L 16 P 6/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 23 P 23/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 P 6/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Köln vom 26. November 2001 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger beansprucht die Zahlung von Pflegegeld für die Zeit ab März 1999. Er ist am 00.00.1966 geboren und ist bei der beklagten Ersatzkasse versichert. Der Kläger leidet/litt organisch - soweit hier von Belang - im wesentlichen an einer starken Bewegungseinschränkung der Hüften und Beine beidseits als Zustand nach Einfügung einer Totalendoprothese (TEP) wegen einer Hüftkopfnekrose links ( wohl im Jahre 1997). Ihn behandelnde Ärzte bescheinigten dem Kläger zudem psychopathologische Auffälligkeiten. Der Kläger lebt allein; er wohnte 1999 in einem Ein-Zimmer-Appartement mit Küche, Bad mit Wanne, Heizung und Telefon auf der 9. Etage eines mit einem Fahrstuhl ausgerüsteten Mehrfamilienhauses.

Zur Betreuung des Klägers waren vom Amtsgericht C bestellt:

- vom 29.9. bis zum 22.10.1998 Herr D E1 ohne Erlaubnisvorbehalt für die Bereiche "Aufenthaltsbestimmung, Sorge für die Gesundheit, Vermögenssorge, Vertretung bei Behörden, Wohnungsangelegenheiten"

- ab dem 9.6.2000 - vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung und mit Erlaubnisvorbehalt - Herr S T

- ab dem 13.11.2000 der nämliche ohne Erlaubnisvorbehalt bis jedenfalls zur für den 13.11.2001 vorgesehenen erneuten Entscheidung

- ab dem 11.12.2000 Frau B C2 als Ersatzbetreuerin für Herrn T

- ab dem 4.4.2001 Frau B C2 anstelle von Herrn T Nunmehr steht der Kläger nicht mehr unter Betreuung.

Der Kläger ist stationär behandelt worden

- vom 14. bis zum 16.9.99 im F Krankenhaus L

- vom 16. bis zum 17.9.99 (untergebracht nach § 17 PsychKG) in den Rheinischen Kliniken N

- vom 17. bis zum 22.9.1999 in den Rheinischen Kliniken C1

- vom 14. bis zum 28.4.2000 in den Rheinischen Kliniken C1

- vom 28.4. bis zum 4.5.2000 im St. F1/St. Q-Krankenhaus gGmbH C1

- jedenfalls ab Juni 2000 auf der geschlossenen Abteilung der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Rheinischen G-X-Universität C1

- vom 27.11.2000 bis zum 8.2.2001 in der Orthopädie der Universität zu L, gefolgt von Rehabilitations-Maßnahmen.

Jedenfalls seit April 2001 hält der Kläger sich wieder im häuslichen Bereich auf.

Mit Datum des 21.4.1998 hatte der Kläger einen ersten, von der Beklagten nach Einschaltung des Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) abgelehnten Antrag gestellt, ihm Pflegegeld zu gewähren; die für den Eintrag der Pflegeperson vorgesehene Spalte hatte der Kläger unausgefüllt gelassen.

