Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 347/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 13/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 38/04 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Rev. d. Bekl. durch Urteil zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 28.11.2002 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt gefasst wird: Der Bescheid vom 24.10.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2000 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet war, dem Kläger ab dem 01.11.2000 häusliche Krankenpflege im Umfang von 9,5 Stunden täglich zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Umfang der Gewährung häuslicher Krankenpflege.
Der 1982 geborene Kläger, der als zweiter Zwilling geboren wurde, erlitt am 3. Tag nach seiner Geburt einen Herz-/Atemstillstand, er ist seither schwerstbehindert. Es besteht eine ausgeprägte frühkindliche Hirnschädigung mit Tetraspastik, Gelenkkontrakturen, Bewegungs-, Schluck- und Sprachunfähigkeit. Ferner liegt ein therapieresistentes multifokales Anfallsleiden vor mit wechselnder Anfallshäufigkeit. Diese Anfälle begrenzen sich zum Teil, zum Teil bedürfen sie medikamentöser Intervention. Wegen der gestörten Schluckmotorik war der Kläger anfangs mit einer Magensonde, seit Mai 2000 ist er mit einer PEG versorgt. Verstärkt treten Infekte der oberen Luftwege auf, bei Bronchitiden kommt es zu starken Verschleimungen, die in Verbindung mit eingeschränkter Schluckmotorik zu bedrohlichen Hustenanfällen führen können. Der Kläger lebt zusammen mit seiner Mutter, einer examinierten Krankenschwester, in einem Haushalt. Er erhält Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III als Sachleistung, wobei nach dem zuletzt erstatteten Pflegegutachten vom 13.09.2000 der Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege 245 Minuten betrug.
Neben der Grundpflege wurde für den Kläger durch den damals behandelnden Kinderarzt N2 Behandlungspflege in erheblichem Umfang verordnet. Auf die weitere Verordnung vom 02.10.1998 (4 x wöchentlich Einläufe, 5 x täglich/7 x wöchentlich Dekubitusbehandlung) holte die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. In seinem Gutachten vom 05.11.1998 kam Dr. C zu dem Ergebnis, ein Teil der verordneten Maßnahmen, u. a. die Dekubitusprophylaxe, sei dem Bereich der Grundpflege zuzuordnen. Als behandlungspflegerische Maßnahmen blieben nur einmal wöchentlich Wechseln der Magensonde, Legen und Pflege des nasalen Tubus zur Freihaltung der Atemwege sowie die Pflege der Nasenschleimhaut im Umfang von 3 x täglich/7 x wöchentlich. Mit Bescheid vom 18.11.1998 bewilligte die Beklagte daraufhin Behandlungspflege nur in dem angegebenen Umfang. Im Widerspruchsverfahren übersandte die Mutter des Klägers eine Bescheinigung des Leitenden Arztes der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Neurologie des Gemeinschaftskrankenhauses I Dr. N vom 17.06.1999. Dieser schilderte die in Folge der genannten Erkrankungen und Behinderungen anfallenden Maßnahmen und meinte, wegen der Anfälle sei eine ständige Beaufsichtigung durch eine ausreichend geschulte Person erforderlich.
Während des Widerspruchsverfahrens beantragte der Kläger am 10.09.1999 beim Sozialgericht (SG) Dortmund den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Beklagte zur Gewährung von 16 Stunden häuslicher Krankenpflege täglich abzüglich der Leistungen der Grundpflege zur verpflichten (S 8 KR 250/99 ER). In diesem Verfahren holte das SG Auskünfte des Kinderarztes N2 und von Dr. N ein. In seinem Bericht vom 13.01.2000 (Bl. 63 der vorgenannten Streitakte) schilderte N2 die regelmäßig anfallenden pflegerischen Maßnahmen und führte weiter aus, aufgrund der Schwere der Gesamterkrankung halte er die ständige Überwachung durch eine Pflegekraft für erforderlich, um über die genannten Maßnahmen hinaus bei entsprechendem Anlass sofort eingreifen zu können. Akutsituationen seien insbesondere Verschlechterungen der Atmungsfunktion durch Verschleimung und Krampfanfälle, die phasenweise rezidivierend mehrfach in einer Stunde auftreten könnten und damit die Gefahr eines Krampfstatus entstehen ließen. Bei den Krampfanfällen könne es sich um eine große Anzahl mit akuter Atemnot handeln, aber auch um rezidivierend multifokal ausgelöste Streckkrämpfe einzelner Extremitäten als auch der Atmungsmuskulatur und Schluckmuskulatur. Sowohl durch Verschleimung der Atemwege könne es zu akut bedrohlichen Erstickungsanfällen kommen als auch durch die cerebralen Krampfanfälle. Diese Zustände entstünden gehäuft an einzelnen Tagen im Zusammenhang mit Infekten der Luftwege, aber auch unmittelbar aus dem allgemeinen Alltag heraus, sie seien prinzipiell nicht vorhersehbar. Auch Dr. N beschrieb in seinem Bericht vom 17.01.2000 (Bl. 66 der vorgenannten Streitakten) die regelmäßig anfallenden Pflegemaßnahmen und führte zu dem Anfallsleiden aus, es würden sowohl einfachste Anfälle wie schnelle rhythmische Augenbewegungen (Nystagmus) wie auch einschießende Muskelkontraktionen beobachtet, jeweils in einer Größenordnung von über 25 x pro Tag. Ein Teil dieser Anfälle erfasse weitere Muskelgruppen, zum Teil gingen die Anfälle in sekundär generalisierte Grand-Mal-Anfälle über, bei denen der Patient mit Armen und Beinen synchron zucke, Schaum vor dem Mund habe, die Atmung einstelle und zyanotisch werde. Die Anfälle sollten nach Möglichkeit unterbrochen werden, bevor es zur Generalisierung komme. Die betreuende Person, bei der es sich um eine medizinisch geschulte Fachkraft handeln müsse, müsse entscheiden, ob sie noch über den Mund Tropfen oder aber als Einlauf ein anfallsverhinderndes Medikament gebe. Eine ständige Beobachtung des Klägers sei notwendig, er solle grundsätzlich nicht fünf Minuten ohne akustische oder optische Überwachung bleiben. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die genannten Berichte verwiesen. In einem zu diesen Berichten eingeholten Gutachten des MDK vom 31.03.2000 räumte Dr. N1 ein, dass bei Krampfanfällen Notfallmaßnahmen notwendig seien. Ein Eingreifen sei insoweit nicht vorhersehbar, es sei in diesem Zusammenhang nicht möglich, aus ärztlicher Sicht einen zeitlichen Rahmen für den Umfang der behandlungspflegerischen Maßnahmen anzugeben.
Mit Beschluss vom 19.04.2000 verpflichtete das SG die Beklagte zur Gewährung von 12 Stunden Behandlungspflege täglich. Im Beschwerdeverfahren schlossen die Beteiligten einen Vergleich, in dem sich die Beklagte zur Gewährung von 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich bis 30.09.2000 verpflichtete. In dieser Zeit sollte der Pflegedienst eine ausführliche Dokumentation der Pflegemaßnahmen erstellen, auf deren Grundlage die Beklagte über ihre weitere Leistungspflicht entscheiden wollte. Wegen einer Verzögerung der Auswertung der Dokumentation verlängerte sie mit Schreiben vom 29.09.2000 die vergleichsweise Regelung bis zum 31.10.2000.
Zu der vom Pflegedienst erstellten Dokumentation holte die Beklagte ein Gutachten durch den MDK ein. Ausgehend von dem von ihr erstatteten Pflegegutachten vom 13.09.2000 führte Dr. U in ihrem Gutachten vom 18.09.2000 aus, es sei aus medizinischer Sicht nicht möglich, den zeitlichen Umfang der erforderlichen Behandlungspflege unterteilt nach bestimmten Funktions- und Organbereichen zu berechnen. Die Krampfsituation des Klägers erfordere ständige Krankenbeobachtung. Aus der aktuellen Situation heraus ergebe sich die notwendige Medikation im Rahmen der Behandlungspflege. Bei heftigen Krämpfen träten Abnoen auf, dann sei Sauerstoffgabe erforderlich. Sie empfahl eine vergleichsweise Einigung. Die Beklagte holte ein weiteres MDK-Gutachten ein, das Dr. L unter dem 12.10.2000 erstattete. Dabei wurde die Anzahl der einzelnen behandlungspflegerischen Maßnahmen pro Tag aus der Dokumentation des Pflegedienstes entnommen und ein durchschnittlicher Tageswert errechnet. Dr. L meinte, bei großzügiger Auslegung der Zeiten betrage der behandlungspflegerische Zeitwert 2 Stunden täglich.
