L 16 KR 19/04

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 27 KR 164/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 19/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 11. Dezember 2003 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Kosten auch für das Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten zu erstatten, die sie für den Erwerb einer Echthaarperücke im Februar 2002 aufgewandt hat.

Die Klägerin war ihren Angaben vor dem Senat zufolge zuletzt vor etwa 15 Jahren im erlernten Beruf (Maler/Anstreicher) erwerbstätig. Sie ist seither bei der Beklagten als Mitglied in der Krankenversicherung der Arbeitslosen (KVdA) versichert.

Die Klägerin ist am 27.5.1955 als Mann geboren und hat sich im Mai 1999 zu Lasten der Beklagten in der Chirurgischen Privatklinik N einer Geschlechtsumwandlung unterzogen.

Mit Urteil vom heutigen Tage hat der erkennende Senat in der Streitsache L 16 KR 248/01 LSG NW die Entscheidung der Beklagten und des SG Duisburg (Urteil vom 29.10.2001 S 7 (9) KR 239/99) bestätigt, daß die Klägerin keinen Anspruch gegen die beklagte Kasse auf Gewährung einer ambulanten Haartransplantation als Sachleistung hat. Im erstinstanzlichen Verfahren hatte die Beklagte ein Gutachten des Dr. T vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 9.5.2001 zu den Akten gereicht, der die Versorgung mit Haarersatz in Form von zwei Perücken aus medizinischer Sicht für indiziert erklärte, deren Fertigung nach einem von der Klägerin vorgelegten Kostenvoranschlag 11320.- DM kosten sollte und deren Fertigung zu Lasten der Kasse die Klägerin am 30.10.2001 beantragte. Gegen die die Leistung verweigernden Bescheide der Beklagten vom 4.12.2001 und 8.2.2002 hat die Klägerin am 14.2.2002 die beim SG Duisburg noch anhängige Klage S 27 KR 26/02 erhoben. Mit Beschluss vom heutigen Tage hat der erkennende Senat (L 16 B 11/04 KR LSG NW) die Entscheidung des SG bestätigt, das erstinstanzliche Verfahren im Hinblick auf das Verfahren wegen der Frage der Versorgung mit einer Eigenhaartransplantation auszusetzen.

Unter Beifügung der vertragsärztlichen Verordnung des Hautarztes Dr. G vom 28.11.2001, mit der dieser der Klägerin eine "medizinische Echthaarperücke" verordnet hatte, und unter Vorlage weiterer Erklärungen des Dr. G vom 29.11.2001 und 13.12.2001 hatte die Klägerin der Beklagten am 7.12.2001 mitgeteilt, für den Übergang bis zur Entscheidung über die Versorgung mit den beantragten, zwei handgefertigten Perücken benötige sie eine Echthaarperücke (in Folge: Interimsperücke); die Beklagte habe sich in der Sitzung vom 29.10.2001 davon überzeugen können, wie zerschlissen die alte sei, die nur noch aus verwertbaren Teilen früher verschlissener Perücken bestehe. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 3.1.2002 und den Widerspruch der Klägerin in der Sache zurückweisender Widerspruchsbescheid vom 22. 11. 2002), weil die Kammervorsitzende in der Sitzung des SG vom 29.10.2001 in der Streitsache wegen der Versorgung mit einer Eigenhaartransplantation ausgeführt habe, daß die Klägerin weder diese noch ein Perücke brauche. Nachdem das SG im abgeschlossenen Verfahren S 27 KR 2/02 ER SG Duisburg mit bindend gewordenem Beschluss vom 14.2.2002 den Erlaß einer einstweiligen Regelung betreffs sämtlicher Perücken abgelehnt hatte, hatte sich die Klägerin die Interimsperücke selbst beschafft und dazu die Rechnung der Lieferfirma vom 19.2.2002 über 1075 EURO vorgelegt.

Die Klägerin hat am 18.12.2002 Klage erhoben und Ablichtungen aus den anderen Verfahren zu den Akten gereicht. Zur Bescheinigung des Dr. G vom 29.11.2001, daß es zur Besserung gekommen sei, daß gegenwärtig aber trotzdem eine Alopezia I. bis II. Grades bestehe, hat die Klägerin vorgetragen, ihr Haarausfall habe sich im November 2001 verstärkt, da sie sich einer operativen Maßnahme unter Vollnarkose habe unterziehen müssen.