Am 22.3.1999 stellte der Sozialarbeiter E1 einen Antrag auf häusliche Pflege, da sich der Zustand des von ihm betreuten Klägers drastisch verstärkt habe, da er zB nicht in der Lage sei, sich vollständig anzuziehen und wegen seiner schweren Gehbehinderung außerstande sei, für Lebensmittel zu sorgen oder gar den Haushalt zu führen. Der Sozialarbeiter E1 ergänzte mit Schreiben vom 23.3.99, er beantrage häusliche Pflegehilfe als Sachleistung; es möge geprüft werden, ob direkt an die Sozialstation in X gezahlt werden könne, die den Kläger betreue und Pflegeperson sei; "ggf. nach Ihrem Vorschlag". Frau Dr. C vom MDK befand in ihrem auf Veranlassung der Beklagten erstellten Gutachten vom 7.5.1999: der Kläger habe mitgeteilt, es sei keine Pflegeperson vorhanden und nach seinem Umzug nach X habe er auch keinen Hausarzt mehr; er sei versorgt mit zwei Unterarm-Gehstützen, Brille und Kontaktlinsen; 1995 habe er einen Mitralklappenersatz in der Kardioklinik L bekommen und seither erfolge die Substitution durch Marcumar; 1998 sei eine Colitis ulcerosa festgestellt worden, und er habe eine starke Bewegungseinschränkung der Hüften und Beine beidseits; nach einer Hüft-TEP seien keine Reha-Maßnahmen durchgeführt worden. Die Gutachterin gelangte zu dem Ergebnis, es bestehe ein Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung und im Bereich der Grundpflege - ein solcher von täglich 19 Minuten (min) aus
1 x tgl TÜ (Teilübernahme) beim Baden = 10 min
1 x tgl Transfer = 1 min
2 x tgl TÜ Ankleiden = insgesamt 6 min
2 x tgl TÜ Auskleiden = insgesamt 2 min;

Strümpfe und Schuhe könnten nicht ohne Hilfe angezogen werden; sinnvoll wäre Hilfe beim Anziehen der Hose, beim Waschen und bei der HWV (hauswirtschaftlichen Versorgung); es sei intensive KG (Krankengymnastik) angezeigt mit Bewegungsübungen und Muskelaufbautraining. Der Betreuer E1 wandte ein, das Ergebnis der Untersuchung stelle ihn nicht zufrieden, da der Kläger ja nicht einmal in der Lage sei, sich vollständig zu kleiden; wie ihm sein Arzt Dr. N mitteile, könne er seine Strümpfe nicht selbst anziehen; auch sei der Kläger nicht in der Lage, seine Wohnung in Ordnung zu halten. Die Beklagte entschied mit Bescheid vom 26.8.1999, den Antrag auf Gewährung von Pflegeleistungen in Form der Pflegesachleistung müsse die Kasse leider ablehnen. Mit ihrem am 8.9.1999 erhobenen Widerspruch trugen die Bevollmächtigten des Klägers unter Vorlage einer vom Kläger am 10.8.1999 unterzeichneten Vollmacht vor, aus der beigefügten Bescheinigung des Internisten Dr. I aus U vom 3.8.99 ergebe sich, daß der Kläger zumindest beim Anziehen von Schuhen Hilfe benötige; dazu stehe im Widerspruch, dass der MDK Hilfe bei der Ganzkörperwäsche und Teilwäsche nicht für erforderlich halte; es sei darauf hinzuweisen, daß der Kläger sich vorwiegend im Bett liegend aufhalte; er könne nur unter äußerster Anstrengung wenige Meter gehen; deshalb benötige er auch Hilfe bei der Zubereitung der Nahrung und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung , denn zwar verfüge das Haus über einen Fahrstuhl, dieser sei jedoch häufig defekt. Dem Schreiben der Bevollmächtigten beigefügt war eine Bescheinigung des Internisten und Stationsarztes Dr. L vom 3.8.1999. Dieser teilte mit: der Kläger