L 8 BA 122/18 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 34 BA 21/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 122/18 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 3.7.2018 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst trägt. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 9.357,26 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Ausweislich der Beschwerdeschrift ist der Antrag ausdrücklich auf "Herstellung" (gemeint dürfte sein: Anordnung) der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.6.2018 gerichtet. Dieser Bescheid umfasst bei Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] analog) drei Verfügungssätze: erstens die Feststellung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen der Antragstellerin und Herrn Dr. L; zweitens die Feststellung der Versicherungsfreiheit in allen vier dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag unterliegenden Sozialversicherungszweigen; drittens die Feststellung der Verpflichtung der Antragstellerin zur Zahlung des Arbeitgeberanteils in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von insgesamt 37.429,03 Euro.

Nur hinsichtlich des dritten Verfügungssatzes ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zulässig, insbesondere statthaft. Denn insoweit handelt es sich um eine Entscheidung über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen im Sinne von § 86a Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), bei der die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, sodass eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommt (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG).

Im Übrigen ist der Antrag unzulässig.

Hinsichtlich des ersten Verfügungssatzes ist der Antrag nicht statthaft. Insofern fehlt es nämlich an einer Entscheidung über Versicherungs- oder Beitragspflicht, weil die Antragsgegnerin lediglich das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat. Die hiergegen erhobenen Anfechtungsrechtsbehelfe (Widerspruch und Klage) haben also bereits nach der Grundregel des § 86 Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung. Daher ist es im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz unerheblich, dass insoweit eine unzulässige Elementenfeststellung vorliegt (vgl. BSG, Urteil v. 26.2.2019, B 12 R 8/18 R, Terminbericht Nr. 6/19, www.bundessozialgericht.de; ebenso bereits Senat, Urteil v. 18.12.2013, L 8 R 683/13, juris).

Hinsichtlich des zweiten Verfügungssatzes besteht keine Antragsbefugnis, weil der Bescheid mit der Feststellung der Versicherungsfreiheit von Herrn Dr. L eine die Antragstellerin nicht belastende Regelung enthält.

II.

Soweit der Antrag zulässig ist, hat er in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit ausführlicher und in allen wesentlichen Punkten zutreffender Begründung abgelehnt. Hierauf wird Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerdebegründung gibt dem Senat keinen Anlass, an dieser Beurteilung etwas zu ändern.

1. Das SG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin für den Erlass des angegriffenen Bescheides auf der Grundlage von § 28p Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zuständig war. Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

a) Indem die prüfenden Träger der Rentenversicherung befugt sind, "Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht" zu erlassen, berechtigt sie dies gerade wegen der auch von der Antragstellerin hervorgehobenen Gleichwertigkeit der Verfahren nach §§ 7a, 28h Abs. 2, 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV im gleichen Maße wie die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund oder die Einzugsstellen Statusfeststellungen zu treffen. Die Kompetenzen der genannten Sozialversicherungsträger sind danach in erster Linie in zeitlicher Hinsicht voneinander abzugrenzen, und zwar durch das Kriterium der zeitlichen Vorrangigkeit. Ein bereits eingeleitetes Verfahren entfaltet dabei - maßgeblich zur Vermeidung divergierender Entscheidungen - regelmäßig Sperrwirkung gegenüber einem anderen Verfahren (vgl. BSG, Urteil v. 4.9.2018, B 12 KR 11/17 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen, juris-Rdnr. 12).

b) Danach trifft es zwar zu, dass die Zuständigkeit der prüfenden Rentenversicherungsträger mit dem Abschluss des Betriebsprüfungsverfahrens endet. Wie indessen schon das SG zutreffend ausgeführt hat, wird dieses Verfahren nicht schon mit der Beendigung der Prüfung vor Ort abgeschlossen, sondern erst dann, wenn der prüfende Rentenversicherungsträger alle für die Prüfung erforderlichen Unterlagen erhalten und ausgewertet hat. Jedes andere Verständnis würde dazu führen, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung entweder nur einfache Sachverhalte oder komplexere Sachverhalte nur unter Zeitdruck bzw. kursorisch geprüft werden dürften. Das wäre indessen weder mit der Verpflichtung der prüfenden Rentenversicherungsträger, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, noch mit der Gleichwertigkeit der verschiedenen Prüfverfahren - auch hinsichtlich der Prüfdichte - vereinbar.

c) Ob der prüfende Rentenversicherungsträger berechtigt ist, Feststellungen zur Versicherungspflicht auch über den von der Betriebsprüfung umfassten Zeitraum hinaus zu treffen (bejahend Freudenberg, jurisPR-SozR 25/2015 Anm. 3), ist im vorliegenden Fall aus den unter I. genannten Gründen nicht zu entscheiden.

