L 11 KA 53/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KA 187/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 53/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.02.2003 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2001 verurteilt, die 85 zurückgegebenen Behandlungsausweise abzurechnen und zu vergüten. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, von der Klägerin im Quartal I/1999 abgerechnete Leistungen auch dann zu vergüten, wenn sie auf Überweisung solcher Einrichtungen und Ärzte erbracht wurden, die nicht niedergelassene Vertragsärzte waren.

Die Klägerin nimmt mit ihren Medizinischen Einrichtungen spätestens seit dem 01.04.1985 an der Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teil. Zunächst beruhte die Teilnahme auf Verträgen zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der Beklagten bzw. der Beklagten, dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. und dem Verband der Arbeiter-Ersatzkassen e.V. Darin wurden die Medizinischen Einrichtungen der Klägerin ermächtigt, "auf Überweisung von Kassenärzten" bzw. - bei Versicherten der Ersatzkassen - "auf Überweisung von Vertragsärzten" näher bezeichnete medizinische Leistungen zu erbringen. An die Stelle dieses Vertrages trat für die Zeit vom 01.01.1998 bis zum 30.09.1998 eine Ermächtigung durch die Beklagte, derzufolge die Medizinischen Einrichtungen der Klägerin "ambulante Leistungen bei Versicherten der Primärkassen und Ersatzkassen" nach genauerer Maßgabe für jede Klinik bzw. jedes Institut "auf Überweisung von allen Vertragsärzten", "auf Überweisung von Vertragsärzten" oder auf Überweisung bestimmter Facharztgruppen erbringen durften (Bescheid vom 05.02.1998). Ab dem 01.08. bzw. 01.10.1998 nahm die Klägerin an der vertragsärztlichen Versorgung aufgrund Beschlusses des Zulassungsausschusses für Ärzte Köln vom 16.09.1998 teil, demzufolge die bisherigen Ermächtigungen "in bisherigem Umfang weiterhin ... erneuert" wurden. Aufgrund dessen umfasste die Ermächtigung im Streitquartal auch das Institut für Humangenetik, das "auf Überweisung von allen Vertragsärzten" zur humangenetischen Beratung und Untersuchung tätig werden durfte (Ziff. III der bis zum 30.09.1998 geltenden und sodann im selben Umfang vom Zulassungsausschuss fortgesetzten Ermächtigung der Beklagten vom 05.02.1998). Ungeachtet der jeweiligen Rechtsgrundlage der Teilnahme vergütete die Beklagte der Klägerin seit dem 01.04.1985 bis einschließlich 31.12.1998 auch solche Leistungen, die ihre Medizinischen Einrichtungen auf Überweisung von ermächtigten Krankenhausärzten bzw. Instituten erbrachten.

Im Quartal I/1999 setzte die Beklagte erstmals die Leistungen des Instituts für Humangenetik aus insgesamt 104 zur Abrechnung eingereichten Behandlungsausweisen betreffend die Quartale III und IV/1998 aus dem genannten Überweiserkreis ab (Bescheid vom 22.06.1999). Darunter befanden sich 19 Behandlungsausweise, die zwar von dem zur Durchführung der pränatalen Diagnostik und Therapie ermächtigten Direktor der Abteilung für Pränatale Diagnostik und Therapie des Zentrums für Frauenheilkunde der Klägerin, Prof. Dr. I, stammten, jedoch mit der für die Abrechnung von Notfallbehandlungen vorgesehenen Arztnummer der Klägerin gestempelt waren. Zur Begründung der Streichung führte die Beklagte aus, die Klägerin habe den Umfang ihrer Ermächtigung überschritten. Als die Klägerin daraufhin mit dem Widerspruch vortrug, die abgerechneten Leistungen seien im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) aufgeführt und würden nur nach abgeklärter Indikation erbracht, stellte die Beklagte mit Nichtabhilfenachricht vom 04.10.1999 klar, dass "Vertragsärzte" im Sinne der Ermächtigungen der Klägerin nur "zugelassene Ärzte", nicht jedoch ermächtigte Krankenhausärzte, Krankenhäuser bzw. medizinische Zentren seien. Unter Bezugnahme hierauf wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 24.04.2001).

