S 7 R 1857/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Stuttgart (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 1857/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Verwaltungsräte einer monistisch organisierten SE mit Sitz in Deutschland, die nicht gleichzeitig geschäftsführende Direktoren sind, können sich ebenfalls auf § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III berufen und sind damit versicherungsfrei in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.
Der Bescheid vom 28.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2016 wird abgeändert und festgestellt, dass die Klägerin in ihrer Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied bei der Beigeladenen zu 1) vom 17.09.2014 bis zum 31.12.2015 sowie ab dem 01.04.2018 auch nicht der gesetzlichen Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin hat die Beklagte dem Grunde nach in voller Höhe zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Feststellung der Sozialversicherungspflicht ihrer Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied bei der Beigeladenen zu 1) vom 17.09.2014 bis zum 31.12.2015 sowie ab dem 01.04.2018 im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens.

Am 15.10.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung, dass ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nicht vorliege. Sie gab dazu an, dass sie Verwaltungsratsmitglied der Beigeladenen zu 1) sei. Bei dieser handelt es sich um eine frühere deutsche Aktiengesellschaft (E. AG), die mit Wirkung zum 17.09.2014 in eine Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) umgewandelt wurde. Die Beigeladene zu 1) wählte bei dieser Umwandlung ein sogenanntes monistisches Leitungssystem. Bei diesem ist das Leitungsorgan der SE der Verwaltungsrat. Vertreten wird die SE durch die geschäftsführenden Direktoren. Der Verwaltungsrat der Beigeladenen zu 1) besteht aus den bisherigen vier Vorständen sowie aus vier ehemaligen Aufsichtsratsmitgliedern der E. AG. Bis zum 16.09.2014 war die Klägerin als Vorstand der E. AG von der Sozialversicherungspflicht ausgenommen. Die Mitglieder des Verwaltungsrats erhalten, soweit sie – wie die Klägerin – nicht geschäftsführende Direktoren sind, eine monatliche Vergütung in Höhe von 5.000,00 Euro, das heißt 60.000,00 Euro pro Kalenderjahr. Darüber hinaus erhalten sie für jede persönliche Teilnahme an einer Sitzung des Verwaltungsrats ein Sitzungsgeld in Höhe von 2.000,00 Euro. Sitzungen des Verwaltungsrats müssen mindestens alle drei Monate stattfinden, sodass mindestens vier Sitzungen des Verwaltungsrats im Kalenderjahr stattfinden müssen.

Mit Bescheid vom 28.05.2015 stellte die Beklagte nach Anhörung sowohl der Klägerin als auch der Beigeladenen zu 1) fest, dass die Tätigkeit der Klägerin bei der Beigeladenen zu 1) seit dem 17.09.2014 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In dem Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung, nicht hingegen in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung. Als Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis führte die Beklagte an: Der Verwaltungsrat leite mit seinen Mitgliedern die Geschäfte, bestimme die Grundlinien der Tätigkeit und überwache deren Einhaltung. Er habe das Letztentscheidungsrecht und übernehme die Letztverantwortung für die Unternehmenspolitik (damit keine reine Überwachungsverantwortung). Die Tätigkeit werde tatsächlich leitend ausgeübt. Diese Leitungsverantwortung könne nicht auf die geschäftsführenden Direktoren übertragen werden. In der ausgeübten Tätigkeit unterlägen die Verwaltungsratsmitglieder den Vorschriften der Gesetze, der Satzung und der Geschäftsordnung. Die Klägerin könne jederzeit durch die Hauptversammlung abberufen werden. In der Tätigkeit bestehe mangels Rechtsmacht der Klägerin kein maßgeblicher, bestimmender Einfluss auf die Geschicke der Beigeladenen. Es werde eine feste, erfolgsunabhängige Vergütung gezahlt. Merkmale für eine selbstständige Tätigkeit lägen nicht vor.

