S 13 R 508/14

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 13 R 508/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 114/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2014 verurteilt, der Klägerin ab dem 01.06.2015 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung in gesetzlichem Umfang zu zahlen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Klägerin auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1959 in Aratos in Griechenland geborene Klägerin absolvierte vom 05.09.1973 bis 04.01.1974 eine Ausbildung zur Schneiderin, wobei sie keinen Abschluss erlangte. Vom 04.08.1975 bis 05.09.1975 war sie als Schneiderin tätig. Es schloss sich eine Beschäftigung als Küchenhilfe vom 19.05.1980 bis 13.11.1980 an. Als Verpackerin war die Klägerin vom 09.03.1981 bis 31.07.1982 tätig. Danach schlossen sich wiederum Tätigkeiten als Küchenhilfe vom 04.07.1983 bis 29.07.1983 und vom 19.04.1984 bis 23.08.1984 an. Vom 26.09.1984 bis 16.10.1984, vom 22.10.1984 bis 28.12.1984 und vom 21.01.1985 bis 31.10.2003 war die Klägerin als Aushilfe in der Verpackung bzw. Verpackerin tätig. Sie arbeitete vom 29.12.2003 bis 07.03.2004 in der Kontrolle der Verkaufsware. Es schlossen sich Tätigkeiten als Küchenhilfe von 2007 bis 2008, Backstubenhilfe vom 02.07.2007 bis 28.07.2007 und Pflegehelferin vom 01.01.2009 bis 30.09.2009 an. Vom 07.09.2009 bis 28.11.2009 besuchte die Klägerin einen Pflegekurs und war danach vom 01.01.2010 bis 31.12.2011 als Stationshilfe tätig.

Die Klägerin beantragte am 07.01.2014 bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen über die Klägerin bei und gab ein Gutachten bei Dr. C. in Auftrag. Diese stellte aufgrund der Untersuchung vom 23.04.2014 folgende Diagnose:

- Degeneratives LWS-Syndrom, bilaterale Facettenarthrose L4/5, nicht neurokompressive Bandscheibenprotrusion L5/S1 ohne wesentliche Funktionseinschränkung
- Arterielle Hypertonie, medikamentös eingestellt
- Beginnende Gonarthrose links ohne wesentliche Funktionseinschränkung
- Diabetes mellitus, diätetisch eingestellt
- Adipositas
- Schilddrüsenfunktionsstörung, medikamentös eingestellt
- Varicosis
- Depression, medikamentös gut eingestellt

Die Gutachterin kam zum Ergebnis, dass die Klägerin noch eine Leistungsfähigkeit von über 6 Stunden pro Tag besitze. Sie sei in der Lage, leichte Arbeiten zeitweise im Stehen und Gehen sowie überwiegend im Sitzen in Tagesschicht unter Beachtung der näher beschriebenen Einschränkungen zu verrichten.

Mit Bescheid vom 19.05.2014 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die Einschränkungen, die aus den Krankheiten oder Behinderungen resultierten, führten nicht zu einem Anspruch auf eine Rene wegen Erwerbsminderung, da sie aufgrund der medizinischen Beurteilung der Beklagten noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne. Ferner könne sie Tätigkeiten, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt existierten, mindestens 6 Stunden täglich ausüben. Dies sei ihr aufgrund ihres beruflichen Werdegangs zumutbar. Sie sei deshalb nicht berufsunfähig und könne auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erhalten.

Die Klägerin erhob durch ihre Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 13.06.2014 Widerspruch.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2014 zurück. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Arbeiten mit Einschränkungen 6 Stunden und mehr täglich zu verrichten. Gegenteilige Anhaltspunkte seien nicht festgestellt worden. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung lägen nicht vor, sodass es der konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht bedürfe. Ferner sei in ihrem Fall die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Die Klägerin sei aufgrund ihrer zuletzt rentenversicherungspflichtig ausgeübten Beschäftigung der Gruppe der ungelernten Arbeiter zuzuordnen und daher auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verweisen. Es existierten eine Vielzahl von ungelernten Tätigkeiten, die mit beeinträchtigter Leistungsfähigkeit verrichtet werden könnten. Die jeweilige Arbeitsmarktlage sei wiederum nicht zu berücksichtigen. Sie sei nicht berufsunfähig.

