L 14 RJ 28/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 5 RJ 51/99
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 RJ 28/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.12.2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger unter Anerkennung der von ihm vorgetragenen Pflichtbeitragszeiten in Polen in der Zeit von 1939 bis 1941 nach § 17 a in Verbindung mit § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) Regelaltersrente zu gewähren ist und ob er Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach dem Zusatzabkommen vom 17.12.1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit (ZA-DISVA) hat. Streitig sind sowohl die geltend gemachten Versicherungszeiten als auch die Zugehörigkeit des Klägers zum deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK).

Der am 00.00.1925 in C/Polen geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und anerkannt Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG). Der Kläger lebte zunächst in seinem Geburtsort, wo er von 1932 bis 1939 eine jüdische Religionsschule mit hebräischer Unterrichtssprache besuchte. Von 1941 bis 1945 war er der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt. Von 1945 bis 1948 lebte er im Anschluss an seine Befreiung in Italien. Von 1948 bis 1971 lebte er in Uruguay. Von dort wanderte er 1971 nach Israel aus. Dort lebt er noch heute und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.

Am 12. Dezember 1995 stellte der Kläger über den israelischen Sozialversicherungsträger bei der Beklagteneinen Antrag zur Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge und zur Gewährung von Regelaltersrente. Die Beklagte zog zur Sachverhaltsaufklärung die Entschädigungsakte des Klägers vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg bei. Dort hatte der Kläger als erlernten Beruf bei der Antragstellung im Jahr 1954 Mechaniker angegeben. In einem ärztlichen Gutachten im Rahmen des Entschädigungsverfahrens aus dem Jahre 1970 heißt es in der Vorgeschichte, die nach den Angaben des Antragstellers bei der Untersuchung zu erstatten war: "von 1939 bis 1941 bei den Russen Mechanikerlehre". Die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben hatte der Kläger auf der letzten Seite des Gutachtens mit seiner Unterschrift bestätigt. Erstmals im Verlauf einer Sprachprüfung beim israelischen Finanzministerium am 20 November 1996 gab er an, von 1939 bis 1941 als Schlosser gearbeitet zu haben.

Mit seinem Antrag auf Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dem ZA-DISVA machte der Kläger geltend, dem dSK angehört zu haben. Hierzu gab er in einem Fragebogen an, er habe die deutsche und polnische (von 1939 bis 1941 auch die russische) Sprache in seinem Heimatgebiet in Wort und Schrift beherrscht. Im persönlichen Lebensbereich (in der Familie) sei überwiegend bis zur Zeit der Auswanderung aus dem Herkunftsgebiet deutsch gesprochen worden. Auch außerhalb der Familie sei im Herkunftsgebiet bis zu diesem Zeitpunkt überwiegend die deutsche Sprache benutzt worden. Der Kläger gab weiter an, er habe nicht jiddisch gesprochen, habe jedoch die jüdische Religionsschule in C besucht, deren Unterrichtssprache hebräisch gewesen sei.

Die Beklagte zog eine Auskunft der Heimatauskunftstelle (Hast) Polen II beim Landesausgleichsamt Niedersachsen über die Sprach- und Bevölkerungsstruktur von C aus dem Jahr 1978 bei, die in einem anderen Verfahren erteilt worden war. Aus der Auskunft geht hervor, dass anlässlich einer Volkszählung im Jahre 1931 in C von insgesamt 91.101 Einwohnern 46.386 Polnisch, 38.790 Jiddisch bzw. Hebräisch und 1.948 Deutsch als Muttersprache genannt hatten. Die übrigen hatten andere Sprachen angegeben. 39.165 Einwohner hatten angegeben mosaischen Glaubens zu sein. Der Auskunft lässt sich weiter entnehmen, dass die Stadt C in einem Gebiet gelegen hat, in dem der überwiegende Teil der Israeliten Jiddisch gesprochen hat, ein Teil auch polnisch.