Mit Bescheid vom 24.10.2000 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01.11.2000 bis 31.10.2001 Behandlungspflege im Umfang von 2 Stunden täglich. Der Kläger beantragte daraufhin am 02.11.2000 erneut beim SG Dortmund den Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 8 KR 298/00 ER). Zur Begründung legte er u. a. eine Bescheinigung von Dr. N vom 02.11.2000 vor, in der angegeben wird, seit 4 Wochen bestehe eine akute Verschlechterung des Krampfgeschehens, es sei zu einer Störung des Tages- und Nachtrhythmus gekommen. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 15.12.2000 verpflichtete das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Bewilligung von 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich bis zur Bestandskraft der Entscheidung über den Leistungsantrag. Die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2000 zwar den auf die Gewährung von 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich beschränkten Widerspruch des Klägers zurückgewiesen, sie hat aber auf der Grundlage des Beschlusses vom 15.12.2000 in der Folgezeit aufgrund entsprechender ärztlicher Verordnungen Behandlungspflege im Umfang von 9,5 Stunden täglich als "Ausnahmeregelung" bewilligt.
Der Kläger hat am 20.12.2000 Klage erhoben. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.01.1999 (SozR 3-2500 § 37 Nr. 1) hat er geltend gemacht, wegen des Anfallsleidens und der Beeinträchtigung der Atmung benötige er Behandlungspflege rund um die Uhr. Zur Behandlungspflege zählten alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht würden und speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet seien. Die Beklagte hat demgegenüber eingewandt, da der überwiegende Aufwand des Pflegedienstes in der Beaufsichtigung und der Grundpflege bestehe, falle die notwendige Beaufsichtigung nicht in den Bereich der Krankenversicherung.
Das SG hat Berichte von dem Kinderarzt N2 (Bericht vom 11.07.2001) und Dr. N (Bericht vom 12.11.2001) eingeholt. Kinderarzt N2 hat auf sein Schreiben vom 13.01.2000 verwiesen und angegeben, grundsätzlich habe sich der Zustand des Klägers verschlechtert. Hinsichtlich des Krampfgeschehens habe der Versuch einer medikamentösen Umstellung nicht zu einer Verbesserung geführt und die kontinuierliche Zunahme von Krampfanfällen nicht verhindern können. Auch Dr. N gab an, im klinischen Bild sei keine Verbesserung eingetreten. Die Zahl der Anfälle habe sogar zugenommen, eine medikamentöse Änderung sei nicht effektiv gewesen. Ein Teil der Anfälle müsse hingenommen werden und sei therapieresistent. Dies bedeute für die tägliche Pflege eher einen größeren Aufwand, der sich allerdings nicht beziffern lasse.
Mit Urteil vom 28.11.2002 hat das SG die Beklagte antragsgemäß zur "Bewilligung" von Krankenpflege im Umfang von 9,5 Stunden täglich verurteilt.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 27.12.2002 zugestellte Urteil am 24.01.2003 Berufung eingelegt. Sie meint, das SG sei zu Unrecht von der Entscheidung des BSG vom 28.01.1999 (a. a. O.) ausgegangen. Im dortigen Fall sei der Versicherte permanent künstlich beatmet worden. Im Gegensatz dazu liege im vorliegenden Fall keine dauernde zielgerichtete medizinische Behandlung vor. Vielmehr müsse der Pflegedienst nur punktuell bei Anfällen eingreifen. Es handele sich also eher um eine prophylaktische Maßnahme, die nicht die dauernde Krankenbeobachtung rechtfertige. In dieser Auffassung hat sie sich durch die vom Gericht beigezogene Pflegedokumentation des Pflegedienstes für die Jahre 2001 bis 2003 bestätigt gesehen und gemeint, daraus ergebe sich nicht, dass die angegebenen Krampfanfälle jeweils behandlungspflegerische Aktivitäten nach sich gezogen hätten. Hauptbestandteil der Pflege seien die Hilfen bei der Grundpflege, behandlungspflegerische Maßnahmen würden nur bei Bedarf ergriffen. Die Notwendigkeit für eine ununterbrochene Krankenbeobachtung sei im Gegensatz zu der Situation eines dauernd beatmungspflichtigen Patienten nicht gegeben, denn regelmäßige therapeutische Konsequenzen im Sinne eines zielgerichteten Eingreifens folgten aus der Anwesenheit der Pflegekräfte nicht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 28.11.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und macht unter Hinweis auf die entsprechenden ärztlichen Bescheinigungen geltend, das Krampfgeschehen erfordere eine ständige Krankenbeobachtung. Die Mutter des Klägers hat exemplarisch Tagesabläufe der Pflege geschildert. Zum Teil ist der Pflegedienst 24 Stunden anwesend, zum Teil übernimmt die Mutter die Pflege tageweise vollständig, da sie die ständige Anwesenheit Dritter in der Wohnung als belastend empfindet. Die Nachtbetreuung wird überwiegend durch die Mutter erbracht. Sie gibt insoweit an, im Normalfall komme es zu zwei bis drei Krampfanfällen pro Nacht, die Maßnahmen wie beruhigen, lagern, evtl. Medikamentengabe, PEG entlüften, absaugen, Tubus legen, Windelwechsel erforderten. Im Extremfall komme es zu Krampfwiederholungen bis zu zweimal stündlich, in diesen Fällen sei zusätzlich eine Überwachung der Vitalfunktion und eine evtl. Sauerstoffgabe erforderlich.
Der Senat hat die Pflegedokumentation des Pflegedienstes für die Zeit Mitte 2001 bis 2003 beigezogen; auf diese Unterlagen wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten und der beigezogenen Streitakten SG Dortmund (S 8 KR 250/99 ER und S 8 KR 298/00 ER) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Bescheid vom 24.10.2000 ist rechtswidrig. Das Sozialgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Bewilligung von Behandlungspflege im Umfang von 9,5 Stunden täglich bejaht.
I. Obwohl die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 24.10.2000 nur eine Entscheidung für den Zeitraum 01.11.2000 bis 31.10.2001 getroffen hat, ist die Klage auch hinsichtlich der Folgezeit zulässig. Die Beklagte hat insoweit aufgrund des Beschlusses des SG Dortmund vom 15.12.2000 Behandlungspflege im angeordneten Umfang von 9,5 Stunden täglich bewilligt. Da sie aufgrund dieses Beschlusses zur (vorläufigen) Leistungsbewilligung bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 24.10.2000 verpflichtet ist, konnte sie somit für die Zeit ab 01.11.2001 keine ablehnende Entscheidung treffen. Andererseits hat die Beklagte die Leistungen nicht endgültig bewilligt. Zwar hat sie sich nicht ausdrücklich eine Rückforderung der Leistungen vorbehalten, sie weist aber zu Recht darauf hin, aus dem Sinn und Zweck des einstweiligen Anordnungsverfahren folge, dass insoweit nur eine vorläufige Regelung getroffen werde. Der Kläger habe daher nicht davon ausgehen können, ihre Leistungsbewilligung sei endgültig. Da grundsätzlich eine Rückabwicklung durch Erstattung der entstandenen Kosten in Betracht käme, muss somit über die (endgültige) Leistungspflicht der Beklagten für die Zeit vom 01.11.2000 bis zur mündlichen Verhandlung entschieden werden. Insoweit kommt allerdings eine Verurteilung zur Leistung, wie sie das SG ausgesprochen hat, nicht in Betracht, weil die Beklagte die Behandlungspflege nicht nur bewilligt, sondern sogar schon bezahlt hat. Es genügt insoweit die Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), dass die Beklagte materiell verpflichtet war, die Leistungen im bewilligten Umfang zu erbringen, wobei sich das Feststellungsinteresse des Klägers aus dem Ausschluss eines möglichen Rückforderungsanspruchs ergibt.
