L 12 AL 175/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 22 AL 198/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 175/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 22/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.05.2003 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 13.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2002 verurteilt, dem Kläger ab dem 18.01.2002 Arbeitslosenhilfe zu gewähren und dabei beim anzurechnenden monatlichen Bruttoeinkommen der Ehefrau weitere 37,37 Euro an Versicherungsbeiträgen in Abzug zu bringen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat 70 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist die Höhe der Arbeitslosenhilfe des Klägers für den Bewilligungsabschnitt ab 18.01.2002.

Der am 00.00.1943 geborene Kläger bezog bis 17.01.2001 Arbeitslosengeld. Für die Zeit vom 18.01.2001 bis 17.01.2002 bezog er Arbeitslosenhilfe in Höhe von zuletzt 147,91 Euro wöchentlich = 21,13 Euro täglich nach Leistungsgruppe A ohne Kindermerkmal. Anrechnungen auf die Arbeitslosenhilfe erfolgten nicht. Am 15.08.2001 heiratete der Kläger. In der Folgezeit war auf seiner Steuerkarte die Steuerklasse IV eingetragen.

Am 10.01.2002 beantragte der Kläger die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe. Die Beklagte prüfte nunmehr, ob sich das Einkommen der Ehefrau auf die Höhe der Arbeitslosenhilfe auswirke. Die Beklagte errechnete aufgrund der Angaben des Klägers ein durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen der Ehefrau in Höhe von 2.095,25 Euro. Ferner wies der Kläger Beiträge seiner Ehefrau für private Hausrat-, Lebens-, Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherungen in Höhe von mehr als 140,00 Euro monatlich nach.

Daraufhin bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 12.02.2002 Arbeitslosenhilfe unter Anrechnung des Einkommens seiner Ehefrau. Dabei legte sie ein durchschnittliches monatliches Bruttoentgelt von 2.095,25 Euro zu Grunde. Für Versicherungsbeiträge erkannte sie hierbei einen monatlichen Betrag von 3 % des Bruttoeinkommens in Höhe von 62,86 Euro an. Auf die Arbeitslosenhilfe des Klägers wurden insgesamt 89,74 Euro monatlich aus dem Einkommen der Ehefrau angerechnet. Bei einem Leistungssatz von 145,32 Euro pro Woche in Leistungsgruppe A ohne Kindermerkmal ergab sich noch ein Zahlbetrag an Arbeitslosenhilfe für den Kläger in Höhe von 55,58 Euro pro Woche. - Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2002 zurückgewiesen. Wegen des genauen Wortlauts der Begründung wird auf Bl. 127 bis 130 der Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Am 15.04.2002 hat der Kläger bei der Beklagten Klage eingelegt, die diese am 06.08.2002 an das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen weitergeleitet hat. Beanstandet hat der Kläger zuletzt nur noch, dass die aufgewendeten Versicherungen seiner Ehefrau nicht in vollem Umfang anerkannt worden seien. Gegenüber dem SG hat der Kläger Versicherungsaufwendungen seiner Ehefrau in Höhe von 140,98 Euro monatlich angegeben.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2002 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe ab 18.01.2002 unter Berücksichtigung von Versicherungsleistungen in Höhe von 32,81 Euro wöchentlich zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat an ihrer im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsauffassung festgehalten. Insbesondere sei gegen die Berücksichtigung von 3 % des Bruttoeinkommens der Ehefrau für Versicherungsleistungen nichts einzuwenden. Es seien nichts die tatsächlichen Versicherungsleistungen anzuerkennen, sondern nach § 3 Abs. 2 Arbeitslosenhilfeverordnung 2002 (AlhiVO 2002) nur 3 %.

