S 19 U 52/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 19 U 52/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 173/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Bescheides, der die Zuständigkeit der Beklagten begründet.

Die Klägerin meldete sich telefonisch am 7.7.2009 bei der Beklagten mit einer "Personenbetreuung" ab dem 1.5.2004 an. Ab 1.7.2008 beschäftigte sie 2 Arbeitnehmer. Die Betreuung erfolge für alte Menschen, auch Waschen der Personen und Verabreichung von Medikamenten unter ärztlicher Anordnung. Am 7.7.2009 erließ die Beklagte mehrere Bescheide. Unter anderem stellte sie mit Bescheid vom 7.7.2009 ihre Zuständigkeit für das Unternehmen der Klägerin fest und erklärte, die Arbeitnehmer der Klägerin seien kraft Gesetzes bei ihr unfallversichert. Gegen sämtliche Bescheide legte die Klägerin am 17.7.2009 Widerspruch ein. In bezug auf die Zuständigkeit der Beklagten wurde dem Widerspruch nicht abgeholfen. Im Rahmen ihres Widerspruchs vom 9.9.2009 gegen andere, nicht streitgegenständliche Bescheide führte die Klägerin aus, ihre Tätigkeit umfasse alles, um den Haushalt der Betreuten in Ordnung zu halten. Ihre Auftraggeber, für die sie arbeite, seien die vom Gericht bestellten Betreuer. Sie habe keinerlei Vorkenntnisse oder Ausbildung in einem Pflegeberuf, weshalb die Betreuer eigenständige Pflegeeinrichtungen beauftragten, die die Gesundheitsfürsorge wie allgemeine persönliche Pflege ihrer Kunden erledigten. Die pflegerischen Tätigkeiten seien für sie selbst ausgeschlossen. Ihre Tätigkeiten umfassen beispielsweise: Briefkasten leeren, Blumen gießen, Lüftung und Heizung sowie gegebenenfalls Rollläden bedienen, Müllentsorgung, Treppenhauskehrdienst, Einkäufe, Grabpflege, Fensterputzen, Gardinen waschen, Begleitung zum Arzt, Holen und Bringen von Rezepten sowie Bekleidung zur Reinigung bringen und holen. Auch die von ihr seit dem 1.7.2008 als Aushilfskraft beschäftigte Vertretung verrichte ausschließlich die genannten Tätigkeiten, keine Tätigkeiten der Gesundheitsfürsorge. Überdies seien ihre Auftraggeber nicht die älteren Menschen, sondern Rechtsanwälte, die Betreuer der jeweiligen Personen sind und die Klägerin zu ihrer eigenen Unterstützung beauftragen. Schon die Haupttätigkeit des Rechtsanwalts als freier Beruf sei der Zuständigkeit Verwaltungsberufsgenossenschaft zuzuordnen; deshalb sei es die Tätigkeit der Klägerin als Hilfsperson des Rechtsanwalts ebenfalls.

Im Widerspruchsbescheid vom 1.9.2010 hielt die Beklagte an ihrer Zuständigkeit fest. Diese ergebe sich aus den §§ 121,122 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Satzung der Beklagten. Unternehmen im Gesundheits- und Veterinärwesen fallen in die Zuständigkeit der Beklagten. Die Klägerin übe eine Tätigkeit aus dem Bereich der Wohlfahrtspflege aus. Wohlfahrtspflege sei die planmäßige, zum Allgemeinwohl ausgeübte, unmittelbare Hilfe für gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdete Menschen. Sie müsse über Ziele bloßer Selbsthilfeorganisationen hinausgehen. Dazu gehören auch Maßnahmen der Altenhilfe oder die Pflege Kranker. Umfasst seien nicht nur rein pflegerische Tätigkeiten. Die Tätigkeit der Klägerin richte sich auf den dahinter stehenden Zweck der Wohlfahrtspflege, weil sie für die Beklagte typische Zielgruppe ihre Tätigkeit erbringe. Neben der hauswirtschaftlichen Hilfe umfasse das Angebot der Klägerin auch weitergehende Hilfen betreuender Art, wie beispielsweise das Verschaffen frischer Luft, die Begleitung zu Gräbern von Angehörigen oder Geburtstagsbesuchen. Es handele sich nicht um reine Hausmeistertätigkeiten, sondern um solche, welche für Angehörige der für die Wohlfahrtspflege typischen Zielgruppe verrichtet werden. Die Klägerin gehöre mit Aufnahme ihrer Tätigkeit zum 1.5.2004 automatisch der Beklagten an. Hier gegen hat die Klägerin am 17.9.2010 Klage erhoben.