Der Kläger hat somit zu Recht neben der Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2000 die Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten beantragt. Zur Klarstellung hat der Senat den erstinstanzlichen Tenor neu gefasst.
II. Der Kläger hat Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Gestalt der Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung. Die Erforderlichkeit behandlungspflegerischer Maßnahmen wird auch grundsätzlich von der Beklagten nicht bezweifelt. Entgegen ihrer Ansicht besteht dieser Anspruch jedoch nicht nur entsprechend dem Gutachten des MDK vom 12.10.2000 im (durchschnittlichen) Umfang von 2 Stunden täglich, sondern, soweit nicht die Leistungspflicht der Beklagten nach § 37 Abs. 3 SGB V bzw. wegen des Zusammentreffens der Behandlungspflege mit Leistung der Grundpflege begrenzt ist, im Umfang von 24 Stunden täglich.
1. a) Wegen des Anfallsleidens des Klägers ist die ständige Anwesenheit einer qualifizierten Pflegeperson erforderlich. Nach den Berichten des (damals) behandelnden Kinderarztes N2 vom 13.01.2000 und des mitbehandelnden Arztes Dr. N vom 17.01.2000 treten Krampfanfälle grundsätzlich unvorhersehbar auf, wobei sie sich nur zum Teil selbst begrenzen, zum Teil aber in sekundär generalisierte Grand-Mal-Anfälle übergehen können. Eine medizinisch geschulte Fachkraft muss entscheiden, ob eine Intervention notwendig ist, um den Anfall zu unterbrechen und ob und welche anfallverhindernde Medikation ggf. gegeben werden muss. Beide Ärzte haben eine ständige Überwachung durch eine Pflegekraft für erforderlich gehalten, Dr. N hat in seinem Bericht ausdrücklich angegeben, der Kläger dürfe auch nicht fünf Minuten ohne optische oder akustische Überwachung bleiben. Auch von Seiten des MDK (Gutachten Dr. N1 vom 31.03.2000, Gutachten Dr. U vom 18.09.2000) ist anerkannt worden, dass die Krampfsituation des Klägers eine ständige Krankenbeobachtung erfordere und sich aus der aktuellen Situation heraus die notwendige Medikation im Rahmen der Behandlungspflege ergebe. Die Situation des Klägers hat sich gegenüber diesen Beurteilungen des MDK sogar noch verschlechtert. Wie den Berichten des Kinderarztes N2 vom 11.07.2001 und von Dr. N vom 12.11.2001 zu entnehmen ist, hat die Zahl der Anfälle zugenommen und eine medikamentöse Änderung ist nicht effektiv gewesen. In der Bescheinigung des jetzt behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T vom 12.07.2004 wird eine weitergehende Verschlechterung des Gesundheitszustandes bestätigt. Das schwere Anfallsleiden hat sich in den letzten 12 bis 18 Monaten weiter verschlechtert, insbesondere haben die fokalen Anfälle an Häufigkeit und Intensität deutlich zugenommen. Unverändert hält Dr. T daher die ununterbrochene Überwachung der Vitalfunktionen auch nachts für dringend geboten, um dem fachlich geschulten Pflegepersonal umgehendes Eingreifen und das Einleiten von vital notwendigen Maßnahmen zu ermöglichen.
b) Die ständige Anwesenheit einer Pflegeperson, die den Kläger beobachten muss, um in unvorhersehbaren Fällen eingreifen zu können, ist eine behandlungspflegerische Maßnahme. Nach dem Urteil vom BSG vom 28.01.1999 (a. a. O.) zählen zur Behandlungspflege alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. Da hier wegen des Krampfleidens des Klägers seine Beobachtung notwendig ist, um die Anfälle ggf. zu unterbrechen bzw. die Auswirkungen zu mildern, liegt eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme vor. Zu Unrecht hält die Beklagte die genannte Entscheidung des BSG nicht für einschlägig, weil im Gegensatz zu dem dort entschiedenen Fall hier keine permanente zielgerichtete medizinische Behandlung stattfinde. In dem der Entscheidung des BSG zu Grunde liegenden Fall hat zwar die Beobachtung im Rahmen einer künstlichen Beatmung stattgefunden, der dortige Versicherte musste zur Sicherstellung seiner Atmung 24 Stunden lang ununterbrochen lang beobachtet werden und es mussten in regelmäßigen Abständen Sekretabsonderungen abgesaugt werden. Diese krankheitsspezifische Beaufsichtigung hat das BSG zur Behandlungspflege gezählt. Dem Urteil ist aber nicht zu entnehmen, dass das BSG die Beaufsichtigung einer Behandlungsmaßnahme als entscheidend angesehen hat. Die dort anfallenden Maßnahmen (regelmäßiges Absaugen von Schleimabsonderungen) waren sogar eher planbar und hätten wohl kaum die ständige Anwesenheit einer Pflegeperson erfordert. Das BSG bezeichnet aber ausdrücklich die reine Beobachtung der Atmung als krankheitsspezifische Beaufsichtigung und rechnet sie deshalb zur Behandlungspflege. Ob insoweit eine ständige Behandlungsmaßnahme überwacht oder ein Dauerkrankheitszustand beobachtet werden muss, der situativ ein Eingreifen zum Einleiten von vital notwendigen Maßnahmen erfordert, kann keinen Unterschied machen.
Vor diesem Hintergrund geht der Einwand der Beklagten, aus der Pflegedokumentation ergebe sich nicht, dass die Krankenbeobachtung regelmäßige therapeutische Konsequenzen zur Folge habe, schon deshalb ins Leere, weil alleine schon die Beobachtung die behandlungspflegerische Maßnahme ist. Im Übrigen trifft zwar zu, dass nach der Dokumentation der Zustand des Klägers tageweise auch "unauffällig" (im Sinne des Nichtanfallens nicht vorhersehbarer Interventionen) war, gleichzeitig ist aber auch häufig ein (nicht planbares) Eingreifen des Pflegedienstes dokumentiert. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Pflegedokumentation nur den vom Pflegedienst erbrachten Teil der Behandlungspflege, nicht aber die Pflege der Mutter enthält. Insoweit gibt also die Pflegedokumentation nicht vollständig Häufigkeit und Umfang der ergriffenen Maßnahmen wieder. Gleichwohl lässt sich beispielsweise für das erste Quartal 2003 feststellen, dass Krampfanfälle mit Medikamentengabe dokumentiert sind am 07.01., 10.01., 13.01., 21.01., 01.02., 06.02., 22./23.02., 13.03., 18.03., 26.03.2003. Außerdem ist unter dem 11.02.2003 vermerkt, dass der Kläger in Bauchlage erbrochen habe und im Mundbereich abgesaugt worden sei. Die Beklagte berücksichtigt auch nicht, dass nicht alle Krampfanfälle ein Eingreifen erfordern, da sie sich nach dem Bericht von Dr. N zum Teil selbst begrenzen. Im Beobachtungsbogen in der Pflegedokumentation wird insoweit zwischen kleinen, mittleren und großen Anfällen unterschieden. Eine Medikamentengabe ist regelmäßig nur bei großen Anfällen erforderlich, während dies bei mittleren Anfällen von deren Dauer und Intensität abhängt. Die Entscheidung der Pflegeperson ist aber nur dann dokumentiert, wenn sie tatsächlich tätig werden musste, während sich das (gleichwohl notwendige) Beobachten und Abwarten nicht in der Dokumentation niederschlägt. Die Forderung der Beklagten, die Krankenbeobachtung müsse regelmäßig therapeutische Konsequenzen zur Folge haben, um sie als Maßnahme der Behandlungspflege qualifizieren zu können, geht vor diesem Hintergrund fehl. Bei einer Krankheit, bei der regelmäßig Zustände auftreten, die unvorhersehbar zu lebensbedrohlichen Situationen führen können, muss es ausreichen, wenn nur intermittierend an einzelnen Tagen dem Auftreten solcher Situationen entgegengewirkt werden muss. Ob eine Krankenbeobachtung auch dann als behandlungspflegerische Maßnahme in Betracht käme, wenn Interventionen nur sehr selten notwendig wären oder sogar nur eher abstrakt die Gefahr von Komplikationen bestünde, kann dahinstehen, da hier ein häufiges Eingreifen der Pflegeperson erforderlich ist.
c) Auch der Einwand der Beklagten, die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V (vom 16.02.2000, BAnz. Nr. 91 vom 13.05.2000 in der Fassung der Änderung vom 24.03.2003, BAnz. Nr. 123 vom 08.07.2003 (Krankenpflege-Richtlinien)) sähen die Krankenbeobachtung in der hier streitigen Form nicht vor, greift nicht durch.