Mit Urteil vom 02.05.2003 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 18.01.2002 Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung von Versicherungsbeiträgen in Höhe von 32,81 Euro wöchentlich zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Einkommen der Ehefrau sei auf die Arbeitslosenhilfe des Klägers anzurechnen. Bei einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen von 2.095,25 Euro seien aber nicht nur 3 % des Einkommens, sondern die tatsächlich nachgewiesenen Versicherungsbeiträge vom Einkommen nach § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) abzusetzen. Die Regelung in § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 sei von der Ermächtigung des § 206 Nr. 4 SGB III nicht gedeckt, da die 3%-Regelung eine unangemessene Benachteiligung der sozialversicherten Arbeitslosen und ihrer Partner gegenüber sozialversicherungsfreien Personen darstelle. Zudem sei die Begrenzung auf 3 % des Bruttoeinkommens fern der tatsächlichen Realität. Ermittlungen hätten ergeben, dass ein durchschnittlicher Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen Ende der 90er Jahre 6,5 % des Nettoeinkommens für private Versicherungen ausgegeben habe. Diese Durchschnittswerte seien für das Jahr 2002 deutlich nach oben zu korrigieren. Hinzu komme, dass seit dem Jahr 2002 sogenannte Riesterprodukte mit bis zum 4 % des Einkommens zum Ausgleich von Rentenkürzungen berücksichtigt werden könnten. Mit der 3%-Pauschale werde der Verordnungsgeber damit den tatsächlichen Lebensverhältnissen nicht mehr gerecht, so dass diese Regelung nicht angewendet werden könne.

Gegen dieses ihr am 02.07.2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.07.2003 eingegangene Berufung der Beklagten. Zur Begründung trägt sie vor: Das SG verkenne den Stellenwert der Arbeitslosenhilfe im System der Sozialversicherung. Nur das Arbeitslosengeld habe auch die Sicherung des Lebensstandards zur Voraussetzung. Die Arbeitslosenhilfe werde demgegenüber als eine aus Steuermitteln des Bundes finanzierte Fürsorgeleistung nur erbracht, wenn und soweit der Arbeitslose außer Stande sei, seinen Lebensunterhalt durch eigene Mittel einschließlich der zu berücksichtigenden finanziellen Mittel seines Partners zu bestreiten. Die Änderungen, die mit der AlhiVO 2002 vorgenommen worden seien, stellten zwar einen Eingriff in die Rechtsposition des Klägers dar, dieser sei jedoch zulässig. Mit der AlhiVO 2002 habe der Verordnungsgeber Konsequenzen aus der Entwicklung der Empfängerzahl von Arbeitslosenhilfe gezogen. Die Arbeitslosenhilfe sei zu einer Massenleistung geworden, die nur zügig gewährt werden könne, wenn durch Pauschalierungen zeitraubende Ermittlungen zur Klärung einzelner Anspruchsvoraussetzungen vermieden würden. Im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung seien vom Einkommen Vorsorgeaufwendungen abzuziehen, so auch gewisse Versicherungsaufwendungen, § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III. Mit der Neukonzeption der AlhiVO 2002 sei von den für die Beträge bestehenden Pauschalierungsmöglichkeiten, wie sie der Gesetzgeber in § 206 Nr. 4 SGB III vorgesehen habe, Gebrauch gemacht worden. Für die Beträge der vom Einkommen abzusetzenden, nach Grund und Höhe angemessenen Beiträge zu privaten und öffentlichen Versicherungen, die gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen seien, habe der Verordnungsgeber einen Pauschbetrag in Höhe von 3 % des zu berücksichtigenden Einkommens festgesetzt, wenn der Arbeitslose und sein Partner in der gesetzlichen Sozialversicherung versicherungspflichtig sei. Wegen dieser 3%-Regelung bestünden keine grundsätzliche Bedenken. Die Höhe der Pauschale beruhe auf praktischen Erfahrungen der Beklagten und Erhebungen des Bundesrechnungshofs aus dem Jahr 1998. Auch im Jahr 2002 sei davon auszugehen, dass sich die Verhältnisse gegenüber 1998 noch nicht wesentlich geändert hätten. Verfassungsrechtliche Bedenken bestünden ebenfalls nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts brauche der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen nicht um die differenzierte Berücksichtigung aller denkbaren Fälle besorgt zu sein. Er sei vielmehr berechtigt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergebe. Auf dieser Grundlage dürfe er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aufgrund der Ungleichbehandlung von sozialversicherten und sozialversicherungsfreien Personen in § 3 Abs. 2 letzter Halbsatz AlhiVO 2002 sei ebenfalls nicht gegeben. Sachlicher Grund für die Differenzierung sei, dass bei den sozialversicherungsfreien Personen bereits § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung im tatsächlichen Umfang abgesetzt seien, während bei den sozialversicherungsfreien Personen nur privater Versicherungsschutz, wie er sonst bei der Pauschalierung in § 3 AlhiVO 2002 erfasst werde, durch die Beiträge sichergestellt werden könne. Soweit es sich daher um Versicherungen handele, die dieselben Risiken abdeckten wie die Sozialversicherung, verbiete sich daher eine Pauschalisierung und sei das Abstellen auf die tatsächlichen Aufwendungen sachgerecht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 02.05.2003 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte für die Zeit ab 18.01.2003 einen weiteren Bescheid erteilt. Seit dem 01.10.2003 arbeitet der Kläger wieder versicherungspflichtig. Die Beteiligten haben sich in einem Teilvergleich darauf geeinigt, nur den Bewilligungsbescheid vom 13.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2002 als Gegenstand dieses Verfahrens anzusehen. Ferner gehen sie übereinstimmend davon aus, dass als maßgebliches monatliches durchschnittliches Bruttoeinkommen der Ehefrau des Klägers ein Betrag in Höhe von 2.095,25 Euro zu berücksichtigen ist (vgl. Protokollerklärungen vom 28.01.2004).