Sie ist der Ansicht, die Beklagte sei nicht zuständig.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 7.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1.9.2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei zuständige Berufsgenossenschaft für die Klägerin.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie ist der Ansicht, den Unterlagen könne man eine eindeutige Tätigkeit der Klägerin nicht entnehmen.

Das Gericht hat durch Beschluss vom 12.4.2012 den vorliegenden Streitgegenstand über die Zuständigkeit der Beklagten abgetrennt. Das Gericht hat ferner durch Beschluss vom 24.4.2012 die Beigeladene beigeladen. Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte und die Gerichtsakten, die der Kammer bei der Entscheidung vorlagen, inhaltlich verwiesen und Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 7.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.9.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat nach Auffassung der Kammer zutreffend ihre Zuständigkeit für die Klägerin festgestellt. Streitgegenstand ist nach der Trennung der Verfahren allein der Bescheid vom 7.7.2009 (Zuständigkeit) in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 1.9.2010

Nach § 136 Abs. 1 S. 1 SGB VII stellt der Unfallversicherungsträger Beginn und Ende seiner Zuständigkeit für ein Unternehmen durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer fest. Die Klägerin ist selbstständig in der Wohlfahrtspflege tätig. Für solche Unternehmen ist die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger, § 122 Abs. 2 SGB VII i. V. m. Abschn. A Abs I Buchst. a der Verordnung über Träger der Unfallversicherung vom 17.5.1929 (RGBl I, 104); Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 2, Rn. 92). Die Klägerin ist nach ihren Erstangaben im Verwaltungsverfahren als Personenbetreuung für alte Menschen tätig, indem sie diese betreut, auch wäscht und Medikamente unter ärztlicher Aufsicht verabreicht. Sie versorge aber auch deren Haushalte und begleite die Menschen zum Arzt oder zu anderen Veranstaltungen. Durch diese Tätigkeit wird ein Unternehmen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung begründet. § 121 Abs. 1 S. 1 SGB VII definiert den Begriff des Unternehmens im unfallversicherungsrechtlichen Sinne als Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen und Tätigkeiten. Unter einem Unternehmen ist nicht nur ein Betrieb im herkömmlichen wirtschaftlichen Sinne zu verstehen (BSG vom 31.1.2012, B 2 U 3/11 R), sondern jede Tätigkeit geeignet, ein Unternehmen zu begründen (vgl. BSG vom 18.1.2011, B 2 U 16/10 R). Die Klägerin ist Unternehmerin, die nicht abhängig beschäftigt, sondern selbstständig tätig ist. Das Ergebnis dieses Unternehmens gereicht ihr unmittelbar zum Vor- oder Nachteil (§ 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII).

