L 16 KR 159/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 174/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 159/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19. Juni 2002 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld (Krg) für Zeiten, für die der Kläger der beklagten Krankenkasse erst nachträglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt hat.

Der als Hotelangestellter beschäftigte und bei der Beklagten pflichtversicherte Kläger erkrankte ab dem 23.01.2001 an akuter Hepatitis. Bis zum 05.03.2001 einschließlich bezog er Lohnfortzahlung durch seinen Arbeitgeber. Am 28.03.2001 meldete sich der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage der für die Krankenkasse bestimmten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die der Kläger durch den behandelnden Arzt Dr. T für den Zeitraum ab dem 23.01.2001 erhalten hatte. Die Beklagte bewilligte mit formlosen Bescheiden vom 06.04. und 26.04.2001 Krg ab dem 28.03.2001 und lehnte eine Zahlung für vorangegangene Zeiten ab, weil die Arbeitsunfähigkeit nicht unverzüglich trotz entsprechenden Hinweises auf den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gemeldet worden sei. Den hiergegen gerichteten Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, er habe bisher noch kein Krg in Anspruch genommen und sei davon ausgegangen, die Bescheinigungen gesammelt vorlegen zu müssen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2001 als unbegründet zurück, weil die Meldung der Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Versicherten falle, selbst wenn ihn kein Verschulden an der verspäteten Meldung treffe. Erfolge die Meldung aber nicht innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit, ruhe der Anspruch auf Krg.

Der Kläger hat am 06.08.2001 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Köln erhoben, mit der er sein Widerspruchsvorbringen wiederholt hat.

Die Beklagte ist ebenfalls bei ihrer Auffassung verblieben.

Mit Urteil vom 19.06.2002 hat das SG die Beklagte antragsgemäss verurteilt, dem Kläger Krg für die Zeit vom 06.03. bis 27.03.2001 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Gegen das ihr am 27.06.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.07.2002 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), auf die sich das SG bezogen habe, betreffe einen anderen Sachverhalt. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Arzt dem Versicherten die zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aushändige, müsse es bei dem Grundsatz verbleiben, dass die verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit in den Verantwortungsbereich des Versicherten falle. Die entsprechenden Hinweise auf den drohenden Verlust des Krg bei verspäteter Vorlage auf den Bescheinigungen seien auch eindeutig. Die Auffassung, durch das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) werde die Pflicht des Arztes zur Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Krankenkasse begründet, finde keinen Rückhalt in der Gesetzesbegründung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Köln vom 19.06.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäss,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Berufung ist zulässig. Allein der streitige Nettozahlbetrag des Krg beträgt mehr als 500,- Euro (22 Tage x 46,29 DM/23,67 Euro = 1.018,38 DM/ 520,74 Euro), so dass die Berufung nicht der Zulassung bedurfte (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG).

Die Berufung ist aber nicht begründet, denn das SG hat die Beklagte zu Recht zur Gewährung von Krg verpflichtet.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Diese Voraussetzungen waren im Zeitraum vom 06.03. bis 27.03.2001 beim Kläger erfüllt, weil er in dieser Zeit aufgrund einer akuten Hepatitis nicht in der Lage war, seine Tätigkeit als Hotelangestellter auszuüben, was zur Überzeugung des Senats aufgrund der Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. T feststeht und was zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten ist.