Der Kläger hat im Berufungsverfahren für das Jahr 2002 folgende Versicherungsbeiträge seiner Frau umgerechnet auf den Monat nachgewiesen: Kfz-Haftpflicht 15,26 Euro
Kfz-Vollkasko 28,02 Euro
Hausratversicherung 17,01 Euro
Rechtsschutz 18,92 Euro 2
Lebensversicherungen, fällig 2016 und 2031 96,46 Euro
= 175,76 Euro

Er ist der Meinung, dass diese Beiträge jedenfalls in Höhe des vom Sozialgericht anerkannten Umfangs vom Einkommen der Ehefrau abzuziehen seien, so dass sich ein höherer Zahlbetrag der Arbeitslosenhilfe für ihn ergebe. Anschlussberufung hat er nicht eingelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten mit der Kundennummer 000 Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Begründet ist die Berufung insoweit, als das SG zu hohe Beiträge für Versicherung in Abzug gebracht hat. Berücksichtigungsfähig sind nur 100,23 Euro pro Monat = 23,13 Euro pro Woche und nicht 142,18 Euro pro Monat = 32,81 pro Woche. Unbegründet ist die Berufung, soweit sich die Beklagte gegen die Nichtanwendung der 3%-Regelung des § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 wendet. In diesem Punkt war das Urteil des SG zu bestätigen.

Die Berufung ist unbegründet, soweit sich die Beklagte gegen die Nichtanwendung der 3%-Regelung des § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 wendet. Mit dem SG ist der Senat der Auffassung, dass der streitbefangene Bescheid der Beklagten insoweit rechtswidrig ist, als er die absetzbaren Versicherungsbeiträge der Ehefrau des Klägers auf 3 % des Einkommens begrenzt. § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 ist insoweit rechtswidrig und nicht anzuwenden. Nach § 190 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III - hat Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, wer arbeitslos ist, sich beim Arbeitsamt gemeldet hat, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht hat, weil er die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat, in der Vorfrist Arbeitslosengeld bezogen hat, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist und bedürftig ist.

Nach § 193 Abs. 1 SGB III ist ein Arbeitsloser bedürftig, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht.

Nach § 194 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III ist zu berücksichtigen das Einkommen des vom Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten, soweit es den Freibetrag übersteigt. Der Freibetrag ist gemäß Abs. 1 S. 2 dieser Vorschrift ein Betrag in Höhe der Arbeitslosenhilfe, die dem Einkommen des vom Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder der Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, entspricht, mindestens aber in Höhe des Betrags, bis zu dem auf Erwerbsbezüge eines Alleinstehenden Einkommenssteuer nicht festzusetzen wäre (§ 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Einkommenssteuergesetzes). Nach § 194 Abs. 2 Satz 2 SGB III sind vom Einkommen abzusetzen (Nr. 1) die auf das Einkommen entfallenden Steuern, (Nr. 2) Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung sowie Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, (Nr. 3) die notwendigen Aufwendungen für Erwerb, zur Sicherung und Erhaltung der Einnahmen und (Nr. 4 a.F.) ein Betrag in angemessener Höhe von den Erwerbsbezügen des vom Arbeitslosen nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners oder der Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt.