Das SG hat Berichte von den behandelnden Ärzten eingeholt. Der Hautarzt Dr. G hat mit Schreiben vom 15.5.2003 mitgeteilt, der Status der Kopfbehaarung habe sich in den letzten Jahren nicht verbessert; die Versorgung mit der Perücke sei erforderlich, um den Verpflichtungen des täglichen Lebens nachzukommen (Einkaufen, Arbeiten pp). Die Hautärzte Dr. L pp. haben mit Datum des 2.4.2003 erklärt, die Klägerin werde dort seit September 2000 behandelt; eine wesentliche Besserung sei nicht eingetreten; man empfehle die Versorgung mit einer Perücke; die Eigenhaartransplantation sei mit erheblichen Kosten verbunden und daher mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht vereinbar. Die Hautärztin V hat am 7.4.2003 bekundet, dort sei die Klägerin seit März 2002 und zuletzt im Januar 2003 behandelt worden; es habe ein Stillstand in der Verminderung des Haaransatzes festgestellt werden können; die Versorgung mit der Perücke sei unbedingt erforderlich; es sei Ermessenssache, ob aus Kunst- oder aus Echthaar; ihres Erachtens sei Kunsthaar ausreichend und wirtschaftlich.

Mit dem ohne mündliche Verhandlung am 11. Dezember 2003 ergangenem Urteil hat das SG Duisburg die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 3.1.2002 und 22.11.2002 verurteilt, der Klägerin die Kosten für die Echthaarperücke zu erstatten. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kasse habe die Leistung rechtswidrig verweigert, denn alle mit der Sache befaßten Ärzte, behandelnde Ärzte, Gutachter und Sachverständige hielten eine Perücke für erforderlich und nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H vom 23.1.2001 aus der Streitsache S 7 (9) KR 239/99 sei auch nur eine Echthaarperücke in Betracht gekommen.

Die Beklagte hat gegen das Urteil - ihr zugestellt am 23. oder 29.12.2003 - am 21.1.2004 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, noch im Erörterungstermin am 28.11.2003 habe die Klägerin selbst betont, daß sie die Echthaarperücke nur sporadisch aufsetzen könne, da sie dagegen allergisch sei; wenn sie gegen Kunsthaar- und Echthaarperücken allergisch sei, sei nicht einzusehen, warum nicht die Kunsthaarperücke für den vorübergehenden Gebrauch nicht ausreichend sein solle.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des SG Duisburg vom 11.12.2003 (S 27 KR 164/02) aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen des SG für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts im übrigen wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze in beiden Rechtszügen verwiesen. Außer der Streitakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen: die Verwaltungsakten der Beklagten und die o.a. Streitakten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)). Festzuhalten ist dabei lediglich, daß sich die Dichte des Haarwuchses der Klägerin gegenüber dem Zustand, den das SG seiner Feststellung im Urteil vom 29.10.2001 zugrundegelegt hat, die Klägerin brauche weder ein Haartransplantation noch eine Perücke, nach dem Photo Stand Januar 2002 (Bl 5 der Gerichtsakten (GA) S 27 KR 16/02 SG Duisburg = L 16 B 11/04 KR LSG NW) gegenüber des Photos Stand 2001 (Bl 154 GA S 7 (9) KR 239/99 SG Duisburg) und Stand Juli 2000 (Bl 41 GA S 7 (9) KR 239/99 SG Duisburg) in der Tat offensichtlich erheblich verschlechtert hatte. Auf der Hand liegt es nach Auffassung des Senats auch, daß die Klägerin, selbst wenn sich schließlich herausstellen sollte, daß ihre eigene Sicht richtig ist, daß sie nämlich letztlich keinerlei Perücke ohne Schaden tragen kann, mit einer Perücke versorgt werden muß, solange sie die kahlen Stellen nicht hinreichend kaschieren kann, was sich möglicherweise nur unter Hinzuziehung eines Sachverständigen für das Friseurhandwerks feststellen läßt. Der Klägerin ist dann - und das gilt auch für die Interimszeit - nicht zuzumuten, barhäuptig außer Haus zu gehen, und ihr ist dann ein Notbehelf in Form der Perücke zur Verfügung zu stellen, deren Verwendung mutmaßlich die geringsten Folgeschäden nach sich zieht, und dies ist nach den Gutachten von Prof. Dr. H und Dr. T nicht die Kunsthaarperücke.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Es bestand kein Anlaß, die Revision zuzulassen, denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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