S 30 SO 49/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
30
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 30 SO 49/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 263/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 24/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, im Rahmen der Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) Nebenkosten-Nachforderungen des Vermieters betreffend die von der verstorbenen Mutter der Kläger bewohnte Wohnung zu übernehmen.

Die Kläger sind die Söhne der 1920 geborenen und 2011 verstorbenen Frau C. A. Letztere hatte bis zu ihrem Tode jahrelang SGB XII-Leistungen einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung für ihre Wohnung in der C-Straße in A-Stadt in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bezogen. Auch der Kläger zu 1) steht bei der Beklagten im SGB XII-Leistungsbezug.

Mit Schreiben vom 20. April 2012, bei der Beklagten eingegangen am 22. April 2012 legten die Kläger der Beklagten die Nebenkostenabrechnung für den Abrechnungszeitraum vom 1. August 2009 bis 31. Dezember 2009 datierend vom 20. Dezember 2010 sowie die Nebenkostenabrechnung für den Abrechnungszeitraum vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2010 datierend vom 19. Dezember 2011 vor. Hierzu gaben die Kläger ausdrücklich an, die genannten Nebenkostenabrechnungen "mit einiger von der Verwaltung verschuldeter Verspätung" erst am 20. April 2012 erhalten zu haben. Die Kläger baten um schnellstmögliche Begleichung der Rechnungen wie dies das Gesetz in Deutschland verlange.

Durch Bescheide vom 23. Mai 2012 teilte die Beklagte den Klägern mit, eine Übernahme der Nachzahlung aus den Betriebskostenabrechnungen für 2009 und 2010 sei nicht möglich. Von den Klägern werde jeweils die Übernahme der Nachforderungen aus dem Mietverhältnis deren verstorbener Mutter mit der Betreibergesellschaft Stiftung D. begehrt. Hierzu sei mitzuteilen, dass es sich bei Sozialhilfeansprüchen um höchstpersönliche Ansprüche handele. Diese erlöschten mit dem Tod des Leistungsempfängers. Für einen über den Tod hinaus bestehenden Anspruch auf Sozialhilfeleistungen enthalte das SGB XII mit Ausnahme des § 19 Abs. 6 SGB XII keine Rechtsgrundlage. Die Mutter der Kläger sei am xx. xxx 2011 verstorben. Mit diesem Tag ende somit der Anspruch auf Sozialhilfe. Die von den Klägern geltend gemachten Forderungen stellten eine Nachlass-Schuld dar, für die der Erbe hafte. Ansprüche gegen den Sozialhilfeträger könnten hieraus nicht hergeleitet werden.

Dagegen legten die Kläger am 22. Juni 2012 Widerspruch ein und trugen u.a. vor, die Betriebskostenabrechnungen beträfen die Jahre 2009 sowie 2010 und folglich einen Zeitraum, in dem die Beklagte die Miete für die Wohnung der Verstorbenen übernommen habe. Sie - die Kläger - seien der Ansicht, die die Wohnung der verstorbenen Mutter betreffenden Betriebskosten für denselben Zeitraum seien nach dem Gesetz von der Beklagten zu übernehmen. Daher handele es sich nicht um eine Nachlassschuld, sondern um solche Schulden, die die Mitarbeiterinnen der Beklagten verursacht hätten.

Durch Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2013 wies der zu dem maßgeblichen Zeitpunkt als Widerspruchsbehörde im Sinne des § 99 SGB XII zuständige Main-Kinzig-Kreis den Widerspruch der Kläger zurück. In der Begründung führte die Widerspruchsbehörde u.a. aus, erhalte eine Person laufende Leistungen zum Lebensunterhalt, so gehöre die Nebenkostennachzahlung in den Monat zu den Kosten der Unterkunft, in dem sie fällig werde. Die Nebenkostenabrechnung für 2009 sei am 20. Dezember 2010 fällig geworden. Zu diesem Zeitpunkt habe die verstorbene Mutter der Klägerin noch laufende Leistungen nach dem SGB XII erhalten. Jedoch sei in dem Zeitraum von der Fälligkeit der Abrechnung (20. Dezember 2010) bis zum Tode der verstorbenen Mutter der Kläger (16. Oktober 2011) kein Antrag zur Übernahme der Nebenkostennachzahlung gestellt worden. Gemäß § 59 S. 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB II) erlöschten Geldleistungen, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig sei. Ein Verwaltungsverfahren sei erst dann anhängig, wenn ein entsprechender Antrag gestellt werde bzw. wenn die Sozialbehörde Kenntnis davon erlange. Erst mit Fax vom 20. April 2012, eingegangen am 22. April 2012, sei die Beklagte von den Klägern hinsichtlich der Nebenkostennachzahlung für das Jahr 2009 in Kenntnis gesetzt worden. Folglich sei vor dem Ableben der verstorbenen Mutter der Kläger noch kein Verwaltungsverfahren anhängig gewesen. Die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2010 sei hingegen erst am 19. Dezember 2011 und folglich nach dem Tod der Mutter der Kläger am xx. xxx 2011 fällig geworden. Daher gehörten diese Verbindlichkeiten in den Nachlass und seien von den Erben zu tragen.

