S 15 AS 4/17

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Meiningen (FST)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Meiningen (FST)
Aktenzeichen
S 15 AS 4/17
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 1562/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom 20. Juni 2016 - L 9 AS 318/16 B -) fest, dass es sich nicht um eine Klage im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG handelt, wenn sich der Leistungsberechtigte gegen eine Meldeaufforderung nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III wendet (aA BSG, Beschluss vom 18. Februar 2019 - B 14 AS 117/18 B -).
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 29. November 2017 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Meldeaufforderung des Beklagten.

Sie bezieht laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten. Unter dem 9. November 2016 richtete der Beklagte eine Meldeaufforderung an die Klägerin; sie habe sich am 29. November 2016, um 10.30 Uhr, bei dem Beklagten einzufinden. Als Grund gab der Beklagte an: "Wir möchten mit Ihnen über Ihre Selbstständigkeit sprechen ( ) Bitte bringen Sie noch zusätzlich folgende Unterlagen zu diesem Termin mit: Beschreibung der Geschäftstätigkeit im letzten Quartal sowie die Beschreibung der geplanten Geschäftstätigkeit für das kommende Quartal (was unternommen wurde/wird um die Einnahmen aus der Selbstständigkeit zu steigern z. B. Akquise, Aufträge, Marketing)." Ferner enthielt die Meldeaufforderung den Hinweis: "Sollten Sie am Tage der Einladung arbeitsunfähig erkrankt sein, so wirkt diese Einladung auf den ersten Tag nach der Arbeitsunfähigkeit fort ( ). Sie werden somit aufgefordert nach Ende der Arbeitsunfähigkeit ohne erneute Einladung persönlich im Kommunalen Jobcenter vorzusprechen. Sollten Sie zum Termin arbeitsunfähig und nicht in der Lage sein, kurzzeitig das Haus zu verlassen, um den bloßen Verrichtungen des Alltages nachzugehen und somit auch nicht in der Lage sein, einen Termin im Kommunalen Jobcenter wahrzunehmen, bitte ich um schriftliche Bestätigung Ihres behandelnden Arztes (Wegeunfähigkeitsbescheinigung). Diese Bestätigung werde ich selbstverständlich als wichtigen Grund für den nicht eingehaltenen Termin anerkennen."

Hiergegen erhob die Klägerin am 25. November 2016 Widerspruch. Die Einladung entspreche nicht dem Gesetz. Es dürfe nur bestimmt werden, dass die Meldeaufforderung auf den ersten Tag der Arbeitsfähigkeit fortwirke. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei ausreichend.

Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2016 als unbegründet zurück. Arbeitsunfähigkeit sei nicht gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen. Es liege im Ermessen des Leistungsträgers, ob er besondere Anforderungen an den Nachweis eines wichtigen Grundes für die Absage eines Meldetermins stelle.

Die Klägerin erschien zum Meldetermin. Ihr wurde von einer Mitarbeiterin des Beklagten eine Eingliederungsvereinbarung zur Unterschrift vorgelegt, was die Klägerin jedoch verweigerte. In der Folge wurde die – nicht zustande gekommene – Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt ersetzt. Ein Meldeversäumnis wurde durch den Beklagten nicht festgestellt.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 29. November 2017 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die von der Klägerin erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage unzulässig sei. Es fehle das erforderliche Feststellungsinteresse; im Einzelnen mangele es an einer Wiederholungsgefahr. Die bloße "Gefahr", der Beklagte werde die Klägerin erneut zu einem Beratungstermin einladen, genüge nicht. Es sei der gesetzliche Auftrag des Beklagten, die Klägerin zu beraten und zu fördern. Hinsichtlich des Nachweises eines wichtigen Grundes mittels einer Wegeunfähigkeitsbescheinigung fehle es bereits an einer Entscheidung des Beklagten, deren Wiederholung die Klägerin verhindern könnte. Darüber hinaus sei die Meldeaufforderung auch nicht rechtswidrig gewesen. Ihr liege ein zulässiger Meldezweck zugrunde. Die damit verbundenen Belehrungen hinsichtlich der Nachweispflicht seien rechtlich zulässig gewesen.