Nach § 206 Nr. 4 SGB III wird das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, ob und welche Pauschbeträge für die von dem Einkommen abzusetzen Beträge zu berücksichtigen sind. Auf dieser Verordnungsermächtigung des § 206 SGB III beruht die AlhiVO 2002 vom 13.12.2001 (BGBl I S 3734), welche zum 01.01.2002 mit folgender Neuregelung in Kraft getreten ist:

§ 3 Abs. 2: Als Pauschbetrag für die nach § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch vom Einkommen abzusetzenden Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, die gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, ist ein Betrag in Höhe von 3 % des Einkommens abzusetzen, wenn der Arbeitslose und sein Partner in der gesetzlichen Sozialversicherung versicherungspflichtig sind, in den übrigen Fällen die tatsächlichen Aufwendungen.

Diese Vorschrift ist zur Überzeugung des Senats wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht rechtswidrig und daher nicht anzuwenden.

Mit der Differenzierung im Gesetz zwischen Pflicht- und gesetzlich vorgeschriebenen Beiträgen einerseits und "angemessenen" Privatversicherungsbeiträgen andererseits hat der Gesetzgeber den Rahmen für eine ermächtigungskonforme Festlegung von Pauschbeträgen vorgegeben: Während Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung im Umfang der Beitragspflicht abzusetzen sind ebenso wie gesetzlich vorgeschriebene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, gibt es nur für die übrigen freiwilligen Privatversicherungen einen Anwendungsbereich zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit, welcher in Form von Pauschalen auch Raum lässt für eine Unterschreitung der tatsächlichen Prämienaufwendungen (SG Berlin, Info also 2003, 23 ff). Diesen Rahmen hat der Verordnungsgeber mit § 3 Abs 2 AlhiVO 2002 überschritten, denn er bezieht auch gesetzlich vorgeschriebene Beiträge in die Pauschalierung mit ein. Der Senat hält eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 3 Abs 2 AlhiVO 2002 auf angemessene, nicht gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 nicht für möglich.

Im Übrigen ist es unter Zugrundelegung eines generellen Pauschbetrags in Höhe von 3 % des Einkommens gerade bei geringen Einkommen in der Regel nicht mehr möglich, die vom Gesetz nach § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III in Abzug zu bringenden Beiträge vollständig zu berücksichtigen, so dass auch die Grenzen zulässiger Pauschalierung überschritten sind.

Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nämlich, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Die rechtliche Unterscheidung muss in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen braucht der Gesetzgeber allerdings nicht um die differenzierende Berücksichtigung aller denkbaren Fälle besorgt zu sein. Er ist vielmehr berechtigt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Die Typisierung setzt allerdings voraus, dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. (so BVerfGE 87, 234 ff., ebenfalls zur Arbeitslosenhilfe).

Diesen Vorgaben wird § 3 Abs 2 Alhi VO 2002 nicht gerecht. Der Verordnungsgeber hat nämlich verkannt, dass die Höhe zu entrichtender Beiträge für Privatversicherungen sich am versicherten Risiko und nicht - wie im Falle der Sozialversicherungen - am Einkommen orientiert. Sein Ansatzpunkt, zur sachlichen Unterscheidung am anzurechnenden Einkommen anzuknüpfen, ist daher von vornherein verfehlt. Dieser Anknüpfungspunkt führt allein dazu, dass insbesondere Bezieher von niedrigen Einkommen durch die Begrenzung auf 3% nur noch Beiträge geltend machen können, die unter den tatsächlichen Aufwendungen liegen. Dies widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz.

Weil die Höhe der für Privatversicherungen zu entrichtenden Beiträge sich nicht am Einkommen orientiert, muss letztlich auch in Frage gestellt werden, ob - wie die Beklagte vorträgt - die Höhe der gewählten Pauschale auf praktischen Erfahrungen oder Erhebungen beruhen kann (vgl SG Berlin, Info also 2003, 23 ff, das auf andere Erhebungen mit anderen Ergebnissen verweist).

§ 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 ist demnach, wie bereits das SG zutreffend erkannt hat, rechtswidrig. Da hinsichtlich Rechtsverordnungen eine Verwerfungskompetenz der Gerichte besteht (vgl. BSG Urteil vom 24.11.1998 - B 1 A 1/96 R -), ist diese Vorschrift zu verwerfen mit der Folge, dass § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III unmittelbar anzuwenden ist.

Ob die 3%-Regelung noch aus anderen Gründen zu verwerfen gewesen wäre, braucht hier nicht entschieden zu werden. Ob eine Verwerfung auch deshalb geboten gewesen wäre, weil eine Ungleichbehandlung gegenüber sozialversicherungsfreien Personen gegeben ist oder weil ab 01.01.2002 den Steuervergünstigungen im Zusammenhang mit der Absenkung des Rentenniveaus und der Einführung der sogenannten Riesterrente nicht Rechnung getragen worden ist, kann daher offen bleiben (vgl. hierzu SG Berlin, Urteil vom 30.08.2002 - S 58 AL 2103/02 -; SG Mannheim, Urteil vom 25.04.2002 - S 11 AL 1260/01 - und Winkler Info also Nr. 2/02 S. 59 ff.). Der Senat hält es jedenfalls für bedenklich, dass ab 01.01.2002 ein Sozialhilfebezieher im Rahmen von § 76 Abs. 2 Nr. 3 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) die Aufwendungen für die "Riester-Vorsorge" im Rahmen von § 82 Einkommenssteuergesetz (EStG) zusätzlich zu den angemessenen Versicherungen absetzen kann, einem Arbeitslosen dies aber nur insgesamt mit 3 % seines Bruttoeinkommens für sämtliche gesetzlich vorgeschriebene und angemessene Versicherungen erlaubt sein soll.

Nach den vorstehenden Ausführungen ist die streitige Problematik, welche Versicherungsbeiträge in welcher Höhe vom Einkommen der Ehefrau des Klägers abzusetzen sind, nach § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III zu beurteilen. Dies führt dazu, dass neben den bereits von der Beklagten berücksichtigten Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung noch folgende Versicherungsbeiträge vom Einkommen der Ehefrau des Klägers in Abzug zu bringen:

1. Kfz-Haftpflicht in Höhe von 183,16 Euro im Jahr, entsprechend 15,26 Euro im Monat als gesetzlich vorgeschriebene Versicherung

2. nach Grund und Höhe angemessene sonstige Versicherungen:
a) die Kfz-Vollkaskoversicherung bei einem 2 1/2 Jahre alten PKW in Höhe von 336,28 Euro im Jahr, entsprechend 28,02 Euro im Monat,
b) die Familienversicherung, wodurch der Hausrat versichert ist, in Höhe von 17,01 Euro im Monat,
c) eine Rechtsschutzversicherung für die gesamte Familie in Höhe von 18,92 Euro im Monat. Der Senat hält für diese sinnvolle Risiken abdeckende und üblicherweise abgeschlossene Versicherungen a-c) die aufgewendeten Beiträge in Höhe von insgesamt 64,02 Euro im Monat für angemessen.
d) Lebensversicherungen der Ehefrau

Hierzu bemerkt der Senat folgendes:

Die Ehefrau des Klägers hat in den Jahre 1994 und 1998 zwei kapitalbildende Lebensversicherungen abgeschlossen über knapp 65.000,00 DM. Hierfür zahlte sie im Jahre 2002 Beiträge in Höhe von monatlich 96,46 Euro. Soweit das SG diese der Altersvorsorge dienenden Beiträge in vollem Umfang als angemessen angesehen hat, vermochte der Senat dem nicht zu folgen. Zwar mag die Versicherungssumme angesichts des Alters der Ehefrau und ihres Einkommens für die 90er Jahre durchaus üblichen Gepflogenheiten entsprochen haben. Der Senat ist jedoch der Ansicht, dass Beiträge zu kapitalbildenden Lebensversicherungen neben Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung nicht mehr uneingeschränkt als angemessen angesehen werden können. Auch wenn die Arbeitslosenhilfe noch zum Teil den Lebensstandard sichern soll und im Gegensatz zur Sozialhilfe nicht nur die Grundbedürfnisse absichert, so ist vom Gesetzgeber doch beabsichtigt, beide Leistungen ab 2005 zusammenzuführen. Bereits jetzt werden kapitalbildende Lebensversicherungen im Rahmen des Arbeitslosenhilfebezugs zu ihrem Verkehrswert angerechnet und den betroffenen Arbeitslosen wird der Verbrauch zugemutet (vgl. LSG Berlin vom 02.09.2003 - L 6 AL 16/03 -). Dann erscheint es umgekehrt nicht überzeugend, Beiträge zu kapitalbildenden Lebensversicherungen uneingeschränkt vom Einkommen in Abzug zu bringen. Der Gesetzgeber selbst hat das (zukünftige) Rentenniveau im Jahre 2002 abgesenkt und in den §§ 82, 86 EStG aufgeführt, welche Altersvorsorge er in welcher Höhe für förderungswürdig ansieht. In § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG hat er durch Gesetz festgelegt, dass solche Altersvorsorgeleistungen zusätzlich zu sonstigen angemessenen Versicherungen abzugsfähig sind. Dieser Gedanken ist nach der Auffassung des Senats auch auf laufende Lebensversicherungsverträge zu übertragen, die eindeutig der Altersvorsorge dienen, auch wenn die Verträge der Ehefrau des Klägers nicht nachträglich nach § 82 EStG als förderungsfähige Altersvorsorge nach dem Riester-Modell anerkannt sind. Welchen Betrag man bei solchen Altverträgen als angemessen ansehen kann, ist schwer beurteilbar. Einerseits kann man nicht jede unbegrenzt hohe Altersvorsorgeversicherung als angemessen ansehen, andererseits hält es der Senat auch nicht für sachgerecht, im Anschluss an die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Sozialhilfe Beiträge zu einer gewinnbringenden Lebensversicherung dem Grunde nach überhaupt nicht als angemessen anzusehen (vgl. OVG NRW vom 13.11.1979 - 8 A 80/78 -). Der Senat lehnt sich daher an die Regelung des § 86 EStG an und sieht bei Altverträgen zur Altersvorsorge in den Jahren 2002 und 2003 1 % des Bruttoeinkommens, im Jahr 2004 einen Betrag von 2 % als angemessen an. Im Jahr 2005 stellt sich das Problem möglicherweise nicht mehr.

Es werden deshalb vorliegend 1 % des monatlichen Bruttoeinkommens der Ehefrau von 2.095,25 Euro als angemessene freiwillige Altersvorsorgeaufwendungen angesehen, also (nur) ein Betrag von 20,95 Euro und nicht der volle Betrag in Höhe 96,46 Euro. Die Differenzierung zu den anderen Versicherungen der Ehefrau des Klägers hält der Senat für sachgerecht. Während sich Vollkasko-, Hausrat- und Rechtschutzversicherung in der Regel nach den tatsächlich vorhandenen Schadensrisiken richten, kann bei einer Lebensversicherung der Wert vollkommen frei bestimmt werden. Daher ist hier auch zur praktischen Handhabung für die Beklagte eine Begrenzung der Angemessenheit nach leicht prüfbaren Kriterien möglich und geboten. Als ein solches leicht überprüfbares Kriterium sieht der Senat die Begrenzung auf 1 % bei Altverträgen zur Lebensversicherung und Altersvorsorge an.

Die Berufung der Beklagten musste somit in diesem Punkt Erfolg haben. Dies bedeutet, dass vom Bruttoeinkommen der Ehefrau des Klägers in Höhe von 2.095,25 Euro Versicherungsbeiträge in Höhe von 15,26 Euro für die gesetzlich vorgeschriebene Kfz-Haftpflicht, 64,02 Euro für sonstige Versicherungen und 20,95 Euro für Lebensversicherungen, insgesamt also 100,23 Euro, in Abzug zu bringen sind. Da die Beklagte bereits einen Betrag in Höhe von 62,86 Euro anerkannt hat, war sie unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu verurteilen, weitere 37,37 Euro pro Monat abzuziehen und hiervon ausgehend die Arbeitslosenhilfe des Klägers zu berechnen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Sie berücksichtigt, dass die Beklagte gegenüber der Entscheidung des SG rechnerisch zu etwa 7/10 unterlegen ist.

Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Ziffern 1 oder 2 SGG zugelassen, weil er den Fragen grundsätzliche Bedeutung zugemessen hat, ob der Pauschbetrag von 3% des Einkommens in § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 rechtswidrig ist und, wenn ja, ob die Beiträge zur Lebensversicherung in der vom Senat vorgenommenen Weise begrenzt werden dürfen.
Rechtskraft
Aus
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