Die Klägerin hat durch ihre Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 03.11.2014, eingegangen am gleichen Tag, Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Sie trägt im Wesentlichen vor, dass bei ihr gesundheitliche Defizite bei der Wirbelsäule, den Knien, dem rechten Arm und der Hand bestehen würden. Die Gehfähigkeit sei eingeschränkt und es sei ihr nicht zumutbar unter Zeitdruck zu arbeiten. Ständig seien Schmerzen vorhanden, sodass aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Beschwerden und Beeinträchtigungen ihre Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf unter 6 Stunden gesunken sei. Der allgemeine Arbeitsmarkt sei ihr vor dem Hintergrund der vielen Einschränkungen verschlossen.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.03.2016 zu verurteilen, ihr auf einen Leistungsfall vom 11.05.2015 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung,
hilfsweise
wegen voller Erwerbsminderung, in gesetzlichem Umfang zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf ihre Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus sei auch nach Auswertung des Sachverständigengutachtens von Dr. D. eine Herabsetzung des der Klägerin zumutbaren Leistungsvermögens in rentenmaßgeblichem Umfang nicht nachgewiesen. Es werde auf die Stellungnahme der ärztlichen Beraterin E. Bezug genommen. Schließlich habe der Sachverständige auch in seiner ergänzenden Stellungnahme keine rentenrelevante Herabsetzung des Leistungsvermögens nachgewiesen.

Das Gericht hat mit Beweisanordnung vom 12.01.2015 von Amts wegen ein sozialmedizinisches Sachverständigengutachten bei Dr. F. eingeholt. Dieses wurde dem Gericht am 03.05.2015 vorgelegt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf den Inhalt des ärztlichen Gutachtens (Bl. 38 ff. d.GA). Ferner hat das Gericht mit Beweisanordnung vom 03.02.2016 von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten bei Dr. D. eingeholt. Dieses wurde dem Gericht am 30.06.2016 übersandt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des ärztlichen Gutachtens Bezug genommen (Bl. 106 ff. d.GA). Schließlich hat das Gericht aufgrund der Einwände der Beklagten am 17.10.2016 eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. D. eingeholt, die dem Gericht am 09.01.2017 übersandt wurde (Bl. 146 ff. d.GA). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Der Antrag ist nach § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.09.2014 zu verurteilen, ihr auf einen Leistungsfall vom 11.05.2015 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen voller Erwerbsminderung, in gesetzlichem Umfang zu zahlen, da die Bescheiddaten des in der mündlichen Verhandlung protokollierten Antrags unzutreffend von den Daten abweichen, die im Antrag der Klageschrift vom 03.11.2014 korrekterweise verwendet worden sind.

Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht nach § 87 Abs. 1 und 2 SGG erhoben. Der Widerspruchsbescheid gilt nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Ausweislich des Vermerks der Beklagten wurde der Widerspruchsbescheid am 01.10.2014 zur Post gegeben, sodass er am 03.10.2014 als bekannt gegeben gilt. Da die Klage am 03.11.2014 bei Gericht eingegangen ist, wurde die Monatsfrist gewahrt. Das Sozialgericht Frankfurt am Main ist auch örtlich zuständig. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 SGG statthaft, weil die Klägerin sich gegen einen belastenden Verwaltungsakt wehrt sowie mit ihrer Klage die Gewährung einer Leistung begehrt, auf die sie bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI einen Anspruch hat.

Die Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.09.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf die begehrte Rentengewährung.

Nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die Klägerin ist voll erwerbsgemindert.

Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte gem. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nicht erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, ohne dass hier die Arbeitsmarktlage zu berücksichtigen ist.

Die durch die Kammer gefundene Beurteilung der Klägerin als voll erwerbsgemindert ergibt sich unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls aus einer Gesamtschau der zum Gesundheitszustand der Klägerin eingeholten Befundberichte und der medizinischen Sachverständigengutachten.

Der Sachverständige Dr. F. stellte aufgrund seiner Untersuchung vom 04.05.2015 folgende Diagnose:

- Wirbelsäulenfunktionsstörung bei Verschleiß, Bandscheibenleiden
- Kniegelenkverschleiß links, Fersensporn/Fußfehlform, Krampfaderleiden
- Bluthochdruck, sekundäre Organschädigung (linksventrikuläre Hypertrophie)
- Diätetisch eingestellte Blutzuckererkrankung
- Medikamentös eingestellte Schilddrüsenerkrankung
- Übergewicht
- Angst und Depression gemischt
- Carpaltunnel-Syndrom beidseits