In Abschnitt I Nr. 3 der Krankenpflege-Richtlinien heißt es allerdings, die verordnungsfähigen Maßnahmen würden in der Anlage aufgeführt, dort nicht genannte Maßnahmen seien als häusliche Krankenpflege nicht verordnungsfähig. In der Anlage wird unter Nr. 24 nur eine spezielle Krankenbeobachtung genannt. Diese soll nach der Bemerkung nur bei akuten Verschlechterungen einer Krankheit zur Kontrolle der Vitalfunktionen begründet sein, während die allgemeine Krankenbeobachtung Bestandteil jeder pflegerischen Leistung sei. Die Richtlinien gehen also von einer enummerativen Aufzählung und Beschreibung der verordnungsfähigem Leistungen aus, wobei die Anlage eine dauernde Krankenbeobachtung nicht vorsieht.
Ungeachtet dieser Regelung der Krankenpflege-Richtlinien stehen sie jedoch dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V um untergesetzliche Normen, die auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind (grundlegend BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 6, 7; im Anschluss daran etwa BSG SozR 3-2500 § 103 Nr. 2, SozR 3-2500 § 27 Nr. 9). Ein genereller Ausschluss der Krankenbeobachtung aus dem Katalog der verordnungsfähigen Leistungen verstößt aber gegen höherrangiges Recht. Ebenso wenig wie der (Gemeinsame) Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 11), ist er befugt, medizinisch notwendige krankheitsbedingte Pflegemaßnahmen aus dem Bereich der Behandlungspflege herauszunehmen. § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V erlaubt nur Regelungen zur ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten. Die Richtlinien sollen insoweit i.S.d. §§ 12 Abs. 1, 70 Abs. 1, 72 Abs. 2 SGB V den allgemeinen Standard für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse festlegen (Hencke in Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 92 RdNr. 5). Insoweit kommt allenfalls eine inhaltliche Konkretisierung und Begrenzung von behandlungspflegerischen Maßnahmen in den Richtlinien in Betracht. Selbst nach der Einfügung des Halbsatz 3 in § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V durch das GKV- ModernisierungsG vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190) kann der Gemeinsame Bundesausschuss nur Leistungen und Maßnahmen ausschließen, deren Nutzen, Notwendigkeit oder Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen ist. Diese Einfügung hat der Gesetzgeber nur als "Präzisierung" des Normsetzungsprogramms nach Inhalt, Zweck und Ausmaß angesehen (BT-Drucksache 15/1525, 107), dem Gemeinsamen Bundesausschuss sollte also keine weitergehende Kompetenz eingeräumt werden. Die Ergänzung mag ihn nun ermächtigen, Maßnahmen, die im Grenzbereich von Krankenbehandlung und allgemeiner Lebensführung liegen, unter Abwägung der relevanten medizinischen und finanziellen Verhältnisse aus dem Leistungskatalog herauszunehmen (vgl. insoweit BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 12 S. 66 f.). Hier steht jedoch eine Maßnahme mit eindeutig medizinischem Charakter in Frage, die nach ärztlicher Beurteilung notwendig ist. Angesichts der fehlenden Alternativen kann auch trotz der damit verbundenen erheblichen Kosten ihre Wirtschaftlichkeit nicht in Frage gestellt werden. Wenn bei einem Krankheitszustand jederzeit unvorhersehbar vital bedrohliche Zustände auftreten können, die die sofortige Intervention von geschultem Personal erforderlich machen, ist auch die ständige Beobachtung rund um die Uhr Teil der erforderlichen (ambulanten) Behandlung und kann in den Krankenpflege-Richtlinien nicht ausgeschlossen werden. Ein völliger Ausschluss einer solchen krankheitsspezifischen Beaufsichtigung ist mit dem in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V verbürgten Anspruch auf Krankenbehandlung unvereinbar, die Krankenpflege-Richtlinien wären insoweit nichtig.
2. Somit besteht grundsätzlich ein Leistungsanspruch des Klägers auf Behandlungspflege im Umfang von 24 Stunden täglich, der allerdings von 2 Seiten her begrenzt ist: Zum einen ist der Anspruch auf häusliche Krankenpflege ausgeschlossen, soweit eine im Haushalt lebende Person die erforderliche Pflege erbringen kann (§ 37 Abs. 3 SGB V), zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Kläger auch Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) erhält und während der 24stündigen Beaufsichtigung durch den Pflegedienst auch Leistungen der Grundpflege anfallen.
Grundsätzlich kann die Mutter des Klägers als examinierte Krankenschwester die Pflege des Klägers übernehmen. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt. Ebenso liegt freilich auf der Hand, dass sie den Kläger nicht auf Dauer im "erforderlichen Umfang" von 24 Stunden täglich pflegen kann. Soweit es um das Zusammentreffen von Krankenbeobachtung und Grundpflege nach dem SGB XI geht, ist nach dem Urteil des BSG vom 28.01.1999 (a. a. O.) davon auszugehen, dass während der Erbringung der Leistungen der Grundpflege die Behandlungspflege in den Hintergrund tritt, also insoweit nur die Leistungspflicht der Pflegekasse besteht. Wie insoweit die Abgrenzung von Behandlungs- und Grundpflege vorzunehmen ist (siehe zu den damit verbundenen Schwierigkeiten LSG NRW, Urteil vom 24.07.2003 - L 16 KR 37/96), kann hier dahinstehen. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten den gesamten für die Grundpflege festgestellten Zeitbedarf von 245 Minuten täglich von dem behandlungspflegerischen Zeitbedarf abzieht, verbleibt ein Rest von knapp 20 Stunden. Die Mutter des Klägers muss somit unter Berücksichtigung des geltend gemachten Anspruchs von 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich noch (knapp) 10,5 Stunden täglich die Pflege erbringen. Damit muss sie den Kläger in der Woche etwa 73 Stunden pflegen. Einen darüber hinausgehenden Einsatz hält der Senat angesichts ihres Alters (geboren 1947) und vor allem der Tatsache, dass sie den Kläger seit seiner Geburt pflegt, so dass es verständlich ist, wenn Dr. T einen schweren chronischen Erschöpfungszustand attestiert hat, nicht für zumutbar. Aus dem Umstand, dass die Mutter darüber hinausgehend auch für längere Zeit und z.T auch für 24 Stunden die Pflege übernommen hat (letzteres weil sie die ständige Anwesenheit Dritter in der Wohnung als belastend empfindet), kann nicht hergeleitet werden, dass sie auf Dauer in diesem Umfang die Pflege erbringen könnte. Soweit sie in der Vergangenheit tatsächlich in einem weiteren Umfang als 10,5 Stunden täglich die Pflege übernommen hat, weil der Pflegedienst wohl einschließlich der Grundpflege täglich nur 9,5 Stunden geleistet hat (siehe Schreiben der Beklagten vom 03.03.2004), hat es dabei sein Bewenden, da naturgemäß die Sachleistungen für die Vergangenheit nicht mehr erbracht werden können.
Mithin hatte der Kläger auch unter Berücksichtigung des Vorrangs der Grundpflege und der Anspruchsbegrenzung nach § 37 Abs. 3 SGB V Anspruch auf die beantragten 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich, so dass die Berufung zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) und daher die Revision zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Umfang der Gewährung häuslicher Krankenpflege.