Der Anspruch hat nicht gemäss § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V geruht. Nach dieser Vorschrift ruht der Anspruch auf Krg, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird; dies gilt nicht, wenn die Meldung innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt. Daraus folgt grundsätzlich, dass der Versicherte binnen Wochenfrist die Arbeitsunfähigkeit seiner Krankenkasse zu melden hat und dass die Folgen der verspäteten Meldung von ihm zu tragen sind, selbst wenn ihn kein Verschulden an der verspäteten Anzeige trifft (st. Rechtsspr. des BSG, zul. Urt. v. 08.02.2000 - B 1 KR 11/99 R - BSGE 85, 271, 276). Ausnahmsweise gilt jedoch etwas anderes, wenn die verzögerte Meldung der Arbeitsunfähigkeit auf Umständen beruht, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse und nicht dem Versicherten zuzurechnen sind (BSG a.a.O. m.w.N.). Letzteres ist für den Fall angenommen worden, dass der die Arbeitsunfähigkeit feststellende Vertragsarzt bei einem Versicherten, der wie der Kläger Anspruch auf Lohnfortzahlung hat, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht übermittelt (BSG SozR 2200 § 216 Nr. 5).§ 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG (früher § 3 Abs. 1 Satz 3 Lohnfortzahlungsgesetz - LFZG) bestimmt insoweit, dass die ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten muss, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird. Entsprechend sahen die früheren Vordruckvereinbarungen der Parteien der Bundesmanteltarifverträge der Ärzte (BMV-Ä) (vgl. dazu BSG a.a.O. S. 13) vor, dass die Bescheinigung für den Arbeitgeber den vorgeschriebenen Vermerk des Kassenarztes enthält, dass eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich der Krankenkasse übersandt wird. Hieraus sowie aus den früher geltenden ergänzenden Bestimmungen des BMV-Ä, dass die Kassenärzte dem Vertrauensärztlichen Dienst diejenigen Auskünfte erteilen, die dieser zur Durchführung seiner gesetzlichen Aufgaben benötigt (§ 12 Abs. 5 BMV-Ä i.d.F. vom 01.01.1970; § 21 Abs. 7 BMV-Ä i.d.F. vom 01.07.1978), ist geschlossen worden, dass dem Versicherten mit Anspruch auf Lohnfortzahlung die Verpflichtung abgenommen worden ist, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit zu melden (BSG a.a.O.).

Allerdings ist der hier maßgebliche Bundesmanteltarifvertrag für die Ersatzkassen in der Fassung vom 01.04.1995, insbesondere die danach geltende Vordruckvereinbarung unter Geltung des SGB V geändert worden. Nach letzterer Vereinbarung weist die Bescheinigung für den Arbeitgeber (Vordruck Muster 1 b) nicht mehr den Vermerk des Arztes über die unverzügliche Versendung der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkasse auf. Dafür enthält nunmehr der für die Krankenkasse bestimmte Vordruck (Muster 1 a) den Hinweis, dass "bei verspäteter Vorlage Krg-Verlust droht". Entsprechend wird letztere Bescheinigung häufig von den Kassenärzten auch den Versicherten mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung ausgehändigt. Diese veränderte Praxis vermag jedoch an dem Umstand nichts zu ändern, dass die Meldepflicht, soweit § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG Anwendung findet, dem Versicherten abgenommen und das Verspätungsrisiko der Sphäre der Krankenkasse zuzurechnen ist (ebenso LSG Bremen, Urt. v. 17.06.1999 - L 2 KR 2/99 - = E-LSG KR 159; vgl. auch das die dagegen gerichtete Revision als unzulässig verwerfende Urt. des BSG vom 28.02.2000 - B 1 KR 8/99 R = SozR 3-1500 § 164 Nr. 11; a.A. LSG Rheinland Pfalz Urt. v. 27.07.1999 - L 5 KR 1/99). § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG begründet, wenn auch in erster Linie im Interesse des Arbeitgebers (vgl. Schmitt, Kommentar zum EFZG, 4. Aufl., Rdn. 70 zu § 5 EFZG), die Verpflichtung des Vertragsarztes zur Übersendung der Bescheinigung an die Krankenkasse. Dieser gesetzlichen Verpflichtung kann er sich nicht dadurch entziehen, dass er die Bescheinigung dem Versicherten aushändigt und der Arbeitgeber infolge des fehlenden Vermerks nunmehr ggfl. bei Zweifelsfällen selbst tätig werden muss. Die Vertragsparteien des BMV bzw. der Vordruckvereinbarung sind ebenso wenig befugt, durch die Vereinbarung entsprechend abgeänderter Vordrucke die Verpflichtung aus § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG zu unterlaufen. Dabei ist zu beachten, dass auch § 295 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V bestimmt, dass die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen verpflichtet sind, in dem Abschnitt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, den die Krankenkasse erhält, die Diagnosen aufzuzeichnen und zu übermitteln. Damit ist die Übermittlungspflicht ausdrücklich dem Arzt auferlegt worden. Da der Versicherte aber nicht als sein Bote tätig wird, verletzt der Vertragsarzt daher bei Übergabe der Bescheinigung an diesen seine Pflichten, was der Krankenkasse als Vertragspartner des Kassenarztes zuzurechnen ist.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Versicherte aufgrund des Hinweises auf dem Vordruck für die Krankenkasse erkennen könnte, dass die Bescheinigung der Krankenkasse ohne seine Übermittlung nicht zugeht. Zunächst knüpft § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ohnehin nicht an die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an, sondern stellt auf die verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit ab, so dass die Meldung auch anders als durch Vorlage der Bescheinigung - wenn dies auch der regelmäßige Weg sein wird -, etwa fernmündlich erfolgen kann (allgemeine Meinung; vgl. etwa Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 19. Aufl., Rdn. 99 zu § 49; Geyer/Knorr/ Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Rdn. 51 zu § 49 SGB V). Der Versicherte kann daher allein aufgrund der Aushändigung der für die Krankenkasse bestimmten Bescheinigung nicht erkennen, ob die Krankenkasse nicht gleichwohl durch den Kassenarzt über die Arbeitsunfähigkeit unterrichtet worden ist. Zudem ist der auf dieser Bescheinigung enthaltene Vermerk "bei verspäteter Vorlage droht Krankengeldverlust", unklar. Abgesehen davon, dass die verspätete Vorlage nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nicht erheblich ist, ist diesem Vermerk weder zu entnehmen, welche Dauer der Verzögerung maßgeblich ist, noch dass je nach dem Zeitpunkt der verspäteten Meldung der Krg-Ausschluss zwingend ist.