Der Sachverständige misst der Wirbelsäulenfunktionsstörung, dem Carpaltunnel-Syndrom, der gemischten Angst und Depression sowie dem Bluthochdruck erwerbsmindernden Dauereinfluss zu. Die Klägerin sei in der Lage, leichte Arbeiten unter Berücksichtigung des negativen Leistungsbildes mindestens 6 Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt und es seien keine zusätzlichen betriebsunüblichen Pausen erforderlich. Der Sachverständige Dr. D. kommt aufgrund der Untersuchung vom 04.05.2016 zu der Diagnose, dass die Klägerin auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet an einer rezidivierenden depressiven Störung mit derzeit mittelschwerer depressiver Episode sowie unter einer chronischen Schmerzstörung mit psychischen und körperlichen Faktoren leide. Aufgrund der vorliegenden Gesundheitsstörungen sei die Klägerin noch in der Lage, leichte Arbeiten zu verrichten, wobei das Leistungsvermögen quantitativ auf unter drei Stunden arbeitstäglich herabgesetzt sei. Auch unter Berücksichtigung besonderer Einschränkungen könne die Klägerin keine Tätigkeiten in einem Umfang von mehr als drei Stunden arbeitstäglich verrichten. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Die Klägerin sei jedoch nicht in der Lage, ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr mit der notwendigen Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit sicher zu führen. Auch unter Einhaltung zusätzlicher, betriebsunüblicher Pausen vermöge die Klägerin keine Tätigkeiten in einem Umfang von 3 Stunden oder mehr zu erbringen.

Die Kammer hat das Sachverständigengutachten von Dr. D. ausführlich gewürdigt. Es beginnt mit der Darstellung der beurteilungsrelevanten Akteninhalte und den Angaben der Klägerin. Es schließen sich die Untersuchungsbefunde, die Zusammenfassung, die diagnostische Beurteilung und die sozialmedizinische Beurteilung an. Den Abschluss bildet die Beantwortung der Beweisfragen. Das Gutachten kommt dabei zu wissenschaftlich begründeten und logisch nachvollziehbaren Ergebnissen denen sich die Kammer anschließt. Zu einer anderen Bewertung vermögen die seitens der Beklagten mit Schriftsätzen vom 05.08.2016 und 10.02.2017 vorgetragenen Einwände nicht zu führen. Es sei kritisch anzumerken, dass in der Zusammenfassung von einer schweren Depression ausgegangen werde, während im Rahmen der sozialmedizinischen Beurteilung eine mittelschwere depressive Episode angenommen werde. Es existierten nun drei Diagnosen: Angst und Depression gemischt, mittelschwere depressive Episode und schwere Depression. Es sei medizinisch/psychiatrisch nicht nachvollziehbar und werde nicht hinterfragt, warum sich die Klägerin bei der Schwere der diagnostizierten Depression in keiner nervenärztlichen Behandlung befinde. Die Diagnose einer chronifizierten Schmerzerkrankung bei körperlichen und psychischen Faktoren sei nachvollziehbar. Bei einer mittelschweren depressiven Episode sei das Anpassungs- und Umstellungsvermögen nicht so stark eingeschränkt, dass der Betroffene nicht in der Lage wäre, Tätigkeiten zu verrichten. Der Sachverständige hat im Rahmen seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.12.2016 ausgeführt, dass nach ICD-10 eine gemischte Angststörung und depressive Störung zu diagnostizieren sei, wenn beide gleichzeitig vorlägen, keine Störung eindeutig vorherrsche und keine für sich genommen eine eigenständige Diagnose rechtfertige. Dr. F. beschreibe in seinem Sachverständigengutachten das Vorliegen einer Symptomkonstellation, die zu der Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode hätte führen müssen. Insofern habe nach den Kriterien der Deutschen Rentenversicherung auch zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. F. Arbeitsunfähigkeit bestanden. Die Prognose, die Klägerin sei noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten zu verrichten, habe sich im weiteren Verlauf nicht bewahrheitet. Die Arbeitsunfähigkeit habe sich als überdauernder Zustand erwiesen, da sich seit der Begutachtung durch Dr. F. bis zur hiesigen keine Besserung, sondern vielmehr eine Verschlechterung des Gesundheitszustands ergeben habe, wie sich bei der Gegenüberstellung der klinisch psychiatrischen Befunde ersehen lasse. Ferner konkurrierten nicht drei Diagnosen. Sowohl seinem als auch dem Sachverständigengutachten von Dr. F. sei das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode zu entnehmen. Die Diagnose sei nicht zu verwechseln mit dem klinischen Befund einer schweren depressiven Symptomatik. Die Kammer schließt sich auch diesen plausiblen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen an. Dr. D. diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung mit derzeit mittelschwerer depressiver Episode sowie eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und körperlichen Faktoren (Bl. 129 d.GA) und bestätigt dies in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.12.2016. Vor diesem Hintergrund geht die Kritik der Beklagten ins Leere, dass bei einer schweren depressiven Episode die Indikation zur medikamentösen Umstellung und einer stationär psychiatrischen Behandlung bestehe. Da der Sachverständige die Diagnose der Diplom-Psychologin G. hinsichtlich einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome nicht teilt, war aus Sicht der Kammer auch keine weitere Auseinandersetzung mit ihrer Behandlung erforderlich.

