L 9 AL 105/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 37 AL 121/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 AL 105/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08. April 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg).

Der konfessionslose Kläger beantragte am 23.01.2002 die Zahlung von Alg. Die Beklagte bewilligte ihm dieses mit Bescheid vom 13.03.2002 ab 01.02.2002. Bei der Bemessung des Leistungsentgeltes berücksichtigte sie nach § 136 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) die gewöhnlich bei Arbeitnehmern anfallenden gesetzlichen Entgeltabzüge entsprechend der Regelung des Abs. 2 in pauschaler Weise - Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer - Hebesatz -. Der Kläger erhob am 04.04.2002 Widerspruch. Er meinte, das Leistungsentgelt sei nicht korrekt berechnet worden. Die Beklagte habe nicht den Kirchensteuer-Hebesatz berücksichtigen dürfen, da er konfessionslos sei. Diese wies den Widerspruch mit Bescheid vom 12.04.2002 zurück (abgesandt am 15.04.02).

Hiergegen richtete sich die am 13.05.2002 erhobene Klage. Der Kläger ist zu deren Begründung weiterhin bei seiner Auffassung verblieben, die Beklagte habe den Kirchensteuer-Hebesatz nicht berücksichtigen dürfen. Da nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass die deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer eine Kirchensteuer entrichte, handele es sich bei dieser nicht mehr um einen bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Entgeltabzug.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 08.04.2003 abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen dargelegt, die Beklagte habe das Leistungsentgelt des Alg zutreffend nach § 136 SGB III unter Berücksichtigung der pauschalen Abzüge betreffend die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Entgeltabzüge ermittelt. Dieses Vorgehen sei auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1994 (BVerfG in SozR 3-4100 § 111 Nr. 6) hinsichtlich der zulässigen Typisierung und Pauschalierung der Berechnung von Sozialleistungen nicht zu beanstanden. Ausgehend von der Entscheidung des BVerfG habe das Bundessozialgericht für die Jahre 1995 und 1999 ermittelt, dass 60 % bzw. noch etwa 57 % der Arbeitnehmer Kirchensteuer zahlten. Das Bundessozialgericht habe daher für die Zeit bis 1999 die Berücksichtigung des Kirchensteuer-Hebesatzes für verfassungsgemäß angesehen (BSG Urteil vom 08.11.2001 - B 11 AL 18/01 R ; vom 25.06.2002 - B 11 AL 55/01 R). Für den vorliegenden streitigen Zeitraum seit 2002 lägen zwar keine konkreten Zahlen vor. Aus einer Hochrechnung ergebe sich aber, dass noch im Jahre 2000 etwa 57 %, im Jahre 2001 etwa 56,4 %, im Jahre 2002 etwa 55,8 % und im Jahre 2003 noch etwa 55,2 % der Arbeitnehmer kirchensteuerpflichtig gewesen seien. Die Berücksichtigung der Kirchensteuer sei daher bis zum Jahre 2003 nicht zu beanstanden.