Hiergegen richtet sich die am 1. März 2013 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangene Klage. Die Kläger wiederholen ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren und meinen, die Beklagte habe die Nebenkostennachforderungen für die Jahre 2009 und 2010 zu übernehmen, weil deren verstorbene Mutter für diese Zeiten seitens der Beklagten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII einschließlich ihrer Unterkunftskosten erhalten habe.

Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Bescheide vom 23. Mai 2012 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 29. Januar 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Nebenkostennachforderungen betreffend die Wohnung ihrer verstorbenen Mutter für die Jahre 2009 und 2010 Rahmen der Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrem Bescheid fest und verweist auf die in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid gegebene Begründung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist jedoch in der Sache unbegründet. Der Bescheid vom 23. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2013 ist zur Überzeugung der Kammer im Ergebnis nicht zu beanstanden. Denn weder ist die Beklagte verpflichtet, die Nebenkostennachforderungen für die Jahre 2009 und 2010 betreffend die Wohnung der verstorbenen Mutter der Kläger im Rahmen SGB XII-Leistungsverhältnisses gegenüber der Frau C. A. durch Auszahlung an die Kläger als Rechtsnachfolger zu übernehmen noch haben die Kläger insoweit einen eigenen sozialhilferechtlichen Anspruch.

Nach § 35 Absatz 1 S. 1 SGB XII werden Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Diesen Unterkunftskosten zuzurechnen sind auch sonstige, nicht laufend anfallende unterkunftsbezogene Aufwendungen. Hierunter fallen auch Nachzahlungen aus Nebenkostenabrechnungen. Derartige Nachzahlungen wandeln sich deshalb mit Ablauf des Fälligkeitsmonats nicht etwa in Mietschulden im Sinne des § 36 SGB XII. Auch muss der aufgrund einer Betriebs- oder Heizkostennachforderung des Vermieters entstandene Bedarf nicht durch gesonderten Antrag geltend gemacht werden. Denn Leistungen für die Unterkunft sind ab Antragstellung zu gewähren (vgl. Berlit LPK SGB XII § 35 Rn. 23 mit Hinweisen auf die einschlägige und gefestigte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG). Die Verpflichtung aus einer Endabrechnung der Betriebskosten entsteht allerdings erst in dem Zeitpunkt, zu dem die Zahlungsverpflichtung von dem Vermieter geltend gemacht wird. Dieser Zeitpunkt bestimmt auch, welcher Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, sofern zu diesem Zeitpunkt noch Hilfebedürftigkeit besteht (vgl. Grube/Wahrendorf SGB XII Sozialhilfekommentar 5. Auflage 2014 § 35 Rn. 42). Aus den vorstehenden Grundsätzen folgt, dass es zum einen hinsichtlich der Übernahmeverpflichtung des Sozialhilfeträgers darauf ankommt, wann im Einzelfall der Vermieter die Zahlungsverpflichtung des SGB XII-Leistungsberechtigten geltend gemacht hat und ob Letzterer zu diesem Zeitpunkt noch hilfebedürftig ist. Nur dann bedarf es eines gesonderten Antrags auf Übernahme des Nachzahlungsbetrages durch den Sozialhilfeträger nicht.