Unabhängig davon ist nicht erkennbar, warum die Nichtbeachtung gesetzlich vorgesehener Verfahrenswege zwischen dem Vertragsarzt und den Krankenkassen zu Lasten des Versicherten gehen soll. Wenn gleichwohl allgemein im Schrifttum angenommen wird, dass, sofern der Versicherte die Nichtmeldung kannte oder kennen musste, der Ruhenstatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V eintritt, (vgl. Schmidt a.a.O. Rdn. 115 zu § 49; Geyer/Knorr/Krasney, a.a.O., Rdnrn. 53, 55 zu § 49 SGB V; Hauck/Haines, Kommentar zum SGB V, Rdn. 40 zu § 49, Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung - Kommentar -, Rdn. 37 zu § 49 SGB V; ebenso LSG Rheinland Pfalz wie vor), beruht dies auf einer undifferenzierten Auslegung der genannten Entscheidung des BSG (SozR 2200 § 216 Nr. 5). Dem dortigen Versicherten stand als Bezieher von Arbeitslosengeld kein Anspruch auf Lohnfortzahlung zu, so dass ihm gegenüber eine Verletzung der Meldepflicht nach dem LFZG (jetzt EFZG) nicht infolge der fehlgeschlagenen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Vertragsarzt unmittelbar in Betracht kam. Weil der Vertragsarzt ihn aber wie einen Versicherten mit Anspruch auf Lohnfortzahlung behandelt und ihm eine Bescheinigung für den Arbeitgeber mit dem Hinweis der gleichzeitigen Meldung der Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkasse ausgehändigt hatte, war dieser Versicherte aus Vertrauensschutzgründen wie ein Versicherter mit Anspruch auf Lohnfortzahlung zu behandeln.

Auf Vertrauensgesichtspunkte kommt es bei dem Versicherten mit Anspruch auf Lohnfortzahlung aber nicht an, weil er regelmäßig keine Veranlassung hat, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Meldung an seine Krankenkasse erfolgt und aus welchen Gründen er gleichwohl eine Bescheinigung für diese erhalten hat, da das Gesetz ihn nur zur Unterrichtung seines Arbeitgebers verpflichtet (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG). Bleibt demzufolge die verspätete Meldung ein der Sphäre der Beklagten zuzurechnender Umstand, kann § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V vorliegend keine Anwendung finden.

Die Berufung der Beklagten musste daher mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückgewiesen werden.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit hat der Senat die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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