Der 1982 geborene Kläger, der als zweiter Zwilling geboren wurde, erlitt am 3. Tag nach seiner Geburt einen Herz-/Atemstillstand, er ist seither schwerstbehindert. Es besteht eine ausgeprägte frühkindliche Hirnschädigung mit Tetraspastik, Gelenkkontrakturen, Bewegungs-, Schluck- und Sprachunfähigkeit. Ferner liegt ein therapieresistentes multifokales Anfallsleiden vor mit wechselnder Anfallshäufigkeit. Diese Anfälle begrenzen sich zum Teil, zum Teil bedürfen sie medikamentöser Intervention. Wegen der gestörten Schluckmotorik war der Kläger anfangs mit einer Magensonde, seit Mai 2000 ist er mit einer PEG versorgt. Verstärkt treten Infekte der oberen Luftwege auf, bei Bronchitiden kommt es zu starken Verschleimungen, die in Verbindung mit eingeschränkter Schluckmotorik zu bedrohlichen Hustenanfällen führen können. Der Kläger lebt zusammen mit seiner Mutter, einer examinierten Krankenschwester, in einem Haushalt. Er erhält Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III als Sachleistung, wobei nach dem zuletzt erstatteten Pflegegutachten vom 13.09.2000 der Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege 245 Minuten betrug.
Neben der Grundpflege wurde für den Kläger durch den damals behandelnden Kinderarzt N2 Behandlungspflege in erheblichem Umfang verordnet. Auf die weitere Verordnung vom 02.10.1998 (4 x wöchentlich Einläufe, 5 x täglich/7 x wöchentlich Dekubitusbehandlung) holte die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. In seinem Gutachten vom 05.11.1998 kam Dr. C zu dem Ergebnis, ein Teil der verordneten Maßnahmen, u. a. die Dekubitusprophylaxe, sei dem Bereich der Grundpflege zuzuordnen. Als behandlungspflegerische Maßnahmen blieben nur einmal wöchentlich Wechseln der Magensonde, Legen und Pflege des nasalen Tubus zur Freihaltung der Atemwege sowie die Pflege der Nasenschleimhaut im Umfang von 3 x täglich/7 x wöchentlich. Mit Bescheid vom 18.11.1998 bewilligte die Beklagte daraufhin Behandlungspflege nur in dem angegebenen Umfang. Im Widerspruchsverfahren übersandte die Mutter des Klägers eine Bescheinigung des Leitenden Arztes der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Neurologie des Gemeinschaftskrankenhauses I Dr. N vom 17.06.1999. Dieser schilderte die in Folge der genannten Erkrankungen und Behinderungen anfallenden Maßnahmen und meinte, wegen der Anfälle sei eine ständige Beaufsichtigung durch eine ausreichend geschulte Person erforderlich.
Während des Widerspruchsverfahrens beantragte der Kläger am 10.09.1999 beim Sozialgericht (SG) Dortmund den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Beklagte zur Gewährung von 16 Stunden häuslicher Krankenpflege täglich abzüglich der Leistungen der Grundpflege zur verpflichten (S 8 KR 250/99 ER). In diesem Verfahren holte das SG Auskünfte des Kinderarztes N2 und von Dr. N ein. In seinem Bericht vom 13.01.2000 (Bl. 63 der vorgenannten Streitakte) schilderte N2 die regelmäßig anfallenden pflegerischen Maßnahmen und führte weiter aus, aufgrund der Schwere der Gesamterkrankung halte er die ständige Überwachung durch eine Pflegekraft für erforderlich, um über die genannten Maßnahmen hinaus bei entsprechendem Anlass sofort eingreifen zu können. Akutsituationen seien insbesondere Verschlechterungen der Atmungsfunktion durch Verschleimung und Krampfanfälle, die phasenweise rezidivierend mehrfach in einer Stunde auftreten könnten und damit die Gefahr eines Krampfstatus entstehen ließen. Bei den Krampfanfällen könne es sich um eine große Anzahl mit akuter Atemnot handeln, aber auch um rezidivierend multifokal ausgelöste Streckkrämpfe einzelner Extremitäten als auch der Atmungsmuskulatur und Schluckmuskulatur. Sowohl durch Verschleimung der Atemwege könne es zu akut bedrohlichen Erstickungsanfällen kommen als auch durch die cerebralen Krampfanfälle. Diese Zustände entstünden gehäuft an einzelnen Tagen im Zusammenhang mit Infekten der Luftwege, aber auch unmittelbar aus dem allgemeinen Alltag heraus, sie seien prinzipiell nicht vorhersehbar. Auch Dr. N beschrieb in seinem Bericht vom 17.01.2000 (Bl. 66 der vorgenannten Streitakten) die regelmäßig anfallenden Pflegemaßnahmen und führte zu dem Anfallsleiden aus, es würden sowohl einfachste Anfälle wie schnelle rhythmische Augenbewegungen (Nystagmus) wie auch einschießende Muskelkontraktionen beobachtet, jeweils in einer Größenordnung von über 25 x pro Tag. Ein Teil dieser Anfälle erfasse weitere Muskelgruppen, zum Teil gingen die Anfälle in sekundär generalisierte Grand-Mal-Anfälle über, bei denen der Patient mit Armen und Beinen synchron zucke, Schaum vor dem Mund habe, die Atmung einstelle und zyanotisch werde. Die Anfälle sollten nach Möglichkeit unterbrochen werden, bevor es zur Generalisierung komme. Die betreuende Person, bei der es sich um eine medizinisch geschulte Fachkraft handeln müsse, müsse entscheiden, ob sie noch über den Mund Tropfen oder aber als Einlauf ein anfallsverhinderndes Medikament gebe. Eine ständige Beobachtung des Klägers sei notwendig, er solle grundsätzlich nicht fünf Minuten ohne akustische oder optische Überwachung bleiben. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die genannten Berichte verwiesen. In einem zu diesen Berichten eingeholten Gutachten des MDK vom 31.03.2000 räumte Dr. N1 ein, dass bei Krampfanfällen Notfallmaßnahmen notwendig seien. Ein Eingreifen sei insoweit nicht vorhersehbar, es sei in diesem Zusammenhang nicht möglich, aus ärztlicher Sicht einen zeitlichen Rahmen für den Umfang der behandlungspflegerischen Maßnahmen anzugeben.
Mit Beschluss vom 19.04.2000 verpflichtete das SG die Beklagte zur Gewährung von 12 Stunden Behandlungspflege täglich. Im Beschwerdeverfahren schlossen die Beteiligten einen Vergleich, in dem sich die Beklagte zur Gewährung von 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich bis 30.09.2000 verpflichtete. In dieser Zeit sollte der Pflegedienst eine ausführliche Dokumentation der Pflegemaßnahmen erstellen, auf deren Grundlage die Beklagte über ihre weitere Leistungspflicht entscheiden wollte. Wegen einer Verzögerung der Auswertung der Dokumentation verlängerte sie mit Schreiben vom 29.09.2000 die vergleichsweise Regelung bis zum 31.10.2000.
Zu der vom Pflegedienst erstellten Dokumentation holte die Beklagte ein Gutachten durch den MDK ein. Ausgehend von dem von ihr erstatteten Pflegegutachten vom 13.09.2000 führte Dr. U in ihrem Gutachten vom 18.09.2000 aus, es sei aus medizinischer Sicht nicht möglich, den zeitlichen Umfang der erforderlichen Behandlungspflege unterteilt nach bestimmten Funktions- und Organbereichen zu berechnen. Die Krampfsituation des Klägers erfordere ständige Krankenbeobachtung. Aus der aktuellen Situation heraus ergebe sich die notwendige Medikation im Rahmen der Behandlungspflege. Bei heftigen Krämpfen träten Abnoen auf, dann sei Sauerstoffgabe erforderlich. Sie empfahl eine vergleichsweise Einigung. Die Beklagte holte ein weiteres MDK-Gutachten ein, das Dr. L unter dem 12.10.2000 erstattete. Dabei wurde die Anzahl der einzelnen behandlungspflegerischen Maßnahmen pro Tag aus der Dokumentation des Pflegedienstes entnommen und ein durchschnittlicher Tageswert errechnet. Dr. L meinte, bei großzügiger Auslegung der Zeiten betrage der behandlungspflegerische Zeitwert 2 Stunden täglich.
