L 10 B 21/02 KA ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 104/02 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 B 21/02 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.10.2002 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten für das Beschwerdeverfahren.

Gründe:

I.

Mit bestandskräftigem Beschluss vom 25.10.1995 haben die Zulassungsgremien dem Antragsteller zu 1) und der Antragstellerin zu 2) die Führung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis in L genehmigt. Mit weiterem bestandskräftigen Bescheid vom 18.10.2000 genehmigte der Zulassungsausschuss für Ärzte Köln auf Antrag des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerinnen zu 2) und 3) die Errichtung einer gebietsübergreifenden ärztlichen Gemeinschaftspraxis in L mit Wirkung vom 01.10.2000. Durch nicht bestandskräftigen Bescheid vom 24.04.2002 stellte der Berufungsausschuss die Beendigung dieser gemeinsamen Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit mit dem 15.08.2001 fest.

Die Antragsgegnerin hob mit Bescheid vom 22.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2001 die Quartalskonten/Honorarbescheide der Quartale 1/96 bis einschließlich 1/01 auf und forderte die den Gemeinschaftspraxen Dres. O und W sowie Dres. O, W und M gezahlten Honorare dem Grunde nach mit folgender Begründung zurück: Der dem Berufungsausschuss vorgelegte Vertrag vom 01.12.1998 stelle keinen Gemeinschaftspraxisvertrag dar, es handele sich um ein verdecktes Anstellungsverhältnis, wäre ihr dies bekannt gewesen, wäre der Punktzahlengrenzwert nach dem Honorarverteilungsmaßstab mit der Folge massiver Honorarkürzungen niedriger gewesen; das von der Antragstellerin zu 2) erwirtschaftete Honorar sei infolge ihres Angestelltenstatus nicht abrechnungsfähig gewesen.

Sodann bezifferte die Antragsgegnerin mit Bescheiden vom 11.06.2002, jeweils an den Antragsteller zu 1) und die Antragstellerinnen zu 2) und 3) gerichtet, den Rückforderungsbetrag, entsprechend den vollständigen Honorarzahlungen für die Quartale 1/96 bis 1/01, auf insgesamt 2.392.802,39 Euro. Darüber hinaus erklärte sie die Aufrechnung mit dem Rückforderungsbetrag gegen bestehende Honorarforderungen der ehemaligen Gemeinschaftspraxen Dres. O und W sowie Dres. O, W und M sowie deren eigenen Honorarforderungen.

Mit Antrag vom 03.07.2002 haben die Antragsteller das Sozialgericht (SG) Düsseldorf um einstweiligen Rechtschutz ersucht. Sie sehen die Honorarrückforderung als rechtswidrig an. Namentlich die Voraussetzungen für eine Aufrechnung lägen nicht vor. Der Anordnungsanspruch folge daraus, dass ein Zuwarten auf die endgültige Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar sei.

Der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerinnen zu 2) und 3) haben beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs vom 29.06.2002 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11.06.2002 anzuordnen bzw. wieder herzustellen.

Ferner haben sie beantragt, namens und in Vollmacht der "Ärzte-Praxis", vertreten durch den Antragsteller zu 1),

im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Antragstellerin ihre erworbenen Honoraransprüche seit dem Quartal 1/2001 in Höhe von mindestens 118.874,55 Euro (232.497,55 DM) auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch bestünde. Sie habe wirksam mit den Honorarforderungen der Antragsteller aufgerechnet.