sei zZt lediglich mit 2 Unterarm-Gehhilfen mobil und könne wesentliche Dinge des Lebens nicht ohne Hilfe erledigen; hierzu gehöre insbesondere ... das Anziehen von Schuhen, die Ganzkörperwäsche, das Einkaufen und das Zubereiten warmer Nahrung; weiterhin sei es ihm offensichtlich nicht möglich, wesentliche Dinge, die ihn selbst beträfen, zu entscheiden; er, Dr. L, sei kein Psychiater, meine jedoch, daß dem Kläger wegen einer Umständlichkeit des Denkens der Blick für das Wesentliche verlorengegangen sei. Am 17.9.1999 wurde der Kläger nach Unruhezuständen mit dem Verdacht auf eine Psychose aus dem F Krankenhaus L in die Rheinischen Kliniken C1 zur o.a. psychiatrischen Behandlung verbracht. Mit Schreiben vom 14.10.1999 teilten seine Bevollmächtigten der Kasse mit: der Kläger könne längere Zeit von zu Hause nicht wegbleiben, weil er nicht lange stehen und gehen könne und ständig Sanitäreinrichtungen aufsuchen müsse; der Kläger drohe völlig zu verwahrlosen; bis vor kurzem sei er von einem früheren Schulfreund unterstützt worden, der Lebensmittel besorgt, gekocht und beim An- und Ausziehen behilflich gewesen sei; der Schulfreund habe dem Betreuer am 1.10.1999 telefonisch mitgeteilt, daß ihm das aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich sei. Frau Dr. E vom MDK erklärte in ihrem auf Veranlassung der Beklagten nach Aktenlage erstellten Gutachten von 28.10.1999, Frau Dr. C habe ihr bestätigt, daß der Kläger ihr, sauber gekleidet, ausgestattet mit den Gehstützen, selbst die Tür geöffnet und berichtet habe, daß er sich derzeit bei der Grundpflege vollständig selbst versorge und nur bei der HWV (hauswirtschaftlichen Versorgung) auf fremde Hilfe angewiesen sei. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 11.2.2000 zurück und führte aus, es bestehe kein Anspruch auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit; Maßnahmen zur sozialen und gesellschaftlichen Eingliederung gehörten nicht zu den Aufgaben der Pflegeversicherung.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 17.2. am 22.2.2000 Klage erhoben. Seine Bevollmächtigten haben zugleich erklärt, man werde beantragen, die Beklagte zu verurteilen, Leistungen bei Pflegebedürftigkeit zu gewähren; der Kläger habe durch seinen Betreuer die Gewährung von Sachleistungen beantragt; zZt sei der Kläger bei Dr. S in Behandlung; der Zeitaufwand für die Pflege betrage mehr als 90 min; im Moment sei keine Person vorhanden, die dem Kläger behilflich sein könne.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. S aus X teilte dem Amtsgericht (AG) C mit Schreiben vom 29.2.2000 wegen "Überprüfung der Betreuung XVII K 83/98" mit: der psychische Zustand des Klägers habe sich seit September 1999 kontinuierlich verschlechtert; er sei nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten eigenverantwortlich zu tätigen: es fänden sich verminderte Kritikfähigkeit, Ideen- und Gedankenflucht sowie Verfolgungswahn; kein Krankenpflegedienst, kein Taxiunternehmen, kein Krankengymnast sei mehr gewillt, mit dem Kläger zusammenzuarbeiten; er belästige die Leute und stelle unsinnige Anforderungen, wie einen Hausbesuch zum Nagelschneiden; seine Mitgliedschaft in der Krankenkasse habe der Kläger aus politischen Gründen gekündigt.

