L 11 KR 473/18

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 40 KR 1512/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 473/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.05.2018 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Kosten für die Versorgung des Klägers mit einer Saugglocke nach Klobe und eine entsprechenden Therapie.

Der 1998 geborene Kläger leidet an einer Trichterbrust sowie an Asymmetrie der Statur des gesamten Körpers. Am 01.10.2015 beantragte er eine sogenannte Saugglocke nach Klobe. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 05.10.2015) und führte aus, dass der medizinisch-therapeutische Nutzen dieses Hilfsmittels bislang nicht nachgewiesen sei. Der Kläger widersprach und wies auf die deutliche Asymmetrie seiner Gesamtkörperstatur hin, die die Gefahr einer Skoliose nach sich ziehe. Er legte die "Ärztliche Verordnung" der Saugglocke durch Dr. I von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin C vor, der die Behandlung mittels Glocke als "unabdingbar" erachtete. Der daraufhin von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) gelangte zum Ergebnis, dass beim Kläger keine Therapie mittels Saugglocke erforderlich sei (Gutachten vom 22.12.2015). Es handle sich um eine neue Behandlungsmethode, so dass sichere Aussagen über den Behandlungserfolg oder Langzeiterfolge der Methode nicht möglich seien. Auch der Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) habe die Behandlungsmethode nicht empfohlen. Stattdessen solle der Kläger regelmäßigem Sport treiben, seine haltungsschwache Muskulatur kräftigen und Gymnastik sowie Atemübungen machen. In einem weiteren Kurzgutachten vom 07.01.2016 bestätigte der MDK diese Auffassung. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers daraufhin zurück und nahm auf die Gutachten Bezug (Widerspruchsbescheid vom 21.07.2016).

Hiergegen hat der Kläger am 24.08.2016 Klage erhoben und vorgetragen, dass er mit der Behandlung mittels einer Saugglocke bereits begonnen habe, diese erfolgreich verlaufe und aktuell unter ärztlicher Anleitung weiter fortgeführt werde. Seine Trichterbrust sei fast vollständig verschwunden und die Gesamtkörperstatik habe sich deutlich verbessert; ein Skolioserisiko bestehe nicht mehr. Für die Saugglocke habe er ausweislich der Rechnung des Sanitätshauses vom 30.11.2015 697,05 EUR aufgewandt. Hinzu kämen die Kosten für die ärztliche Behandlung von derzeit etwa 200,00 EUR jährlich.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 05.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2016 zu verurteilen, die Kosten für eine Unterdrucktherapie mittels Saugglocke zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie auf die angefochtenen Bescheide sowie die Gutachten des MDK Bezug genommen.

Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat Befundberichte der Kinder- und Jugendärzte Dr. G und Dr. I sowie eine Auskunft beim GBA vom 04.09.2017 eingeholt. Anschließend hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.05.2018). Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die selbstbeschaffte Saugglocke nach Klobe und diejenigen der ärztlichen Therapie. Als Rechtsgrundlage komme § 13 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Danach sei eine Krankenkasse verpflichtet, die Kosten für eine vom Versicherten selbst beschaffte Leistung zu erstatten, wenn sie entweder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig habe erbringen können oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt habe. Weiter müsse zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast ein Ursachenzusammenhang bestehen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 12/10 R -). Hier liege eine unaufschiebbare Leistung im Sinne der 1. Alternative des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V mangels medizinischer Dringlichkeit offensichtlich nicht vor. Auch die Voraussetzungen der 2. Alternative seien nicht erfüllt, denn die Beklagte habe die Versorgung und Behandlung des Klägers mit einer Saugglocke zurecht abgelehnt. Maßgebliche sei insoweit § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift hätten Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich seien, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Allerdings dürfe das Hilfsmittel kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs. 4 SGB V von der Leistungspflicht ausgeschlossen seien. Im Hinblick auf die "Erforderlichkeit im Einzelfall" bestehe Anspruch auf Versorgung mit dem Hilfsmittel nur, soweit es geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sei und das Maß des Notwendigen nicht überschreite (§ 12 Abs. 1 SGB V). Bei der beantragten Saugglocke nach Klobe handele es sich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Dazu zählten alle sächlichen medizinischen Leistungen (etwa Körperersatzstücke); in Abgrenzung hierzu unterfielen dem Begriff der Heilmittel (§ 32 SGB V) alle von entsprechend ausgebildeten Personen persönlich erbrachten medizinischen Dienstleistungen, etwa Maßnahmen der physikalischen Therapie sowie der Sprach- und Beschäftigungstherapie (BSG, Urteil vom 31.08.2000 - B 3 KR 21/99 R -). Die Eigenschaft als Hilfsmittel bleibe bei sächlichen Mitteln auch dann erhalten, wenn sie Bestandteil einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode seien (BSG, Urteil vom 08.07.2015 - B 3 KR 5/14 R -). Die Saugglocke nach Klobe diene in diesem Sinn dem Ziel, den Erfolg der Krankenbehandlung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 SGB V zu sichern. So werde die Saugglocke von Dr. I von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin C zur spezifischen Behandlung der Trichterbrust des Klägers im Rahmen einer langfristigen Therapie genutzt. Auf diese Weise solle die Einsenkung der vorderen Brustkorbwand beseitigt und einer Skoliose vorgebeugt werden. Da die Saugglocke somit in untrennbarem Zusammenhang mit einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Sinne von § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V eingesetzt werde, sei weitere Voraussetzung für den Anspruch des Klägers, dass diese neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode durch den GBA anerkannt worden sei. Die Saugglocke könne nicht vom zugrundeliegenden Behandlungskonzept und den dafür geltenden Anforderungen getrennt werden. Dabei obliege es dem GBA, die neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (nicht) anzuerkennen, und nicht dem für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis (HMV) zuständigen GKV-Spitzenverband. Dürfe eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode mangels positiver Empfehlung des GBA nicht als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, könne der GKV-Spitzenverband trotz Autonomie bei der Erstellung des HMV nicht verpflichtet werden, die allein zur Durchführung dieser Therapie einsetzbaren Geräte in das Verzeichnis aufzunehmen. Wenn aber bei fehlender Empfehlung des GBA der Hilfsmittelhersteller selbst keinen Anspruch auf Aufnahme des Produktes in das HMV habe und die Methode zudem nicht als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden dürfe, dann könne für den Anspruch des Versicherten nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB V nichts anderes gelten (BSG, Urteil vom 08.07.2015 - B 3 KR 5/14 R -). Bei der beim Kläger angewandten Saugglockentherapie nach Klobe handele es sich um eine solche Untersuchungs- und Behandlungsmethode, zu der die Saugglocke in einem untrennbaren Zusammenhang stehe. "Neu" sei eine Behandlungsmethode grundsätzlich dann, wenn sie - wie vorliegend - bislang nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten sei (BSG, Urteil vom 17.02.2010 - B 1 KR 10/09 R -). Die Saugglockentherapie sei nach Auskunft des GBA durch diesen (ebenfalls) nicht anerkannt. Die Behandlungsmethode dürfe auch nicht ausnahmsweise ohne positive Empfehlung vertragsärztlich eingesetzt werden (§ 2 Abs. 1a SGB V). Hierfür fehle es an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung des Klägers. Auch stünden zur Behandlung einer Trichterbrust allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung, z.B. in Form der minimal-invasive Operationstechnik nach Nuss. Ebenfalls liege kein sogenannter Seltenheitsfälle vor, der sich einer systematischen Erforschung entziehe, und auch kein Fall, bei dem der GBA seinem in § 135 Abs. 1 SGB V normierten Auftrag nicht gerecht geworden sei, für eine Aktualisierung der Richtlinien Sorge zu tragen (BSG, Urteil vom 08.07.2015 - B 3 KR 5/14 R -). Ein Anspruch des Klägers, mit der Saugglocke nach Klobe versorgt zu werden (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 oder 3 SGB V) komme danach nicht in Betracht. Es bestehe auch kein Anspruch aus § 13 Abs. 3 SGB V auf Erstattung der Arztkosten für die Durchführung der Saugglockentherapie, da kein Anspruch auf ärztliche Krankenbehandlung nach §§ 11 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. 27 Abs. 1 Satz. 1 und 2 Nr. 1 SGB V bestehe.

Gegen das ihm am 27.06.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.07.2018 Berufung eingelegt und vorgetragen: Die Therapie verlaufe erfolgreich. Alternative Behandlungsmethoden wie eine OP nach Nuss, deren Kosten die Beklagte übernommen hätte, seien derart gravierend und mit geringeren Erfolgschancen versehen, dass vernünftige Menschen sie nicht ergreifen würden. Es sei zu berücksichtigen, dass sich die Behandlung mittels Saugglocke in den letzten Jahren immer mehr durchsetze.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des SG Dortmund vom 18.05.2018 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 05.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.07.2016 zu verurteilen, die Kosten für die Unterdrucktherapie mittels Saugglocke nach Klobe für die Vergangenheit zu erstatten und für die Zukunft zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das angefochtene Urteil würdige rechtlich zutreffend den entscheidungserheblichen Sachverhalt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Sie lagen dem Senat bei der Entscheidung vor.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann über die Berufung des Klägers nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung entbehrlich ist. Die Beteiligten sind zu diesem Vorgehen mit gerichtlicher Verfügung vom 26.09.2018 gehört worden. Sie haben keine Einwände erhoben.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie form- sowie fristgerecht eingelegt worden und auch der Beschwerdegegenstand von mehr als 750,00 EUR wird erreicht (697,05 EUR für die Saugglocke und 200,00 EUR pro Jahr für die mehrjährige Behandlung, §§ 143, 144, 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG Dortmund hat die Klage mit Urteil vom 18.05.2018 zu Recht abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG). Aus dem Berufungsvorbringen des Klägers, ergeben sich keine neuen Gesichtspunkte. Ob die Therapie (dauerhaft) erfolgreich verläuft, kann der Senat offen lassen. Selbst eine im konkreten Einzelfall erfolgreiche Behandlung rechtfertigt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Übernahme von Therapiekosten. Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist, dass der Kläger die Erfolgschancen von alternativen Behandlungsmethoden, beispielsweise der minimalinvasiven OP nach Nuss, anders bewertet, als der hierfür vom Gesetzgeber als qualifiziert erachtete GBA als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen (§ 135 Abs. 1 SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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