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, den sie insbesondere damit begründete, dass sie als Mitglied des Verwaltungsrates ihre gesetzlichen Aufgaben in persönlicher Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit wahrnehme. Insbesondere existiere kein – wie auch immer geartetes – Weisungsrecht der SE-Aktionäre. Das Argument, dass in der Tätigkeit mangels Rechtsmacht kein maßgeblicher, bestimmender Einfluss auf die Geschicke der Beigeladenen bestehe, stimme zum einen nicht und stehe zum anderen in Widerspruch zum ebenfalls von der Beklagten für eine angebliche Abhängigkeit herangezogenen Argument, dass der Verwaltungsrat mit seinen Mitgliedern die Geschäfte leite und die Grundlinien der Tätigkeit bestimme sowie deren Einhaltung überwache. Alle Merkmale der Verwaltungsratstätigkeit würden für eine selbstständige Tätigkeit sprechen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Das Widerspruchsvorbringen enthalte keine neuen, für die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status relevanten Sachverhalte. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen würden die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen.

Am 30.03.2016 hat die Klägerin zum Sozialgericht Stuttgart Klage erhoben. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass sie als Verwaltungsrätin weder allgemein noch nach den konkreten Umständen ihrer Tätigkeit abhängig beschäftigt sei.

Ab dem 01.01.2016 nahm sie eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit in der Schweiz auf, worüber sie die A1-Bescheinigung der Ausgleichskasse Schwyz vorgelegt hat. Diese Tätigkeit beendete sie zum 31.03.2018 und ist seit dem 01.04.2018 wieder in Deutschland allein als Verwaltungsrätin bei der Beigeladenen zu 1) tätig.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 28.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2016 abzuändern und festzustellen, dass sie in ihrer Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied bei der Beigeladenen zu 1) vom 17.09.2014 bis zum 31.12.2015 sowie ab dem 01.04.2018 auch nicht der gesetzlichen Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass ihre Entscheidung rechtmäßig sei und verweist zur Begründung auf ihre Ausführungen in Bescheid und Widerspruchsbescheid. Mit einer Begrenzung des streitgegenständlichen Zeitraums vom 17.09.2014 bis zum 31.12.2015 und ab dem 01.04.2018 hat sie sich einverstanden erklärt, weil für die Zeit ab dem 01.01.2016 deutsches Recht nach § 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) keine Anwendung finde, sondern erst wieder ab dem 01.04.2018.

Mit Beschluss vom 02.05.2016 hat das Gericht die Beigeladene zu 1), mit Beschluss vom 21.12.2017 die Beigeladene zu 2) und mit Beschluss vom 13.03.2018 die Beigeladene zu 3) zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladenen

stellen keine Anträge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und gemäß § 99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig begrenzte Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 28.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung festgestellt wird. Die Klägerin ist vom 17.09.2014 bis zum 31.12.2015 sowie ab dem 01.04.2018 in der streitgegenständlichen Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied der Beigeladenen zu 1) nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungspflichtig.

Nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung der nach § 7a Abs. 1 S. 3 SGB IV zuständigen Beklagten beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt. Diese entscheidet aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände, ob eine Beschäftigung vorliegt (§ 7a Abs. 2 SGB IV).

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung der Versicherungs- bzw. Beitragspflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung [SGB V], § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung [SGB XI], § 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung [SGB VI], § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung [SGB III]). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 14.03.2018 – B 12 KR 3/17 R, juris, Rn. 12 m.w.N.) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit: BVerfG, Beschluss vom 20.05.1996 – 1 BvR 21/96, juris). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (BSG, Urteil vom 24.01.2007 – B 12 KR 31/06 R, juris, Rn. 16).

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 24.01.2007 – B 12 KR 31/06 R, juris, Rn. 17 m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe spricht viel dafür, die streitgegenständliche Tätigkeit der Klägerin bei der Beigeladenen zu 1) als selbstständige einzustufen. Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil die Klägerin in jedem Fall als Verwaltungsratsmitglied wie ein Mitglied des Vorstandes einer Aktiengesellschaft (AG) von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung ausgenommen ist. Denn die für die Mitglieder des Vorstandes geltenden Ausnahmebestimmungen des § 1 S. 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III sind auf die Verwaltungsratsmitglieder einer SE entsprechend anzuwenden.