Die Beklagte veranlasste eine Sprachprüfung beim israelischen Finanzministerium in Tel Aviv, die dort am 20. November 1996 stattfand. Dem Sprachprüfungsprotokoll vom 22. Dezember 1996 lassen sich unter anderem folgende Angaben entnehmen:

Der Vater des Klägers habe deutsch, polnisch und russisch gesprochen. Die Muttersprache seiner Mutter sei Deutsch gewesen. Sie habe als zusätzliche Sprachen polnisch und russisch gesprochen. Sowohl die Mutter als auch der Vater hätten deutsch gelesen und geschrieben. Mit der Mutter habe er nur Deutsch, mit dem Vater auch polnisch und russisch gesprochen. Zur Frage von deutscher Lektüre und Bildungsgut gab der Kläger an, dieses sei ihm nicht erinnerlich. Die Mutter habe den Kindern deutsche Märchen erzählt und deutsche Lieder gesungen. Von 1932 bis 1939 habe er die jüdische Schule besucht, deren Unterrichtssprache hebräisch gewesen sei und in welcher Polnisch als Fach unterrichtet worden sei. Von 1939 bis 1941 habe er als Schlosser gearbeitet. Als Ergebnis der Befragung hielt der Prüfer fest, der Kläger spreche deutsch fließend, unbefangen, nicht immer einwandfrei. Er schreibe nicht deutsch. Er lese deutsch fließend mit gutem Verständnis.

In der Zusammenfassung hat der Prüfer u.a. ausgeführt, die Mutter habe mit den Kindern Deutsch gesprochen, der Vater zusätzlich auch Polnisch und Russisch. Die Familie sei religiös gewesen. Der Kläger habe das Deutschlesen bei der Mutter gelernt. Der Kläger habe stets unter mehrsprachigem Einfluss gestanden. Ungeachtet dessen spreche der Kläger heute noch Deutsch fließend wie eine Muttersprache, wenn auch nicht mehr einwandfrei, und er lese Deutsch mit gutem Verständnis. Nach Erachten des Sprachprüfers habe der Kläger im Zeitpunkt der Verfolgung dem deutschen Sprachkreis angehört.

Auf eine Anfrage der Beklagten teilte der Internationale Suchdienst, Arolsen, am 7. Januar 1997 mit, dass dort keine Aufzeichnungen über das Sprachverhalten des Klägers und dessen Muttersprache vorhanden seien. Eine DP-2 Karte liege ebenfalls nicht vor.

Der Kläger legte zur Stützung seines Vorbringens eine schriftliche Zeugenerklärung des 1926 in C geborenen Zeugen H G vom 26. November 1996 vor. Darin führt dieser u.a. aus, er kenne den Kläger noch aus C. Bis Sommer 1939 sei er öfters mit dem Kläger zusammengetroffen. Seine Familie und die des Klägers seien sehr gut miteinander bekannt und befreundet gewesen und hätten sich öfters gegenseitig zu Hause besucht. Die Familie des Klägers habe zu Hause unter sich deutsch gesprochen und zum dSK gehört. Der Kläger habe zu Hause eine deutsche Erziehung erhalten, er habe die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und habe deutsch gesprochen und gelesen. Er habe die deutsche Sprache in seinem persönlichen Lebensbereich und im Umgang mit anderen Personen als überwiegendes Verständigungsmittel verwendet.

Mit Bescheid vom 22. Oktober 1997 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung und auf Zahlung einer Altersrente nach dem ZA-DISVA ab. Die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden. Der Kläger habe zum Zeitpunkt der Sprachprüfung nicht deutsch schreiben können, daraus lasse sich schließen, dass die deutsche Sprache in seinem Lebensbereich nicht überwiegend benutzt worden sei. Gegen die Zugehörigkeit zum dSK spreche auch der Umstand, dass er nicht in einem deutschen Siedlungsgebiet aufgewachsen sei. Mit dem Vater habe er nach eigenen Angaben auch polnisch und russisch gesprochen.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 3. November 1997 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sein Bevollmächtigter aus, die Tatsache dass der Kläger nicht in einem rein deutschen Siedlungsgebiet aufgewachsen sei, dürfe bei der Frage der Zugehörigkeit zum dSK keine Rolle spielen. Von 91.101 Einwohnern hätten 1.948 Deutsch als Muttersprache angegeben. Dies sei jedoch im Jahr 1931 gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger erst sechs Jahre alt gewesen. Der Kläger sei anlässlich der Sprachprüfung "schreibgesundheitsbehindert" gewesen, und deswegen wohl nicht zur Abgabe einer Schriftprobe aufgefordert worden. Das Beherrschen der Schriftsprache sei zudem nicht zwingend für die Zugehörigkeit zum dSK erforderlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.2.1999 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger habe die Zugehörigkeit zum dSK nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere wies sie darauf hin, dass die Tatsache, dass der Kläger nicht deutsch schreiben könne dafür spreche, dass Deutsch nicht seine Muttersprache gewesen sei. Es lasse sich daraus auch schließen, dass die deutsche Sprache im persönlichen Lebensbereich des Klägers nicht überwiegend benutzt worden sei.

