L 4 (2) U 94/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 U 299/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 (2) U 94/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 24/00 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 14.11.2002 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im zweitinstanzlichen Verfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen der Berufskrankheit Nr. 4103 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura -.

Im Mai 1999 zeigte der Arzt für Arbeitsmedizin Dr. I beim Kläger eine Asbestose der Pleura als Berufskrankheit bei der Beklagten an. Der Kläger habe beruflich Umgang mit Asbestverkleidungen gehabt. Die Beklagte zog Befundberichte bei, holte Arbeitgeberauskünfte sowie eine Stellungnahme des technischen Aufsichtsdienstes (TAD) ein. Anschließend wurde der Internist und Arbeitsmediziner Dr. T mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 29.10.1999 zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4103 gegeben seien, sofern sich eine Asbestexposition bestätige. Funktionsbeeinträchtigungen relevanten Ausmaßes lägen derzeit nicht vor. Nach Einholung einer weiteren Stellungnahme des TAD sowie der Landesanstalt für Arbeitsschutz Nordrhein- Westfalen erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 25.01.2000 die Veränderungen der Pleura als Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 4103 der Anlage zur BKV an. Die Gewährung von Rente lehnte sie mit der Begründung ab, dass die geringfügigen asbeststaubbedingten Pleuraveränderungen keine Funktionsbeeinträchtigungen in rentenberechtigendem Grade verursachten.

Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er begehrte die Gewährung von Verletztenrente und Übergangsleistungen nach § 3 BKV. Die Beklagte zog Unterlagen der behandelnden Internistin Dr. L, die Schwerbehindertenakte sowie die medizinischen Unterlagen der Landesversicherungsanstalt Westfalen bei und holte eine Stellungnahme von Dr. I ein. Mit Bescheid vom 30.03.2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Maßnahmen nach § 3 BKV ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 23.10.2001 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.01.2000 sowie gegen den Bescheid vom 30.03.2001 als unbegründet zurück.

Mit der am 21.11.2001 vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente sowie von Übergangsleistungen nach § 3 BKV begehrt. Er hat u. a. vorgetragen, die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei von der Beklagten nicht zutreffend festgesetzt worden. Sie habe es unterlassen, eine abstrakte Schadensberechnung vorzunehmen.

Mit Beschluss vom 20.12.2001 hat das SG das den Anspruch des Klägers auf Rente betreffende Verfahren S 10 U 299/01 von dem den Anspruch auf Übergangsleistungen betreffenden Verfahren abgetrennt und das Verfahren bezüglich der Übergangsleistungen unter dem Az. S 10 U 333/01 weitergeführt.

Das SG hat den Internisten und Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. R mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In dem Gutachten vom 09.09.2002 hat Dr. R ausgeführt, beim Kläger seien als Folgen der Berufskrankheit Nr. 4103 der Anlage zur BKV mehrere Pleuraplaques in beiden Lungen sowie eine geringfügige Lungenfibrose beider Unterfelder festzustellen. Die Folgen der Berufskrankheit hätten keine Funktionsbeeinträchtigungen zur Folge, so dass keine rentenberechtigende MdE vorliege.

Mit Gerichtsbescheid vom 14.11.2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach § 56 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 7. Buch (SGB VII) richte sich die Bemessung der MdE nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Versicherten durch die Unfall- bzw. Berufskrankheitenfolgen und dem Umfang der ihm dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Versicherten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt seien, liegen in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Die durch Asbest bedingten Veränderungen der Pleura verursachten nach den Feststellungen der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten Ärzte keine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Klägers und rechtfertigten damit keine Bemessung der MdE im rentenberechtigenden Grade. Aus radiologischen Veränderungen der Lunge, die keine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens zur Folge hätten, lasse sich keine MdE ableiten, da sich der Umfang der einem Versicherten verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten ausschließlich nach dem Umfang der Beeinträchtigung seines körperlichen und geistigen Leistungsvermögens durch die Unfall- bzw. Berufskrankheitenfolgen bestimmten.