Mit der Klage zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat die Klägerin vorgetragen, auch ermächtigte Ärzte und Einrichtungen seien "Vertragsärzte" im Sinne ihrer Ermächtigung. Aus den maßgeblichen Rechtsgrundlagen, dem Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten, dem Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), der Zulassungsverordnung für Ärzte und dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gehe keine anderslautende Beschränkung hervor. Im Übrigen berufe sie sich wegen der langjährigen Abrechnungspraxis der Beklagten, die zu keinem Zeitpunkt den konstant etwa 25%igen Anteil von Behandlungsausweisen aus dem streitigen Überweiserkreis beanstandet habe, auf Vertrauensschutz.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.06.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2001 zu verurteilen, die 104 zurückgegebenen Behandlungsausweise abzurechnen und zu vergüten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf den Wortlaut des § 4 Abs. 1 BMV-Ä berufen, aus dem sich eindeutig ergebe, dass ausschließlich niedergelassene Ärzte auch Vertragsärzte seien, während ermächtigte Ärzte und ärztlich geleitete Einrichtungen lediglich in einem definierten Umfang an der vertragsärztlichen Versorgung teilnähmen.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.02.2003). Vertragsärzte seien nach der Systematik des § 95 SGB V nur niedergelassene Ärzte. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn die Beklagte habe nicht alle Behandlungsausweise überprüfen können. Darüberhinaus sei der Vertrauensschutz einer mit juristischem Sachverstand ausgestatteten Universitätsklinik nicht so weit zu fassen wie derjenige eines einzelnen niedergelassenen Vertragsarztes. Der Klägerin habe aufgrund dieses Sachverstandes der eindeutige Sprachgebrauch des Begriffs "Vertragsarzt" bekannt sein müssen.

Mit der Berufung weist die Klägerin darauf hin, dass der Begriff "Vertragsarzt" entgegen der Auffassung des SG im Vertragsarztrecht nicht stringent verwendet werde. So stehe er z.B. in § 76 Abs. 3a SGB V für alle Formen der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Im Hinblick darauf sei er jeweils auslegungsbedürftig. Hinsichtlich ihrer Ermächtigungen führe diese Auslegung jedenfalls wegen des Begriffs "alle Vertragsärzte" dazu, dass auch ermächtigte Ärzte und Einrichtungen gemeint seien. Angesichts einer vierzehnjährigen gleichmäßigen Abrechnungspraxis habe die Beklagte ihr zumindest Gelegenheit geben müssen, ihre Leistungspraxis der geänderten rechtlichen Einschätzung anzupassen. Auch sie müsse nämlich enorme Mengen an Abrechnungsscheinen bewältigen, ohne jeweils eine juristische Einzelfallprüfung vornehmen zu können.

Auf Hinweis des Senates, dass Überweisungen der Abteilung für pränatale Diagnostik und Therapie des Zentrums für Geburtshilfe und Frauenheilkunde unter verschiedenen Vertragsarztnummern erfolgt sind, hat die Klägerin die Klage hinsichtlich der 19 unter der für Notfallbehandlungen vorgesehenen Arztnummer zurückgenommen.

Sie beantragt nunmehr noch,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12.02.2003 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 22.06.1999 und 24.04.2001 zu verurteilen, die 85 zurückgegebenen Behandlungsausweise abzurechnen und zu vergüten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für richtig.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den von der Klägerin überreichten, in einem anderen Berichtigungsverfahren ergangenen Teilabhilfebescheid der Beklagten vom 25.07.2001 Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten einschließlich der beanstandeten Behandlungsausweise sowie die Akten der im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit ruhend gestellten Verfahren S 2 (25) KA 103/01, S 17 KA 172/01 und S 17 KA 173/01 SG Düsseldorf sind beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin, die diese in zulässiger Weise auf die Vergütung von 85 Behandlungsausweisen beschränkt hat (§§ 153 Abs. 1, 99 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Abrechnung und Vergütung der beanstandeten Behandlungsausweise.

Der Senat kann im Ergebnis dahin stehen lassen, ob sich dieser Anspruch bereits aus §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 Buchst. b) HVM in der ab dem 01.01.1999 geltenden Fassung (Rhein. Ärzteblatt I/99, S. 63 ff.) ergibt (I.), weil er jedenfalls aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes folgt (II.).

I.

Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Beklagte nicht schon nach §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 Buchst. b) HVM verpflichtet ist, die streitigen Behandlungsausweise abzurechnen und zu vergüten. Nach § 2 Abs. 1 HVM sind alle zur ärztlichen Behandlung und Betreuung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung gehörenden Leistungen abrechnungsfähig. Eine Ausnahme gilt nach § 3 Abs. 2 Buchst. b) HVM für Leistungen von Krankenhausärzten außerhalb der ausgesprochenen Ermächtigungen.