Schließlich sah sich die Kammer nicht veranlasst weitere Ermittlungen durchzuführen. Sie stützt sich auf die Einschätzung des Sachverständigen Dr. D., der die Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht für erforderlich hält.

Zur vollen Überzeugung der Kammer war die Klägerin seit dem 11.05.2015 voll erwerbsgemindert. Die Grundsätze der objektiven Beweislast (Feststellungslast) greifen ein, wenn der Tatrichter keine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung gewinnen kann ("non liquet"), und sie bestimmen, zu wessen Lasten diese Unaufklärbarkeit geht. Die objektive Beweislast kennzeichnet mit anderen Worten das Risiko, wegen der Nichterweislichkeit rechtlich erheblicher Tatsachen im Prozess zu unterliegen. Welchen Beteiligten dieses Risiko trifft, ist grundsätzlich eine Frage des materiellen Rechts, weil sich die Beweislastverteilung nach dem Regelungsgefüge der jeweils maßgebenden Norm richtet. Eine Entscheidung nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast darf allerdings erst getroffen werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind und sich das Gericht dennoch keine Überzeugung in der einen oder anderen Richtung bilden konnte. Im sozialgerichtlichen Verfahren stellt sich die Frage der Beweislastverteilung daher nur, wenn es dem Tatrichter trotz Erfüllung seiner insbesondere durch § 103 SGG und § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen Würdigung der erhobenen Beweise nicht gelungen ist, eine in tatsächlicher Hinsicht bestehende Ungewissheit zu beseitigen. Beweismaßstab ist im sozialgerichtlichen Verfahren insoweit grundsätzlich der Vollbeweis. Das Gericht muss sich die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Die Maßstäbe der Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftmachung reichen nicht aus. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen. Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG, Urteil vom 24. November 2010 – B 11 AL 35/09 R –, Rn. 21, juris).

Der Sachverständige Dr. D. hat im Rahmen seines Gutachten (Bl. 132 d.GA) zum Zeitpunkt des Eintritts der vollen Erwerbsminderung ausgeführt, dass der Sachverständige Dr. F. in seinem Gutachtachten vom 11.05.2015 (Bl. 38 ff. d.GA) das Vorliegen einer mittelschweren ausgeprägten depressiven Symptomatik bei der Klägerin beschrieben habe, sodass von einem aufgehobenen Leistungsvermögen bereits zu diesem Zeitpunkt auszugehen sei. Es würden sich anhand der Aktenlage und der Anamnese keine Hinweise darauf ergeben, dass es zwischen der Begutachtung durch Dr. F. und seiner zu einer wesentlichen Besserung der Symptomatik gekommen sei. Vielmehr sei von einer kontinuierlichen Verschlechterung auszugehen. Die Kammer schließt sich diesen plausiblen und nachvollziehbaren Ausführungen an und nimmt im Übrigen auf ihre vorherigen Ausführungen Bezug.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI für einen Leistungsfall am 11.05.2015 liegen ebenfalls vor. Zunächst hat die Klägerin 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI in dem nach §§ 43 Abs. 4 Nr. 1, 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB VI verlängerten Zeitraum angesammelt. Hinsichtlich der einzelnen Pflichtbeitragsmonate wird auf den Versicherungsverlauf vom 15.02.2017 (Bl. 161 ff. d.GA) Bezug genommen. Darüber hinaus hat die Klägerin auch die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI erfüllt. Es wird wiederum auf den Versicherungsverlauf vom 15.02.2017 (Bl. 161 ff. d.GA) Bezug genommen.

