S 23 U 41/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
23
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 23 U 41/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 139/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Es wird festgestellt, dass der unter dem Aktenzeichen S 23 U 19/15 beim Sozialgericht Frankfurt/Main geführte Rechtsstreit des Klägers gegen die Beklagte durch Klagerücknahme am 12.02.2016 erledigt ist.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Fortführung des ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 23 U 19/15 geführten Rechtsstreits, der nach § 102 Abs. 2 Sätze 1 und 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 SGG (sog. Klagerücknahmefiktion) als erledigt ausgetragen worden ist.

Der Kläger erhob am 09.03.2015 Klage zum Sozialgericht Frankfurt (geführt unter dem o. g. Aktenzeichen), die sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 11.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.02.2015 richtete und neben der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung auf die Gewährung einer Rente anlässlich des Arbeitsunfalls vom 05.03.2013 abzielte. Mit der streitigen Entscheidung hatte die Beklagte die Gewährung einer Rente abgelehnt, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht um wenigstens 20 v. H. gemindert sei. Hierbei hatte sich die Beklagte auf die in der Akte enthaltenen Unterlagen, insbesondere auf das Ergebnis des Gutachtens des Neurologen Dr. C. vom 16.06.2014 gestützt. Hiernach hätten keine Unfallfolgen mehr objektiviert werden können, welche eine MdE in rentenberechtigendem Grad bedingen würden.

Zur Begründung seiner Klage trug der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten vor, dass der Kläger noch immer an den Folgen seines Unfalls leide; das Bein sei weiterhin taub und der Kläger habe starke Schmerzen. Ihm sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 zuerkannt. Er verfolgte sein Begehren aus dem Widerspruchsverfahren weiter.

Das Gericht zog im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Schwerbehindertenakte des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales zu dem Rechtsstreit bei, was dem Klägervertreter am 01.10.2015 mitgeteilt wurde.

Nach Einsicht in die hieraus für die Gerichtsakte gefertigten Kopien beantragte die Beklagte weiterhin Klageabweisung. Hierbei nahm sie darauf Bezug, dass der Kläger bei dem Arbeitsunfall vom 05.03.2013 eine Prellung des rechten Oberschenkels erlitten habe und als unfallbedingt lediglich eine Läsion des Nervus cutaneus femoralis lateralis mit einer Meralgia paraesthetica habe festgestellt werden können. Diese bedinge nach den gängigen Erfahrungssätzen eine MdE von unter 10 v. H. Etwas anderes lasse sich auch aus den Befundunterlagen der Schwerbehindertenakte nicht schließen. Zumal diese bestätigten, dass der Kläger bereits im September 2012 eine unfallunabhängige Innenmeniskusläsion erlitten habe. Es sei naheliegend, dass die durch den Kläger geltend gemachten Schmerzen – sollten sie tatsächlich in dem vorgebrachten Umfang bestehen – auf der Knieverletzung aus dem Jahre 2012 beruhten. Die hieraus resultierenden Folgen seien jedoch keinesfalls auf den Arbeitsunfall vom 05.03.2013 zurückzuführen.

Unter dem 26.11.2015 forderte das Gericht den Klägervertreter auf, zu den Ausführungen der Beklagten Stellung zu nehmen und insbesondere ergänzend vorzutragen. Auf zweifache Erinnerung bat der Klägervertreter das Gericht um Mitteilung, welche tatsächliche Ergänzung es benötige, da aus der Einlassung der Beklagten nur ersichtlich sei, dass die Folgen des Unfalls als nicht schwerwiegend eingeschätzt würden, was der Kläger anders sehe. Entweder komme ein Sachverständigengutachten nach § 106 SGG oder ggf. nach § 109 SGG in Betracht, um die Unfallfolgen gerichtsverwertbar zu dokumentieren.