Mit Bescheid vom 24.10.2000 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01.11.2000 bis 31.10.2001 Behandlungspflege im Umfang von 2 Stunden täglich. Der Kläger beantragte daraufhin am 02.11.2000 erneut beim SG Dortmund den Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 8 KR 298/00 ER). Zur Begründung legte er u. a. eine Bescheinigung von Dr. N vom 02.11.2000 vor, in der angegeben wird, seit 4 Wochen bestehe eine akute Verschlechterung des Krampfgeschehens, es sei zu einer Störung des Tages- und Nachtrhythmus gekommen. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 15.12.2000 verpflichtete das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß zur Bewilligung von 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich bis zur Bestandskraft der Entscheidung über den Leistungsantrag. Die Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2000 zwar den auf die Gewährung von 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich beschränkten Widerspruch des Klägers zurückgewiesen, sie hat aber auf der Grundlage des Beschlusses vom 15.12.2000 in der Folgezeit aufgrund entsprechender ärztlicher Verordnungen Behandlungspflege im Umfang von 9,5 Stunden täglich als "Ausnahmeregelung" bewilligt.
Der Kläger hat am 20.12.2000 Klage erhoben. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.01.1999 (SozR 3-2500 § 37 Nr. 1) hat er geltend gemacht, wegen des Anfallsleidens und der Beeinträchtigung der Atmung benötige er Behandlungspflege rund um die Uhr. Zur Behandlungspflege zählten alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht würden und speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet seien. Die Beklagte hat demgegenüber eingewandt, da der überwiegende Aufwand des Pflegedienstes in der Beaufsichtigung und der Grundpflege bestehe, falle die notwendige Beaufsichtigung nicht in den Bereich der Krankenversicherung.
Das SG hat Berichte von dem Kinderarzt N2 (Bericht vom 11.07.2001) und Dr. N (Bericht vom 12.11.2001) eingeholt. Kinderarzt N2 hat auf sein Schreiben vom 13.01.2000 verwiesen und angegeben, grundsätzlich habe sich der Zustand des Klägers verschlechtert. Hinsichtlich des Krampfgeschehens habe der Versuch einer medikamentösen Umstellung nicht zu einer Verbesserung geführt und die kontinuierliche Zunahme von Krampfanfällen nicht verhindern können. Auch Dr. N gab an, im klinischen Bild sei keine Verbesserung eingetreten. Die Zahl der Anfälle habe sogar zugenommen, eine medikamentöse Änderung sei nicht effektiv gewesen. Ein Teil der Anfälle müsse hingenommen werden und sei therapieresistent. Dies bedeute für die tägliche Pflege eher einen größeren Aufwand, der sich allerdings nicht beziffern lasse.
Mit Urteil vom 28.11.2002 hat das SG die Beklagte antragsgemäß zur "Bewilligung" von Krankenpflege im Umfang von 9,5 Stunden täglich verurteilt.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 27.12.2002 zugestellte Urteil am 24.01.2003 Berufung eingelegt. Sie meint, das SG sei zu Unrecht von der Entscheidung des BSG vom 28.01.1999 (a. a. O.) ausgegangen. Im dortigen Fall sei der Versicherte permanent künstlich beatmet worden. Im Gegensatz dazu liege im vorliegenden Fall keine dauernde zielgerichtete medizinische Behandlung vor. Vielmehr müsse der Pflegedienst nur punktuell bei Anfällen eingreifen. Es handele sich also eher um eine prophylaktische Maßnahme, die nicht die dauernde Krankenbeobachtung rechtfertige. In dieser Auffassung hat sie sich durch die vom Gericht beigezogene Pflegedokumentation des Pflegedienstes für die Jahre 2001 bis 2003 bestätigt gesehen und gemeint, daraus ergebe sich nicht, dass die angegebenen Krampfanfälle jeweils behandlungspflegerische Aktivitäten nach sich gezogen hätten. Hauptbestandteil der Pflege seien die Hilfen bei der Grundpflege, behandlungspflegerische Maßnahmen würden nur bei Bedarf ergriffen. Die Notwendigkeit für eine ununterbrochene Krankenbeobachtung sei im Gegensatz zu der Situation eines dauernd beatmungspflichtigen Patienten nicht gegeben, denn regelmäßige therapeutische Konsequenzen im Sinne eines zielgerichteten Eingreifens folgten aus der Anwesenheit der Pflegekräfte nicht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 28.11.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und macht unter Hinweis auf die entsprechenden ärztlichen Bescheinigungen geltend, das Krampfgeschehen erfordere eine ständige Krankenbeobachtung. Die Mutter des Klägers hat exemplarisch Tagesabläufe der Pflege geschildert. Zum Teil ist der Pflegedienst 24 Stunden anwesend, zum Teil übernimmt die Mutter die Pflege tageweise vollständig, da sie die ständige Anwesenheit Dritter in der Wohnung als belastend empfindet. Die Nachtbetreuung wird überwiegend durch die Mutter erbracht. Sie gibt insoweit an, im Normalfall komme es zu zwei bis drei Krampfanfällen pro Nacht, die Maßnahmen wie beruhigen, lagern, evtl. Medikamentengabe, PEG entlüften, absaugen, Tubus legen, Windelwechsel erforderten. Im Extremfall komme es zu Krampfwiederholungen bis zu zweimal stündlich, in diesen Fällen sei zusätzlich eine Überwachung der Vitalfunktion und eine evtl. Sauerstoffgabe erforderlich.
Der Senat hat die Pflegedokumentation des Pflegedienstes für die Zeit Mitte 2001 bis 2003 beigezogen; auf diese Unterlagen wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten und der beigezogenen Streitakten SG Dortmund (S 8 KR 250/99 ER und S 8 KR 298/00 ER) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Bescheid vom 24.10.2000 ist rechtswidrig. Das Sozialgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Bewilligung von Behandlungspflege im Umfang von 9,5 Stunden täglich bejaht.
I. Obwohl die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 24.10.2000 nur eine Entscheidung für den Zeitraum 01.11.2000 bis 31.10.2001 getroffen hat, ist die Klage auch hinsichtlich der Folgezeit zulässig. Die Beklagte hat insoweit aufgrund des Beschlusses des SG Dortmund vom 15.12.2000 Behandlungspflege im angeordneten Umfang von 9,5 Stunden täglich bewilligt. Da sie aufgrund dieses Beschlusses zur (vorläufigen) Leistungsbewilligung bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 24.10.2000 verpflichtet ist, konnte sie somit für die Zeit ab 01.11.2001 keine ablehnende Entscheidung treffen. Andererseits hat die Beklagte die Leistungen nicht endgültig bewilligt. Zwar hat sie sich nicht ausdrücklich eine Rückforderung der Leistungen vorbehalten, sie weist aber zu Recht darauf hin, aus dem Sinn und Zweck des einstweiligen Anordnungsverfahren folge, dass insoweit nur eine vorläufige Regelung getroffen werde. Der Kläger habe daher nicht davon ausgehen können, ihre Leistungsbewilligung sei endgültig. Da grundsätzlich eine Rückabwicklung durch Erstattung der entstandenen Kosten in Betracht käme, muss somit über die (endgültige) Leistungspflicht der Beklagten für die Zeit vom 01.11.2000 bis zur mündlichen Verhandlung entschieden werden. Insoweit kommt allerdings eine Verurteilung zur Leistung, wie sie das SG ausgesprochen hat, nicht in Betracht, weil die Beklagte die Behandlungspflege nicht nur bewilligt, sondern sogar schon bezahlt hat. Es genügt insoweit die Feststellung (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), dass die Beklagte materiell verpflichtet war, die Leistungen im bewilligten Umfang zu erbringen, wobei sich das Feststellungsinteresse des Klägers aus dem Ausschluss eines möglichen Rückforderungsanspruchs ergibt.
