L 6 SB 138/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 SB 86/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 SB 138/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.08.2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" (Merkzeichen "H").

Bei der am 00.00.1999 geborenen Klägerin ist es bei der Geburt zu einer Plexusparese des linken Armes gekommen. Sie konnte den Arm nicht aktiv bewegen, zunächst auch dann noch nicht, als am 00.00.1999 eine Nerventransplantation vorgenommen war.

Am 01.12.1999 stellte die Klägerin beim zuständigen Versorgungsamt einen Antrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) auf Feststellung einer Behinderung, des Grades der Behinderung (GdB) und der gesundheitlichen Merkmale der Nachteilsausgleiche "Hilflosigkeit" (Merkzeichen "H"), "erhebliche Gehbehinderung" (Merkzeichen "G") und "Erforderlichkeit ständiger Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel" (Merkzeichen "B"). Der Beklagte holte einen Befundbericht der Kinderärztin Dr. L vom 29.12.1999 ein, dem weitere ärztliche Unterlagen beigefügt waren. Mit Bescheid vom 19.01.2000 erkannte der Beklagte wegen der Armlähmung links einen GdB von 80 an und lehnte die Anerkennung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, B und H ab. Die Klägerin legte hinsichtlich des Merkzeichens H Widerspruch ein. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.02.2000 im Wesentlichen mit der Begründung zurück, eine einseitige Armlähmung führe bei kleinen Kindern nicht zu einem zusätzlichen, über das altersabhängige Maß hinausgehenden Fremdhilfebedarf.

Die Klägerin hat am 10.03.2000 Klage erhoben. Die Eltern der Klägerin haben sich in einem gerichtlichen Erörterungstermin vom 20.09.2000 zur Behinderung der Klägerin geäußert und einen Bericht der Krankengymnastin Q-N vom 16.05.2001 vorgelegt. Nach diesem Bericht kann die Klägerin den linken Arm bis 110° anheben, setzt ihn aktiv aber kaum ein.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2000 zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "H" ab Dezember 1999 festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht der Kinderärztin Dr. L vom 26.10.2000 nebst weiteren ärztlichen Unterlagen und einen Befundbericht der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums I vom 28.11.2000 eingeholt. Auf den Inhalt dieser Schriftstücke wird verwiesen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22.08.2001 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei deshalb nicht hilflos, weil sie keinen erheblichen Mehrbedarf an Hilfeleistungen im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind habe.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 21.09.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 09.10.2001 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Anspruchsvoraussetzungen des Merkmals "H" zu sehr einschränkend ausgelegt. Es könne nicht richtig sein, wenn das Sozialgericht entscheidend auf die Unfähigkeit des behinderten Menschen abstelle, seine persönliche Existenz, sein Überleben zu sichern. Im Übrigen seien den Eltern der Klägerin eine Reihe von konkreten, mit dem Fall der Klägerin durchaus vergleichbaren Fällen bekannt, in denen Versorgungsämter die Voraussetzungen für das Merkmal "H" anerkannt hätten. Auch dies spreche dafür, dass die äußerst strenge Auslegung der Voraussetzung des Merkzeichens "H" durch das Sozialgericht Detmold nicht zutreffend sein kann.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.08.2001 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2000 zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" (Merkzeichen H) anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für richtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den übrigen Inhalt der Streitakte sowie auf die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" (Merkmal "H") hat. Der Senat nimmt auf das Urteil des Sozialgerichts Bezug und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die von der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil vorgetragenen Argumente führen zu keinem anderen Ergebnis.

Das Sozialgericht legt bei der Anwendung des Begriffes "Hilflosigkeit" keinen zu strengen Maßstab an, wenn es auf die Sicherung der persönlichen Existenz abstellt. Insoweit folgt es dem Wortlaut des Gesetzes (§ 33 b EStG). Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, das Hilflosigkeit nicht etwa erst dann vorliegt, wenn der Behinderte ohne Hilfeleistungen anderer Personen Gefahr läuft, physisch nicht zu überleben. Unter "persönliche Existenz" ist nicht nur das nackte Leben, sondern sind auch angemessene und menschenwürdige Lebensumstände zu verstehen. Die Grenze zur Hilflosigkeit in diesem Sinne kann bei der Klägerin sehr wohl schon dann überschritten werden, wenn sie - auch ohne in Lebensgefahr zu sein - für eine gesunde körperliche Entwicklung in der Weise und in dem Umfang fremder Hilfe bedarf, wie es § 33 b EStG festgelegt hat: Hilfe muss dauernd erforderlich sein für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen "zur Sicherung der persönlichen Existenz" im Ablauf des täglichen Lebens. Diese Definition beinhaltet auch, dass Hilfe in erheblichem Umfang gebraucht wird. Das Erfordernis "in erheblichem Umfang" war in der bis zum 31.03.1995 geltenden Fassung des § 33 b EStG ausdrücklich genannt, gilt aber auch für § 33 b EStG in der Fassung des Pflegeversicherungsgesetzes vom 24.05.1994 (Bundesgesetzblatt I, S. 1014). Die ab 01.04.1995 bestehende Definition der "Hilflosigkeit" hat keine inhaltliche Änderung erfahren (BSG - Urteile vom 08.03.1995 - 9 RVs 5/94 - und - 9 RV 9/94 -).

Die Klägerin benötigt zwar wegen der Armlähmung regelmäßige Hilfe der Eltern, jedoch nicht in erheblich höherem Umfang als gesunde Kinder im Kleinkindalter. Dies hat das Sozialgericht zutreffend in den Entscheidungsgründen seines Urteils im Einzelnen dargelegt. Das gilt auch unter Berücksichtigung des in § 33 b EStG genannten Gesichtspunktes, dass Hilfeleistung auch in Form von Überwachung, Anleitung oder ständiger Einsatzbereitschaft in Betracht kommt. Denn eine derartige Hilfeleistung ist - soweit sie das altersübliche Maß überschreitet - bei der Klägerin nicht erforderlich. Der Senat folgt insoweit der fachkundigen Auskunft der Klinik für Plastische Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums I vom 28.11.2000. Danach sind aus medizinischer Sicht Überwachung und ständige Anleitung sicher nicht erforderlich.

Ein Anspruch auf Feststellung des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" besteht auch nicht schon deshalb, weil nach dem Vortrag der Eltern der Klägerin bei anderen Kindern mit gleichen Gesundheitsstörungen von der Versorgungsverwaltung das Merkzeichen "H" anerkannt worden ist. Aus Verwaltungsentscheidungen in anderen Fällen kann die Klägerin für sich keine Rechte herleiten. Es kommt ausschließlich darauf an, ob in ihrem eigenen Fall die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Rechtssache nicht grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von höchstrichterlicher Rechtssprechung abweicht (§ 160 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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