L 12 (9) AL 239/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 27 AL 250/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 (9) AL 239/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.10.2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist im Hinblick auf die Höhe des der Klägerin zu gewährenden Insolvenzgeldes, ob die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2001 zu berücksichtigen ist.

Die 1971 geborene Klägerin war als Metallhilfsarbeiterin bei der I X GmbH in C tätig, über deren Vermögen am 28.03.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Entsprechend der vom Insolvenzverwalter ausgestellten Insolvenzgeldbescheinigung bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15.04.2002 Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.01. bis 27.03.2002 in Höhe von 3.257,13 Euro. Hiergegen erhob die Klägerin am 22.04.2002 Widerspruch und begehrte die zusätzliche Berücksichtigung der Weihnachtsgratifikation 2001. Sie trug vor, die X GmbH sei seit drei Jahren nicht mehr tarifgebunden gewesen, worauf eine Betriebsvereinbarung zum sogenannten Weihnachtsgeld getroffen worden sei. Unter Vorlage einer Kopie verwies sie auf die Betriebsvereinbarung vom 06.12.2001, wonach das Weihnachtsgeld in vier Raten gezahlt werden sollte, und zwar die erste Rate im Dezember in Höhe von 800,00 DM brutto abzüglich Lohnsteuer und Sozialversicherung als Nettoauszahlung per Scheck und weitere Zahlungen mit der Januar-, Februar- und Märzlöhnung 2002. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2002 gestützt auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 02.11.2000 - B 11 AL 87/99 R - zurück. Bei einer auf das Kalenderjahr bezogenen "Stichtagsregelung" sei eine Verschiebung des Auszahlungstages (durch Betriebsvereinbarung) in das nachfolgende Kalenderjahr rechtlich nicht zulässig. An der betrieblichen Übung bis zum Abschluss der ersten Betriebsvereinbarung sei die Jahressonderzahlung gemäß den Bestimmungen des "Tarifvertrags über die Absicherung eines Teils eines 13. Monatseinkommens" jeweils am 30.11. des laufenden Kalenderjahres ausgezahlt worden. Trotz Wegfalls der Tarifbindung hätten durch die Betriebsvereinbarung nicht die Anspruchsvoraussetzungen neu geregelt werden sollen, sondern nur die Fälligkeitsmodalitäten. Der bisherige Auszahlungstermin habe grundsätzlich beibehalten und dem Arbeitgeber nur eine Stundung gewährt werden sollen. Eine solche Stundung rechtfertige keine Einbeziehung des Anspruchs in den Insolvenzgeldzeitraum.

Am 08.11.2002 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben und weiterhin die Auffassung vertreten, die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2001 sei zu Unrecht nicht beim Insolvenzgeld berücksichtigt worden. Entgegen der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des BSG sei vorliegend diese Jahressonderzahlung zu berücksichtigen, weil jahrelang der Zeitpunkt der Auszahlung dieser Jahressonderzahlung so festgelegt worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15.04.2002 in der Fassung des Widespruchsbescheides vom 09.10.2002 zu verurteilen, höheres Insolvenzgeld unter Berücksichtigung der anteiligen Weihnachtsgratifikation in Höhe von dreimal 131,56 Euro brutto zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer in den angefochtenen Bescheiden zum Ausdruck gebrachten Auffassung festgehalten. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 09.10.2003 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf höheres Insolvenzgeld nach § 183 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III). Der Insolvenzgeldzeitraum umfasse die Zeit vom 28.12.2001 bis 27.03.2002. Durch die Betriebsvereinbarung vom 06.12.2001 sollte lediglich eine Stundung im Sinne eines Hinausschiebens der Fälligkeit für die nach betrieblicher Übung eigentlich für Ende November vorgesehene Zahlung der Weihnachtsgratifikation erfolgen. Dies werde schon durch die Wortwahl "aufgrund der andauernd schlechten Wirtschaftslage" und "folgende Zahlungsweise" deutlich gemacht. Ein derartiges Verschieben bei unverändertem Rechtsgrund des Anspruchs rechtfertige jedoch nach der Rechtsprechung des BSG keine Einbeziehung in den Insolvenzgeldzeitraum. Hätte nämlich eine Vereinbarung, die Fälligkeit der für ein bestimmtes Kalenderjahr zu gewährenden Sonderleistung in das nächste Kalenderjahr zu legen, Auswirkungen auf die Zuordnung zum Insolvenzgeldzeitraum, würde dies dem Grundsatz widersprechen, dass das Arbeitsentgelt regelmäßig dem Zeitraum zuzurechnen sei, in dem es "erarbeitet" worden ist.