Das Unternehmen der Klägerin ist der Wohlfahrtspflege zuzuordnen. Der Begriff der "Wohlfahrtspflege" ist im SGB VII nicht definiert. Unter Wohlfahrtspflege wird eine planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs ausgeübte unmittelbare vorbeugende oder abhelfende Hilfeleistung für gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdete oder notleidende Menschen verstanden (BSG vom 31.1.2012, B 2 U 3/11 R, Rn. 18; vom 26.6.1985, 2 RU 79/84, Rn. 13; vom 25.10.1957, 2 RU 122/54, Rn. 19). Jedoch ist diese eher enge Definition in § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII weiter zu verstehen (Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 2, Rn. 87). Unter Wohlfahrtspflege seien allgemein Leistungen für gesundheitlich oder wirtschaftlich notleidende oder gefährdete Mitmenschen einschließlich der Verwaltungsarbeit zu verstehen (BSG vom 30.11.1962, 2 RU 260/58, Rn. 19, 21; Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 2, Rn. 87). Die organisatorische Ausgestaltung der Tätigkeit ist dabei unerheblich; allein der Zweck ist entscheidend (BSG vom 26.6.1985, 2 RU 79/84, Rn. 14). Zur inhaltlichen Umschreibung des Begriffs Wohlfahrtspflege kann auf die Aufgaben nach dem SGB XII wie die Altenhilfe nach § 71 SGB Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) zurückgegriffen werden (Riebel in Hauck, SGB VII, K § 2, Rn. 125; vgl. BSG vom 26.6.1985, 2 RU 79/84, Rn. 16). § 71 Abs. 1 SGB XII lautet: Alten Menschen soll außer den Leistungen nach den übrigen Bestimmungen dieses Buches Altenhilfe gewährt werden. Die Altenhilfe soll dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen. Nach § 71 Abs. 2 SGB XII kommen als Leistungen der Altenhilfe insbesondere in Betracht:
1. Leistungen zu einer Betätigung und zum gesellschaftlichen Engagement, wenn sie vom alten Menschen gewünscht wird,
2. Leistungen bei der Beschaffung und zur Erhaltung einer Wohnung, die den Bedürfnissen des alten Menschen entspricht,
3. Beratung und Unterstützung in allen Fragen der Aufnahme in eine Einrichtung, die der Betreuung alter Menschen dient, insbesondere bei der Beschaffung eines geeigneten Heimplatzes,
4. Beratung und Unterstützung in allen Fragen der Inanspruchnahme altersgerechter Dienste,
5. Leistungen zum Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung, der Bildung oder den kulturellen Bedürfnissen alter Menschen dienen,
6. Leistungen, die alten Menschen die Verbindung mit nahe stehenden Personen ermöglichen.

Genau diese Tätigkeiten übt die Klägerin nach ihren eigenen Angaben aus. Sie hat zum einen bereits bei ihrer Anmeldung am 7.7.2009 mitgeteilt, alte Menschen zu betreuen, indem sie sie auch wäscht und Medikamente verabreicht. Selbst wenn man unterstellte, dass diese Erstangaben nicht zutreffen und sie keinerlei pflegerische Tätigkeit ausübt, so hat sie in ihrem Widerspruch vom 10.7.2009 geschildert, einer selbstständigen Personenbetreuung nachzukommen. Sie übe keinen Pflegeberuf aus. Die Ausübung rein pflegerischer Tätigkeiten ist jedoch für das Merkmal der Wohlfahrtspflege nicht erforderlich, sondern fällt in den Bereich des Gesundheitswesens. In ihrem weiteren Widerspruch vom 9.9.2009 teilte sie erneut mit, die zunächst irritierende Bezeichnung "Personenbetreuung" korrigieren zu wollen. Deshalb "erläutere sie ihre tatsächliche Tätigkeit im Detail": Ihre Tätigkeit umfasse alles, um den Haushalt der Betreuten in Ordnung zu halten. Sie übe keine pflegerische Tätigkeit aus. Zu ihren Tätigkeiten gehören Briefkästen leeren, Blumen gießen, Lüftung und Heizung sowie Rollläden bedienen. Ferner entsorge sie Müll, erledige den Kehrdienst im Treppenhaus sowie Einkäufe und putze Fenster. Darüber hinaus pflege sie Gräber, wasche Gardinen, begleite die Personen zum Arzt, hole und bringe Rezepte und erledige die Wege zur Reinigung. In ihrem Schreiben vom 11.3.2010 ergänzt sie ihre Tätigkeitsbeschreibung dadurch, dass sie die Betreuten auch an die frische Luft, zu Geburtstags- oder Kaffeebesuchen begleite. Ferner würden Gräber der Angehörigen gemeinsam besucht oder einer alten Dame der Genuss eines Weines ermöglicht. Ferner stelle sie Kerzen auf einem Friedhof auf, besorge Bargeld für die Kunden und organisiere Spaziergänge oder einen Restaurantbesuch. Insofern führe sie Tätigkeiten aus, die für die Mandanten der sie beauftragenden Anwaltskanzlei erforderlich seien, und die von den Anwälten und Betreuern selbst nicht ausgeübt werden können. Diese Tätigkeitsbeschreibung bestätigte sie in der mündlichen Verhandlung erneut. All diese Tätigkeiten dienen aber genau dazu, eine Person, die gesundheitlich notleidend ist, zu unterstützen und ihr gegenüber Leistungen unterschiedlichster Art zu erbringen. Das BSG wollte den Begriff der Wohlfahrtspflege weit und allumfassend ziehen; eine Unterstützung der zu betreuenden Menschen kann durch Pflege, Hilfen zur Fortbewegung, Vermittlung angemessener Bildung, Anregungen kultureller oder sonstiger Art erfolgen (vgl. Hessisches LSG vom 15.4.1986, L 3 U 968/82, Rn. 36). Insofern ist die Tätigkeit der Klägerin nach diesem weiten Verständnis des Begriffs der Wohlfahrtspflege, dem sich die Kammer anschließt, im Bereich der Wohlfahrtspflege tätig.