Gegen das am 07. Dezember 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin zunächst Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die mit Senatsbeschluss vom 16. Januar 2019 verworfen wurde. Zuvor hat die Klägerin Berufung eingelegt, die am 05. Dezember 2018 beim Landessozialgericht eingegangen ist. Der Beklagte habe sie lediglich zur Unterzeichnung eines (Eingliederungs-)Verwaltungsaktes eingeladen. Die Meldeaufforderung sei daher nicht erforderlich gewesen – der Beklagte hätte den Verwaltungsakt auch postalisch bekannt geben können. Zudem habe der Beklagte keine Befugnis gehabt, die Vorlage einer Wegeunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 29. November 2017 aufzuheben sowie festzustellen, dass die Meldeaufforderung vom 9. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2016 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. Der Klägerin mangele es am Rechtsschutzbedürfnis. Sie habe die Möglichkeit – im Falle einer Absenkung der Leistungen nach § 32 SGB II – die Rechtmäßigkeit der Meldeaufforderung inzident überprüfen zu lassen. Vorliegend seien jedoch keinerlei leistungsrechtliche Konsequenzen im Hinblick auf die Meldeaufforderung eingetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Ferner lagen die Gerichtsakten vor, waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der geheimen Beratung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (I.), jedoch unbegründet (II.).

I.

Die Berufung ist zulässig. 1. Die Berufung ist insbesondere nach § 143 SGG statthaft. Danach findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften des Unterabschnitts nichts anderes ergibt. Letzteres ist hier nicht der Fall; insbesondere ist kein Fall gegeben, in dem es der Zulassung der Berufung bedürfte (§ 144 SGG).

Der Senat hält an seiner im Beschluss vom 20. Juni 2016 (L 9 AS 318/16 B) geäußerten Rechtsansicht fest, dass es sich nicht um eine Klage bezüglich einer Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder eines darauf gerichteten Verwaltungsakts im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG handelt, wenn sich der Leistungsberechtigte gegen eine Meldeaufforderung nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) wendet. Der Senat weicht damit von der Rechtsprechung des BSG ab, weil er sie nicht für überzeugend hält, wie gerade im vorliegenden Fall deutlich wird. Das BSG bemisst den Wert des Beschwerdegegenstandes beim Rechtsschutz gegen eine Meldeaufforderung nach der Höhe einer Leistungsminderung bei einem Meldeversäumnis (vgl. BSG, Beschluss vom 18. Februar 2019 - B 14 AS 117/18 B - Rdnr. 4, juris) und begründet dies mit der Eigenschaft der Meldeaufforderung als ein Verwaltungsakt, der die nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III bestehende Meldeobliegenheit der Leistungsberechtigten konkretisiert. Werde sie angefochten, stelle sie sich prozessual als ein auf eine Geldleistung gerichteter Verwaltungsakt im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG dar, weil ihre Nichtbefolgung grundsätzlich zur Leistungsminderung führe und sie im Hinblick auf den Berufungswert nicht unabhängig von dieser rechtlichen Wirkung betrachtet werden könne. Dass diese apodiktische Begründung nicht befriedigen kann, zeigt der vorliegende Rechtsstreit, in dem keine Leistungsminderung verfügt wurde (so dass schon die praktische Schwierigkeit besteht, die Höhe des in Rede stehenden Betrags zu bestimmen). Wollte man § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG allein in derartigen Fällen für nicht anwendbar halten, so bestünde ein weitergehender Rechtsschutz als bei Leistungsminderungen, die die in der genannten Vorschrift enthaltene Wertgrenze nicht erreichen. Dies wäre aus Sicht des Senats nicht sachgerecht. Die Meldeaufforderung begründet eine Obliegenheit, die die subjektiven Rechte des Betroffenen in nicht unerheblichem Ausmaß beeinträchtigt. Die Klägerin hat der Meldeaufforderung Folge geleistet, gleichwohl sieht sie den Bescheid als rechtswidrig an und begehrt eine gerichtliche Überprüfung. Im Sinne einer einheitlichen Handhabung von § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG hält der Senat die Vorschrift weiterhin generell nicht für anwendbar, wenn sich ein Betroffener gegen eine Meldeaufforderung wendet (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Mai 2018 - L 10 AS 817/18 NZB -, juris).