Gegen das ihr am 27.10.2003 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.11.2003 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, aufgrund betrieblicher Übung seit 1999 sei der maßgebliche Auszahlungstag von drei Raten des Weihnachtsgeldes in die dem Insolvenzereignis vorausgehenden letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses gefallen. Da der Arbeitgeber der Klägerin nicht mehr tarifgebunden gewesen sei, habe er mit dem Betriebsrat eine andere vertragliche Regelung treffen können, wonach die Bedingungen des Erwerbs des Anspruchs auf Jahressonderleistung gleichbleiben sollten, der Auszahlungszeitpunkt jedoch in Abweichung von dem Tarifvertrag anders vereinbart werden sollte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.10.2003 abzuändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Maßgeblich sei nicht, wann die Gratifikation beansprucht werden könne, sondern wann der Anspruch auf sie arbeitsrechtlich entstanden sei. Es gehe nicht darum, ob die Gratifikation im Insolvenzgeldzeitraum beansprucht werden könne, sondern ob sie für diesen Zeitraum zustehe. Dies ergebe sich daraus, dass beim Insolvenzgeld der Grundsatz gelte, dass Arbeitsentgelt regelmäßig dem Zeitraum zuzuordnen sei, in dem es erarbeitet worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Das SG hat die Berufung im Urteil zugelassen. Hieran ist der Senat gebunden (§ 144 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin kein höheres Insolvenzgeld zu gewähren ist.

Gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III haben Anspruch auf Insolvenzgeld Arbeitnehmer, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers (Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Nach § 183 Abs. 1 Satz 3 SGB III gehören zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis. Nicht zweifelhaft ist, dass es sich bei der Weihnachtsgratifikation um Arbeitsentgelt im Sinne von § 183 Abs. 1 SGB III handelt. Die Klägerin hat aber keinen Anspruch darauf, dass diese Jahressonderzahlung in die Insolvenzgeldberechnung einbezogen wird, denn die Zahlung ist weder dem Insolvenzgeldzeitraum zeitanteilig zuzurechnen noch ist sie als nicht einzelnen Monaten zuzurechnende Zahlung den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Insolvenzereignisses zuzuordnen.

Zu prüfen war zunächst, ob der Klägerin die Jahressonderzahlung (Weihnachtsgeld) überhaupt zustand. Nach den Feststellungen der Beklagten war der Arbeitgeber ab 01.01.2000 als Unternehmer ohne Tarifbindung beim Arbeitgeberverband geführt. Dieser Umstand hat jedoch keine Auswirkung auf den Anspruch der Klägerin, denn nach § 3 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz bleibt die Tarifgebundenheit bis zum Ende des Tarifvertrags bestehen. Die Klägerin, die seit 01.10.1999 einen schriftlichen Arbeitsvertrag hatte, hat mitteilen lassen, auf den Abschluss dieses Vertrags habe sie nur deshalb bestanden, weil sie vorher teilzeitbeschäftigt gewesen sei und ab 01.11.1999 in Vollzeit gearbeitet habe. Der Senat hat daher keinen Anlass anzunehmen, dass die Höhe des Lohnes und der Jahressonderzahlung der Klägerin, die nach ihren Angaben im Übrigen vom 01.11.1999 bis April 2000 Gewerkschaftsmitglied war, nicht immer an den jeweils gültigen Tarifvertrag gekoppelt war. Fehlen außerdem jegliche Hinweise auf eine mündliche oder schriftliche Änderung des Arbeitsvertrags, ist davon auszugehen, dass ein arbeitsvertragsrechtlicher Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Jahressonderzahlung in der Höhe bestand, wie sie sich aus dem "Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teils des 13. Monatseinkommens vom 11.12.1996 in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen" ergibt. Damit ist festzustellen, dass die Klägerin im Jahr 2001 Anspruch auf eine Jahressonderzahlung in Höhe von 55 % einer Monatsvergütung hatte (§ 2 Ziffer 2.2 des oben genannten Tarifvertrags).