Der Oberkreisdirektor des F-kreises hielt mit Datum des 27.4.2000 "nach dem Gespräch einer Mitarbeiterin mit dem Kläger am 26.4.2000 in der Landesklinik" fest als dessen Auskünfte: der Kläger habe bis 1996 als Schauspieler im Theater gearbeitet, jedoch nur eher schlechte Rollen gespielt; früher habe er in L gelebt, dann sei er nach X gezogen; am 24.6.1998 sei er zum ersten Mal zwangseingewiesen worden; in A habe man ihn nach seiner Auffassung widerrechtlich fixiert und mehrfach körperlich mißhandelt; Herr E1, welcher sich durchweg falsch verhalten habe, sei von keiner Seite zur Rechenschaft gezogen worden; er führe eine Todesliste mit zwölf Namen von Ärzten, Richtern pp; die meisten seien der Zwangseinweisung zuzuordnen; der Kläger verweigere Marcumar und blockiere notwendige Gesundheitsmaßnahmen.

Der Stations-Nervenarzt Dr. C1 und Chefarzt Dr. I1 von der Allgemeinen Psychiatrie der Rheinischen Kliniken C1 erstatteten in der Betreuungsangelegenheit ein Gutachten für das AG (80 XVII K 74/00). Sie werteten die Unterlagen über die letzten beiden stationären Aufenthalte des Klägers aus und führten in ihrem Gutachten vom 22.5.2000 aus: einerseits ergäben sich Hinweise auf eine schwere Persönlichkeitsstörung mit narzißtisch gestörten, querulatorischen und emotional instabilen Anteilen; diese Störung allein sei jedoch nicht geeignet, die psychopathologischen Auffälligkeiten des Klägers zu erklären, wie die für ihn lebensgefährdende Weigerung, Marcumar zu nehmen oder seine Entscheidung, die Krankenkasse zu kündigen, obwohl er schwer krank sei; ob daneben eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vorliege, sei nicht sicher zu beantworten; am 28.4.2000 sei die Verlegung ins St. Q-Krankenhaus erfolgt, weil sich in den letzten Tagen kein Hinweis auf Eigen- oder Fremdgefährdung mehr ergeben habe und weil der Kläger keine Weiterbehandlung in den Rheinischen Kliniken gewünscht habe.

In einer Niederschrift über die Anhörung des Klägers am 14.6.2000 in der Betreuungssache (XVII K 74/00 ) heißt es: der Kläger sei freundlich und dem Richter zugewandt gewesen; er habe auf hohem Niveau argumentiert, daß er lediglich selbst entscheide, wann und wieviel Marcumar er nehme, weil er insoweit aufgrund seiner langen Leidengeschichte mehr Erfahrung habe als die Ärzte, die so viele Fehler gemacht hätten; von einer Todesliste habe er wohl gesprochen, habe aber nicht gemeint, daß er "die" habe umbringen, sondern nur anprangern wollen; er sei gelegentlich auch provokativ; er,der Richter, habe nicht den Eindruck, daß der Kläger gegen seinen Willen behandelt, gehört und untergebracht werden müsse.

Das SG zog die o.a. Akten des AG C bei, nahm einen Auszug als Faszikel zu den Streitakten und beauftragte den Internisten Dr. L1 aus S mit der Erstattung eines Gutachtens. Der Sachverständige untersuchte den Kläger am 4.7.2001 und befand in seinem Gutachten vom 20.7.2001: gegenwärtig beständen keine gravierenden Funktionsausfälle, (nur) noch eine Beeinträchtigung des Gangbildes; der Kläger sei gegenwärtig überwiegend selbständig, weitere Funktionsausfälle beständen nicht; er könne gegenwärtig fast sämtliche Dinge des täglichen Lebens selbst erledigen; er sei verkehrssicher; es seien (nur) vier Stunden pro Woche hauswirtschaftliche Versorgung notwendig; nach Aktenlage bestehe jedoch eine Verwahrlosungstendenz; die Wohnung sei aber frisch renoviert; das Sozialamt habe eine Haushaltshilfe genehmigt; zur Mutter in S1 bestehe wenig Kontakt; der Vater sei in Jugoslawien; es erfolge eine Mitbetreuung durch eine Betreuungsstelle, wogegen der Kläger Widerspruch eingelegt habe, weil er es nicht brauche; zusammenfassend habe bei dem Kläger seit Antragstellung und nachfolgend zumindest bis Anfang 2001 zeitweise ein erhöhter Pflegebedarf bestanden, der durchaus die Einordnung in eine Pflegestufe I erlauben würde; dabei wäre eine Hilfestellung bei der Körperpflege und Mobilität dringend notwendig gewesen, wäre diese vom Kläger auch toleriert worden; eine retrospektive Analyse einzelner Zeitabschnitte sei aufgrund der Aktenlage und insbesondere der Angaben des Antragstellers fast nicht möglich, da, wie bereits aufgeführt, die psychiatrische Erkrankung als nicht existent betrachtet werde; ggf. wäre eine weitere Befragung von Zeugen dienlich, welche während des akuten Geschehens involviert gewesen seien.

Der Kläger hat vor dem SG durch seinen Bevollmächtigten beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26.8.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.2.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Pflegegeld ab März 1999 zu gewähren.