Die Nebenkosten-Nachforderung des Vermieters ist schließlich im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB XII von dem Sozialhilfeträger nur dann zu übernehmen, wenn es sich dabei um ein wirksames Zahlungsverlangen handelt. Denn hat der Vermieter des leistungsberechtigten Hilfebedürftigen gegen Letzteren gar keinen Zahlungsanspruch, so besteht andererseits auch kein sozialhilferechtlicher Bedarf, keine dementsprechende Notlage und freilich auch nicht das Erfordernis des Eintretens der Allgemeinheit im Wege der SGB XII-Hilfegewährung. Im Falle der Kläger ergibt sich bereits aus ihrem ursprünglichen Vortrag bei Antragstellung am 22. April 2012, dass hinsichtlich der Nebenkostennachforderungen für die Jahre 2009 und 2010 offenbar keine wirksame Nachforderung des Vermieters, der Betreibergesellschaft Stiftung D., vorliegt. Denn die Kläger haben seither ausdrücklich vorgetragen, die Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2009 und 2010 betreffend die Wohnung ihrer Mutter erst am 20. April 2012 erhalten zu haben. Die jährliche Abrechnung über die Vorauszahlungen für Betriebskosten ist dem Mieter jedoch gem. § 556 Abs. 3 S. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) spätestens bis zum Ablauf des 12. Monats nach dem Ende des Abrechnungszeitraums mitzuteilen. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung einer Nachforderung durch den Vermieter ausgeschlossen, es sei denn, der Vermieter hat die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten, § 556 Abs. 3 S. 3 BGB. Die Ausschlussfrist ist nur dann gewahrt, wenn die Abrechnung innerhalb der Frist zugeht, so dass die rechtzeitige Absendung der Abrechnungsunterlagen nicht genügt (vgl. z.B. für Viele Landgericht Waldshut, Urteil vom 9. Juli 2009, Az.: 1 S 19/09).

Nach dem ausdrücklichen Vortrag der Kläger, wonach ihnen die streitgegenständlichen Betriebskostenabrechnungen erst am 20. April 2012 zugegangen seien, hat der Vermieter der verstorbenen Mutter der Kläger, die vorgenannte Betreibergesellschaft, die Ausschlussfrist des § 556 Abs. 3 S. 2 BGB versäumt. Denn nach dieser Vorschrift hätte der Vermieter die Abrechnung für das Jahr 2009 bis spätestens eingehend bei den Klägern bzw. deren verstorbener Mutter zum 31. Dezember 2010 erteilen müssen, die Abrechnung für das Jahr 2010 entsprechend bis zum 31. Dezember 2011. In beiden Fällen hat der Vermieter folglich nach dem eigenen Vortrag der Kläger die Ausschlussfrist des § 556 Abs. 3 S. 3 BGB versäumt. Damit liegt in beiden Fällen keine wirksame Zahlungsverpflichtung vor, so dass am 20. April 2012 weder die Kläger verpflichtet waren, der Zahlungsaufforderung nachzukommen noch freilich die Beklagte als Sozialhilfeträger auf eine nicht wirksame Zahlungsverpflichtung SGB XII-Leistungen erbringen darf. Selbst wenn aber der seitherige Vortrag der Kläger hinsichtlich des Zugangs der Abrechnungen erst am 20. April 2012 unrichtig sein sollte, so wäre hinsichtlich der erst vom 19. Dezember 2011 datierenden Betriebskostenabrechnung ein sozialhilferechtlicher Bedarf der Mutter der Kläger gar nicht (mehr) gegeben, weil diese bereits am 16. Oktober 2011 verstorben war. Dass die vom 20. Dezember 2010 datierende Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2009 den Klägern oder deren verstorbener Mutter noch vor dem xx. xxx 2011 zugegangen war, ist nicht etwa zu Gunsten der Kläger anzunehmen. Denn diese haben seither ausdrücklich einen späteren Zugang behauptet (20. April 2012).

Den Klägern steht schließlich auch kein eigener sozialhilferechtlicher Anspruch auf Übernahme der Betriebskostennachforderung betreffend die Wohnung ihrer verstorbenen Mutter zu. Dies gilt ohnehin im Hinblick auf den Vortrag der Kläger zum Zugang der Abrechnungsunterlagen erst am 20. April 2012 (vgl. oben). Dies gilt aber auch, soweit es sich bei den Betriebskostennachforderungen um eine Nachlassverbindlichkeit handelt. Denn sofern diese zwischenzeitlich bereits beglichen ist, besteht schon deshalb kein sozialhilferechtlicher Bedarf. Sollte die Forderung des Vermieters noch offen sein, so sind die Kläger vorrangig verpflichtet, gegenüber dem Vermieter den Ablauf der Ausschlussfristen geltend zu machen. Sollte der Vermieter die Ausschlussfristen nicht versäumt haben und die Betriebskostennachforderungen den Klägern oder deren Mutter entgegen ihrem Vortrag rechtzeitig zugegangen sein, so liegen Nachlassverbindlichkeiten vor, bei denen es sich um Schulden im Sinne des § 36 Abs. 1 SGB XII handelt. Nach S. 1 dieser Vorschrift können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Hierzu haben weder die Kläger konkrete Angaben vorgetragen noch ergibt sich aus dem Akteninhalt im Übrigen, dass die Übernahme der Betriebskostennachforderungen erforderlich ist, um die Unterkunft der Kläger zu sichern.

Die Klage war daher in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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