S 31 SB 165/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
31
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 31 SB 165/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Grundsatz des sofortigen Anerkenntnisses nach § 93 ZPO ist nach § 202 SGG auch in sozialgerichtlichen Verfahren nach § 183 SGG anwendbar. Es handelt sich um einen allgemeinen prozessrechtlichen Grundsatz (Weiterführung von SG Wiesbaden, Beschluss vom 27.08.2018, Az.: S 31 SB 194/16; entgegen Landessozialgericht Darmstadt, Beschluss vom 07.02.2003, Az: L 12 B 93/02 RJ)
Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

Der zulässige Antrag auf Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers durch den Beklagten ist zulässig und begründet.

Gemäß § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht, wenn das Verfahren anders als durch Urteil endet, auf Antrag durch Beschluss über die Kosten zu entscheiden. Die Entscheidung über die Verpflichtung der Kostentragung erfolgt nach billigem Ermessen. Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG enthält bei einer Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage zugleich eine Entscheidung über die Kosten des Vorverfahrens nach § 63 SGB X (vgl. LSG München, Beschluss vom 31.01.2013, Az.: L 7 AS 883/13 B PKH).

Grundsätzlich hat das Gericht zur Ausfüllung des Begriffs des "billigen Ermessens" im konkreten Einzelfall den gesamten bisherigen Sach- und Streitstand zu bewerten. Dabei kommt im Wesentlichen den Bewertungskriterien der Erfolgsaussicht der Klage sowie des sog. "Veranlassungsprinzips" Bedeutung zu (Leitherer in Meyer-Ladewig, § 193 Rn. 12a f.).

Es ist ferner zu berücksichtigen, dass grundsätzlich keine Kosten seitens einer Behörde zu erstatten sind, sofern die Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen erst nach Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung eingetreten sind und die Behörde der neuen Sachlage umgehend durch ein Anerkenntnis oder ein Vergleichsangebot Rechnung trägt. Dies gilt ausdrücklich auch, wenn bei der Maßgeblichkeit eines medizinischen Sachverhalts der Kläger auf Grund einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes quasi in den begehrten Anspruch hineinwächst, denn in einem solchen Fall war ein gerichtliches Verfahren nicht veranlasst und der Betroffene hätte den Anspruch vorrangig durch ein kostenfreies behördliches Neufeststellungsverfahren geltend machen können. Aus der umgehenden Reaktion des Prozessgegners wird vielmehr deutlich, dass es eines gerichtlichen Verfahrens nicht bedurft hätte (vgl. Gutzler in Roos/Wahrendorf, 1. Auflage 2014, § 193 Rn. 32).

Hinsichtlich des umgehenden Anerkenntnisses kann dabei auf die zivilprozessuale Vorschriften der §§ 91 - 107 ZPO zurückgegriffen werden. Diese gelten grundsätzlich nicht unmittelbar, wobei die sozialgerichtliche Rechtsprechung verschiedene Grundsätze der Zivilprozessordnung zur Bestimmung des billigen Ermessens heranzieht (Leitherer in Meyer-Ladewig, Vor § 183 Rn. 14f.). Hinsichtlich der Anwendung des Rechtsgedanken des § 93 ZPO ist streitig, ob eine Anwendung bei sofortigen Anerkenntnis in Betracht kommt (vgl. Roos, SGb 1995, S. 333 - 335; Roos, Anmerkung zu LSG NRW, Beschluss vom 21.03.1996, Az.: L 18 SJ 7/95, in SGb 1996, S. 674 - 675; a. A. Knickrehm, SGb 1996, S. 650 - 653); das erkennende Gericht vertritt insoweit die Auffassung, dass die Grundsätze jedenfalls entsprechend anwendbar sind (somit entgegen Hessischen Landessozialgericht, Beschluss vom 07.02.2003, Az: L 12 B 93/02 RJ; ebenfalls den Gedanken des § 93 ZPO für anwendbar haltend: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. März 1996, Az.: L 18 SJ 7/95).