Die Beklagte hat vor dem SG beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das SG Köln hat die Klage mit Urteil vom 26. November 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem gerichtlichen Sachverständigengutachten habe der Kläger gegenwärtig keinen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege; soweit der Sachverständige aufgrund der in den Akten dokumentierten erheblichen Verwahrlosungszustände die Annahme eines Pflegebedarfs zumindest für sechs bis zwölf Monate nach der Antragstellung befürworte, in denen der Kläger zu Hause und nicht stationär untergebracht gewesen sei, handle es sich um Zeiten, für die der Sachverständige den erforderlichen konkreten Hilfebedarf im Einzelnen nicht dargelegt habe und dieser sei nach den eigenen Angaben des Sachverständigen nach einzelnen Zeitabschnitten retrospektiv auch fast nicht zu erfassen. Selbst wenn der Kläger aber pflegebedürftig iS des Sozialgesetzbuches (SGB) XI gewesen wäre, fehle es für die Zahlung des nunmehr begehrten Pflegegeldes an einem entsprechenden Antrag (will heißen: dem in § 37 Abs 1 S. 1 SGB XI vorgeschriebenen Antrag, anstelle der häuslichen Pflegehilfe Pflegegeld zu gewähren) und an der in § 37 Abs 1 S. 2 SGB XI vorgeschriebenen Sicherstellung der erforderlichen Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung in geeigneter Weise, denn es sei keine Pflegeperson vorhanden gewesen.

Der Kläger hat gegen das Urteil - seinen Bevollmächtigten zugestellt am 18.1.2001 - am 14.2.2002 Berufung eingelegt. Seine Bevollmächtigten machen geltend, der Kläger habe die Pflege nur nicht in Anspruch nehmen können, weil die Beklagte sie nicht bewilligt habe, und darüber hinaus fordere das Gesetz nicht zwingend, daß die Pflege tatsächlich erbracht sei.

Für die Kläger und Berufungskläger ist zur mündlichen Verhandlung am 18.12. 2003 niemand erschienen. Die Benachrichtigung vom Termin ist seinen Bevollmächtigten am 24.11.2003 zugestellt worden. Mit der Terminsnachricht ist darauf hingewiesen worden, daß auch in Abwesenheit des Klägers und eines Bevollmächtigten des Klägers verhandelt und entschieden werden könne.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Köln vom 26.11.2001 zurückzuweisen.

Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze in beiden Rechtszügen verwiesen. Außer den Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: ein Band Verwaltungsakten der Beklagten sowie das vom SG gefertigte Faszikel aus den Betreuungsakten des AG C.

Entscheidungsgründe:

Obgleich für den Kläger zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, konnte der Senat verhandeln und entscheiden, denn der Kläger ist - mit Hinweis auf diese Möglichkeit - ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 18.12.2003 geladen worden (§ 153 Abs 1 iVm § 110 Abs 1 SGG, § 126 SGG; Bundessozialgericht (BSG) in SozR Nr 5 zu § 110 SGG). Es bestand kein Anlaß, die mündliche Verhandlung zu vertagen. Der Kläger hatte hinreichend Gelegenheit, schriftlich rechtliches Gehör zu verschaffen und er hat auch mit seinem Schriftsatz vom 17.12.2003 zur Sache Stellung genommen, um eine Verlegung des Termins aber nicht ersucht. Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung und Urteilsverkündung am Abend des Sitzungstages beim Gericht eingegangenen Ausführungen des Klägers sind bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt worden.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