Nach Auffassung der Kammer dient es ferner als Indiz, dass auch Berufsbetreuer nach neuerer Auffassung in der Wohlfahrtspflege tätig sind (vgl. Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., § 2, Rn. 88 m. w. N.). Zwar führt die Klägerin zutreffend aus, selbst keine Berufsbetreuerin zu sein. Gleichwohl kann jedoch auch dieser Einschätzung durch die Rechtsprechung entnommen werden, dass die Ausübung pflegerischer und medizinischer Tätigkeiten an der Person nicht erforderlich ist, um den eine Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege anzunehmen. Die unmittelbare Betreuung am Körper ist nur eine Form der Ausübung der Wohlfahrtspflege neben anderen (Bieresborn, juris-PK, § 2, Rn. 143; BSG vom 25.10.1957, 2 RU 122/54, Rn. 20; Landessozialgericht Berlin vom 12.9.2002, L 3 U 20/01, Rn. 20). Eine Betreuung eines Bedürftigen im Bereich der Wohlfahrtspflege erfordere keine Betreuung an der Person im Sinne von an dessen Körper. Es genügt, dass eine persönliche Anhörung und Beratung des zu betreuenden stattfindet (BSG vom 26.9.1961, 2 RU 31/60, Rn. 14). Das BSG hat nur ausdrücklich die Personen aus dem Bereich der Wohlfahrtspflege ausgenommen, die reine Verwaltungstätigkeit ausüben (vgl. BSG vom 25.10.2019 57, 2 RU 122/54). Dort sei der Hauptzweck auf eine Verwaltungstätigkeit gerichtet, der Bereich der Wohlfahrtspflege sei nicht primär berührt. Anders liegt es nach Auffassung der Kammer aber hier. Die Haupttätigkeit der Klägerin liegt nach ihren einen eigenen Angaben nicht in einem Verwaltungsbereich, sondern sie unterstützt durch ihre vielseitige Tätigkeiten, die sie selbst beschrieben hat, alte bzw. gesundheitlich notleidende Menschen und erbringt für diese Leistungen unterschiedlichster Art.

Dass die Tätigkeit der Klägerin des Erwerbes wegen ausgeübt wird, führt zu keiner anderen Beurteilung. Für den Versicherungstatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 9 2. Alt. SGB VII ist es unerheblich, ob die Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege gegen Entgelt oder ehrenamtlich verrichtet wird (vgl. BSG vom 26.1.1988, 2 RU 23/87, Rn. 15). Danach ist auch die selbstständig in der Wohlfahrtspflege tätige Person versichert. Eine selbstständige Tätigkeit ist aber gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie des Erwerbes wegen und mit einer Gewinnerzielungsabsicht verrichtet wird (vgl. BSG vom 31.1.2012, B 2 U 3/11 R, Rn. 24).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved