L 13 EG 17/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 3 EG 3/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 EG 17/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 EG 1/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 18. Juli 2001 geändert. Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.09.1999 und des Widerspruchsbescheides vom 29.11.1999 verurteilt, der Klägerin für das erste Lebensjahr ihres am 00.00.1999 geborenen Sohnes D Erziehungsgeld zu gewähren. Das beklagte Land trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Erziehungsgeld für ihren Sohn D.

Die Klägerin und ihre Familie sind niederländische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Niederlanden. Nach der Geburt von D am 00.00.1999 war die Klägerin ab dem 19.4.1999 mit einer Wochenarbeitszeit von 16 Stunden in den Niederlanden beschäftigt. Ihr Ehemann ist Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin hat in den Niederlanden für 16 Wochen Wochengeld erhalten, welches dem deutschen Mutterschaftsgeld vergleichbar ist. Eine dem deutschen Erziehungsgeld vergleichbare Familienleistung existiert in den Niederlanden nicht.

Am 15.07.1999 beantragte die Klägerin in Deutschland Erziehungsgeld. Das beklagte Land lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 10.09.1999 (Widerspruchsbescheid vom 29.11.1999) ab: Da die Klägerin ein Arbeitsverhältnis in den Niederlanden habe,unterliege sie gemäß Art. 13 VO 1408/71 EG ausschließlich den Rechtsvorschriften ihres Beschäftigungslandes. Ein Anspruch auf deutsches Erziehungsgeld sei damit ausgeschlossen.

Mit der zum Sozialgericht Münster erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Art. 13 der VO 1408/71 EG stehe ihrem Anspruch nicht entgegen, denn sie leite ihren Anspruch auf die Familienleistung Erziehungsgeld gem. Art. 73 der VO 1408/71 EG über ihren Ehemann ab, der in Deutschland beschäftigter Arbeitnehmer und Grenzgänger sei und deshalb gem. Art. 13 der VO 1408/71 EG den deutschen Rechtsvorschriften unterliege. Ihre 16-Wochen-stündige Beschäftigung schließe nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG)einen Erziehungsgeldanspruch nicht aus. Die Versagung von Erziehungsgeld stelle eine versteckte Diskriminierung aufgrund des Beschäftigungslandes Niederlande dar, denn bei einer Arbeit im demselben Umfang in der Bundesrepublik Deutschland bestünde Anspruch auf Erziehungsgeld nach dem BErzGG.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 18.07.2001 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Als in den Niederlanden beschäftigte Arbeitnehmerin unterliege die Klägerin nach Art.13 der VO 1408/71 EG ausschließlich den Rechtsvorschriften der Niederlande. Sie könne daher keinen über ihren Ehemann ableiteten Anspruch auf deutsches Erziehungsgeld haben.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt und ergänzend darauf hinweist, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits mit dem Urteil in der Sache N (C-119/91) entschieden habe, dass der Grundsatz des Artikel 13 der VO 1408/71 EG, wonach ein Arbeitnehmer den Rechtsvorschriften nur des Beschäftigungsstaates unterliege, nicht ausschließe, dass für einzelne Leistungen besondere Vorschriften der VO 1408/71 EG gelten. Ihr Anspruch sei daher nur nach den Antikumulierungs- vorschriften des Art. 16 VO 1408/71 EG und Art. 10 VO 574/72 EG zu beurteilen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Soziagerichts Münster vom 18.07.2001 zu ändern, den Bescheid vom 10.09.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.1999 aufzuheben und das beklagte Land zu verurteilen, ihr Erziehungsgeld für das erste Lebensjahr des am 18.01.1999 geborenen D dem Grunde nach zu bewilligen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es hält das angefochtene Urteil und seine Bescheide für rechtmäßig. Für den hier gegebenen Fall, dass neben dem über den Ehemann abgeleiteten Anspruch auf Erziehungsgeld ein originärer Anspruch gegenüber den Niederlanden als Wohn- und Beschäftigungsort der Klägerin bestehe, treffe Art. 13 VO Nr.1408/71 EG in Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a)die eindeutige Anordnung, dass ausschließlich die Rechtsvorschriften der Niederlande gelten könnten. Ansprüche gegen einen anderen EU/EWR - Staat träten hinter dem eigenen Anspruch stets zurück. Die Antikumulierungsvorschriften kämen also nicht zur Anwendung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakten und der Verwaltungsakten des beklagten Landes, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

Entgegen der Auffassung des Sozialgericht sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig. Die Klägerin hat dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 Satz 1 1.Alternative SGG) Anspruch auf deutsches Erziehungsgeld für das erste Lebensjahr ihres Sohnes D.

Die Klägerin erfüllt zwar unmittelbar und allein in ihrer Person nicht die Voraussetzungen für einen Anspruch auf deutsches Erziehungsgeld. Sie hat aber auf Grund der VO 1408/71 EG über ihren Ehemann Anspruch auf deutsches Erziehungsgeld nach dem BErzGG, das hier in der vom 1.8.1998 bis 31.12.2000 geltenden Fassung (BErzGG a.F.) anwendbar ist. Der Ehemann der Klägerin als in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigter Arbeitnehmer im Sinne der Vorschriften der VO 1408/71 EG über Familienleistungen vermittelt nämlich die Anwendbarkeit des deutschen Erziehungsgeldrechts.

Nach der Rechtssprechung des EUGH (v. 10.10.1996 Rs. C-245 u.312/94 (Hoever und Zachow))handelt es sich beim deutschen Erziehungsgeld um eine Familienleistung im Sinne der VO 1408/71 EG. Freizügigkeitsbedingt gelangt das BErzGG über die Arbeitnehmerstellung des Wanderarbeitnehmers zur Anwendung. Dieser wiederum muss nicht die eigentlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Er vermittelt lediglich nach Art. 13 II Lit. a VO 1408/71 EG die Geltung des Gesetzes; über Art. 73 VO 1408/71 erhält dann dessen Familienangehöriger die Möglichkeit, die eigentlichen Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen. Man kann also von einer auf zwei Personen aufgespaltenen und kumulativ zu berücksichtigenden Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung sprechen(vgl. Becker, "Erziehungsgeld und Gemeinschaftsrecht" in: SGb 1998, 553,558). Wegen des besonderen Charakters des Erziehungsgeldes als Familienleistung ist deshalb nicht entscheidend, dass die Person, die die Arbeitnehmereigenschaft erfüllt und die Anwendung der Verordnung vermittelt und die Person, die das Kind erzieht, verschieden sind.

Danach ergibt sich dem Grunde nach ein Anspruch der Klägerin auf deutsches Erziehungsgeld, weil ihr Ehemann Arbeitnehmer in Deutschland ist und sie selbst die eigentlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Sie lebt mit D, für den ihr die Personensorge zusteht, in einem Haushalt, betreut und erzieht dieses Kind selbst und übt keine volle Erwerbstätigkeit (§ 2 BErzGG) aus. Dass die Familie in den Niederlanden lebt, kann dem Anspruch nicht entgegengehalten werden. Der Wohnsitz in den Niederlanden steht gemäß Art. 73 VO 1408/71 EG dem inländischen Wohnsitz gleich(vgl. EuGH a.a.O. und BSG SozR 3-7833 § 8 Nr. 4).

Nach den aktenkundigen maßgeblichen Einkommensverhältnissen ergibt sich unter Anwendung des § 6 BErzGG ein Zahlungsanspruch. Das von der Klägerin bezogene niederländische Wochengeld schließt das deutsche Erziehungsgeld nicht aus, auch wenn man es- wie des beklagte Land- für eine diesem vergleichbare Leistung hielte (vgl. bei Becker, "Die Koordinierung von Familienleistungen - Praktische und rechtliche Fragen der Anwendung der VO 1408/71" in: Schulte/ Barwig, "Freizügigkeit und Soziale Sicherheit" S. 191, 225). Es ist vielmehr zur Vermeidung einer verdeckten Diskriminierung lediglich anzurechen, weil es dem deutschen Mutterschaftsgeld entspricht, welches nach § 7 BErzGG auf das Erziehungsgeld angerechnet wird. Andere Familienleistungen, die nach Art. 10 der VO 574/72 EG oder Art.76 der VO 1408/71 EG Priorität vor dem deutschen Erziehungsgeld haben könnten, existieren in den Niederlanden nicht, wie die Ermittlungen des beklagten Landes ergeben haben.

Entgegen der Ansicht des beklagten Landes und des SG schließt der Umstand, dass die Klägerin in den Niederlanden beschäftigt ist, den Anspruch auf deutsches Erziehungsgeld hier nicht gemäß Art. 13 VO 1408/71 EG aus.

Gemäß Art. 13 Abs. 1 der VO 1408/71 EG unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, vorbehaltlich der Art. 14 c und 14 f, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Die Art. 14 c und 14 f greifen hier nicht ein. Anzuwenden ist daher grundsätzlich Art. 13 Abs. 2 in dessen Nr. 1 es heißt: Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates abhängig beschäftigt ist (hier: für die Klägerin die Niederlande) unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat.

Die Klägerin ist Arbeitnehmerin in den Niederlanden, gleichwohl beruft sich das beklagte Land zu Unrecht auf Art. 13 VO 1408/71 EG, denn die Anwendbarkeit der Vorschriften des Erziehungsgeld- gesetzes wird hier über den Ehemann der Klägerin vermittelt.

Das beklagte Land verweist zwar zutreffend darauf, dass es Ziel der genannten Vorschrift ist, die betroffenen Personen dem System eines einzigen Mitgliedstaates zu zuordnen. Das Beschäftigungslandprinzip wird aber in den Antikumulierungs- vorschriften partiell durchbrochen(vgl. bei Haverkarte, Europäisches Sozialrecht S.221 Rdnr.345). Wenn etwa neben dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Familienleistungen im Beschäftigungsland ( z.B. Deutschland) ein zusätzlicher Anspruch auf Familienleistungen im Wohnstaat des Familienangehörigen entsteht, weil z.B. der Ehegatte des(Wander-) arbeitnehmers dort ebenfalls berufstätig ist, versteht es sich von selbst, dass mit Hilfe der Antikumulierungsvorschriften einerseits ein Doppelbezug ausgeschlossen werden muss und andererseits gewährleistet werden muss, dass die im Ergebnis günstigste Leistung zur Auszahlung gelangt. In dem oben gebildeten Beispiel würde Art. 13 VO 1408/71 EG sicher auch vom Standpunkt des beklagten Landes ein Anspruch des Arbeitnehmers auf deutsches Erziehungsgeld nicht nach der Kollisionsregelung des Art. 13 VO 1408/71 EG ausgeschlossen sein, weil zwei Rechtssubjekte betroffen sind und diese unterschiedlichen Sozialsystemen zugeordnet werden können. Das kann zur Überzeugung des Senats im Ergebnis auch vorliegend nicht anders sein. Denn auch der Erziehungsgeldanspruch der Klägerin knüpft an die Beschäftigung des Ehemannes in Deutschland an, sodass es auf dessen Zuordnung nach Art. 13 VO 1408/71 EG ankommen muss und die von der durch die Beschäftigung der Klägerin bedingte Zuordnung zum niederländischen Sozialsystem unberührt bleiben muss. Anders ließe sich hier nicht realisieren, dass es nach der Rechtsprechung des EuGH ohne Bedeutung sein soll, welcher Elternteil die Familienleistung Erziehungsgeld in Anspruch nehmen will. Der Qualifizierung des Erziehungsgeldes als Familienleistung (s. o.) würde es nicht gerecht werden, wenn ein über die Arbeitnehmereigenschaft des Ehemannes begründeter Anspruch auf eine Familienleistung wegen einer nach dem Maßstab des BErzGG nicht vollen Erwerbstätigkeit der Ehefrau im EG-Ausland ausgeschlossen würde.

Zudem ist die typische mit Hilfe von Art 13 VO 1408/71 EG zu regelnde Kollision zwischen dem Recht des Beschäftigungslandes und dem Recht des Wohnsitzlandes hier nicht gegeben. Wohnsitz und Beschäftigung der Klägerin liegen beide in den Niederlanden. Es geht hier vielmehr letztlich darum, dass es zwei Beschäftigungsländer, das des Ehemannes-Deutschland- und das der Klägerin- Niederlande - gibt. Art 13 VO EG 1408/71 regelt aber nicht die Frage, ob ein über den Ehemann hergeleiteter Anspruch auf eine Familienleistung in dessen Beschäftigungsland deshalb ausgeschlossen sein kann, weil die Ehefrau Arbeitnehmerin einen anderen Beschäftigungsland ist. Das muss aber zur Überzeugung des Senats unabhängig davon sein, welcher der Ehepartner die Familienleistung geltend macht.

Die Klägerin hat nach allem dem Grunde nach Anspruch auf Erziehungsgeld für D.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er ihr grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Rechtskraft
Aus
Saved