I. Leistungen aus der Pflegeversicherung werden auch bei Vorliegen erheblichster Erkrankungen nur unter den Voraussetzungen der §§ 14, 15 ff SGB XI gewährt, zu denen es u.a. gehört, daß der Hilfebedarf bei den in § 14 Abs 4 SGB XI im Grundsatz abschließend aufgeführten gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens besteht. Dabei erfordert die Einstufung in die Pflegestufe I (erhebliche Pflegebedürftigkeit) neben einem Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI), daß der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere, nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege benötigt (§ 14 Abs 4 Nr 1 - 3 SGB XI - will heißen für die Körperpflege, die Ernährung ohne Kochen und für - im wesentlichen häusliche - Mobilität), täglich im Wochendurchschnitt mehr als 45 Minuten beträgt ( § 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI). Einen solchen Hilfebedarf hatte der Kläger außerhalb der Zeiten seiner stationären Unterbringung zu keiner Zeit. Das erhellt zunächst die Tatsache, daß der erforderliche Grundpflegebedarf von täglich wenigstens 45 min selbst dann nicht erreicht wäre, würde man dem Kläger, der unstreitig stets nur der Teilhilfe bedurft hat, ohne ersichtlichen Grund den zeitlichen Hilfebedarf zubilligen, der in den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Bri) als Höchstbedarf vorgesehen ist für entweder eine tägliche Ganzkörperwäsche (25 min) oder die vollständige Hilfe beim Baden (25 min) und tägliche Hilfe beim gesamten An- und Auskleiden (16 min).

Daß ein Grundpflegebededarf von täglich mehr als 45 min in den genannten Zeiten nicht angefallen ist, steht zur Überzeugung des Senats nach den Feststellungen des MDK und des Sachverständigen fest. Ein solcher kann nämlich nicht schon dann angenommen werden, "wenn man nicht einmal in der Lage ist, sich vollständig zu kleiden, seine Strümpfe nicht selbst anziehen kann, zumindest beim Anziehen von Schuhen Hilfe braucht, nicht in der Lage ist, seine Wohnung in Ordnung zu halten, für Lebensmittel zu sorgen oder gar den Haushalt zu führen, wenn man sich vorwiegend im Bett liegend aufhält, nur unter äußerster Anstrengung wenige Meter gehen kann, Hilfe für das Einkaufen, für das Zubereiten warmer Nahrung und bei der Ganzkörperwäsche braucht" (so u.a. die Ausführungen in der Klageschrift vom 17.02.2000).

1. Der wesentlichste Teil des so oder ähnlich beklagten Hilfebedarfs kommt hier nicht zum Tragen und ist hier so besehen völlig ohne Belang, weil es sich dabei um hauswirtschaftliche Versorgung handelt, die nur am Rande von der Pflegeversicherung abgedeckt wird, nämlich -wie schon aufgezeigt - insoweit, als bei demjenigen, der ohnehin schon regelmäßig täglich mehr als 45 Minuten Hilfe braucht für die Grundpflege = die Körperpflege, die Ernährung (ohne Kochen und Lebensmittelbeschaffung) und die Mobilität (im wesentlichen nur im Hause), noch zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung anfallen muß, um Leistungen der Pflegeversicherung auslösen zu können.

2. Die Pflegeversicherung steht im Grundsatz auch nicht für eine Verwahrlosung der Versicherten ein - dies verkennt auch der Sachverständige, soweit er anregt, der Frage einer zeitweisen Pflegebedürftigkeit in Zeiten der Verwahrlosung des Klägers bis zumindest Anfang 2001 durch Befragung "Involvierter" nachzugehen. Jedenfalls hätten die Verwahrlosungstendenzen des Klägers hier nur dann Bedeutung gewinnen können, wenn sie in einem solchen Maße Einfluß nicht nur auf die hauswirtschaftliche Versorgung, sondern auf den Umfang an Hilfe gehabt hätten, den der Kläger früher einmal im Bereich der Grundpflege gehabt haben mag, wobei sich ein regelmäßiger Grundpflegebedarf von täglich mehr als 45 min hätte ergeben müssen, und zwar vorausschauend andauernd für mindestens sechs Monate (§ 14 Abs 1 SGB XI). Dies ist nicht zu erkennen und von niemandem aufgezeigt. Im Gegenteil: soweit etwa selbst der Sachverständige die Hilfestellung bei der Mobilität bemüht, fehlt es - abgesehen von der auch vom MDK bestätigten zeitweilig notwendigen, zeitlich geringfügigen Hilfe beim Transfer zur Badewanne sowie beim An- und Auskleiden im Teilbereich - an jeglichem Anhaltspunkt dafür, daß ein Hilfebedarf vorhanden gewesen ist, der hier hätte beachtlich sein können, denn neben dem auf die häuslichen Verrichtungen des § 14 Abs 1 Nr 1 bis 3 SGB XI bezogenen Hilfebedarf ist hier nur der sog. existenzsichernde außerhäusliche Hilfebedarf im Bereich der Mobilität einbezogen, der wie zB bei notwendig anfallenden Arztbesuchen regelmäßig wenigstens einmal wöchentlich anfallen muß (vgl. Bundessozialgericht (BSG) in SozR 3-3300 § 14 Nr 8 und 10). Für einen Ansatz der Verrichtungen "Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung, Treppensteigen, Gehen und Stehen (außerhalb des Transfers und der vom MDK zugebilligten Hilfe beim Baden) " war hier also kein Raum.

