L 16 KR 253/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 26 (19,23) KR 45/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 253/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30. September 2002 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im zweiten Rechtszug. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Kostenerstattung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung in Form von intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).

Die am ...1963 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflichtversichert. Ihr 1961 geborener Ehemann ist privat krankenversichert.

Am 27.08.1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Ko sten für eine Therapie mittels In-Vitro-Fertilisation (IVF) in Verbindung mit ICSI. Sie und ihr Ehemann bemühten sich seit Jahren vergeblich um Nachwuchs. Der letzte Befunde habe ergeben, dass nur die vorgenannte Therapie zum Erfolg führen könne. Beigefügt war ein Attest des Arztes für Frauenheilkunde Dr. S ... vom 11.06.1999. Darin ist unter anderem ausgeführt, im Vordergrund der Sterilitätsproblematik stehe ein pathologischer andrologischer Befund. Bei zwei Spermienuntersuchungen habe jeweils ein positiver MAR-Test festge stellt werden können als Ausdruck für das Vorliegen von Spermienantikörpern. Antikörper gegen Spermien reduzierten das Fertilisierungsvermögen der Sper mien, was als Ursache für die langjährige Sterilität angesehen werden könne. Bei dieser Situation sei die Indikation zur Behandlung der Kinderlosigkeit durch extracorporale Befruchtung gegeben. Dabei werde man die Standard-IVF- Methode mit einer Mikroinjektion (ICSI) von Spermien in Eizellen kombinieren müssen. Die Behandlung mittels ICSI sei derzeit nicht Bestandteil der kassen ärztlichen Leistungen. Aufgrund einer Entscheidung der kassenärztlichen Ver einigung Nordrhein können sogar die IVF-Methode, die als Basistherapie für ICSI notwendig sei, nicht mehr als vertragsärztliche Leistung abgerechnet werden, wenn die ICSI Teil der Gesamtbehandlung sei. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.09.1999 in der Fassung des Wi derspruchsbescheides vom 18.02.2000 - ergangen auf den Widerspruch der Kläge rin vom 30.09.1999 - ab. Die ICSI gehöre nicht zu den Methoden, die als ärzt liche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung im Rahmen des § 27 a Sozialge setzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zu Lasten der Kasse abgerechnet werden könnten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen hätten in einer gemeinsamen Stellung nahme vom 26.11.1998 festgestellt, dass für die ICSI weder eine Abrechnung als Sachleistung noch eine Kostenerstattung durch die Krankenkasse möglich sei, da nach derzeitigem Erkenntnisstand die Methode mit Problemen und Risi ken behaftet sei. Eine Kostenerstattung für die IVF sei ausgeschlossen, wenn die künstliche Befruchtung unter Anwendung des ICSI Verfahrens durchgeführt werde.

Hiergegen hat die Klägerin am 23.03.2000 Klage erhoben. Beigefügt hat sie ein Attest ihres behandelnden Arztes für Frauenheilkunde Dr. S ... vom 11.04.2001 und einen Befundbericht des Arztes für Pathologie M ... mit einer Beurtei lung des Biopsiegewebes des linken Hodens ihres Ehemannes. Ferner hat sie ein Schreiben des Krankenversicherers ihres Ehemannes, der DKV Deutsche Kranken versicherungs AG, vom 21.03.2002 vorgelegt. Diese verneinte ihre Leistungs pflicht mit der Begründung, in der privaten Krankenversicherung könne nicht das Ehepaar, sondern nur der "kranke" Ehegatte die Maßnahme der künstlichen Befruchtung als medizinisch notwendige Heilbehandlung von seiner Versicherung beanspruchen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werde die Er stattungspflicht unter anderem davon abhängig gemacht, dass die versicherte Person an einer organisch bedingten Sterilität leidet. Schließlich hat die Klägerin einen Operationsbericht des Krankenhauses der Augustinerinnen in K ... zur Akte gereicht, wonach wegen der Diagnose "primäre Sterilität" bei ihr am 04.12.1998 eine Pelveskopie mit aszendierender Blauprobe durchgeführt wurde; als postoperative Einschätzung ist festgehalten: "Subfertilität bei hypoplastischen Tuben beidseits, fragliche Durchgängigkeit der linken Tube bei enger Durchlässigkeit der rechten Tube". Auf Anfrage des Gerichts teilte die Klägerin mit, zwischenzeitig seien zwei (erfolglose) Versuche einer künstlichen Befruchtung durchgeführt worden, und zwar am 20./22.06.2001 und am 18./20.10.2001. Für die IVF-Therapie nebst ICSI seien insgesamt DM 18.496,09 (= Euro 9.456,90) in Rechnung gestellt worden.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.09.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2000 und des Bescheides vom 18.10.2001 zu verurteilen, ihr die Kosten für die im Jahr 2001 durchgeführten Versuche der künstlichen Befruchtung mittels IVF/ICSI in Höhe von 9.456,90 Euro (18.496,09 DM) zu er statten,

2. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für bis zu zwei weitere Versuche der künstlichen Befruchtung mittels IVF/ICSI im Rahmen der Richtlinien nach § 27 a Abs. 4 SGB V zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Veröffentlichung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 03.04.2001 - B 1 KR 17/00 R, B 1 KR 22/00 R und B 1 KR 40/00 R - hat die Beklagte zunächst anerkannt, dass die künstliche Befruchtung nach der IVF/ICSI-Methode grundsätzlich im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zu erbringen ist. Sie hat dann aber mit Bescheid vom 18.10.2001 die Kostenüber nahme im vorliegenden Fall abgelehnt. Die Spitzenverbände hätten entschieden, dass eine Kostenübernahme bei Beteiligung einer privaten Versicherung (PKV) - (Ehegatte oder Ehefrau) - mit Hinweis auf die Zuständigkeit der PKV abzu lehnen sei.

Mit Urteil vom 30.09.2002, auf das Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Gegen dieses ihr am 22.10.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.11.2002 Berufung eingelegt. Sie stützt sich zur Begründung auf eine Stel lungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, erstellt von der Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. M ... vom 12.04.2002 sowie ein Gutachten dieser Ärztin vom 10.01.2003. In dem nach Ak tenlage erstellten Gutachten sind als Diagnosen festgehalten "Sterilität beim Mann und Sterilität tubaren Ursprungs bei der Frau". In der Beurteilung wird ausgeführt, es handele sich bei dem Ehepaar um eine "gemischte Sterilität". Allerdings sei festzuhalten, dass bei der Sterilität der Frau bei normalen Spermiogramm-Parametern, also normalem Spermiogramm, eine konventionelle IVF zur Behandlung ausreiche. Vorliegend liege die Ursache dafür, dass eine ICSI durchgeführt werden müsse, beim Mann.

In diesem Fall sei auch nach Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen (vgl. Ergebnisprotokoll der Sitzung der Fachausschusses "Leistungen" vom 16./17.04.2002 zum Top "Leistungen nach § 27a SGB V (künstliche Befruchtung hier: a) Leistungszuständigkeit b) ICSI)" die private Krankenkasse des Ehe mannes für die Kostenübernahme zuständig.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 08.05.2003 hat die Be klagte anerkannt, dass der Klägerin ein Betrag von 6.967,83 Euro für die Durchführung der IVF-Maßnahmen zusteht.

Sie hat beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.09.2002 abzuändern und die noch streitige Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen und erklärt, weitere Kosten bezüglich der IVF würden nicht geltend gemacht. Sie verfolge im Rechtsstreit nur noch die Kosten für die ICSI. Sie hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Das erstinstanzliche Urteil sei zutreffend. Die Beklagte verkenne hier die Ursachen und lasse insbesondere die im Operationsbericht des Krankenhauses der Augstinerinnen beschriebene Subfertilität außer Acht.

Der Beigeladene hat sich dem Antrag der Klägerin angeschlossen.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben neben der Prozessakte vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin die im Zusammenhang mit den Maßnahmen der künstlichen Befruchtung am 20./22.06. und 18./20.10.2001 entstandenen Kosten der ICSI zu erstatten. Über die Kosten der damit verbun denen IVF und die Kosten später stattfindender Maßnahmen der künstlichen Be fruchtung brauchte der Senat nicht zu befinden, da sich die Beteiligten hier über im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 08.05.2003 geeig net haben.

Auch zur Überzeugung des Senats steht der Klägerin der geltend gemachte An spruch auf künstliche Befruchtung mittels ICSI zu. Nach § 27 a Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversi cherung (SGB V) umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizini sche Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn diese nach ärzt licher Feststellung erforderlich und erfolgversprechend sind und wenn die Personen, welche die Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verhei ratet sind und ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehepartner verwendet werden (sogenanntes homologes System). Unstreitig ist vorliegend, dass die ICSI für die Herbeiführung einer Schwan gerschaft erforderlich und erfolgversprechend ist. Diese Auffassung vertritt auch die Beklagte, gestützt auf eine Stellungnahme bzw. ein Gutachten der Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. M ... vom 12.04.2002 bzw. 10.01.2003. Darin wird als Diagnosen festgehalten: "Sterilität beim Mann und Sterilität tubaren Ursprungs bei der Frau". In der Beurteilung wird aus geführt, es handele sich bei dem Ehepaar um eine "gemischte Sterilität". Die Klägerin und der Beigeladene sind auch verheiratet und es sollen ausschließ lich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden.