Gegen den am 25.11.2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 10.12.2000 Berufung eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter. Nach § 56 Abs. 2 SGB VII sei die MdE im Wege der abstrakten Schadensberechnung festzusetzen. Entscheidend sei nicht das Ausmaß des Körperschadens, sondern in welchem Umfang die Arbeitsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch den Körperschaden vermindert bzw. entfallen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 20.03.1981, 8/8a RU 104/79, BSGE 51, 253 ff.) könne eine Berufskrankheit trotz fehlender Funktionsausfälle im Hinblick auf den Verlust einer Erwerbsmöglichkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine MdE verursachen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 14.11.2002 zu ändern und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2001 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der Berufskrankheit Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.

Die Beklagte und Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene hat ausgeführt, nach der herrschenden Rechtsprechung richte sich die MdE-Bewertung im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz nach Erfahrungssätzen, soweit diese allgemein anerkannt seien. Vorliegend seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, das die MdE-Bewertung den medizinischen Funktionsbeeinträchtigungen und den Leistungseinschränkungen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht gerecht würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der beigezogen Akte des Sozialgerichts Gelsenkirchen, (Az.: S 10 U 333/01) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung einer Rente nach § 56 SGB VII zu.

Die als Folge einer beruflich bedingten Asbeststaubeinwirkung nach Nr. 4103 der Anlage BKV anerkannten Veränderungen der Pleura verursachen keine MdE im rentenberechtigenden Grade. Der Senat nimmt nach eigener Überprüfung gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts, um Wiederholungen zu vermeiden. Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin: Die Bemessung des Grades der MdE, also die aufgrund von § 56 Abs. 1 SGB VII durch eine Schätzung vorzunehmende Festlegung des konkreten Umfangs der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich der Senat anschließt, eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Neben der Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ist dabei die Anwendung medizinischer oder sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens erforderlich. Als Ergebnis dieser Wertung ergibt sich die Erkenntnis über den Umfang der dem Versicherten versperrten Arbeitsmöglichkeiten. Hierbei kommt es stets auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an (BSG, Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 24/00 R, SozR 3 - 2200 § 581 Nr. 8; Urteil vom 18.03.2003, B 2 U 31/02 R.m.w.N). Das SG ist zutreffend davon ausgegangen, dass für die Bemessung der MdE infolge einer Asbestose als Berufskrankheit wie bei broncho- pulmonalen Erkrankungen allgemein auf das Ausmaß der objektiv nachweisbaren pulmo-kardialen Einbußen abzustellen ist (BSG, Urteil vom 10.03.1994, 2 RU 13/93). Nach den Feststellungen der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten Ärzte verursachen die asbestbedingten Lungenveränderungen - mehrere Pleuraplaques in beiden Lungen und eine geringfügige Lungenfibrose beider Unterfelder - keine funktionelle Beeinträchtigung von Atmung oder Kreislauf. Auch die Tatsache, dass dem Kläger wegen der bestehenden Asbestose der staubbelastete Teilbereich des Arbeitsmarktes verschlossen ist, begründet entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten keine messbare MdE. Das Verbot, staubgefährdende Arbeiten zu verrichten, schränkt nicht die körperlichen oder geistigen Kräfte des Klägers ein, sondern dient nur der Vorbeugung gegen eine drohende, also noch nicht bestehende Berufskrankheit. Es kann nicht zur Begründung einer noch nicht bestehenden MdE herangezogen werden (BSG, Urteil vom 10.03.1994, 2 RU 13/93 m.w.N). Radiologische Veränderungen der Lunge, die keine feststellbaren pulmo-kardialen Einbußen und damit keine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens zur Folge haben, begründen entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten allein noch keine messbare MdE. Dies ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten eindeutig aus dem Wortlaut des § 56 Abs. 2 SGB VII, wonach die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen, also die feststellbare Beeinträchtigung des Leistungsvermögens auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens für die Bildung der MdE entscheidend ist. Der Gesetzgeber hat in § 56 Abs. 2 SGB VII keine neuen Grundsätze hinsichtlich der Bemessung des Grades der MdE aufgestellt, vielmehr hat er die schon im Rahmen des § 581 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) geltenden Maßstäbe für die Bemessung des Grades der MdE übernommen (BSG, Urteil vom 18.03.2003, B 2 U 31/02 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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