Wesentliches Merkmal gegen das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung als Verwaltungsrat ist der Mangel an Weisungsgebundenheit. Gemäß § 22 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 08.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) (SE-Ausführungsgesetz – SEAG) leitet der Verwaltungsrat die Gesellschaft, bestimmt die Grundlinien ihrer Tätigkeit und überwacht deren Umsetzung. Der Verwaltungsrat vereinigt damit auf sich die Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat einer deutschen AG (vgl. Middendorf/Fahrig, BB 2011, 54, 56). Bereits § 39 SEAG i.V.m. § 93 Aktiengesetz (AktG) normiert die Verantwortlichkeit eines Verwaltungsratsmitglieds und die von ihm bei der Ausübung seiner Organtätigkeit zu beachtende Sorgfaltspflicht anhand des eigenverantwortlichen Haftungsmaßstabs des AG-Vorstandsmitglieds. Aufgrund der Gesamtverantwortung der Verwaltungsratsmitglieder für die Leitung der SE und damit auch der unternehmerischen Letztverantwortung für die Unternehmenspolitik ist eine Weisungsgebundenheit nicht erkennbar (vgl. Hinrichs/Plitt, DB 2011, 1692, 1694).

Gegen eine Weisungsgebundenheit spricht auch, dass der Verwaltungsrat das Direktionsrecht gegenüber den geschäftsführenden Direktoren ausübt. Insofern bestimmt § 13 Nr. 2 der Satzung der Beigeladenen zu 1), dass die geschäftsführenden Direktoren die Weisungen des Verwaltungsrats zu beachten und auszuführen haben. Zudem ist nach § 14 Nr. 1 der Satzung zur Ausführung bestimmter Geschäfte und Maßnahmen durch die geschäftsführenden Direktoren die vorherige Zustimmung durch den Verwaltungsrat erforderlich.

Demgegenüber ist ein Indiz für eine abhängige Beschäftigung, dass die Hauptversammlung die Mitglieder des Verwaltungsrates, die ohne Bindung an einen Wahlvorschlag gewählt worden sind, gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 SEAG vor Ablauf ihrer Amtszeit abberufen kann. Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass eine Abberufung grundsätzlich möglich sein muss. Dies ist bereits bei Notfällen erforderlich wie z.B. einer schweren Erkrankung eines Organwalters, die diesen am Rücktritt hindert (vgl. Forst, NZS 2012, 801, 805).

Darüber hinaus werden das vertraglich gewährleistete Entgelt und das mangelnde unternehmerische Risiko vielfach als Merkmale einer abhängigen Tätigkeit genannt (z.B. Vor, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 1 SGB VI, Rn. 103; Middendorf/Fahrig, BB 2011, 54, 56).

Ob die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied tatsächlich eine selbstständige Tätigkeit ausübt, kann nach Auffassung der Kammer allerdings letztlich dahinstehen. Denn die Klägerin ist in ihrer Beschäftigung für die Beigeladene zu 1) in jedem Fall wegen der Berufung zum Verwaltungsratsmitglied wie ein Mitglied des Vorstandes einer AG von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung ausgenommen. Die für die Mitglieder des Vorstandes geltenden Ausnahmebestimmungen des § 1 S. 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III sind auf die Verwaltungsratsmitglieder einer SE entsprechend anzuwenden (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.11.2018 – L 2 BA 1487/18 und SG Stuttgart, Urteil vom 23.07.2018 – S 5 R 4999/16 sowie SG Stuttgart, Urteil vom 23.01.2018 – S 17 R 4965/15, alle in juris).

Nach § 1 S. 3 SGB VI sind Mitglieder des Vorstandes einer AG in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Zudem bestimmt § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III, dass Personen in einer Beschäftigung als Mitglieder des Vorstandes einer AG für das Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, versicherungsfrei sind.

Unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien hat das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung eine entsprechende Anwendung dieser Ausnahmetatbestände auf Vorstandsmitglieder anderer juristischer Personen abgelehnt. Es hat dabei auf die für die Ordnung von Massenerscheinungen anerkannte Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers verwiesen und dargelegt, dass § 1 S. 3 SGB VI bzw. § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III allein an das formale Merkmal der Zugehörigkeit zum Vorstand einer AG anknüpfe bzw. die Ausnahme von der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung allein von der Rechtsform der Gesellschaft abhängig mache, der die Vorstandsmitglieder vorständen. Bei der Anknüpfung an die Rechtsform der AG sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass diese bei typisierender Betrachtung zu den "großen" Gesellschaften gehöre und ihre Vorstandsmitglieder unter den für sie gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage seien, sich außerhalb der Sozialversicherung gegen die Risiken des Arbeitslebens selbst zu schützen. Eine Möglichkeit zur entsprechenden Anwendung der typisierenden Regelung hat das Bundessozialgericht in der Vergangenheit allein bei Vorstandsmitgliedern "großer" Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG) gesehen. So hat es den rentenversicherungsrechtlichen Ausnahmetatbestand über seinen Wortlaut hinaus auf diese Personengruppe analog angewandt, weil Vorschriften des deutschen Aktiengesetzes über eine Verweisung im deutschen Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) für den Vorstand eines VVaG entsprechend gelten und dessen Mitglieder Vorstandsmitgliedern einer AG deshalb rechtlich gleichgestellt sind (vgl. im Einzelnen BSG, Urteil vom 27.02.2008 – B 12 KR 23/06 R, juris; BSG, Urteil vom 06.10.2010 – B 12 KR 20/09 R, juris, Rn. 20).

In Anwendung von § 1 S. 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III sowie der hierzu von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten Grundsätze gehört die Klägerin zu dem von diesen Vorschriften erfassten Personenkreis. Sie sind als Ausnahmevorschriften auf die Klägerin als Mitglied des Verwaltungsrates einer SE zwar nicht unmittelbar anwendbar. Allerdings sind sie entsprechend anzuwenden, weil Verwaltungsratsmitglieder den Vorstandsmitgliedern einer deutschen AG rechtlich, das heißt durch eine Verweisung auf Vorschriften des deutschen Aktiengesetzes, gleichgestellt sind. Das Bundessozialgericht hat hinsichtlich der Anwendbarkeit der Ausnahmevorschriften auf "große" VVaG ausgeführt, dass die Vorschriften des Aktiengesetzes (§ 76 Abs. 1 und 3 sowie die §§ 77 bis 91, 93 und 94 AktG) über die Verweisungsnorm des § 34 VAG auch für die Vorstände eines VVaG gelten und daher eine Vergleichbarkeit gegeben sei (BSG, Urteil vom 27.03.1980 – 12 RAr 1/79, juris, Rn. 22 f.).

Diese Vergleichbarkeit ist auch für die SE anzunehmen. Insofern ist zwar in § 20 SEAG festgelegt, dass anstelle der §§ 76 bis 116 AktG die nachfolgenden Vorschriften des SEAG gelten, wenn eine SE in ihrer Satzung das monistische System mit einem Verwaltungsorgan (Verwaltungsrat) wählt. Allerdings verweist das SEAG auch in den folgenden Normen wiederkehrend auf die Vorschriften des AktG. So gelten z.B. nach § 22 Abs. 6 SEAG Rechtsvorschriften, die außerhalb dieses Gesetzes dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer AG Rechte oder Pflichten zuweisen, sinngemäß für den Verwaltungsrat, soweit nicht in diesem Gesetz für den Verwaltungsrat und für die geschäftsführenden Direktoren besondere Regelungen enthalten sind. Darüber hinaus verweist § 39 SEAG für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Verwaltungsratsmitglieder auf § 93 AktG und damit auf die für den Vorstand einer herkömmlichen AG maßgebliche Vorschrift, sodass über die genannten Verweisungsnormen die Mitglieder des Verwaltungsrates einer monistisch organisierten SE den Mitgliedern eines Vorstandes weitgehend gleichgestellt werden (so auch Vor, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 1 SGB VI, Rn. 103). Für eine entsprechende Anwendung der genannten Ausnahmevorschriften spricht auch, dass die Verwaltungsratsmitglieder einer SE aufgrund ihrer starken wirtschaftlichen Stellung den Schutz der Rentenversicherung nicht bedürfen (vgl. Middendorf/Fahrig, BB 2011, 54, 57). Die Tätigkeit der Verwaltungsratsmitglieder einer monistischen SE ist somit derart der Tätigkeit von Vorstandsmitgliedern einer AG angenähert, dass eine Anwendung der Ausnahmevorschriften des § 1 S. 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III geboten ist.

Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, dass beschäftigte Organmitglieder einer monistisch strukturierten SE wegen der strukturellen Besonderheiten nicht mit den Vorstandsmitgliedern einer AG vergleichbar seien und lediglich für die Mitglieder des Leitungsorgans einer dualistisch strukturierten SE die maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen und innerstaatlichen Vorschriften eine gesetzliche Äquivalenzregel beinhalten würden, die eine tatbestandliche Gleichstellung mit den Mitgliedern des Vorstands einer deutschen AG rechtfertigen würden (vgl. Besprechung des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 13./14.10.2009), vermag dieser Standpunkt bereits nach den vorstehenden Ausführungen nicht zu überzeugen. Zudem erscheint zweifelhaft, ob die Sozialversicherungsträger bei ihrer Besprechung im Oktober 2009 den richtigen Anknüpfungspunkt gewählt haben. Insofern haben sie beispielsweise auf Bl. 5 der Niederschrift zur Besprechung ausgeführt, dass die Rechtsstellung des Vorstandes einer deutschen AG deutlich stärker sei als die der geschäftsführenden Direktoren einer SE. Maßstab für die Prüfung einer tatbestandlichen Gleichstellung ist jedoch die Organstellung und Kompetenz des Verwaltungsrates und nicht die der geschäftsführenden Direktoren.

Selbstverständlich ist das monistische Leitungssystem einer SE aufgrund der strukturellen Besonderheiten nicht mit einer deutschen AG identisch. Allerdings ist es ausdrücklich in Art. 38 b) SE VO vorgesehen, dass die SE je nach der in der Satzung gewählten Form entweder über ein Aufsichtsorgan und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder ein Verwaltungsorgan (monistisches System) verfügt, womit nach der Konzeption der SE VO das monistische und das dualistische System einer SE gleichwertig sind (vgl. Forst, NZS 2012, 801, 803). Nach Art. 9 Abs. 1 c) ii) i.V.m. Art. 10 SE VO sind die für die Vorstände der AG geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden (so auch Grimm, DB 2012, 175, 178). Art. 9 Abs. 1 c) ii) SE VO bestimmt, dass die SE in Bezug auf die nicht durch diese Verordnung geregelten Bereiche oder, sofern ein Bereich nur teilweise geregelt ist, in Bezug auf die nicht von dieser Verordnung erfassten Aspekte den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten unterliegt, die auf eine nach dem Recht des Sitzstaates der SE gegründete AG Anwendung finden würden. Ausdrücklich normiert Art. 10 SE VO, dass die SE vorbehaltlich der Bestimmungen dieser Verordnung in jedem Mitgliedstaat wie eine AG behandelt wird, die nach dem Recht des Sitzstaates gegründet wurde.

Der Vorschrift ist somit ein Gleichbehandlungsgebot zugunsten der SE zu entnehmen (vgl. Forst, NZS 2012, 801, 802). Demzufolge sind die deutsche AG und die SE unabhängig von dem gewählten Leitungssystem gleich zu behandeln. Der Zweck dieser Regelung besteht darin, eine nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigte Ungleichbehandlung der SE gegenüber mitgliedstaatlichen Rechtsformen zu verhindern, weil dies den Erfolg der SE gefährden würde (vgl. Forst, NZS 2012, 801, 802). Eine Abweichung von dem statuierten Gleichbehandlungsgebot erlaubt Art. 10 SE VO nach seinem ausdrücklichen Wortlaut deshalb auch nur für den Fall, dass die SE VO selbst eine abweichende Regelung vorsieht ("Vorbehaltlich der Bestimmungenen dieser Verordnung [ ]").

Ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung ist im konkreten Fall nicht erkennbar. Die Sozialversicherungspflicht der Verwaltungsratsmitglieder der AG ist weder in der SE VO, noch im SEAG geregelt. Infolgedessen ist die SE wie eine deutsche AG zu behandeln, womit die Ausnahmevorschriften des § 1 S. 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III auch auf eine monistische SE entsprechend anzuwenden sind. Damit sind die Organwalter einer monistischen SE – mithin die Verwaltungsratsmitglieder – zu behandeln wie die Organwalter – das heißt Vorstandsmitglieder – einer deutschen AG, womit eine Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung gemäß § 1 S. 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III ausscheidet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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