Mit der am 5. März 1999 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, die Zugehörigkeit zum dSK sei hinreichend glaubhaft gemacht. Er hat insbesondere auf das Ergebnis der Sprachprüfung verwiesen und geltend gemacht, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme es nicht auf die Beherrschung der deutschen Schriftsprache an. Dies sei nicht essentielle Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum dSK. Zudem sei er zum Zeitpunkt der Sprachprüfung aus Gesundheitsgründen schreibbehindert gewesen. Im persönlichen Lebensbereich habe er mit seiner Mutter nur Deutsch, mit seinem Vater auch polnisch und russisch gesprochen. Überwiegend habe er jedoch mit seinen Eltern deutsch gesprochen.

Zu den Fremdbeitragszeiten hat der Kläger ausgeführt, von Ende 1939 bis September 1941 habe er in C in einer Textilfabrik als Schlosser gegen Entgelt gearbeitet. Er hat hierzu eine schriftliche Zeugenerklärung des Zeugen N C vom 24.5.2000 vorgelegt. Auf die Anregung der Beklagten diesen Zeugen in Israel vernehmen zu lassen, hat der Kläger mitgeteilt, der Zeuge sei nur zu einer schriftlichen Stellungnahmen bereit, eine Zeugenvernehmung würde dieser ablehnen.

Bezüglich der Frage, warum der Kläger anlässlich einer Begutachtung im Entschädigungsverfahren angegeben habe, er habe von 1939 bis 1941 eine Mechanikerlehre bei den Russen absolviert, hat der Kläger vorgetragen, für die Angaben des Arztes könne er nicht verantwortlich gemacht werden. Er habe begrifflich und sprachlich keine Unterscheidung zwischen dem Beruf des Mechanikers und des Schlossers getroffen.

Der Kläger hat nach seinem erkennbaren Interesse beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Oktober 1997 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 25. Februar 1999 zu verurteilen, ihn zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem ZA-DISVA zuzulassen und ihm unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Fremdbeitragszeit von September 1939 bis September 1941 Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, weder die behauptete Fremdbeitragszeit noch die Zugehörigkeit zum dSK sei hinreichend glaubhaft gemacht worden. Der Kläger habe von seiner Mutter auch die deutsche Schriftsprache lernen können. Zudem habe der Kläger selbst angegeben, mit seinem Vater auch polnisch und russisch gesprochen zu haben. Er sei nicht in einem deutschen Siedlungsgebiet aufgewachsen.

Die Angaben des Klägers zur Berufstätigkeit im Rentenverfahren stünden im Gegensatz zu den Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren. Die Angaben des Gutachters, der Kläger habe eine Mechanikerlehre bei den Russen gemacht, habe der Kläger selbst mit seiner Unterschrift bestätigt.

Mit Urteil vom 12.12.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zuzulassen und habe keinen Anspruch auf Altersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres, da insbesondere die Zugehörigkeit zum dSK nicht glaubhaft gemacht worden sei. Zwar könne das Beherrschen der deutschen Sprache wie eine Muttersprache nicht zwingend deswegen verneint werden, weil der Kläger die deutsche Schriftsprache nicht beherrsche. Im Lichte der Sprachprüfung bestehe eine gute Möglichkeit, dass der Kläger Deutsch wie eine Muttersprache beherrscht habe. Der Kläger habe jedoch nicht glaubhaft machen können, dass er die deutsche Sprache überwiegend gebraucht habe. Dies sei aber aufgrund der Tatsache, dass der Kläger mehrsprachig aufgewachsen sei, Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum dSK. Gegen den überwiegenden Gebrauch der deutschen Sprache im persönlichen Lebensbereich spreche der Umstand, dass der Kläger nicht in einem deutschen Siedlungsgebiet aufgewachsen sei. Zudem habe der Kläger selbst anlässlich der Sprachprüfung angegeben, mit seinem Vater auch polnisch und russisch gesprochen zu haben. Die polnische Sprache sei daher in nicht unerheblicher Weise auch für die sprachlich kulturelle Bildung und Erziehung des Klägers von Bedeutung gewesen. Zudem sei der Kläger in einem religiösen Elternhaus aufgewachsen und habe eine jüdische Schule mit hebräischer Unterrichtssprache besucht. Es könne nach aller Lebenserfahrung nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger erst in der Schule hebräisch gelernt habe. Auch die vorgelegte Zeugenerklärung führe nicht zu einer anderen Betrachtung. Es sei durchaus denkbar, dass im Elternhaus auch die deutsche Sprache Verwendung gefunden habe. Es sei jedoch keineswegs überwiegend wahrscheinlich, dass die deutsche Sprache die dominierende Sprache bei der sprachlich kulturellen Entwicklung des Klägers gewesen sei.