In Ergänzung des Beschlusses des erkennende Gerichts vom 27.08.2018, Az.: S 31 SB 194/16 – veröffentlicht in juris, weist der Unterzeichner darauf hin, dass die Regelung des § 93 ZPO auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren anwendbar ist. Es existiert zudem mit § 156 VwGO, welche bei kostenpflichtigen Verfahren nach § 197 SGG im Sozialgerichtsverfahren entsprechend anwendbar ist, auch eine Regelung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Zudem ist die Regelung des § 93 ZPO auch im finanzgerichtlichen Verfahren anwendbar (s. BFH, Urteil vom 29. November 2017, Az.: X K 1/16 – juris – Rn. 57). Vor diesem Hintergrund handelt es sich um einen allgemeinen prozessrechtlichen Grundsatz, sodass die seitens des Landessozialgerichts Darmstadt sowie der herrschenden Meinung verneinte Anwendung des § 93 ZPO über die Verweisnorm in § 202 SGG nicht nachvollzogen werden kann.

Ein sofortiges Anerkenntnis seitens des Beklagten ist vorliegend nicht erfolgt, da seitens des Gerichts eine Erinnerung an die erbetene Stellungnahme erfolgen musste. Das Gericht ist insofern der Auffassung, dass bei medizinischen Sachverhalten ein sofortiges Anerkenntnis nur vorliegt, sofern dieses innerhalb von maximal sechs Wochen nach Übersendung des neuen ärztlichen Befundberichts abgegeben wird. Das erkennende Gericht bezieht sich dabei auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30.05.2006, Az.: VI ZB 64/05. In dieser Entscheidung hat das oberste Zivilgericht zum sofortigen Anerkenntnis ausgeführt, dass ein solches sogar dann vorliegt, wenn es erst innerhalb der Klageerwiderungsfrist abgegeben wird. Es müsse gerade nicht innerhalb der Frist zur Verteidigungsanzeige abgegeben werden. Das erkennende Gericht liest aus der Entscheidung zudem heraus, dass sogar dann ein sofortiges Anerkenntnis vorliegen soll, wenn die im Zivilverfahren verklagte Partei die Frist zur Klageerwiderung verlängern lässt und innerhalb der verlängerten Klageerwiderungsfrist ein Anerkenntnis abgibt (vgl. BGH, Urteil vom 30.05.2006, Az.: VI ZB 64/05 – juris – Rn. 22, 24; vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 23. November 2000 – L 10 B 10/00 SB). Die zivilprozessualen Grundsätze sind im sozialgerichtlichen Verfahren zwar nicht unmittelbar, jedoch entsprechend anwendbar.

Zudem hätte der Beklagte insoweit die bei dem Kläger vorliegende psychische Störung im Widerspruchsverfahren nicht nur mit einem Einzel-GdB von 10 beurteilen dürfen. Vielmehr hätte von vorneherein ein Einzel-GdB von 20 der Beurteilung zu Grunde liegen müssen. Insofern kann es für die Bewertung einer psychischen Störung (hier Anpassungsstörung und Erschöpfungsdepression) nicht ausschlaggebend sein, ob erst im Widerspruchsverfahren eine Therapie eingeleitet wurde. Entscheidend ist nämlich vielmehr der seitens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie geschilderten tatsächlichen Eindruck des Klägers. Ausweislich des ärztlichen Befundberichts vom 11.04.2017 wirkte nach dem erhobenen Befund der Gesichtsausdruck des Klägers gedrückt. Die affektive Resonanz war im Kontakt eingeschränkt, der Patient jedoch im Gespräch erreichbar. Die Stimmung war gedrückt, welches sich auch durch leise, wenig modulierte Art des Sprechens zeigte. Der Kläger beklagte zudem Perioden von Überforderung, starker Erschöpfbarkeit und Erholungsunfähigkeit. Der Psychiater stellte einen erheblichen Leidensdruck fest, welcher auf Wunsch des Klägers medikamentös behandelt wurde. Es wurde zudem ein weiterer Termin vereinbart. Ausweislich des im Klageverfahren eingeholten Befundberichts vom 29.08.2017 stellte der Psychiater keinen wesentlichen Befundwandel fest, sodass der von dem Beklagten festgestellte Eintritt einer wesentlichen Änderung im Klageverfahren auch inhaltlich nicht nachvollzogen werden kann. Eine Erhöhung des Einzel-GdBs für den Diabetes mellitus war bei drei durchschnittlichen Insulininjektionen am Tag nicht vorzunehmen, da nach Teil B. Ziffer 15.1 grundsätzlich vier durchschnittliche Insulininjektion am Tag vorausgesetzt werden.

Vor diesem Hintergrund hatte der Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens sowohl aus dem Gesichtspunkt der Erfolg der Klage als auch aus dem Gesichtspunkt der Veranlassung zu tragen.

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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