschließend die Verletzung der Mitwirkungspflichten des Antragstellers nach rechtsstaatlichen und sozialpolitischen Gesichtspunkten (Hauck/Haines SGB I, Stand Mai 2002, § 66 Rdz. 1). Unabhängig hiervon fehlt hier der nach dem Gesetz erforderliche Verwaltungsakt, der konkret und unmißverständlich, bezogen auf den Fall des Klägers, über die Rechtsfolgen des § 51 Abs. 3 SGB V belehrt (s. BSG vom 25.04.1978 - 5 RJ 66/77 - SozR 2200 § 1243 Nr. 3). Darüber hinaus ist der angefochtene Bescheid schon deshalb rechtswidrig, weil er keine Ermessensausübung aufweist. Diesen Anforderungen genügt, wie im folgenden dargestellt wird, insbesondere das Schreiben der Beklagten vom 14.07.2000 nicht, auf das die Beklagte im angefochtenen Be scheid vom 02.10.2000 Bezug nimmt.

Der angefochtene Bescheid ist schon deshalb rechtswidrig, weil ein schriftlicher Hinweis auf die Folgen des Nichtantritts der Kur ab 25.09.2000 nicht vorausgegangen war. Nach § 66 Abs. 2 SGB I kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, wenn derjenige, der eine Sozialleistung wegen Arbeitsunfähigkeit erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach §§ 62 bis 65 nicht nachkommt. Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob der Kläger tatsächlich gemäss § 63 SGB I verpflichtet gewesen ist, sich der von der BfA bewilligten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme zu unterziehen und ob die in § 62 Abs. 2 SGB I vorausgesetzte Kausalität zwischen der Verletzung der Mitwirkungspflicht und der Minderung der Arbeitsfähigkeit festgestellt werden kann. Denn vorliegend fehlt der nach § 66 Abs. 3 SGB I erforderliche vorherige schriftliche eindeutige Hinweis auf die Leistungsversagung oder -entziehung (Seewald, Kasseler Kommentar a.a.O., § 66 Rdz. 11). Das Schreiben der Beklagten vom 14.07.2000 enthält nur Standard-Textbausteine bezüglich der Aufforderung zur Antragstellung und der Folgen ohne Zustimmung der Kasse abgegebener Erklärungen (Rücknahme des Antrags, Verzicht auf Rente oder Rehabilitations maßnahmen, jegliche Erklärung über die Art der Rente und den Rentenbeginn). Abgeändert wurde der Textbaustein nur insofern, als eingefügt wurde, da der Kläger bereits am 05.10.1999 einen solchen Antrag gestellt habe, erübrige es sich selbstverständlich, ihn um fristgemässe Beantragung von Rehabilitationsmaßnahmen zu bitten. Das Schreiben enthält keine klare Rechtsfolgenbelehrung. Ein Hinweis auf die Folgen des Nichtantritts der bereits bewilligten Maßnahme fehlt gänzlich. Es wird lediglich ausgeführt: "Der Anspruch auf Krankengeld kann am 25.09.2000 wegfallen, sofern sie eine der vorgegebenen Erklärungen gegenüber dem Rentenversicherungsträger ohne unsere Zustimmung abgeben". Damit ist nicht sichergestellt, dass der Kläger Gelegenheit erhielt, seine Haltung zu überdenken und zu überprüfen. In diesem Zusammenhang kann auch nicht unbeachtet bleiben, dass der Kläger im früheren Verlauf des Verfahrens Gründe für den Nichtantritt der Rehabilitationsmaßnahme genannt hatte. Aus dem Verhalten der Beklagten, insbesondere der Nachbewilligung von Krankengeld ab 01.06.2000, war für ihn nicht eindeutig erkennbar, welche Bedeutung die Beklagte dem beigemessen hat. Gerade im Hinblick auf die Vorgeschichte, hätte es eines unmißverständlich und konkreten Hinweises bedurft, dass die Beklagte bei Nichtantritt der Kur die Krankengeldzahlung einstellen werde.

Die angefochtenen Bescheide sind darüber hinaus rechtswidrig, da die Beklagte nicht von dem ihr vom Gesetz eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat. Nach § 66 Abs. 2 SGB I steht die Entscheidung darüber, ob der Leistungsträger die Leistung entzieht oder versagt, in seinem Ermessen. Dieses Ermessen geht nicht nur auf die Frage, ob er überhaupt von der Möglichkeit der Versagung oder Entziehung Gebraucht macht. Es erstreckt sich auch darauf, ob die Sozialleistung ganz oder teilweise versagt oder entzogen wird und ob die Versagung oder Entziehung mit Nachholung der Mitwirkung oder früher enden soll (Hauck/Haines, SGB I, a.a.O., § 66 Rdz. 17 m.w.N.). Die angefochtenen Bescheide lassen eine durch den Zweck der Ermächtigung vorgeschriebene Abwägung und angemessene Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nicht erkennen. Dem genügt jedenfalls nicht, wie die Beklagte im Berufungsverfahren ausführt, dass bereits bei Prüfung der Zustimmung im Sinne des § 51 Abs. 3 SGB V eine Abwägung erfolgt sei. Soweit die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden auf den unberechtigten Nichtantritt der Kurmaßnahme abhebt, stellt dies keinen die Umstände des Einzelfalls berücksichtigenden Ermessensgrund dar, vielmehr handelt es sich um die Tatbestandsvoraussetzung des § 66 Abs. 2 SGB I und damit die Voraussetzung für die Ausübung des Ermessens. Denn es steht, wenn die Voraussetzungen des § 66 SGB I für eine Entziehung der Leistung vorliegen, im Ermessen des Leistungsträgers, dem Leistungsempfänger trotz Verletzung der Mitwirkungspflichten die Leistung entweder zu belassen, sie nur teilweise oder auch ganz bis zur Nachholung der Mitwirkung zu entziehen. Die angefochtenen Bescheide lassen nicht erkennen, welche Umstände die Beklagte bewogen habe, hier die weitestgehende der drei möglichen Maßnahmen zu treffen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte dabei in ihre Überlegungen einbezogen hat, dass der Kläger wieder, wie schon zuvor, sozialhilfebedürftig werden würde und welche Bedeutung die Leistungseinstellung im Hinblick auf die Erkrankung des Klägers im Sinne einer aktiven Depression haben könnte, eine Diagnose, die der Beklagten durch das Gutachten der Frau Dr. H ... vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, erstellt nach Untersuchung des Klägers am 18.07.2000, bekannt gewesen ist. Der Fall der sogenannten Ermessensreduzierung auf Null ist vorliegend nicht gegeben.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 02.10.2000 ist darüber hinaus rechtswidrig, insofern er das Krankengeld rückwirkend ab 25.09.2000 versagt. Eine rückwirkende Entziehung der Leistung sieht jedoch § 66 SGB I, der die Folgen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht ausschließlich regelt, nicht vor. Die Entziehung der Leistung kann frühestens zum Zeitpunkt der Wirksam keit der Entziehungsbescheides einsetzen (BSG vom 26.05.1983 - 10 RKg 13/82 - SozR 1200 § 66 Nr. 10).

Da der Klageantrag des Klägers bei zutreffender Würdigung seines Vorbringens als reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative Sozialgerichtsgesetz (SGG) (BSG vom 25.10.1988 - 7 RAr 70/77 - SozR 1200 § 66 Nr. 13) auszulegen war, hat der Senat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des sozialgerichtlichen Urteils auf Aufhebung der vorgenannten Bescheide lautet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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