Gegen das am 25.1.2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1.2.2002 Berufung eingelegt und vorgetragen, die Zugehörigkeit zum dSK sei glaubhaft gemacht. Er habe in seinem Herkunftsgebiet überwiegend die deutsche Sprache verwendet. Man müsse berücksichtigen, dass nach der Auskunft der Heimatauskunftsstelle in seinem Herkunftsgebiet immerhin ca. 2000 Personen mit deutscher Muttersprache gelebt hätten. Zum Zeitpunkt der Sprachprüfung sei er verletzt und nicht in der Lage gewesen ein handgeschriebenes Schreiben zu bewältigen. Die Fähigkeit zum Hebräischen sei ihm lediglich durch das Beten zugegangen, eine Unterhaltungssprache in Hebräisch habe bei ihm zu Hause nicht existiert.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger eine Zeugenerklärung des Zeugen O M vom 28.4.2002 bezüglich seiner Berufstätigkeit in Polen vorgelegt. Diese Zeugenerklärung ist am 4.8.2002 nochmals mit einem vom Zeugen unterschriebenen Zusatz zur Zugehörigkeit des Klägers zum dSK übersandt worden. Der Zeuge erklärt darin, die Familie L habe untereinander zu Hause deutsch gesprochen. Der Kläger habe eine deutsche Erziehung erhalten. Er habe die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und verwendet. Er habe Deutsch gesprochen und gelesen und habe die deutsche Sprache in seinem persönlichen Lebenswandel sowie im Umgang mit anderen Personen als überwiegendes Verständigungsmittel verwendet.

Der Kläger hat mitgeteilt, dass er über seinen am 10. Juni 2003 gestellten Antrag auf Altersrente aufgrund von Ghettobeitragszeiten nach Maßgabe des ZRBG vorerst keine Entscheidung wünsche. Es solle zuerst das Klageverfahren abgeschlossen werden.

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 30.1.2004 weder erschienen noch vertreten gewesen.

Er beantragt schriftsätzlich,

die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.12.2001 sowie des Bescheides der Beklagten vom 22.10.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1999 zu verurteilen, ihn zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem ZA-DISVA zuzulassen und ihm unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Fremdbeitragszeit von September 1939 bis September 1941 Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Entschädigungsakte des Klägers beim Amt für Wiedergutmachung in Saarburg Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Abwesenheit des Klägers verhandeln und entscheiden, weil sein Prozessbevollmächtigter in der Terminsmitteilung, die ihm rechtzeitig zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22.10.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.2.1999 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres und auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen.

Gemäß § 35 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit - im Sinne der Mindestversicherungszeit fünf Jahre - erfüllt haben ( § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Für den Kläger sind keine auf die Wartezeit der deutschen Rentenversicherung anrechenbaren Versicherungszeiten vorhanden. Er hat keinen Anspruch auf Anerkennung der von ihm geltend gemachten Beitragszeiten und keinen Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem ZA-DISVA (BGBl. 1996, Teil II S. 248), da er nicht im Sinne von § 17 a FRG zum Zeitpunkt der Erstreckung des nationalsozialistischen Einflussbereichs auf sein Heimatgebiet dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehörte.

Der Senat hält es - ebenso wie das Sozialgericht - nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger bei Beginn der Verfolgung bzw. im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehörte.