Mit Beschluss vom 11.10.2002 hat das SG die aufschiebenden Wirkung der Klage zum Aktenzeichen S 2 (25) KA 175/01 gegen den Bescheid vom 11.06.2002 angeordnet. Ferner hat es festgestellt, dass die Antragsgegnerin - vorbehaltlich einer gerichtlichen Entscheidung über die Beendigung der Gemeinschaftspraxis - verpflichtet ist, die Abrechnungen des Antragstellers zu 1) sowie der Antragstellerinnen zu 2) und 3) seit dem Quartal 1/01 entgegenzunehmen und die erbrachten Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen, vertraglichen und satzungsmäßigen Bestimmungen zu vergüten. Das SG hat im wesentlichen ausgeführt: Widerspruch und Klage gegen die Honorarfestsetzung sowie ihre Änderung oder Aufhebung hätten zwar keine aufschiebende Wirkung, doch sei die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren S 2 (25) KA 175/01 gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG anzuordnen. Hiernach sei die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerechtfertigt, wenn es im Einzelfall besondere Gründe gebe, einem Individualschutz den Vorrang einzuräumen. Das sei der Fall, denn der Bescheid vom 22.06.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2001 sei offensichtlich rechtswidrig ist. Am Sofortvollzug offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte bestehe kein öffentliches Interesse. Die Antragsgegnerin habe die Honorarbescheide für die Quartale 1/96 bis 1/01 aufgehoben und die Honorare zurückgefordert, weil die Antragsteller/-innen keine Gemeinschaftspraxis betrieben hätten, sondern ein verdecktes Anstellungsverhältnis vorgelegen habe. Dies könne die Rückforderung nicht rechtfertigen. Beschlüsse der Zulassungsgremien hätten statusbegründenden Charakter. Hierdurch würde mit verbindlicher Wirkung inter omnes festgestellt, ob die jeweiligen Leistungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht oder als privatärztliche Leistungen anzusehen und zu vergüten seien. Die Antragsgegnerin sei daher erst dann befugt, die den Antragsteller/-innen für die Quartale 1/96 bis 1/01 erteilten Honorarbescheide aufzuheben und gezahlte Honorare zurückzufordern, wenn die Zulassungsgremien wirksam festgestellt hätten, dass eine Gemeinschaftspraxis im Rechtssinne in dieser Zeit nicht bestanden habe. Daran fehle es. Der Berufungsausschuss habe in seinem Bescheid vom 18.10.2000 die Genehmigung der Gemeinschaftspraxis nicht rückwirkend zurückgenommen, sondern allein den Bescheid des Zulassungsausschusses bestätigt, durch den festgestellt worden sei, dass die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit mit dem 15.08.2001 beendet werde. Dadurch werde der Status der Gemeinschaftspraxis für die Quartale 1/96 bis 1/01 nicht berührt und bestehe fort. Die Antragsgegnerin sei daher auch verpflichtet, die von dem Antragsteller zu 1) und den Antragstellerinnen zu 2) und 3) seit dem 1. Quartal 2001 erworbenen Honoraransprüche auszuzahlen. Die gegen den Bescheid des Berufungsausschusses vom 24.04.2002 erhobene Klage habe gemäß § 86 a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung. Eine sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse gemäß § 97 Abs. 4 SGB V sei nicht angeordnet worden. Die Antragsgegnerin habe die Antragsteller daher so zu behandeln, wie sie eine rechtswirksame Gemeinschaftspraxis zu behandeln habe, also auch vertragsärztliche Leistungen laufend abzurechnen.

Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass trotz eingelegten Rechtsbehelfs bzw. Rechtsmittels gegen den Leistungsbescheid (hier: Rückforderungsbescheid) eine Aufrechnungsmöglichkeit gegen laufende Leistungen bestehe (BVerwGE 66, 218 = NJW 1983, 776). Dies könne angesichts eines anders gelagerten Sachverhalts nicht übertragen werden. Auch aus Rechtsgründen könne dem nicht beigetreten werden. Zweck der aufschiebenden Wirkung der Rechtsbehelfe/Rechtsmittel des Bürgers sei es nicht, die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes als solche anzugreifen. Denn die Überprüfung der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes bleibe dem Rechtsbehelfs-/Rechtsmittelverfahren vorbehalten bleiben. Der Bürger wolle mit der Einlegung des Widerspruchs oder Erhebung der Anfechtungsklage vielmehr verhindern, dass die Behörde aus dem erlassenen Verwaltungsakt bereits Konsequenzen ziehe, indem sie diesen vollstrecke. In diesem Fall müsse der Bürger die Nachteile tragen, wenn er schon geleistet habe und sich der Leistungsbescheid und damit die Zahlungsverpflichtung des Bürgers im Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelverfahren nachträglich als rechtswidrig herausstelle. Seinem Rechtsschutzinteresse genüge es damit, wenn es der Verwaltung aufgrund der aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs bzw. Rechtsmittels untersagt sei, den Leistungsbescheid zu vollziehen. Soweit das BVerwG aus der unberührt bleibenden Fälligkeit des Leistungsbescheides auch nach Einlegung des Rechtsbehelfs bzw. Rechtsmittels auf die Zulässigkeit der Aufrechnung schließe, verkürze es die Voraussetzungen der Aufrechnung auf die drei Elemente "Gegenseitigkeit - Gleichartigkeit - Fälligkeit" und übersehe die "Durchsetzbarkeit der Gegenforderung" als weitere Voraussetzung der Aufrechnung. Die Gegenforderung, mit der der Schuldner aufrechne, müsse neben der Fälligkeit auch wirksam sein. Wirksamkeit bedeute rechtliche Erzwingbarkeit. Daran fehle es im Falle der aufschiebenden Wirkung nach Einlegung des Widerspruchs oder der Anfechtungsklage gegen den Leistungsbescheid, da die Behörde gehindert sei, diesen zu vollstrecken. Auch soweit das BVerwG eine solche Vollstreckungsfunktion der Aufrechnung damit verneine, dass die Aufrechnung vor allem der Rechtsverteidigung gegenüber einem vom Gegner erhobenen Anspruch dienen würde, könne dem nicht gefolgt werden. Hierbei werde nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Aufrechnung eine Doppelfunktion erfülle. Sie sei einerseits auch Erfüllungssurrogat, da die Hauptforderung durch Hingabe der Gegenforderung erfüllt werde. Sie diene andererseits aber gleichzeitig als Vollstreckungssurrogat, da der Gläubiger mit Hilfe der Aufrechnung ohne Anrufung des Gerichts durch einseitige Erklärung seine Forderung gleichzeitig durchsetzen könne. Verstehe man den Begriff "Vollziehung" im Sinne des § 86 a SGG in einem erweiterten Sinne dahin, dass damit alle Maßnahmen zur Verwirklichung der im Verwaltungsakt getroffenen Regelungen auszusetzen seien, könne es auf die nähere Ausgestaltung der Vollstreckung des Leistungsbescheids nicht ankommen. Vollzug des Verwaltungsaktes im Sinne des § 86 a SGG bedeute nämlich dann Verwirklichung seines Inhalts schlechthin, gleichgültig, ob diese Verwirklichung durch die erlassende Behörde oder durch den Adressaten selbst erfolge. Dann müsse es aber auch gleichgültig sein, ob der Vollzug des Leistungsbescheids durch die Behörde nach dem Vollstreckungsrecht vollstreckt werde, oder ob die Behörde diesen im Wege des Vollstreckungssurrogates der Aufrechnung als "aufgezwungene Befriedigung" durchsetze. Im Ergebnis sei es der Behörde verwehrt, das Mittel der Aufrechnung als Vollstreckungssurrogat zu wählen, wenn es durch die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs an der direkten Vollstreckungsmöglichkeit der Forderung fehle. Die Behörde könne dann mit der Aufrechnung ihrer im Leistungsbescheid konkretisierten Gegenforderung die gleiche Wirkung wie mit der direkten Vollstreckung erzielen. In beiden Fällen werde der Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt. Damit sei es, um effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG gewähren zu können, erforderlich, dass die Aufrechnung als Vollstreckungssurrogat ebenfalls vom Suspensiveffekt des § 86 a Abs. 1 SGG erfasst werde. Im Ergebnis hindere die aufschiebende Wirkung der Klage S 2 (25) KA 175/01 gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 22.06.2002 die Antragsgegnerin daran, gegen laufende Honoraransprüche der antragstellenden Gemeinschaftspraxis aufzurechnen. Ob und inwieweit solche Honoraransprüche im Einzelnen bestehen und in welcher Höhe die Antragsgegnerin hierauf Abschlags- und Schlusszahlungen geleistet habe, sei im Rahmen dieses Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend zu beurteilen.