2. Ebenfalls zu Recht hat das SG angenommen, dass im vorliegenden Fall jedenfalls keine überwiegenden Argumente gegen die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV sprechen.

Ein GmbH-Gesellschafter, der - wie Herr Dr. L - von der GmbH angestellt und nicht zum Geschäftsführer bestellt wurde, hat allein aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschafterrechte in der Gesellschafterversammlung nicht regelmäßig zugleich auch die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft nach Belieben aufzuheben oder auch nur abzuschwächen. Vorbehaltlich anderweitiger Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag sind die Dienstaufsicht und das Weisungsrecht über die Angestellten der GmbH Sache der laufenden Geschäftsführung und nicht der Gesellschafterversammlung (BSG, Urteil v. 11.11.2015, B 12 R 2/14, a.a.O., Rdnr. 37; Urteil v.19.8.2015, B 12 KR 9/14 R, USK 2015-62, juris-Rdnr. 28; jeweils m.w.N.).

Im vorliegenden Fall enthält der Gesellschaftsvertrag keine abweichenden Bestimmungen. Außerhalb des Gesellschaftsvertrages getroffene Regelungen - hier der Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 21.6.2017 - vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben (zuletzt: BSG, Urteil v. 14.3.2018, B 12 KR 13/17 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 35 m.w.N.).

3. Anderweitige Bescheide der Antragsgegnerin hindern die Feststellung von Versicherungspflicht nicht.

a) Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie die Antragstellerin unter Vorlage der E-Mail des Steuerberaters F vom 18.3.2009 glaubhaft machen möchte - der Betriebsprüfer I mündlich das Ergebnis einer Betriebsprüfung betreffend den Versichertenstatus von Herrn Dr. L mitgeteilt hat. Denn nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Beitragsverfahrensverordnung (BVV) bedürfen derartige Mitteilung zur ihrer Wirksamkeit der Schriftform.

b) Die Prüfmitteilung vom 17.7.2013 ist, wie das BSG bereits entschieden hat, grundsätzlich kein der Bestandskraft (§ 77 SGG) fähiger Bescheid (Urteil v. 30.10.2013, B 12 AL 2/11 R, SozR 4-2400 § 27 Nr. 5). Dass die nachrichtliche Mitteilung des Prüfergebnisses an die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) kein Verwaltungsakt ist, ergibt sich bereits aus § 28p Abs. 1c Satz 2 SGB IV, wonach (nur) die Träger der Unfallversicherung die erforderlichen Bescheide erlassen (vgl. Senat, Urteil v. 24.10.2018, L 8 R 617/17, juris-Rdnr. 91). Dass die Prüfmitteilung vom 17.7.2013 ausnahmsweise abweichend von der Rechtsprechung des BSG im vorliegenden Fall im Lichte der Mitteilung an die VBG, in der ausdrücklich auf das Vertragsverhältnis zwischen der Antragstellerin und Herrn Dr. L Bezug genommen wird, als Bescheid im Sinne der Feststellung von Versicherungsfreiheit von Herrn Dr. L ausgelegt werden kann, erscheint derzeit zumindest nicht überwiegend wahrscheinlich. Jedenfalls handelt es sich insoweit aber um eine offene (Rechts-)Frage, die im Hauptsacheverfahren zu klären ist, gegenwärtig aber keine überwiegenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides begründet.

4. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin steht der Bescheid der (vormaligen) Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 9.10.1975 der Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht entgegen [dazu unter a)]. Schützenswertes Vertrauen in die Fortgeltung dieses Bescheides für das vorliegend zu beurteilende Beschäftigungsverhältnis besteht nicht [dazu unter b)]. Ebenso wenig ist derzeit überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragsgegnerin an der Erhebung von Beiträgen aufgrund des Befreiungsantrags für Herrn Dr. L vom 15.1.2018 für den Streitzeitraum gehindert war [dazu unter c)].

a) Das "Schicksal" des Bescheides vom 9.10.1975 als eines die Befreiung von Herrn L vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Sechstes Buch (SGB VI) aussprechenden Bescheides ist in § 231 Abs. 1 Satz 1 SGB VI gesetzlich geregelt. Danach wirkt die Befreiung nur für "dieselbe" Beschäftigung fort. Herr Dr. L hat die jetzt zu beurteilende Beschäftigung indessen noch nicht am 31.12.1991 ausgeübt, weswegen eine Fortwirkung des Befreiungsbescheides vom 9.10.1975 auf sie ausscheidet (vgl. BSG, Urteil v. 31.10.2012, B 12 R 5/10 R, SozR 4-2600 § 231 Nr. 5). Einer Aufhebung des Bescheides vom 9.10.1975 bedurfte es daher nicht. Die Beschäftigungsbezogenheit der Befreiung hat das BSG im Übrigen durch Urteile vom 13.12.2018 (B 5 RE 1/18 R und B 5 RE 3/18 R, Terminbericht Nr. 56/18, den Beteiligten übersandt) erneut bestätigt.

b) Schützenswertes Vertrauen der Antragstellerin in den Fortbestand der Befreiung ist weder ersichtlich noch dargelegt worden.

aa) Aus der E-Mail des Steuerberaters F vom 18.3.2009 folgt ein derartiger Vertrauensschutz schon deshalb nicht, weil die (angebliche) Versicherungsfreiheit dort nach dem eindeutigen Wortlaut der E-Mail auf den Grad der Beteiligung von Herrn Dr. L am Gesellschaftsvermögen der Antragstellerin gestützt worden ist. Von einer Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund einer vorangegangenen Befreiung ist dagegen nicht einmal andeutungsweise die Rede.

bb) Entsprechendes gilt für die Ergebnismitteilung vom 17.7.2013 an die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG).

c) Es gibt derzeit keinen Anlass anzunehmen, der mit Schriftsatz vom 15.1.2018 gestellte Antrag auf Befreiung von Herrn L stehe der Rechtmäßigkeit der Erhebung zuvor entstandener Beitragsforderungen entgegen. Zunächst tritt, worauf das SG bereits hingewiesen hat, die Wirkung der Befreiung mit der Folge des Nichtentstehens von Beitragsansprüchen erst mit der Bekanntgabe des Befreiungsbescheides ein. Unabhängig davon würde eine Befreiung im vorliegenden Fall nach § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI nur für die Zukunft wirken. Der mit diesem Antrag verbundene Wiedereinsetzungsantrag führt zu keinem günstigeren Ergebnis. Abgesehen von der Frage, ob der mit § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI erkennbar verfolgte Zweck, zügig Klarheit über den Eintritt oder Nichteintritt von Versicherungs- und Beitragspflicht zu erlangen, eine Wiedereinsetzung nicht von vornherein ausschließt (§ 27 Abs. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]), scheitert eine Wiedereinsetzung mit Wirkung für den Zeitraum der Beitragsnachforderung jedenfalls daran, dass seit dem Ende des Prüfzeitraums am 31.12.2016 am 15.1.2018 mehr als ein Jahr verstrichen war (§ 27 Abs. 3 SGB X).

5. Sonstige Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der Beitragsnachforderung der Antragsgegnerin gegenwärtig nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entgegen. Zwar ist die Frage, inwieweit der Aspekt des Vertrauensschutzes einer im Wege einer Betriebsprüfung geltend gemachten Beitragsnacherhebung für mitarbeitende Familienangehörige (im konkreten Fall allerdings jeweils Geschäftsführer von GmbHs) entgegengehalten werden kann, derzeit Gegenstand mehrerer anhängiger Revisionsverfahren. Der erkennende Senat hat diese Frage jedoch in mehreren Entscheidungen verneint (Urteil v. 24.10.2018, L 8 R 617/17 [Revision nicht zugelassen], Urteil v. 27.6.2018, L 8 R 884/17 [Revision anhängig unter B 12 R 25/18 R]; Urteil v. 6.12.2017, L 8 R 1141/16 [Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen durch Beschluss des BSG v. 2.10.2018, B 12 R 33/18 B, juris]). Überwiegende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen daher auch unter diesem Gesichtspunkt nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 52, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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