2. Die Berufung wurde durch die Klägerin auch form- und insbesondere fristgerecht erhoben (§ 151 SGG). Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (§ 151 Abs. 1 SGG). Das Urteil des Sozialgerichts vom 29. November 2017 wurde der Klägerin am 07. Dezember 2017 zugestellt. Als Rechtsmittelbelehrung benennt das Urteil die Nichtzulassungsbeschwerde, nicht die Berufung. Die Rechtsmittelbelehrung des Urteils ist daher fehlerhaft, weil statthaftes Rechtsmittel die Berufung ist (vgl. oben Ziff. 1). Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist (§ 66 Abs. 1 SGG). Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei (§ 66 Abs. 2 Satz 1 SGG). Diese Jahresfrist lief damit vom 08. Dezember 2017 und endete am Freitag, den 07. Dezember 2018. Die Berufung der Klägerin ist am 05. Dezember 2018, mithin innerhalb der Frist eingegangen (nachdem die Klägerin zunächst Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hatte).

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Bei der Meldeaufforderung des Beklagten handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X (BSG, Beschluss vom 19. Dezember 2011 – B 14 AS 146/11 B –, Rn. 6, Juris; Meyerhoff in: jurisPK-SGB II, 3. Aufl. 2012, § 59, Rn. 29 m.w.N.). Diese hat sich mit dem Ablauf des Meldetermins erledigt (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R –, BSGE 119, 17-33, SozR 4-4200 § 31a Nr 1, Rn. 30). Damit ist die von der Klägerin erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG hier die richtige Klageart. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr bestehen.

Hieran fehlt es vorliegend. Die Klägerin verfügt nicht über ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Meldeaufforderung. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2007 – B 7b AS 40/06 R -). Vorliegend ist eine solche konkrete Wiederholungsgefahr nach Auffassung des Senats nicht gegeben.

Nicht ausreichend ist es, dass die Klägerin weiterhin Leistungen nach SGB II bei dem Beklagten bezieht und damit grundsätzlich der Meldepflicht nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III unterliegt. In den Blick zu nehmen sind vielmehr die konkreten Umstände sowie Gründe für die Einladung durch den Beklagten. Vorliegend verfolgte die Einladung den Zweck, mit der Klägerin über deren geplante Geschäftstätigkeit für das kommende Quartal - d.h. das I. Quartal 2017 - sowie über die Steigerung ihrer Einnahmen aus ihrer selbstständigen Tätigkeit zu sprechen. Die Klägerin erschien zu dem Meldetermin und ein Mitarbeiter des Beklagten sprach mit ihr über ihre Geschäftstätigkeit. Hinsichtlich dieses konkreten Meldeanlasses besteht daher keine Wiederholungsgefahr. Zudem liegt die letzte Einladung des Beklagten (7. Dezember 2018) bereits mehr als ein dreiviertel Jahr zurück. Aus diesen Gründen erscheint eine weitere Einladung unter unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen als unwahrscheinlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Der Senat weicht zwar im Hinblick auf § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von der Rechtsprechung des BSG ab, nach der die Berufung wohl unzulässig wäre. Wegen der Erfolglosigkeit der Berufung fehlt es jedoch an der Entscheidungserheblichkeit der Divergenz.
Rechtskraft
Aus
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