Diese Entscheidung greift die Antragsgegnerin mit der Beschwerde an. Sie trägt vor: Die vom Bundesverwaltungsgericht heraus gearbeiteten Grundsätze zum Verhältnis von Vollziehung und Aufrechnung seien entgegen der Auffassung des SG auf den konkreten Fall übertragbar. Das SG lege den Begriff der "Vollziehung" im Sinn des § 86 a SGG unterverhältnismäßig extensiv aus. Das BVerwG habe festgestellt, dass die Aufrechnung mit einer Gegenforderung keine Vollziehung eines Leistungsbescheides darstelle. Vollziehung sei hiernach nur eine selbstständige und grundsätzlich hoheitliche Maßnahme zur Durchsetzung einer getroffenen Anordnung im Wege des Zugriffs auf Rechtsgüter des Adressaten eines Verwaltungsaktes. Die Aufrechnung hingegen sei ein von der Privatrechtsordnung gewährtes Mittel der Rechtsverteidigung gegenüber einem vom Gegner erhobenen Anspruch und diene damit zugleich der Befriedigung des eigenen Anspruchs. Vollziehung einerseits und Aufrechnung andererseits seien zwei Rechtsinstitute mit verschiedener Zielrichtung und Wirkung. Würde die auch nur sicherungshalbe Aufrechnung als unzulässig angesehen, stünden ihr - der Antragsgegnerin - keinerlei Sicherungsmöglichkeiten bestehender Rückforderungsansprüche zu. Einer Sicherungsmöglichkeit bedürfe es vorliegend umso mehr, als die in engem Zusammenhang mit dem Antragsteller zu 1) stehende B-GmbH mittlerweile notleidend geworden sei, eine Notgeschäftsführung habe bestellt werden müssen und damit die Befürchtung bestehe, dass das zu Unrecht erhaltene Honorar nicht zurückzuerlangen sei. Unabhängig hiervon sei der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch deswegen unbegründet, weil der Rückforderungsbescheid keinesfalls offenkundig unrechtmäßig sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.10.2002 aufzuheben und die Anträge der Antragsteller zurückzuweisen.

Die Antragsteller beantragen,

die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Sie verweisen darauf, dass eine beliebige Aufrechnung nicht möglich sei. Die "ihm gebührende Leistung fordern" könne auch zivilrechtlich nur derjenige, der eine wirksame, also durchsetzbare Forderung habe. Das sei hier nicht der Fall. Überdies handele die Antragsgegnerin widersprüchlich. Einerseits behaupte sie, die Gemeinschaftspraxen seien aufgelöst. Andererseits habe sie noch mit Bescheid vom 12.08.2002 der Ärzte-Gemeinschaftspraxis die Beschäftigung einer Assistentin bewilligt.

II.

Die statthafte und auch im übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Der angefochtene Beschluss des SG ist nicht zu beanstanden. Mit zutreffender Begründung hat das SG den Antragstellern einstweiligen Rechtsschutz gewährt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind hiernach auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Durch das am 02.01.2002 in Kraft getretene 6. SGG-ÄndG (BGBl. I S. 2144 ff.) ist der einstweilige Rechtsschutz im SGG in Anlehnung an §§ 80 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) geregelt worden. Dies rechtfertigt es, die zu §§ 80, 80a, 123 VwGO entwickelten Grundsätze auf das sozialgerichtliche Verfahren zu übertragen (Senatsbeschlüsse vom 18.09.2002 - L 10 B 9/02 KA ER - und vom 23.08.2002 - L 10 B 12/02 KA ER -). Danach ist zwischen Sicherungs- (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG) und Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG) zu unterscheiden. Eine Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 kommt danach in Betracht, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 kann ergehen, wenn eine Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierunter fallen die praktisch häufigen Fälle eines Verpflichtungs- oder Leistungsbegehrens, in denen es um die vorläufige Begründung oder Erweiterung einer Rechtsposition geht, z.B. um die vorläufige Zulassung im Vertragsarztrecht (vgl. Düring in Berliner Kommentare, SGG, 1. Auflage, 2003, § 86 b Rdn. 11). In beiden Fällen entspricht es einer verfassungsrechtlich unbedenklichen verwaltungsgerichtlichen Praxis, die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes davon abhängig zu machen, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht (BVerfGE 79, 69, 74). Droht danach dem Antragsteller bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs - einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfGE 93, 1 ff). Andererseits müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und ihre Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können (BVerfG NJW 1997, 479, 480; NVwZ RR 2001, 694 bis 695). Eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 setzt voraus, dass eine vorläufige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum einstweiligen Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 69; 46, 166) wurde ganz überwiegend gefordert, dass dem Antragsteller schwere irreparable und unzumutbare Nachteile drohen (vgl. nur LSG NRW vom 24.06.1997 - L 11 Ska 20/97 - m.w.N sowie die Nachweise bei Frehse in Schnapp/Wigge, Handbuch für das Vertragsarztrecht, 1. Auflage, 2002, § 21 Rdn. 68 ff). Die Formulierung in § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG entspricht im Wesentlichen § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Auch dort wird ein Regelungsgrund dann angenommen, wenn es aus besonderen Gründen unzumutbar erscheint, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Düring a.a.O. ).