Für die Zugehörigkeit zum dSK kommt es wesentlich darauf an, inwieweit der Kläger die deutsche Sprache beherrscht und gebraucht hat (vgl. BSG, Urteil vom 10.3.1999 - B 13 RJ 25/98 R). Ein Verfolgter, der - wie der Kläger - mehrsprachig aufgewachsen ist, kann dann dem dSK zugerechnet werden, wenn er die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und sie in seinem persönlichen Lebensbereich überwiegend verwendet hat (vgl. BSG SozR 5070 § 20 Nr. 4, 13; BSG SozR 3-5070 § 20 Nr. 1,2).

Unerheblich ist insoweit, ob der Kläger die deutsche Schriftsprache beherrscht. Selbst wenn der Kläger die deutsche Schriftsprache nicht erlernt haben sollte, steht dies einer Zugehörigkeit zum dSK nicht zwingend entgegen. Das Beherrschen der deutschen Schriftsprache gehört nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 10.3.1999 - B 13 RJ 25/98 R) nicht zu den objektiven Mindestanforderungen einer Zugehörigkeit zum dSK. Zwar eröffnet das Erlernen der Schrift einen erweiterten Zugang zu der durch die Sprache vermittelten Kultur, der Begriff des dSK unterscheidet jedoch nicht danach, welche Schicht des kulturellen Lebens sich der Angehörige der Sprachgemeinschaft durch den Gebrauch der deutschen Sprache erschließt (BSG SozR 5070 § 20 Nr. 4 S. 15).

Maßgeblich ist vielmehr eine Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung insbesondere des Bildungsgrades des Verfolgten (BSG, Urteil vom 10.3.1999 - B 13 RJ 87/97 R). Darüber hinaus ist von entscheidender Bedeutung, ob für den Verfolgten eine zumutbare Möglichkeit bestand, die deutsche Sprache in Schriftform zu erlernen (BSG, Urteil vom 10.3.1999 - B 13 RJ 65/98 R).

Die Beklagte ist allerdings auch nicht aus Rechtsgründen verpflichtet, die Zugehörigkeit zum dSK allein deshalb anzuerkennen, weil der Kläger die Sprachprüfung in Israel mit einem positiven Votum des dortigen Prüfers abgelegt hat (vgl. dazu ausführlich: BSG, Urteil vom 14. März 2002, B 13 RJ 15/01 R). Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Umstände.

Diese Gesamtwürdigung führt im vorliegenden Fall dazu, dass unter Berücksichtigung des Gesamtergebnisses der Ermittlungen, wie sie sich aus der Verwaltungsakte und der Gerichtsakte ergeben, und unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers im Klage- und Berufungsverfahren die Zugehörigkeit zum dSK nicht im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG glaubhaft gemacht ist.

Es ist nach dem Ergebnis aller Ermittlungen nicht überwiegend wahrscheinlich, d.h. es sprechen nicht mehr Umstände dafür als dagegen, dass der Kläger im maßgebenden Zeitraum, dem dSK angehört hat.

Nach dem Ergebnis der Sprachprüfung spricht der Kläger die deutsche Sprache fließend, unbefangen, nicht immer einwandfrei. Er liest deutsch fließend mit gutem Verständnis.

Ob der Kläger die deutsche Sprache auch schreiben kann, konnte nicht abschließend geklärt werden. Der Kläger hat bei der Sprachprüfung keine Schriftprobe abgegeben und er hat lediglich angegeben von seiner Mutter gelernt zu haben, deutsch zu lesen. Auch die Zeugen M und G bestätigen nur, dass der Kläger deutsch gesprochen und gelesen habe.

Ob die Eltern in der Lage gewesen wären, dem Kläger Deutsch nicht nur mündlich zu vermitteln, sondern ihm auch das Schreiben beizubringen (vgl. BSG, 10.3.1999, B 13 RJ 25/98), kann jedoch dahinstehen.

Entscheidend ist vielmehr, wie das Sozialgericht mit zutreffender Begründung entschieden hat, dass nicht glaubhaft gemacht wurde, dass der Kläger die deutsche Sprache auch überwiegend in seinem persönlichen Lebensbereich gebraucht hat. Hinsichtlich dieses Merkmals sind sämtliche Kommunikationsformen (Sprechen, Hören und Lesen) und deren Ausprägung im persönlichen Umfeld in Betracht zu ziehen (vgl. LSG NRW, 23.7.2001, L 3 RJ 38/00). Bei Gesamtwürdigung der erreichbaren Informationen hält der Senat es nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass Deutsch im persönlichen Lebensbereich des Klägers die dominante Rolle gespielt hat.

Schon nach den eigenen Angaben des Klägers ist es fraglich - jedenfalls aber nicht überwiegend wahrscheinlich -, dass die deutsche Sprache im persönlichen Lebensbereich des Klägers die dominierende Rolle gespielt hat. Zum einen hat der Kläger selbst angegeben, er habe mit seinem Vater auch polnisch und russisch gesprochen. Somit fand bereits im Elternhaus, in seinem engen familiären Kreis, eine andere Sprache Verwendung, obwohl auch der Vater deutsch sprechen konnte. Der Kläger hat weiter angegeben, ab seinem 7. Lebensjahr die jüdische Schule besucht zu haben. Dort war Unterrichtssprache hebräisch und Polnisch wurde als Fach unterrichtet. Es erscheint unwahrscheinlich, dass der Kläger zuvor im Elternhaus - welches nach Angaben des Klägers religiös geprägt war - nicht hebräisch gelernt hat. Zudem wurde jedenfalls die gesamte Schulzeit des Klägers von 1932 bis 1939 vom Gebrauch des Hebräischen als Unterrichtssprache geprägt.

Gegen den überwiegenden Gebrauch der deutschen Sprache in seinem persönliche Lebensbereich spricht auch der Umstand, dass der Kläger nicht in einem deutschen Siedlungsgebiet gelebt hat. Ausweislich der Heimatauskunftsstelle kann davon ausgegangen werden, dass C nicht zu einem Gebiet zu zählen ist, in dem die deutsche Sprache eine wesentliche Rolle spielte. Nach der Volkszählung von 1931 wurde in Biaystok ganz überwiegend polnisch und jiddisch bzw. hebräisch gesprochen. Es gab keine Schule mit deutscher Unterrichtssprache. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die Bevölkerung jüdischen Glaubens, zu der der Kläger gehörte, nach Auskunft der Heimatauskunftsstelle überwiegend jiddisch, zum Teil auch polnisch gesprochen hat.

Die vorgelegten Zeugenerklärungen vermögen die Bedenken des Senats an einer überwiegenden Verwendung der deutschen Sprache im persönlichen Lebensbereich nicht auszuräumen. Sie sind nicht geeignet, die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit des Klägers zum dSK festzustellen. Die Zeugen M und G bestätigen übereinstimmend, dass der Kläger in seiner Familie deutsch gesprochen habe. Er habe die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und verwendet. Er habe deutsch gelesen und gesprochen und habe die deutsche Sprache in seinem persönlichen Lebensbereich sowie im Umgang mit anderen Personen als überwiegendes Verständigungsmittel verwendet. Auffällig ist dabei, dass der Kläger - im Unterschied zu den Zeugen - selbst angegeben hat, er habe mit dem Vater auch polnisch und russisch gesprochen. Bei der Würdigung der Zeugenaussagen ist weiter zu berücksichtigen, dass die Zeugen jeweils nur eine begrenzte Aussage über die überwiegende Verwendung der deutschen Sprache in der Familie des Klägers machen konnten. Sie können dies grundsätzlich nur für die Zeiträume bestätigen, in denen sie tatsächlich mit der Familie des Klägers zusammen waren.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Kläger zumindest bei Anwesenheit der Zeugen in seinem Elternhaus ausschließlich die deutsche Sprache verwendet hat, so ist der Senat jedoch aufgrund der eigenen Angaben des Klägers, er habe mit seinem Vater auch polnisch und russisch gesprochen und aufgrund der anderen Indizien, insbesondere der Auskunft der Heimatauskunftsstelle, bei Gesamtwürdigung der Umstände zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht glaubhaft gemacht worden ist, dass der Kläger die deutsche Sprache überwiegend in seinem persönlichen Lebensbereich gebraucht hat.

Mangels Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zum dSK gehört der Kläger damit nicht zum begünstigten Personenkreis des § 17 a FRG und ist auch nicht zur Nachentrichtung von Beiträgen nach dem ZA-DISVA zuzulassen.

Ob die vom Kläger geltend gemachten Fremdbeitragszeiten glaubhaft gemacht worden sind, kann dahinstehen, da dem Kläger der Zugang zur deutschen Rentenversicherung schon aufgrund der fehlenden Voraussetzungen des § 17 a FRG nicht offen steht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Anlass zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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