Unter dem 07.06.2016 erteilte die Kammervorsitzende dem Klägervertreter unter Bezugnahme hierauf einen rechtlichen Hinweis. Hierin führte sie aus, dass bisher nur vorgetragen worden sei, dass die als Unfallfolge geltend gemachten Schmerzen und die Taubheit des Beines eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß bedingten. Die Beklagte habe ihre Entscheidung auf das Gutachten von Dr. C. vom 16.06.2014 gestützt, zu dem der Klägervertreter zu keinem Zeitpunkt inhaltlich Stellung genommen habe. Im Widerspruchsverfahren habe der Klägervertreter gar keine Begründung vorgelegt. Daher bestünden derzeit keinerlei Anhaltspunkte für eine Begutachtung von Amts wegen; der GdB und die MdE seien nicht gleichzusetzen. Der GdB bewerte zudem ausweislich der Schwerbehindertenakte diverse Funktionsstörungen.

Die Kammervorsitzende regte in dem Schreiben vom 07.06.2016 daher an, dass der Klägervertreter inhaltlich auf das Gutachten des Dr. C. (aa0) eingehe und ausführe, wieso die dortige Bewertung nicht zutreffend sei. Zusätzlich bat die Kammervorsitzende den Klägervertreter um Mitteilung, ob und ggf. wo sich der Klägerin in schmerztherapeutischer Behandlung befinde, da die vorgelegte Schweigepflichtentbindungserklärung keinen Schmerztherapeuten aufführe. Zudem bestehe Gelegenheit zur Antragstellung nach § 109 SGG.

Auf das Schreiben vom 07.06.2016 erfolgte keine Reaktion, so dass die Kammervorsitzende mit eigenhändiger Unterschrift (kein Handzeichen) am 21.10.2016 verfügte, den Klägervertreter an die Erledigung des gerichtlichen Schreibens vom 07.06.2016 zu erinnern und ihn zum Betreiben des Verfahrens aufzufordern, da sie aufgrund des Schweigens des Klägervertreters auf das Hinweisschreiben vom 07.06.2016 Zweifel am Fortbestand des Rechtschutzinteresses habe. Die Verfügung enthielt zudem unter Bezugnahme auf § 102 Abs. 2 SGG den Hinweis, dass die Klage als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben werde.

Das auf die Verfügung vom 21.10.2016 hin von der Geschäftsstelle mit "gez. D." ausgefertigte Schreiben desselben Datums wurde dem Klägervertreter am 11.11.2016 zugestellt (vgl. Zustellungsurkunde).

Mit Schlussverfügung vom 17.03.2017 erklärte die Kammervorsitzende den Rechtsstreit als durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 SGG erledigt, was den Beteiligten mitgeteilt wurde.

Am 23.03.2017 hat der Klägervertreter beantragt, das Verfahren fortzusetzen. Das Verfahren wurde daraufhin unter dem aktuellen Aktenzeichen fortgeführt.

Der Klägervertreter trägt vor,
die Klage sei nicht zurückgenommen worden und es sei auch keine Klagerücknahmefiktion eingetreten. Der Kläger habe bereits in der Klage ausgeführt, dass er die medizinische Einschätzung für nicht zutreffend erachte. Welchen Stand das Verfahren derzeit habe und welche weiteren Ermittlungen durch das Gericht angestellt worden seien, sei ihm nicht bekannt.

Die Beklagte hat nach Fortführung des Rechtsstreits keinen Antrag gestellt.

Der Klägervertreter ist durch Gerichtsschreiben vom 29.03.2017 u. a. noch darauf hingewiesen worden, dass die Betreibensaufforderung mit vollem Namen der Kammervorsitzenden unterzeichnet worden ist.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden vorher gehört. Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil (§ 105 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die auf die Fortführung des ursprünglichen Klageverfahrens (S 23 U 19/15) gerichtete Klage ist zulässig. Sie führt in der Sache jedoch nicht zum Erfolg.

Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, weil der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verhalten sich der Kläger zurechnen lassen muss, das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben hat (§ 102 Abs. 2 Sätze 1 und 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 SGG), so dass die Klage mit der o. g. Rechtsfolge als zurückgenommen gilt.