Die zeitliche Zuordnung der Jahressonderzahlung bestimmt sich nach § 3 des oben genannten Tarifvertrags. Dieser hat folgenden Wortlaut: 1. Der Zeitpunkt der Auszahlung wird durch Betriebsvereinbarung geregelt.

2. Falls dieser Zeitpunkt durch Betriebsvereinbarung nicht geregelt ist, gilt als Auszahlungstag im Sinne des § 3 Nr. 1 der 01. Dezember.

In diesem Fall ist es dem Arbeitgeber unbenommen, die Erfüllung der Zahlung vorher durchzuführen.

3. Über Abschlagszahlungen können Regelungen in die Betriebsvereinbarung aufgenommen werden.

Durch die Betriebsvereinbarung vom 06.12.2001 sind die Auszahlungstage für die zweite bis vierte Jahressonderzahlungsrate nicht vom 01.12.2001 auf die Tage der Januar-, Februar- und Märzlöhnung und damit die Zuordnung dieser drei Raten nicht von 2001 in das Jahr 2002 verändert worden, weil dies mit der tariflichen Regelung unvereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 02.11.2000 - B 11 AL 87/99 R - und Urteil vom 18.03.2004 - B 11 AL 57/03 R -), der sich der Senat anschließt, verbieten Sinn und Zweck der tariflichen Regelung, den Auszahlungstag auf einen Tag außerhalb des Kalenderjahres, für den die Sonderzahlung gedacht ist, zu legen. Die tarifliche Regelung begründet einen Anspruch auf Sonderzahlung je Kalenderjahr für alle Arbeitnehmer, die am Auszahlungstag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen. Nach der tariflichen Sonderregelung sollen die Sonderzahlungen neben der Betriebstreue auch die Gegenleistung für die im jeweiligen Kalenderjahr geleistete Arbeit sein. Hätte eine Vereinbarung, die Fälligkeit der für ein bestimmtes Kalenderjahr zu gewährenden Sonderzahlung in das nächste Kalenderjahr zu legen, Auswirkung auf die Zuordnung zum Insolvenzgeldzeitraum, würde dies dem Grundsatz widersprechen, dass das Arbeitsentgelt regelmäßig dem Zeitraum zuzuordnen ist, in dem es "erarbeitet" worden ist. Ein Anspruch auf höheres Insolvenzgeld steht der Klägerin aber auch nicht hinsichtlich der Zeit vom 28.12. bis 31.12.2001 zu, da sie am 07.12.2001 bereits einen Teil des Weihnachtsgeldes in Höhe von 800,00 DM abzüglich Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen erhielt, womit diese vier Tage im Jahr 2001 jedenfalls abgedeckt sind.

Führt mithin die Jahressonderzahlung für 2001 nicht zu einem höheren Anspruch der Klägerin auf Insolvenzgeld, war auch eine für das Jahr 2002 in Betracht kommende Sonderzahlung nicht zu drei Zwölfteln zu berücksichtigen. Die Jahressonderzahlung als Leistung, die nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt wird, begründet zwar einen Insolvenzgeldanspruch in Höhe des auf den Insolvenzgeldzeitraum entfallenen Anteils, wenn arbeitsrechtliche Vereinbarungen oder tarifvertragliche Regelungen für die Arbeitnehmer auch bei vorherigem Ausscheiden einen zeitanteiligen Anspruch vorsehen (vgl. BSG Urteil vom 18.03.2004 - B 11 AL 57/03 R -). Eine aufgrund tariflicher Regelung oder betrieblicher Übung allen an einem Stichtag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmern grundsätzlich ungekürzt zustehende Jahressonderzahlung ist demgegenüber aber nicht einzelnen Monaten zuzuordnen (vgl. BSG Urteil vom 02.11.2000 - B 11 AL 87/99 R - m.w.N.). Vorliegend handelt es sich um eine solche tarifvertragliche Regelung, die allen am Stichtag ungekündigten Arbeitnehmern eine volle Jahressonderzahlung zubilligte, aber eben keinen anteiligen Anspruch bei vorzeitigem Ausscheiden. Dann aber kommt eine Dreizwölftelberücksichtigung für die Monate Januar bis März 2002 auch nicht in Betracht.

Klage und Berufung konnten somit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er mit dem SG der Sache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2 Ziffer 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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