3. Es waren auch der Aspekt der geistig/psychischen Beeinträchtigungen des Klägers und ein insoweit erforderlicher allgemeiner Aufsichts- und Überwachungsbedarf nicht geeignet, Pflegebedürftigkeit iS des SGB XI zu begründen. Die Notwendigkeit von Anweisungen und Mahnungen bei Unruhe oder Aggressivität, die Notwendigkeit, daß gelegentlich zu bestimmten Handlungen aufgefordert werden muß, sowie die Erforderlichkeit allgemeiner Aufsicht, die lediglich darin besteht, zu überwachen, ob die Verrichtungen des täglichen Lebens vom Betroffenen ordnungsgemäß ausgeführt werden, reichen hier nicht aus (vgl. BSG Urt.v. 26.11.98 B 3 P 12/97 R = USK 98 111; Urt. v. 30.3.00 B 3 P 10/99 R = USK 2000-70). Daß hier ein weitergehender, konkreter auf die in § 14 Abs. 1 Nr 1 bis 3 SGB XI aufgeführten Grundpflegeverrichtungen zielender Hilfebedarf vorgelegen haben könnte, ist an keiner Stelle erkennbar geworden.

4. Selbst wenn eine Selbstgefährdung in Anbetracht der notwendigen Marcumarsubstitition vorgelegen haben sollte (nach dem Inhalt der Betreuungsakten schien manchem Betrachter die Argumentation des Klägers zur Selbstinitiative bei der Marcumarversorgung nicht unvernünftig), hätte der Hilfebedarf für eine etwa notwendige Aufforderung zur Arzneimittelzufuhr und für eine etwa notwendige Überwachung des Vorgangs als Behandlungspflege der hier maßgeblichen Grundpflege ausnahmsweise nur dann zugeschlagen werden können, wenn die Arzneimittelzufuhr unabdingbar in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer der in § 14 Abs 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI aufgeführten Verrichtungen hätte erfolgen müssen (BSGE 82,276 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7; SozR 3-3300 § 14 Nr 11). Es sprach nichts für die Annahme eines solchen Zusammenhangs und dafür, daß sich unter Einbeziehung des dann anzusetzenden Zeitaufwands eine Erhöhung des bis dahin deutlichst dahinter zurückbleibenden Hilfebedarfs bis zum Mindestumfang von täglich mehr als 45 min für die Grundpflege hätte ergeben können.

II. Nachdem sich in der Berufungsinstanz wesentliche neue Gesichtspunkte nicht ergeben haben, weist der Senat die Berufung im übrigen aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück; er beschränkt sich insoweit auf einige ergänzende Bemerkungen und sieht im übrigen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs 2 SGG).