Dass die Tatbestandsmerkmale "Betreibensaufforderung" sowie "Einhalten der 3-Monats-Frist" vorliegen, ergibt sich aus dem Tatbestand, auf den hier verwiesen wird. Hieraus ergibt sich auch, dass der Kläger in der Betreibensaufforderung vom 21.10.2016 auf die Rechtsfolge (Klage gilt als zurückgenommen) hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 Satz 3 SGG). Auch lässt die Ausfertigung der Betreibensaufforderung durch Wiedergabe des vollen Namens der Kammervorsitzenden (im Gegensatz zum den Namen abkürzenden Handzeichen) den Umstand erkennen, dass die Betreibensaufforderung von ihr stammt, dass diese nicht lediglich ein Entwurf war oder die Kammervorsitzende von einer Routine-Verfügung ausging.

Soweit der Klägervertreter sinngemäß geltend macht, er habe das Verfahren nicht weiter betreiben können, weil er nicht über den Verfahrensstand informiert gewesen sei, ergibt sich das Gegenteilige aus dem Tatbestand, auf den auch insoweit ebenfalls verwiesen wird.

Soweit der Klägervertreter sinngemäß geltend macht, er habe das Verfahren betrieben, so dass das erkennende Gericht nicht vom Wegfall des Rechtschutzinteresses habe ausgehen dürfen, ist dies unzutreffend:

Zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung lagen sachlich begründete Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtschutzinteresses des Klägers vor: Mit gerichtlichem Hinweisschreiben vom 07.06.2016 war – ausgehend von den rechtlichen Hinweisen zur Sache in diesem Schreiben –
1. bei dem Klägervertreter Vortrag zum maßgeblichen Gutachten des Dr. C. vom 16.06.2014 angeregt worden;
2. der Klägervertreter um Mitteilung gebeten worden, ob und wo sich der Kläger in schmerztherapeutischer Behandlung befand sowie
3. ihm Gelegenheit zur Antragstellung nach § 109 SGG gegeben worden.

Da der Klägervertreter auf dieses Schreiben in keiner Weise reagierte, erfolgte mehr als vier Monate später die Betreibensaufforderung. Deren Ausgangspunkt war nicht eine schlichte Untätigkeit des Klägervertreters. Vielmehr war von der Kammervorsitzenden durch das Schweigen auf das gerichtliche Schreiben vom 07.06.2016 zu konstatieren gewesen, dass vom Kläger die ihm mögliche Mitwirkungshandlung (Erklärung zur Behandlung durch einen Schmerztherapeuten) nicht erbracht wurde und dies, obwohl die Erforderlichkeit zur Sachverhaltsaufklärung in diese Richtung sich – wie aus dem rechtlichen Hinweis vom 07.06.2016 ersichtlich – daraus ergab, dass der Kläger zwar Schmerzen als Unfallfolge geltend machte, einen Schmerztherapeuten aber nicht benannt bzw. von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden hatte.

Ob das Unterlassen zielgerichteten Vortrags, ggf. mit Beweisantrag nach § 106 oder § 109 SGG, insbesondere vor dem Hintergrund des rechtlichen Hinweises ein weiteres Indizien für den Wegfall des Rechtschutzinteresses war, kann dahinstehen, denn jedenfalls war die unterlasse Mitwirkungshandlung ein Indiz für den Wegfall des Rechtschutzinteresses (vgl. Lutz Wehrhahn in: Breitkreuz/Fichte, § 102, Rz. 9 f.). Dieses Indiz hat sich durch das (fortgesetzte) Schweigen des Klägervertreters auf die Betreibensaufforderung hin zu dem Schluss nach Maßgabe des § 102 Abs. 2 SGG erhärtet, dass ein Rechtschutzinteresse des Klägers an der Fortführung des Klageverfahrens nicht mehr besteht, weshalb die Klage als zurückgenommen gilt.

Aufgrund des Begehrens des Klägers, das Klageverfahren fortzuführen, war gerichtlich festzustellen, dass der unter dem Aktenzeichen S 23 U 19/15 geführte Rechtsstreit durch Klagerücknahme erledigt ist.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 193 SGG.

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG.
Rechtskraft
Aus
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