Gegen das am 23.04.2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 21.05.2003 eingelegte Berufung des Klägers. Er trägt zu deren Begründung vor, das Sozialgericht hätte diejenigen Zahlen ermitteln müssen, die der Wirklichkeit entsprächen. Schätzungen reichten nicht aus, um die Berücksichtigung des Kirchensteuer-Hebesatzes auch noch im Jahre 2002 als verfassungsgemäß anzusehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.04.2003 abzuändern und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 13.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2002 sowie des Bescheides vom 20.01.2003 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld ohne die Berücksichtigung von Kirchensteuer als gewöhnlich anfallenden Abzug zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für treffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie der Verwaltungsakte der Beklagten - Kunden-Nr.: 000 - Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Senat sieht von einer Darstellung der Entscheidungsgründe im Wesentlichen ab, weil er die Berufung des Klägers auch aus den Gründen des angefochtenen Urteils, denen der Senat im Wesentlichen zustimmt, zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend zu den Ausführungen des Sozialgerichts weist der Senat insbesondere aber noch darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1994 dem Gesetzgeber ausgehend von der verfassungsmäßig zulässigen pauschalen Berücksichtigung der Kirchensteuer lediglich eine Beobachtungs- und Handlungsverpflichtung zur Einhaltung der Verfassungsmäßigkeit der pauschalen Berechnung auferlegt, nicht aber einen Zeitpunkt bestimmt hat, ab dem die Berücksichtigung der Kirchensteuer verfassungswidrig ist. Es handelt sich nämlich um einen Entwicklungsprozess, in welchem Umfang Kirchenmitglieder aus den Kirchen austreten. Dieser ist nur im Nachhinein nachzuvollziehen, was den Gesetzgeber berechtigt, sich auf die Auswertung des statistischen Zahlenmaterials, das zur Verfügung steht, zu beschränken (vgl. BSG vom 25.06.2002 in BSG SozR 3-4300 § 136 Nr. 1) und sodann für die Zukunft eine Entscheidung zu treffen. Es ist daher unerheblich, dass die maßgeblichen jährlichen Zahlen nach einer erfolgten Erhebung noch nicht für die nächste Zeit vorliegen. Denn die vom Bundesverfassungsgericht auferlegte Handlungspflicht kann erst ausgelöst werden, wenn der Gesetzgeber auf Grund statistischer Kenntnisse davon ausgehen muss, dass nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche angehört. Er entspricht dieser Beobachtungs- und Handlungspflicht dann, wenn er den Eintritt eines verfassungswidrigen Zustands vermeidet. Dementsprechend hat der Gesetzgeber vorliegend gehandelt, indem er festgelegt hat, dass die Kirchensteuer ab 01.01.2005 nicht mehr als Pauschale zu berücksichtigen ist. Ausgehend von den (bisher nur vorliegendenden) statistischen Zahlen des Jahres 2001, die noch eine deutliche Mehrheit von kirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmern ausweisen, hat der Gesetzgeber bereits jetzt, ohne dass einzelne statistische Zahlen vorliegen, auf die Annahme reagiert, dass die Zahl der kirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmer kontinuierlich über die Zeit bis zum 31.12.2004 so weit abnehmen wird, dass die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Mehrheit unterschritten werden wird. Der Senat hält daher das regelmäßige weitere nachträgliche Feststellen des statistischen Ist-Zustandes, der sich wiederum nur für die danach liegende Zeit nach Veröffentlichung auswirken kann, angesichts der Einräumung eines Handlungsspielraums sowie der seit 2001 zurückliegenden und bis Ende 2004 ausstehenden kurzen Zeit, in der eine Veränderung des Schwellenwertes eintreten könnte, nicht für geboten und ein Unterlassen durch vorzeitiges Reagieren nicht für rechtswidrig. Denn der Gesetzgeber hat in Abwägung der Interessen einer Massenverwaltung beim Einsatz von Pauschalierungen - wie derjenigen der Berücksichtigung von Kirchensteuern - bei allen Leistungsempfängern zur Leistungsbemessung mit deren Einzelinteressen die Vorgaben eines Handlungsspielraums durch das Bundesverfassungsgerichts pflichtgemäß genutzt. Selbst wenn ein später erstelltes statistisches Zahlenmaterial ergeben sollte, dass der Grenzwert früher als zum 01.01.2005 unterschritten worden sein sollte, ist dies ein Umstand, den ein Versicherter angesichts des Rechts zur Pauschalierung noch hinnehmen muss, da er in dieser kurzen Übergangszeit nicht unzumutbar in seinen Leistungsrechten eingeschränkt wird. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Berücksichtigung der Kirchensteuer als gewöhnliche gesetzliche Abgabe nur um eine Rechengröße handelt, nicht aber Gelder zu Gunsten der steuerberechtigten Kirchen tatsächlich fließen (vgl. ebenso auch Urteil des LSG Berlin vom 25.06.2004 - L 4 AL 45/03 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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