L 17 U 195/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 13 U 74/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 195/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28. Mai 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist der Anspruch auf Weitergewährung von Verletztenrente.

Der 1978 geborene türkische Kläger erlitt als Staplerfahrer bei der Firma W AG in T am 23.09.2000 einen Arbeitsunfall, als der Stapler umkippte. Dr. Q, Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des St. G-Hospitals B, diagnostizierte im Durchgangsarztbericht vom 27.09.2000 eine instabile Lendenwirbelkörper(LWK)-2-Fraktur sowie eine Fußwurzelluxationsfraktur links. Die stationäre Behandlung erfolgte bis zum 28.09.2000 in der Chirurgischen Klinik und Poliklinik der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken C in C. Im Entlassungsbericht vom 28.09.2000 stellte Prof. Dr. N die Diagnose "LWK-2-Fraktur ohne neurologische Ausfälle" sowie "Lisfranc sche Luxationsfraktur links". Dr. Q, der die Weiterbehandlung übernahm, stellte zum 05.02.2001 Arbeitsfähigkeit fest und schätzte die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 20 v.H. ein.

Die Beklagte ließ den Kläger durch den Orthopäden Dr. U in C1 untersuchen und begutachten. Dieser kam im Gutachten vom 31.07.2001 zu dem Ergebnis, als Unfallfolge bestehe ein stabil verheilter Bruch des 2. LWK mit geringer Absenkung der Deckplatte nach vorne, deutlicher zur rechten Seite, eine Rechtsseitausbiegung der Lendenwirbelsäule (LWS) sowie eine Wackelsteife der Fußwurzel-Mittelfußgelenke I bis IV mit röntgenologischen Zeichen der Degeneration I bis III. Er schätzte die unfallbedingte MdE ab Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit bis zum 30.09.2001 auf 20 v.H. und danach bis auf weiteres mit 10 v.H. ein und empfahl eine Entschädigung in Form einer Gesamtvergütung.

Mit Bescheid vom 07.08.2001 gewährte die Beklagte dementsprechend für die Zeit vom 05.02. bis 30.09.2001 vorläufige Verletztenrente als Gesamtvergütung nach einer MdE um 20 v.H. und erkannte als Unfallfolgen an: Minderbelastbarkeit der LWS mit Rechtsseitausbiegung, Wackelsteife der Fußwurzel-Mittelfußgelenke I bis IV links.

Den dagegen vom Kläger am 16.08.2001 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme der Ärztin für Unfallchirurgie Dr. C vom 28.02.2002 mit Bescheid vom 21.03.2002 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 23.04.2002 vor dem Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Beurteilung der Unfallfolgen durch den Gutachter Dr. U treffe nicht zu. Warum eine wesentliche Besserung der Unfallfolgen ab 01.10.2001 eingetreten sein solle, werde nicht begründet. Er leide auch weiterhin unter erheblichen unfallbedingten Beschwerden.

Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. F, Chefarzt der Abteilung für Unfall-, Wiederherstellungs- und Handchirurgie des F Krankenhauses I. Dieser ist darin am 04.12.2002 zusammenfassend zu dem Ergebnis gelangt, als Unfallfolge bestehe eine geringe Achsenfehlstellung bei knöchern vollständig konsolidierter Fraktur des 2. LWK ohne neurologische Symptomatik oder Instabilitätszeichen, eine in geringer Fehlstellung ausgeheilte Luxationsfraktur in der Gelenkverbindung zwischen dem II. bis IV. Mittelfußknochen und den entsprechenden Fußwurzelknochen mit posttraumatischen degenerativen Veränderungen und geringer posttraumatischer Vorfußdeformität, ein leichtes Taubheitsgefühl über dem Fußrist seitlich in einem Areal von 7 x 5 cm, eine fußsohlenwärtige Bewegungseinschränkung im linken oberen Sprunggelenk von 30° sowie eine Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk von 2/5 gegenüber der Gegenseite. Die Unfallfolgen hat der Sachverständige (SV) mit einer MdE von 10 v.H. bewertet und darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Wirbelkörperfraktur ein sehr günstiges Ausheilungsergebnis festzustellen sei und bei gleichzeitig nachgewiesener Wiederertüchtigung der Wirbelsäulenhaltemuskulatur die Unfallfolgen eine messbare MdE insoweit nicht bedingten. Im Hinblick darauf, dass in Bezug auf die Unfallfolgen am linken Fuß noch eine gewisse Einschränkung der Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk festzustellen sei und ein Taubheitsgefühl bei ansonsten normalen Sensibilitäts- und Durchblutungsverhältnissen, eine unfallbedingte Umfangsverminderung als Zeichen einer Schonhaltung des linken Beines nicht bestehe und nach den MdE-Erfahrungswerten erst bei einer Versteifung des oberen Sprunggelenks in einem Winkel von 90 bis 110° oder einem Zustand nach Inkongruenz im hinteren unteren Sprunggelenk mit schmerzhafter Restbeweglichkeit eine MdE von 20 v.H. vorliege, seien die Unfallfolgen insgesamt mit einer MdE von 10 v.H. zu bewerten. Mit der Beurteilung des Unfallfolgezustandes durch Dr. U bestehe Übereinstimmung.