In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich:

Das SG hat die einstweilige Regelung zu Recht erlassen.

Der Senat nimmt in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug und bemerkt ergänzend: Soweit es die Quartale I/1996 bis I/2001 anlangt, hat das SG wesentlich darauf abgestellt, dass die entsprechenden Honorarbescheide erst dann aufgehoben werden dürfen, wenn wirksam festgestellt worden ist, dass eine Gemeinschaftspraxis in diesem Zeitraum nicht mehr bestanden hat. Daran fehlt es. Der Berufungsausschuss hat im Bescheid vom 18.10.2000 allein den Bescheid des Zulassungsausschusses bestätigt, durch den die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit mit dem 15.08.2001 beendet worden ist. Folgerichtig hat das SG entschieden, dass die Antragsgegnerin nicht befugt ist, die Honorarbescheide für die Quartale I/1996 bis I/2001 aufzuheben und das Honorar zurückzufordern. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es bezieht sich ganz überwiegend allein auf die Frage, ob die Aufrechnung als Vollstreckungssurrogat ebenfalls vom Suspensiveffekt erfasst wird. Das SG hat dies bejaht und die Antragsgegnerin verpflichtet, die seit vom Antragsteller zu 1) und den Antragstellerinnen zu 2) und 3) seit dem Quartal I/2001 erworbenen Honoraransprüche auszuzahlen. Die Rechtsfrage ist umstritten. Das Bundesverwaltungsgericht und ihm folgend die Instanzgerichte entscheiden in ständiger Rechtsprechung, dass die Aufrechnung mit einer Gegenforderung keine Vollziehung eines die betreffende Forderung konkretisierenden Leistungsbescheides (Rückforderungsbescheides) darstelle (BVerwG vom 27.10.1982 - 3 C 6/82 - E 66, 218 ff. und vom 27.01.1994 - 2 C 19/92 - E 95,94; VGH Baden-Württemberg vom 09.03.1992 - 2 S 3215/91 -; OVG für das Saarland vom 24.02.1989 - 1 W 36/89 - OVG Bremen vom 16.06.1999 - 2 B 93/99 -; a.A. VGH Hessen vom 14.03.1975 - VII TH 91/74 -). Demgegenüber wird in der Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhof ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Aufrechnung eines Finanzamtes mit einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis sich als Vollziehung des zugrundeliegenden Bescheides darstelle (BFH vom 31.08.1995 -VII R 58/94 - E 178,306). Der BFH grenzt insoweit ausdrücklich von der Rechtsprechung des BVerwG in E 66, 218 ff. ab. In späteren Entscheidungen wird die Auffassung, dass die Aufrechnung eine Vollziehung sei, vertieft (BFH vom 24.10.1996 - V II B 122/96 -; 14.11.2000 VII R 85/99 - E 193,254; FG Düsseldorf vom 16.03.1998 - 14 V 9110/97 -; FG Hamburg vom 15.07.1999 - IV 56/99 -). In der sozialgerichtlichen Rechtsprechung hat sich dem das LSG Berlin (Urteil vom 30.03.1998 - L 7 Ka-SE 12/98 -) angeschlossen. Auch der 11. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen hat sich mit dieser Frage bereits auseinandergesetzt und ausgeführt, dass entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs die Aufrechnung mit einem Rückforderungsanspruch ausschließt (Beschluss vom 29.06.1988 - L 11 S (Ka) 10/98 -). Der erkennende Senat tritt dem bei. Die Aussetzung der Vollziehung eines Bescheides bewirkt ebenso wie der Suspensiveffekt (§ 86a Abs. 1 SGG) die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid eingelegten Rechtsbehelfs (BFH vom 31.08.995 - VII R 58/94 -). Die Bedeutung der aufschiebenden Wirkung ist streitig. Teilweise wird sie als Wirksamkeitshemmung, teilweise als Vollziehbarkeitshemmung verstanden (Frehse aaO § 21 Rdn. 112 m.w.N). Das kann hier dahin stehen, denn sowohl im Falle einer Vollziehbarkeitshemmung als auch - erst Recht - im Falle einer Wirksamkeitshemmung darf der Verwaltungsakt