1. Es ist zwar richtig, was mit der Berufungsbegründung vorgetragen wird, daß das Gesetz nicht notwendig fordert, daß die Pflege auch tatsächlich erbracht ist, das Gesetz fordert aber für die Gewährung von Pflegegeld in § 37 Abs 1 S. 2 SGB XI unabdingbar, daß der Versicherte dann "mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherstellt". Daraus hat der Senat schon zum alten Recht abgeleitet (Urt.v. 23.10.97 L 16 Kr 112/96 LSG NW) und daraus leitet das BSG auch heute noch ab, daß grundsätzlich kein Pflegegeld für die Zeiten gewährt werden kann, während derer häusliche Pflegeleistungen iSv § 37 Abs 1 S. 1 SGB XI gar nicht haben anfallen können, die zu erkaufen oder zu bezahlen dem Versicherten mit dem Pflegegeld hätte ermöglicht werden sollen, weshalb das BSG ( Urt.v. 17.5.00 B 3 P 2/99 R = SozR 3-3300 § 37 Nr 2) etwa einem im Heim Untergebrachten Pflegegeld nur für die Wochenendtage zubilligt, an denen allein er sich bei den Eltern aufhält und nur dort häuslich gepflegt werden könnte. Es heißt dazu weiter im Urteil des BSG vom 24. Juli 2003, Az: B 3 P 4/02 R (zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen): "Pflegebedürftige haben bei häuslicher Pflege grundsätzlich Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe) nach § 36 Abs 1 Satz 1 SGB XI. Nur wenn sie an Stelle der ihnen zustehenden Sachleistung ihre Pflege selbst organisieren und sicher stellen wollen, können sie sich für die Geldleistung entscheiden. Sie erhalten damit die Möglichkeit, sich die Pflegeleistungen selbst zu beschaffen; sie müssen dafür dann aber die Sicherstellung der erforderlichen Pflege nachweisen, weil andernfalls eine zweckentsprechende Verwendung der Leistungen der Solidargemeinschaft nicht sicher gestellt wäre".

Der Kläger selbst hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung stets vorgetragen, daß niemals eine Pflegeperson Grundpflegeleistungen (§ 14 Abs. 4 Nr 1 - 3 SGB XI - will heißen: Pflege außerhalb der hauswirtschaftlichen Versorgung) erbracht hat, seit ihm sein Schulfreund am 1.10.1999 mitgeteilt habe, er könne ihm aus zeitlichen Gründen nicht mehr helfen. Der Kläger hat niemals eine andere Privatperson benannt, durch die er die Pflege hätte sicherstellen wollen und/oder können. Eben weil niemals eine Pflegeperson auch nur in Aussicht stand, hat ja auch der Betreuer des Klägers die Gewährung der Sachleistung, d.h. die Inanspruchnahme eines professionellen Pflegedienstes zu Lasten der Beklagten beantragt, was die Bevollmächtigten des Klägers noch mit der Klageerhebung hervorgehoben haben. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt jemals vor der mündlichen Verhandlung beim SG am 26.11.2001 ein Antrag auf Pflegegeld iS von § 37 Abs 1 S. 1 SGB XI gestellt ist, wäre es danach selbst dann nicht möglich gewesen, dem Kläger Ersatz für die nicht sichergestellte häusliche Pflege zuzusprechen, wäre er einmal pflegebedürftig iS des SGB XI gewesen.

2. Soweit die Bevollmächtigten des Klägers vortragen, der Kläger habe die Pflege nur nicht in Anspruch nehmen können, weil die Beklagte sie nicht bewilligt habe, so wäre diese Tatsache - ohne jeden Anhalt für ihre Richtigkeit als richtig unterstellt - nicht geeignet, die zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs auf Pflegegeld notwendige Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Sicherstellung der Pflege durch den Versicherten selbst zu ersetzen.

3. Es konnte schließlich nach allem die vom Gericht mit Schreiben vom 05.12.2003 aufgeworfene und vom Kläger auch in seiner Antwort vom 17.12.2003 nicht beantwortete Frage offen bleiben, inwieweit er sich mit seiner Behauptung, seit 1999 bis heute pflegebedürftig iS des SGB XI zu sein, mit der Darstellung seiner Aktivitäten auf seiner homepage in Widerspruch setzt:

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Es bestand kein Anlaß, die Revision zuzulassen, denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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