Die Beklagte lehnte mit weiterem Bescheid vom 21.03.2003 unter Hinweis auf das Gutachten von Prof. Dr. F die Gewährung von Verletztenrente über den 30.09.2001 hinaus ab.

Mit Urteil vom 28.05.2003 hat das SG die Klage, mit der der Kläger zuletzt nur noch die Aufhebung des Bescheides vom 21.03.2001 mit dem Ziel begehrte, über den 30.09.2001 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu erhalten, abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 20.06.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 16.07.2003 Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und weiterhin der Auffassung ist, die unfallbedingten Funktionseinbußen rechtfertigten die Weitergewährung von Verletztenrente.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28.05.2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.03.2003 zu verurteilen, ihm über den 30.09.2001 hinaus wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23.09.2000 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Unfallakte lag vor und war Gegenstand der Beratung.

II.

Die Berufsrichter sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, dass die zulässige Berufung offensichtlich unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Sie haben sie daher - nachdem die Beteiligten unter dem 27.10.2003 auf diese Verfahrensweise hingewiesen worden sind - durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG zurückgewiesen.

Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der allein noch angefochtene Verwaltungsakt vom 21.03.2003, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Weitergewährung von Verletztenrente, denn die Unfallfolgen bedingen spätestens ab 01.10.2001 keine MdE in rentenberechtigendem Grade.

Nach § 56 des Siebten Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente, bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet. Sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht (§ 56 Abs. 3 SGB VII). Die Beklagte hat - nachdem sie zunächst durch den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 07.08.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2002 für die Zeit vom 05.02.2001 bis 30.09.2001 Gesamtvergütung nach § 75 SGB VII gewährt hatte -, mit dem zuletzt allein noch angefochtenen Bescheid vom 21.03.2003 die Gewährung von Rente über den Wegfallzeitpunkt hinaus abgelehnt und sich insoweit auf das Gutachten des vom SG gehörten SV Prof. Dr. F gestützt.

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme bedingen aber die vom SV festgestellten Unfallfolgen keine MdE von 20 v.H., wie es hier wegen des Fehlens eines Stütztatbestandes nach § 56 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB VII erforderlich ist. Nach § 56 Abs. 2 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus den Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 4, 147, 149; SozR 3-2200 § 581 Nr. 7; BSG Urteil vom 02.05.2001 - B 2 U 24/00 R -) in Anwendung medizinischer sowie sonstiger Erfahrungssätze eine Wertung über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten, worauf es auf die Gesamtumstände des Einzelfalls ankommt (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 02.05.2001). Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Bei der Einschätzung der MdE sind auch die von Rechtsprechung sowie vom versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar für die Entscheidung im Einzelfalls nicht bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 23, 27; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung (Handkommentar) § 56 SGB VII Rnr. 10.3). Sie sind in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische SV zur Höhe der MdE unterbreitet, wodurch gewährleistet wird, dass alle Betroffenen bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr. 5; BSGE Urteil vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R -).

Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass hinsichtlich der erhobenen Befunde keine relevanten Unterschiede zwischen den Feststellungen des von der Beklagten gehörten Gutachters Dr. U, dessen Darlegungen urkundsbeweislich zu werten sind, und des im ersten Rechtszug gehörten SV Prof. Dr. F bestehen. Soweit der Kläger mit der Klage behauptet hat, die Unfallfolgen bestünden ab dem 01.10.2001 unverändert fort und bedingten weiterhin eine MdE in rentenberechtigendem Grade, ist diese Auffassung durch die medizinische Beweisaufnahme im Gerichtsverfahren nicht bestätigt worden. Dies hat das SG im Anschluss an die Darlegungen des SV Prof. Dr. F ebenso eingehend wie zutreffend dargelegt, weshalb der Senat - um Wiederholungen zu vermeiden - auf die diesbezüglichen Ausführungen nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt. Dort ist im einzelnen unter Hinweis auf die MdE-Erfahrungswerte dargelegt worden, weshalb sowohl die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule wie auch am linken Fuß funktionell nicht so gravierend sind, dass sie einzeln oder auch zusammen noch eine MdE von 20 v.H. begründen können.

Das Berufungsvorbringen des Klägers, das sich in einer Wiederholung seines Vortrages aus der ersten Instanz erschöpft, macht weder weitere Darlegungen noch gar eine weitere medizinische Beweisaufnahme erforderlich. Auf der Basis der Gutachten von Dr. U und Prof. Dr. F ist der Sachverhalt in medizinischer Hinsicht vielmehr hinreichend geklärt.

Nach alledem erweist sich die Berufung als unbegründet und war mit der Kostenfolge des § 193 SGG zurückzuweisen.

Zur Revisionszulassung bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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