Schließlich hat die Klägerin Anspruch auf eine unbefristete Rente seit dem 01.06.2015. Nach § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI werden Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Unwahrscheinlich im Sinn der Norm ist dahingehend zu verstehen, dass schwerwiegende medizinische Gründe gegen eine - rentenrechtlich relevante - Besserungsaussicht sprechen müssen, so dass ein Dauerzustand vorliegt. Von solchen Gründen kann jedoch erst dann ausgegangen werden, wenn alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und auch hiernach ein aufgehobenes Leistungsvermögen besteht. Daher liegt es nahe, Unwahrscheinlichkeit dann anzunehmen, wenn aus ärztlicher Sicht bei Betrachtung des bisherigen Verlaufs nach medizinischen Erkenntnissen - auch unter Berücksichtigung noch vorhandener therapeutischer Möglichkeiten - eine Besserung nicht anzunehmen ist, durch welche sich eine rentenrechtlich relevante Steigerung der Leistungsfähigkeit des Versicherten ergeben würde (BSG, Urteil vom 29. März 2006 – B 13 RJ 31/05 R –, BSGE 96, 147-153, SozR 4-2600 § 102 Nr 2, Rn. 21). Die Grundregel für den Beginn einer Rente aus eigener Versicherung setzt nach Absatz 1 Satz 1 voraus, dass alle Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Rente bereits zu dessen Beginn vorliegen. Erfüllt der Rentenberechtigte erst im Laufe des Monats alle Anspruchsvoraussetzungen kann die Rente erst zu Beginn des Folgemonats gewährt werden. Dies gilt auch, wenn eine der Anspruchsvoraussetzungen erst während des ersten Tages im Monat eintritt. Sind hingegen die Anspruchsvoraussetzungen schon am gesamten ersten Tag des Monats erfüllt, kann die Rente mit diesem Monat beginnen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, an dem alle Anspruchsvoraussetzungen erstmals gleichzeitig erfüllt sind (Schmidt in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 99 SGB VI, Rn. 19). Der Sachverständige hat zur Frage, ob es unwahrscheinlich ist, dass die festgestellte Minderung des Leistungsvermögens behoben werden kann, ausgeführt, dass die vorliegenden Gesundheitsstörungen und die daraus resultierende Minderung des Leistungsvermögen bereits seit mehreren Jahren bestehen würden und einen hohen Chronifizierungsgrad aufwiesen. Geeignete Therapien auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet hätten bislang keine Besserung erzielen können, sondern vielmehr eine Verschlechterung nicht verhüten können. Daher sei nicht zu erwarten, dass die festgestellte Minderung des Leistungsvermögens behoben werden könne. Auf den Einwand der Beklagten, dass sowohl die therapeutischen Möglichkeiten bzgl. der psychischen Erkrankung als auch der Schmerzerkrankung nicht ausgeschöpft seien, hat der Sachverständige entgegnet, dass sich aus dem Bericht der Klägerin und der Befunddokumentation ergebe, dass eine leitliniengerechte Behandlung durchgeführt worden sei, die jedoch keinen nennenswerten Therapieerfolg erzielt habe. Diese Ausführungen hält die Kammer für plausibel und nachvollziehbar. So ergibt sich insbesondere aus dem Befundbericht der Diplom-Psychologin G. vom 19.10.2015, dass sich die Klägerin seit dem 19.12.2014 in psychotherapeutischer Behandlung befindet. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Befundbericht der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. vom 18.07.2012 und dem Gutachten von Dr. C. vom 28.04.2014, dass die Klägerin mit Sertralin, einem Antidepressivum, medikamentös behandelt wurde. Die Klägerin gab selbst gegenüber dem Sachverständigen Dr. D. an, dass sie Sertralin, Metformin, Novaminsulfon, L-Thyroxin und Bisoprolol einnehme. Der Sachverständige Dr. D. führt weiter aus, dass ein chronischer, therapierefraktärer Krankheitsverlauf vorliege, der zu anhaltender Leistungsunfähigkeit führe. Dr. F. geht in seinem Sachverständigengutachten ebenfalls davon aus, dass die von ihm beschriebenen qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens nicht behoben werden könnten. Diese seien auf dem Boden der chronischen Gesundheitsstörungen zu definieren gewesen. Durch geeignete therapeutische Maßnahmen könnten die Symptome zwar gelindert werden, das qualitative Leistungsvermögen werde sich aber nicht verbessern. Die Kammer hält die beschriebenen Ausführungen der Sachverständigen daher für nachvollziehbar und plausibel. Die Einschätzung der Sachverständigen deckt sich auch mit der Beurteilung der Diplom-Psychologin G. in ihrem Befundbericht vom 19.10.2015. Sie gibt an, dass Komplexität und Chronifizierung des Krankheitsgeschehens eine Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit nicht erwarten lasse. Vor diesem Hintergrund war für die Kammer nicht plausibel und nachvollziehbar, inwiefern eine schmerztherapeutische Behandlung dennoch eine Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes bewirken soll, die wiederum auch zu einer Erhöhung des Leistungsvermögens in qualitativer und quantitativer Hinsicht führt. Da die Klägerin zur vollen Überzeugung der Kammer ab dem 11.05.2015 voll erwerbsgemindert war, lagen erst ab dem 01.06.2015 alle Anspruchsvoraussetzungen vor.

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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