Der Kläger hat somit zu Recht neben der Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2000 die Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten beantragt. Zur Klarstellung hat der Senat den erstinstanzlichen Tenor neu gefasst.
II. Der Kläger hat Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Gestalt der Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung. Die Erforderlichkeit behandlungspflegerischer Maßnahmen wird auch grundsätzlich von der Beklagten nicht bezweifelt. Entgegen ihrer Ansicht besteht dieser Anspruch jedoch nicht nur entsprechend dem Gutachten des MDK vom 12.10.2000 im (durchschnittlichen) Umfang von 2 Stunden täglich, sondern, soweit nicht die Leistungspflicht der Beklagten nach § 37 Abs. 3 SGB V bzw. wegen des Zusammentreffens der Behandlungspflege mit Leistung der Grundpflege begrenzt ist, im Umfang von 24 Stunden täglich.
1. a) Wegen des Anfallsleidens des Klägers ist die ständige Anwesenheit einer qualifizierten Pflegeperson erforderlich. Nach den Berichten des (damals) behandelnden Kinderarztes N2 vom 13.01.2000 und des mitbehandelnden Arztes Dr. N vom 17.01.2000 treten Krampfanfälle grundsätzlich unvorhersehbar auf, wobei sie sich nur zum Teil selbst begrenzen, zum Teil aber in sekundär generalisierte Grand-Mal-Anfälle übergehen können. Eine medizinisch geschulte Fachkraft muss entscheiden, ob eine Intervention notwendig ist, um den Anfall zu unterbrechen und ob und welche anfallverhindernde Medikation ggf. gegeben werden muss. Beide Ärzte haben eine ständige Überwachung durch eine Pflegekraft für erforderlich gehalten, Dr. N hat in seinem Bericht ausdrücklich angegeben, der Kläger dürfe auch nicht fünf Minuten ohne optische oder akustische Überwachung bleiben. Auch von Seiten des MDK (Gutachten Dr. N1 vom 31.03.2000, Gutachten Dr. U vom 18.09.2000) ist anerkannt worden, dass die Krampfsituation des Klägers eine ständige Krankenbeobachtung erfordere und sich aus der aktuellen Situation heraus die notwendige Medikation im Rahmen der Behandlungspflege ergebe. Die Situation des Klägers hat sich gegenüber diesen Beurteilungen des MDK sogar noch verschlechtert. Wie den Berichten des Kinderarztes N2 vom 11.07.2001 und von Dr. N vom 12.11.2001 zu entnehmen ist, hat die Zahl der Anfälle zugenommen und eine medikamentöse Änderung ist nicht effektiv gewesen. In der Bescheinigung des jetzt behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. T vom 12.07.2004 wird eine weitergehende Verschlechterung des Gesundheitszustandes bestätigt. Das schwere Anfallsleiden hat sich in den letzten 12 bis 18 Monaten weiter verschlechtert, insbesondere haben die fokalen Anfälle an Häufigkeit und Intensität deutlich zugenommen. Unverändert hält Dr. T daher die ununterbrochene Überwachung der Vitalfunktionen auch nachts für dringend geboten, um dem fachlich geschulten Pflegepersonal umgehendes Eingreifen und das Einleiten von vital notwendigen Maßnahmen zu ermöglichen.
b) Die ständige Anwesenheit einer Pflegeperson, die den Kläger beobachten muss, um in unvorhersehbaren Fällen eingreifen zu können, ist eine behandlungspflegerische Maßnahme. Nach dem Urteil vom BSG vom 28.01.1999 (a. a. O.) zählen zur Behandlungspflege alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Erkrankung verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. Da hier wegen des Krampfleidens des Klägers seine Beobachtung notwendig ist, um die Anfälle ggf. zu unterbrechen bzw. die Auswirkungen zu mildern, liegt eine krankheitsspezifische Pflegemaßnahme vor. Zu Unrecht hält die Beklagte die genannte Entscheidung des BSG nicht für einschlägig, weil im Gegensatz zu dem dort entschiedenen Fall hier keine permanente zielgerichtete medizinische Behandlung stattfinde. In dem der Entscheidung des BSG zu Grunde liegenden Fall hat zwar die Beobachtung im Rahmen einer künstlichen Beatmung stattgefunden, der dortige Versicherte musste zur Sicherstellung seiner Atmung 24 Stunden lang ununterbrochen lang beobachtet werden und es mussten in regelmäßigen Abständen Sekretabsonderungen abgesaugt werden. Diese krankheitsspezifische Beaufsichtigung hat das BSG zur Behandlungspflege gezählt. Dem Urteil ist aber nicht zu entnehmen, dass das BSG die Beaufsichtigung einer Behandlungsmaßnahme als entscheidend angesehen hat. Die dort anfallenden Maßnahmen (regelmäßiges Absaugen von Schleimabsonderungen) waren sogar eher planbar und hätten wohl kaum die ständige Anwesenheit einer Pflegeperson erfordert. Das BSG bezeichnet aber ausdrücklich die reine Beobachtung der Atmung als krankheitsspezifische Beaufsichtigung und rechnet sie deshalb zur Behandlungspflege. Ob insoweit eine ständige Behandlungsmaßnahme überwacht oder ein Dauerkrankheitszustand beobachtet werden muss, der situativ ein Eingreifen zum Einleiten von vital notwendigen Maßnahmen erfordert, kann keinen Unterschied machen.
Vor diesem Hintergrund geht der Einwand der Beklagten, aus der Pflegedokumentation ergebe sich nicht, dass die Krankenbeobachtung regelmäßige therapeutische Konsequenzen zur Folge habe, schon deshalb ins Leere, weil alleine schon die Beobachtung die behandlungspflegerische Maßnahme ist. Im Übrigen trifft zwar zu, dass nach der Dokumentation der Zustand des Klägers tageweise auch "unauffällig" (im Sinne des Nichtanfallens nicht vorhersehbarer Interventionen) war, gleichzeitig ist aber auch häufig ein (nicht planbares) Eingreifen des Pflegedienstes dokumentiert. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Pflegedokumentation nur den vom Pflegedienst erbrachten Teil der Behandlungspflege, nicht aber die Pflege der Mutter enthält. Insoweit gibt also die Pflegedokumentation nicht vollständig Häufigkeit und Umfang der ergriffenen Maßnahmen wieder. Gleichwohl lässt sich beispielsweise für das erste Quartal 2003 feststellen, dass Krampfanfälle mit Medikamentengabe dokumentiert sind am 07.01., 10.01., 13.01., 21.01., 01.02., 06.02., 22./23.02., 13.03., 18.03., 26.03.2003. Außerdem ist unter dem 11.02.2003 vermerkt, dass der Kläger in Bauchlage erbrochen habe und im Mundbereich abgesaugt worden sei. Die Beklagte berücksichtigt auch nicht, dass nicht alle Krampfanfälle ein Eingreifen erfordern, da sie sich nach dem Bericht von Dr. N zum Teil selbst begrenzen. Im Beobachtungsbogen in der Pflegedokumentation wird insoweit zwischen kleinen, mittleren und großen Anfällen unterschieden. Eine Medikamentengabe ist regelmäßig nur bei großen Anfällen erforderlich, während dies bei mittleren Anfällen von deren Dauer und Intensität abhängt. Die Entscheidung der Pflegeperson ist aber nur dann dokumentiert, wenn sie tatsächlich tätig werden musste, während sich das (gleichwohl notwendige) Beobachten und Abwarten nicht in der Dokumentation niederschlägt. Die Forderung der Beklagten, die Krankenbeobachtung müsse regelmäßig therapeutische Konsequenzen zur Folge haben, um sie als Maßnahme der Behandlungspflege qualifizieren zu können, geht vor diesem Hintergrund fehl. Bei einer Krankheit, bei der regelmäßig Zustände auftreten, die unvorhersehbar zu lebensbedrohlichen Situationen führen können, muss es ausreichen, wenn nur intermittierend an einzelnen Tagen dem Auftreten solcher Situationen entgegengewirkt werden muss. Ob eine Krankenbeobachtung auch dann als behandlungspflegerische Maßnahme in Betracht käme, wenn Interventionen nur sehr selten notwendig wären oder sogar nur eher abstrakt die Gefahr von Komplikationen bestünde, kann dahinstehen, da hier ein häufiges Eingreifen der Pflegeperson erforderlich ist.
c) Auch der Einwand der Beklagten, die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V (vom 16.02.2000, BAnz. Nr. 91 vom 13.05.2000 in der Fassung der Änderung vom 24.03.2003, BAnz. Nr. 123 vom 08.07.2003 (Krankenpflege-Richtlinien)) sähen die Krankenbeobachtung in der hier streitigen Form nicht vor, greift nicht durch.