Nach Auffassung des Senates sprechen allerdings gute Gründe für die Annahme, dass die Leistungen der im Institut für Humangenetik tätigen Ärzte nicht außerhalb der ausgesprochenen Ermächtigung gelegen haben und daher gegenüber der Beklagten abrechnungsfähig sind.

Für die Frage, ob diese Leistungen von der jeweiligen Ermächtigung gedeckt waren, kommt es nicht auf das Quartal an, in dem die Klägerin sie zur Abrechnung gestellt hat, sondern auf das Quartal, in dem sie erbracht worden sind. Insofern muss bei den streitigen Leistungen, die die Klägerin sämtlich erst im Quartal I/1999 abgerechnet hat, grundsätzlich unterschieden werden: Haben sie bereits im Quartal III/1998 stattgefunden, ist noch die von der Beklagten erteilte Ermächtigung maßgebend. Bei den erst im Quartal IV/1998 erbrachten Leistungen bestand dagegen bereits die Ermächtigung des Zulassungsausschusses. Diese im Grundsatz gebotene Unterscheidung kann freilich nicht zu voneinander abweichenden Ergebnissen führen. Denn der Zulassungsausschuss hat nach dem eindeutigen Wortlaut seines Beschlusses die vorangehenden Ermächtigungen "in bisherigem Umfang ... erneuert" und damit ihre Reichweite unverändert gelassen.

Ob die von der Beklagten für die Zeit vom 01.01.1998 bis zum 30.09.1998 und die danach vom Zulassungsausschuss erteilte Ermächtigung auch Leistungen auf Überweisung nicht niedergelassener Vertragsärzte umfasst haben, ist durch Auslegung zu ermitteln. Da sowohl der Ermächtigungsbescheid der Beklagten als auch der Ermächtigungsbeschluss des Zulassungsausschusses Verwaltungsakte im Sinne von § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch sind, ist Maßstab der jeweils geäußerte Erklärungswille und Erklärungswert, wie er sich einem verständigen, die Zusammenhänge berücksichtigenden Beteiligten darstellt, nicht jedoch eine Absicht der Beklagten bzw. des Zulassungsausschusses, die von diesem "Empfängerhorizont" aus nicht erkennbar ist (std. Rspr.: BSGE 62, 32, 37; BSGE 67, 104, 110; BSG SozR 3-1300 § 34 Nr. 2; BSG, EzS 40/590; jeweils m.w.N.).

Die Auslegung nach diesen Grundsätzen legt die Annahme zumindest nahe, dass auch Leistungen auf Überweisung nicht niedergelassener Vertragsärzte zum Ermächtigungsumfang gehören:

Entgegen der Annahme der Beklagten und des SG ist das Verständnis des Begriffs "Vertragsarzt" im Vertragsarztrecht keineswegs eindeutig und vor allem nicht nur auf niedergelassene Ärzte beschränkt. Eine in diesem Sinne eingeschränkte Bedeutung hat er vielmehr nur im neueren Sprachgebrauch des Zulassungsrechts (vgl. § 95 Abs. 2, 2a, 3 SGB V). Dem entspricht, dass nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BMV-Ä die Begriffe "Vertragsärzte" und "zugelassene Ärzte" synonym gebraucht werden. Andererseits spricht das Gesetz im Zusammenhang mit niedergelassenen Ärzten in der Regel von "zugelassenen Ärzten", und zwar gerade dann, wenn es um die Unterscheidung von ermächtigten Ärzten geht (vgl. § 76 Abs. 1, 95 Abs. 1 SGB V). Dafür, dass der Begriff "Vertragsarzt" grundsätzlich weiter zu verstehen ist, spricht auch, dass der ihm verwandte Begriff der "vertragsärztlichen Versorgung" vom SGB V für die gesamte ambulante Versorgung sowohl durch zugelassene als auch durch ermächtigte Ärzte und Einrichtungen verwandt wird (z.B. §§ 95 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 116 Abs. 1 SGB V). Nicht zuletzt deshalb hat das BSG als "Vertragsarzt" im Sinne der Vereinbarung über besondere Maßnahmen zur Verbesserung der onkologischen Versorgung (Onkologie-Vereinbarung) nicht nur niedergelassene Vertragsärzte, sondern auch ermächtigte Ärzte und Einrichtungen angesehen (vgl. BSG, MedR 1999, 479 ff.).

Die Auslegung des Begriffs "Vertragsarzt" im Sinne der hier maßgeblichen Ermächtigungen ist dabei nicht von vornherein deshalb auf das dargestellte engere Verständnis des Zulassungsrechts beschränkt, weil diese Ermächtigungen jedenfalls für die Zeit ab dem Quartal IV/1998 auf der Entscheidung eines Zulassungsgremiums beruhen. Ersichtlich fügt sich diese Entscheidung nämlich ebenso wie die vorangegangene Ermächtigung der Beklagten in die langjährige "Ermächtigungsgeschichte" der Klägerin ein. Diese wiederum ist jedoch keineswegs durchgängig durch einen einheitlichen Sprachgebrauch des Begriffs "Vertragsarzt" gekennzeichnet gewesen. Im Gegenteil bezog sich die vertragliche Ermächtigung ab dem 01.04.1985 im Primärkassenbereich auf Überweisung von "Kassenärzten", im Ersatzkassenbereich dagegen auf Überweisung von "Vertragsärzten". "Vertragsärzte" im Sinne des zum damaligen Zeitpunkt geltenden Bundesmantelvertrages Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä a.F.) waren jedoch nicht nur die niedergelassenen Ärzte, sondern auch die ermächtigten Ärzte und Einrichtungen. So konnte nach § 5 Ziff. 6 EKV-Ä a.F. bei Vorliegen näher bestimmter Voraussetzungen ein leitender Krankenhausarzt "Vertragsarzt" werden. Ähnlich wie heute war dabei durch den Gesetzgeber klar gestellt, dass die vertragsärztliche und die kassenärztliche Versorgung zugelassene, beteiligte und ermächtigte Ärzte sowie ärztlich geleitete Einrichtungen umfasste (§§ 368a Abs. 1, 525c Abs. 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung).

Weder dem Ermächtigungsbescheid der Beklagten noch dem Ermächtigungsbeschluss des Zulassungsausschusses konnte die Klägerin von ihrem Empfängerhorizont aus in irgendeiner Form eine Einschränkung des Überweiserkreises gegenüber den ursprünglichen Ermächtigungen entnehmen. Der Bescheid der Beklagten vom 05.02.1998 unterscheidet vielmehr lediglich zwischen der Überweisung von "(allen) Vertragsärzten" oder von Ärzten bestimmter Fachgebiete. Zudem wird in der ausführlichen Begründung des Bescheides auf zahlreiche Aspekte des Ermächtigungsrechts, insbesondere den Nachrang der Institutsermächtigung gegenüber persönlichen Ermächtigung, hingewiesen, nicht jedoch darauf, dass der Kreis der Überweiser lediglich im (engen) zulassungsrechtlichen Sinn zu verstehen sei.

Eines solchen Hinweises hätte es jedoch vom Empfängerhorizont der Klägerin aus bedurft, nachdem die Beklagte über einen Zeitraum von mehr als 13 Jahren ihre Abrechnungen mit einem konstant hohen Anteil ermächtigter Überweiser von etwa 25 % widerspruchslos entgegengenommen hat. Das gilt umso mehr, als die Leistungen jedenfalls des Instituts für Humangenetik hochspezialisiert sind und in der Praxis - wie die beanstandeten Behandlungsausweise zeigen - vielfach auf Überweisung ebenfalls spezialisierter Ärzte und Einrichtungen in Anspruch genommen werden, die wiederum ihrerseits wegen ihrer Spezialisierung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt und deshalb von den Versicherten auf Überweisung niedergelassener Vertragsärzte aufgesucht worden sind. Von daher lag für die Klägerin die Annahme, es entspreche dem Willen der Beklagten oder der Zulassungsgremien, ihre Inanspruchnahme abweichend von solchen "Kettenüberweisungen" zwingend von der erneuten Überweisung eines niedergelassenen Vertragsarztes abhängig zu machen, keineswegs nahe.

II.

Auch wenn man sich jedoch dieser Auslegung nicht anschließt und den Begriff "Vertragsarzt" im Sinne der maßgeblichen Ermächtigungen auf nieder- und zugelassene Ärzte beschränkt, kann die Klägerin die Vergütung der streitigen Leistungen aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes verlangen.

Das BSG hat bereits entschieden, dass ein Vertragsarzt unter Vertrauensgesichtspunkten einen Anspruch darauf hat, vor einer Änderung der Abrechnungspraxis durch die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) vorab informiert zu werden, wenn diese die systematische Abrechnung der Leistung durch den Arzt oder seine Arztgruppe kannte bzw. kennen musste und wenn der Arzt berechtigt darauf vertraute, die KÄV ziehe die Rechtmäßigkeit seiner Abrechnung nicht in Zweifel (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr. 9). Diese für die Abrechnung fachfremder Leistungen entwickelten Grundsätze, denen der Senat ausdrücklich zustimmt, orientieren sich an den Prinzipien der allgemeinen Rechtsscheinshaftung und sind daher auch auf andere Änderungen der Abrechnungspraxis einer KÄV anwendbar.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die Abrechnungspraxis der Klägerin kannte, weil sie sie zumindest kennen musste. Nach den Feststellungen des Senates hat die Klägerin diese Praxis nachhaltig, d.h. über einen Zeitraum von mehr als 13 Jahren und für mehrere der ermächtigten Institute, konsequent durchgeführt. Berücksichtigt man, dass die Beklagte verpflichtet war, die Abrechnungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu überprüfen und ggf. zu berücksichtigen, so kann sie einem "Kennenmüssen" nach einem so langen Zeitraum nicht mit Erfolg entgegenhalten, sie sei nicht in der Lage, jede einzelne Abrechnung zu kontrollieren. Es kommt hinzu, dass zahlreiche der abgerechneten Leistungen wegen des aus dem gesamten Bundesgebiet stammenden Überweiserkreises dem Fremdkassenausgleich unterfallen (im Streitquartal waren z.B. - neben vielen anderen - betroffen die AOKen Rheinland-Pfalz und Sachsen, die IKK Ludwigsburg und die BKK Bosch) und auch aus diesem Grund im Rahmen der Abrechnung auffallen und weiter bearbeiet worden mussten.

Die Klägerin hat auch berechtigtes Vertrauen in den Fortbestand der Abrechnungspraxis der Beklagten gehabt. Ein solches berechtigtes Vertrauen kann sich z.B. aus einem Schriftverkehr oder aus Gesprächen mit der zuständigen KÄV ergeben (BSG a.a.O.), aber auch aus anderen Gesichtspunkten. Hierzu ist insbesondere der Umstand zu zählen, dass eine Ermächtigung ihrem ursprünglichen Wortlaut nach Leistungen aufgrund eines bestimmten Überweiserkreises deckt (wie im vorliegenden Fall zumindest die Ersatzkassenermächtigung), entsprechend diesem Wortlaut in der Folgezeit über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren abgerechnet wird und dabei keinerlei für die Klägerin erkennbare Anstrengungen unternommen werden, die Ermächtigung insoweit einzuschränken oder zu präzisieren.

Das berechtigte Vertrauen der Klägerin erstreckt sich dabei auf den gesamten Abrechnungszeitraum bis zu einer neuen Entscheidung der Zulassungsgremien über den Umfang ihrer Ermächtigung(en): Keinesfalls ist ihr Vertrauen durch den Bescheid vom 22.06.1999 zerstört worden. Denn dieser Bescheid lässt in keiner Weise die konkrete Beanstandung erkennen. Dementsprechend ist die Klägerin auch zunächst davon ausgegangen, die Beklagte rüge, dass die von ihr abgerechneten Leistungen nicht vom EBM-Ä erfasst seien. Das berechtigte Vertrauen der Klägerin hat aber auch über die Nichtabhilfenachricht vom 04.10.1999 und die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2001 hinaus angedauert. Denn die Beklagte hat ihre vermeintlich neue Abrechnungspraxis in der Folgezeit nicht konsequent gehandhabt. So hat sie noch mit Teilabhilfebescheid vom 25.07.2001 einem Widerspruch der Klägerin gegen einen Berichtigungsbescheid hinsichtlich solcher Leistungen abgeholfen, die auf Überweisung ermächtigter Institute erfolgten, solange diese nur nicht der Universität Bonn angehörten. Im Hinblick auf diese widersprüchliche Abrechnungspraxis der Beklagten ist der Klägerin Vertrauensschutz bis zu einer Klärung durch die nunmehr für die Erteilung der Ermächtigung zuständigen Zulassungsgremien unter der gesetzlich vorgeschriebenen Mitwirkung der Krankenkassen zuzugestehen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 24) und berücksichtigt, dass die Beteiligten keine Ansprüche auf Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten geltend machen.

Der Senat hat keinen Anlass gesehen, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG). Es handelt sich um einen besonderen Einzelfall, der die Auslegung von Ermächtigungen der Klägerin aufgrund einer individuellen historischen Entwicklung betrifft. Eine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Sache lässt sich aufgrund dessen nicht feststellen.
Rechtskraft
Aus
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