nicht vollzogen werden (vgl. auch Meyer - Ladewig, SGG, 7. Auflage, 2003, § 86a Rdn. 4 m.w.N.). Das BVerwG hat sich auf den Standpunkt gestellt, die aufschiebende Wirkung beseitige nicht die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes, sie habe vielmehr nur zur Folge, dass der angefochtene Verwaltungsakt vorläufig nicht vollzogen werden dürfe und ist damit von einer Vollziehbarkeitshemmung ausgegangen. Vollziehbarkeitshemmung bedeutet, dass der Behörde nunmehr jegliches Gebrauchmachen von den Wirkungen des Verwaltungsaktes einstweilen untersagt ist. Dann aber ist auch die Aufrechnung als Vollziehung anzusehen. Denn eine Aufrechnung ist ohne Gebrauchmachen von dem materiellen Regelungsinhalt des Verwaltungsaktes nicht möglich, weil erst der materielle Regelungsgehalt die entsprechend § 387 BGB notwendigen Voraussetzungen für eine Aufrechnung - u.a. Fälligkeit der Forderung - schafft bzw. herbeiführt (zutreffend BFH vom 31.08.1995 - VII R 58/94 -). Daß die von der Antragsgegnerin erklärte Aufrechung keine hoheitliche Maßnahme sondern die rechtsgeschäftliche Ausübung eines Gestaltungsrechts darstellt, steht dem nicht entgegen. Insoweit verkennt die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, dass als "Vollziehung" nicht nur die zwangsweise Durchsetzung sondern jedes Gebrauchmachen vom Regelungsinhalt eines Verwaltungsaktes anzusehen ist. Ein derartiges Verständnis ist zur Überzeugung des Senats auch verfassungs-rechtlich zwingend. Unter Zugrundelegung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung würde nämlich die Bitte um vorläufigen Rechtschutz ins Leere gehen. Denn auch wenn das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs feststellen oder anordnen würde, könnte das eigentliche Ziel des Verfahrens, nämlich die Auszahlung der vertragsärztlichen Vergütung infolge der Aufrechnung nicht erreicht werden. Soweit also das Bundesverwaltungsgericht seine Auffassung damit begründet, dass die Aufrechnungserklärung die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts sei und für sich allein keinen Verwaltungsakt darstelle, mithin dem eines die betreffende Forderung konkretisierenden Leistungsbescheides vollziehe, wird der durch Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu gewährleistende Rechtsschutz unangemessen verkürzt. Daher ist die Aufrechnung mit einer Forderung, die in dem angefochtenen Verwaltungsakt ihren Grund hat, ausgeschlossen (so auch Meyer-Ladewig aaO § 86a Rdn. 4 m.w.N.).

Soweit die Antragsgegnerin hiergegen einwendet, sie hätte bei diesem Ansatz keinerlei Sicherungsmöglichkeiten, um die Rückforderungsansprüche zu realisieren, überzeugt dies nicht. Grundsätzlich hat der Widerspruch gegen die Aufhebung eines Honorarbescheides nach § 85 Abs. 4 Satz 9 SGB V keine aufschiebende Wirkung. Für den hieraus resultierenden Rückforderungsbescheid gilt nichts anderes (Senatsbeschluß vom 15.01.2003 - L10 B 22/02 KA ER -). Wird - wie hier - die aufschiebende Wirkung angeordnet, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Maßnahme jederzeit ändern oder aufheben (§ 86 b Abs. 1 Satz 3 SGG). Hieraus folgt, dass die Antragsgegnerin jederzeit die Möglichkeit hat, beim SG den Antrag zustellen, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung aufzuheben, weil z.B. die Gefahr des Forderungsausfalls infolge von Insolvenz drohe. Hierdurch wird ihrem Sicherungsinteresse hinreichend Rechnung getragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 183

SGG in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG sowie § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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