Das Bundessozialgericht hat in seinen Entscheidungen vom 03.04.2001 - B 1 KR 22/00 R und B 1 KR 40/00 R entschieden, dass der Anspruch auf Maß nahmen der künstlichen Befruchtung, wie sich aus Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt, nicht an den regelwidrigen Kör per- und Geisteszustand des versicherten Ehegatten anknüpft, sondern an die Unfruchtbarkeit des Ehepaares. Nicht die Krankheit, sondern die Unfähigkeit des Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen und die daraus resultieren de Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung bildet den Versicherungsfall. Hieraus folgt, dass bei ungewollter Kinderlosigkeit grundsätzlich jeder Ehe gatte gegen seine Krankenkasse einen Anspruch auf alle zur Herbeiführung ei ner Schwangerschaft notwendigen Maßnahme hat und nur die in § 27 a Abs 3 SGB V genannten "Nebenleistungen" - das betrifft z.B. die Kryokonser vierung (vgl. BSG vom 245.05.2000 - B 8 KN 3/99 KR R) - bei dem andere Ehe gatten hiervon ausgenommen sind. Die Krankenkasse kann ihren Versicherten grundsätzlich nicht entgegenhalten, die Kosten der IVF und ICSI müssten von der Versicherung des anderen Ehegatten getragen werden. Das Bundessozialge richt fährt in den zitierten Entscheidungen wörtlich fort: "Das gilt nament lich dann, wenn nur der eine Ehegatte Mitglied einer gesetzlichen Krankenkas se und der andere privat versichert ist. Die Rechtslage in der privaten Kran kenversicherung oder im Beihilferecht unterscheidet sich wesentlich von der jenigen in der gesetzlichen Krankenversicherung". Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung voll inhaltlich an.

Die Beklagte kann der Klägerin nicht entgegenhalten, die Kosten der ICSI müssten von der Versicherung ihres Ehegatten getragen werden. Insofern ist nach vorstehenden Grundsätzen unerheblich, ob die Auffassung der Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. M ... des ärztlichen Dienstes zu trifft, dass zum Ausgleich der bei der Klägerin selbst bestehenden Sterilität tubaren Ursprungs eine konventionelle IVF zur Herbeiführung einer Schwanger schaft ausreichen würde. Denn darauf kommt es im Hinblick auf den eigenstän digen Versicherungsfall der Indikation zur künstlichen Befruchtung nicht an. Schon deshalb kann sich die Beklagte nicht auf die entgegenstehenden Be stimmungen der Leistungszuständigkeit durch die Spitzenverbände der Kranken kassen vom 16./17.04.2002 berufen. Unabhängig davon greift auch die darin un ter 2.2.3 enthaltene Regelung hier nicht ein. Denn dort ist geregelt, dass für den Fall, dass die gesetzliche krankenversicherte Ehefrau ebenso wie der privatversicherte Ehemann zeugungsunfähig sind, die gesetzliche Krankenver sicherung für die Leistungen bei der Frau sowie die Beratungskosten und ex tracorporalen Maßnahmen einzutreten hat, soweit die private Krankenversiche rung "diese nicht übernimmt". Letzteres ist aber vorliegend ausweislich des von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegten Schreibens der DKV Deutsche Krankenversicherungs AG vom 21.03.2002 der Fall. Nach dem vorgenannten Wortlaut besteht die Eintrittspflicht der gesetzlichen Krankenkasse schon, wenn die gesetzliche Krankenkasse die Kosten der ICSI (tatsächlich) nicht übernimmt, nicht aber erst dann, wenn diese sie nicht "zu übernehmen hat".

Es besteht kein Anhalt für die Annahme, dass die Voraussetzung des § 27a Abs. 1 Ziffer 5 SGB V vorliegend nicht erfüllt wäre; auch die Beklagte hat dies zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht. Die streitgegenständlichen Maßnahmen der künstlichen Befruchtung erfolgten zudem nach dem Stichtag des 01. Januar 1998 (vgl. BSG in den vorgenannten Urteilen vom 03.04.2001).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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