In Abschnitt I Nr. 3 der Krankenpflege-Richtlinien heißt es allerdings, die verordnungsfähigen Maßnahmen würden in der Anlage aufgeführt, dort nicht genannte Maßnahmen seien als häusliche Krankenpflege nicht verordnungsfähig. In der Anlage wird unter Nr. 24 nur eine spezielle Krankenbeobachtung genannt. Diese soll nach der Bemerkung nur bei akuten Verschlechterungen einer Krankheit zur Kontrolle der Vitalfunktionen begründet sein, während die allgemeine Krankenbeobachtung Bestandteil jeder pflegerischen Leistung sei. Die Richtlinien gehen also von einer enummerativen Aufzählung und Beschreibung der verordnungsfähigem Leistungen aus, wobei die Anlage eine dauernde Krankenbeobachtung nicht vorsieht.
Ungeachtet dieser Regelung der Krankenpflege-Richtlinien stehen sie jedoch dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V um untergesetzliche Normen, die auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind (grundlegend BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 6, 7; im Anschluss daran etwa BSG SozR 3-2500 § 103 Nr. 2, SozR 3-2500 § 27 Nr. 9). Ein genereller Ausschluss der Krankenbeobachtung aus dem Katalog der verordnungsfähigen Leistungen verstößt aber gegen höherrangiges Recht. Ebenso wenig wie der (Gemeinsame) Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen (BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 11), ist er befugt, medizinisch notwendige krankheitsbedingte Pflegemaßnahmen aus dem Bereich der Behandlungspflege herauszunehmen. § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V erlaubt nur Regelungen zur ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten. Die Richtlinien sollen insoweit i.S.d. §§ 12 Abs. 1, 70 Abs. 1, 72 Abs. 2 SGB V den allgemeinen Standard für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse festlegen (Hencke in Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 92 RdNr. 5). Insoweit kommt allenfalls eine inhaltliche Konkretisierung und Begrenzung von behandlungspflegerischen Maßnahmen in den Richtlinien in Betracht. Selbst nach der Einfügung des Halbsatz 3 in § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V durch das GKV- ModernisierungsG vom 14.11.2003 (BGBl. I, 2190) kann der Gemeinsame Bundesausschuss nur Leistungen und Maßnahmen ausschließen, deren Nutzen, Notwendigkeit oder Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen ist. Diese Einfügung hat der Gesetzgeber nur als "Präzisierung" des Normsetzungsprogramms nach Inhalt, Zweck und Ausmaß angesehen (BT-Drucksache 15/1525, 107), dem Gemeinsamen Bundesausschuss sollte also keine weitergehende Kompetenz eingeräumt werden. Die Ergänzung mag ihn nun ermächtigen, Maßnahmen, die im Grenzbereich von Krankenbehandlung und allgemeiner Lebensführung liegen, unter Abwägung der relevanten medizinischen und finanziellen Verhältnisse aus dem Leistungskatalog herauszunehmen (vgl. insoweit BSG SozR 3-2500 § 27 Nr. 12 S. 66 f.). Hier steht jedoch eine Maßnahme mit eindeutig medizinischem Charakter in Frage, die nach ärztlicher Beurteilung notwendig ist. Angesichts der fehlenden Alternativen kann auch trotz der damit verbundenen erheblichen Kosten ihre Wirtschaftlichkeit nicht in Frage gestellt werden. Wenn bei einem Krankheitszustand jederzeit unvorhersehbar vital bedrohliche Zustände auftreten können, die die sofortige Intervention von geschultem Personal erforderlich machen, ist auch die ständige Beobachtung rund um die Uhr Teil der erforderlichen (ambulanten) Behandlung und kann in den Krankenpflege-Richtlinien nicht ausgeschlossen werden. Ein völliger Ausschluss einer solchen krankheitsspezifischen Beaufsichtigung ist mit dem in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V verbürgten Anspruch auf Krankenbehandlung unvereinbar, die Krankenpflege-Richtlinien wären insoweit nichtig.
2. Somit besteht grundsätzlich ein Leistungsanspruch des Klägers auf Behandlungspflege im Umfang von 24 Stunden täglich, der allerdings von 2 Seiten her begrenzt ist: Zum einen ist der Anspruch auf häusliche Krankenpflege ausgeschlossen, soweit eine im Haushalt lebende Person die erforderliche Pflege erbringen kann (§ 37 Abs. 3 SGB V), zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Kläger auch Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) erhält und während der 24stündigen Beaufsichtigung durch den Pflegedienst auch Leistungen der Grundpflege anfallen.
Grundsätzlich kann die Mutter des Klägers als examinierte Krankenschwester die Pflege des Klägers übernehmen. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt. Ebenso liegt freilich auf der Hand, dass sie den Kläger nicht auf Dauer im "erforderlichen Umfang" von 24 Stunden täglich pflegen kann. Soweit es um das Zusammentreffen von Krankenbeobachtung und Grundpflege nach dem SGB XI geht, ist nach dem Urteil des BSG vom 28.01.1999 (a. a. O.) davon auszugehen, dass während der Erbringung der Leistungen der Grundpflege die Behandlungspflege in den Hintergrund tritt, also insoweit nur die Leistungspflicht der Pflegekasse besteht. Wie insoweit die Abgrenzung von Behandlungs- und Grundpflege vorzunehmen ist (siehe zu den damit verbundenen Schwierigkeiten LSG NRW, Urteil vom 24.07.2003 - L 16 KR 37/96), kann hier dahinstehen. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten den gesamten für die Grundpflege festgestellten Zeitbedarf von 245 Minuten täglich von dem behandlungspflegerischen Zeitbedarf abzieht, verbleibt ein Rest von knapp 20 Stunden. Die Mutter des Klägers muss somit unter Berücksichtigung des geltend gemachten Anspruchs von 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich noch (knapp) 10,5 Stunden täglich die Pflege erbringen. Damit muss sie den Kläger in der Woche etwa 73 Stunden pflegen. Einen darüber hinausgehenden Einsatz hält der Senat angesichts ihres Alters (geboren 1947) und vor allem der Tatsache, dass sie den Kläger seit seiner Geburt pflegt, so dass es verständlich ist, wenn Dr. T einen schweren chronischen Erschöpfungszustand attestiert hat, nicht für zumutbar. Aus dem Umstand, dass die Mutter darüber hinausgehend auch für längere Zeit und z.T auch für 24 Stunden die Pflege übernommen hat (letzteres weil sie die ständige Anwesenheit Dritter in der Wohnung als belastend empfindet), kann nicht hergeleitet werden, dass sie auf Dauer in diesem Umfang die Pflege erbringen könnte. Soweit sie in der Vergangenheit tatsächlich in einem weiteren Umfang als 10,5 Stunden täglich die Pflege übernommen hat, weil der Pflegedienst wohl einschließlich der Grundpflege täglich nur 9,5 Stunden geleistet hat (siehe Schreiben der Beklagten vom 03.03.2004), hat es dabei sein Bewenden, da naturgemäß die Sachleistungen für die Vergangenheit nicht mehr erbracht werden können.
Mithin hatte der Kläger auch unter Berücksichtigung des Vorrangs der Grundpflege und der Anspruchsbegrenzung nach § 37 Abs. 3 SGB V Anspruch auf die beantragten 9,5 Stunden Behandlungspflege täglich, so dass die Berufung zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) und daher die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved