S 19 U 57/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 19 U 57/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 186/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung des Ereignisses vom 26.1.2009 als Arbeitsunfall und eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 % wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls.

Der Kläger ist 1958 geboren. Er arbeitet als kaufmännischer Angestellter bei der C-Bank in B-Stadt. Am 26.1.2009 ist er nach der Schilderung in H-Arztbericht vom 27.1.2009 gegen 18:00 Uhr auf dem Heimweg beim Aussteigen aus dem Pkw mit dem rechten Fuß hängen geblieben, gestürzt und mit dem linken Fuß in eine Vertiefung getreten. Die Erstdiagnose lautete Achillessehnenruptur links. Der Kläger wurde sodann am 27.1.2009 stationär in der orthopädischen Klinik Braunfels bis 5.2.2009 aufgenommen. Dort wurde am 28.1.2009 die Achillessehnenruptur operativ versorgt. In dem pathologisch-anatomischen Bericht vom 30.1.2009 wurde das eingeschickte Gewebe als aufgefasertes, 1 cm langes und bis 0,4 cm durchmessendes, weißliches Gewebe beschrieben. Es seien nur wenige einsprossende resorbtive Entzündungszellen, kein Siderinpigment und keine Fettinseln erkennbar. Es handele sich um eine frische, in eben beginnender Resorption stehende Ruptur der Achillessehne links. Dieser Befund passe zu einem frischen Trauma. Ausweislich der Unfallanzeige vom 29.1.2009 sei der Kläger beim Aussteigen aus dem Pkw auf eisglatter Fahrbahn ausgerutscht und gestürzt. In dem Fragebogen der Beklagten teilte der Kläger zum Unfallhergang mit, er sei aus dem Pkw beim Aussteigen mit dem Fuß hängen geblieben und gestürzt durch Wegrutschen des linken Fußes auf glatter und unebener Straße. Ausweislich der Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. D. vom 13.7.2009 sei keine rentenberechtigende MdE verblieben. Der weitere Beratungsarzt Dr. E. teilte am 6.10.2009 wörtlich mit, der geschilderte Ablauf (Wegrutschen auf glattem Boden) sei "nicht geeignet nach der Literatur". Mit Bescheid vom 15.1.2010 teilte die Beklagte mit, Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 26.1.2009 bestünden nicht. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 29.1.2010 Widerspruch ein. Im Widerspruchsbescheid vom 15.4.2010 half die Beklagte nicht ab. Hiergegen hat der Kläger am 27.4.2010 Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben. Mit Beschluss vom 14.5.2010 wurde der Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Wiesbaden verwiesen.

Der Kläger behauptet in der Klagebegründung, er sei beim Aussteigen aus dem Auto mit dem rechten Fuß hängen geblieben, auf dem vereisten Boden ausgerutscht und dadurch mit dem linken Fuß in eine Bodenvertiefung getreten, die sich unmittelbar neben dem Ausstieg befand. Dabei habe er mit dem linken Fuß durch das Ausrutschen keine Kontrolle mehr über seinen Bewegungsablauf gehabt. Unter Vorlage eines unfallchirurgischen Fachgutachtens des Dr. F. vom 9.8.2010 sei zweifelsfrei von einer unfallbedingten Achillessehnenruptur auszugehen. Nach Erstellung des gerichtlichen Gutachtens des Dr. G. behauptete der Kläger, er sei nach vorne gefallen. Gegenüber dem Sachverständigen Dr. H. behauptete der Kläger, er sei beim Aussteigen aus dem Pkw mit dem linken Fuß auf Schnee aufgetreten, der nach starken Schneefällen am Straßenrand reichlich vorhandenen gewesen und oberflächlich verharscht und vereist gewesen sei. Er habe sein Körpergewicht auf das linke Bein verlagern und dieses strecken können. Dann sei er mit dem rechten Fuß an der Schwelle der Autotür hängen geblieben, wobei gleichzeitig der Schnee unter der Ferse des linken Fußes weggebrochen sei und die Last des Körpergewichts sich vom Rückfuß auf den Vorfuß verlagert habe. Dadurch sei es zu einer schlagartigen Fußhebung gekommen, wobei er das Gleichgewicht verloren habe und gestürzt sei. Der Kläger ist ferner der Ansicht, ihm stehe wenigstens eine Stützrente zu.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.4.2010 zu verurteilen, das Ereignis vom 26.1.2009 als Arbeitsunfall anzuerkennen und wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. zu gewähren,

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist unter Verweis einer weiteren beratenden Stellungnahme des Dr. E. vom 17.9.2010 der Auffassung, dass der von dem Kläger geschilderte Bewegungsablauf nicht geeignet sei, die Achillessehne zum Reißen zu bringen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Unfallchirurgen Dr. G. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf dessen Gutachten vom 22.2.2011 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 10.5.2011 verwiesen. Das Gericht hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Dr. H. Auch hier wird auf das Gutachten vom 17.1.2012 verwiesen. Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte, die der Kammer bei der Entscheidung vorlagen, inhaltlich verwiesen und Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 15.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.4.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Folglich ist er durch die Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Zur Überzeugung der Kammer ist die Achillessehnenruptur nicht rechtlich wesentlich ursächlich auf den Unfall vom 26.1.2009 zurückzuführen. Deshalb hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Anerkennung der Achillessehnenruptur links als Folge eines Arbeitsunfalls. Es besteht zur Überzeugung der Kammer kein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 26.1.2009 und der festgestellten sowie operativ versorgten Achilessehnenruptur. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen, § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII. Für einen Arbeitsunfall ist danach grundsätzlich erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher oder innerer Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, BSG, Urteil vom 27.04.2010, B 2 U 11/09 R). Als Voraussetzung für die Feststellung von Unfallfolgen und die Bewilligung von Leistungen müssen die versicherte Tätigkeit, der Unfall und die Gesundheitsschädigung im Sinn des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (ebda.). Der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem Gesundheitsschaden bzw. der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entschädigungspflicht ist nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen; dafür reicht grundsätzlich die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - aus (BSG, Urteil vom 02.04.2009, B 2 U 29/07 R). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände die für das Vorliegen des Kausalzusammenhangs sprechenden Gründe deutlich überwiegen (Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 3. Aufl., Rn. 21). Hierbei trägt der Versicherte, also die Klägerseite, die objektive Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. deren etwaige Nichterweislichkeit geht zu ihren Lasten (vgl. BSG, Urteil vom 5.2.2008, B 2 U 10/07 R). Nach diesen Grundsätzen ist die Achillessehnenruptur nicht rechtlich wesentlich auf das Ereignis vom 26.1.2009 zurückzuführen, so dass im Ergebnis kein Arbeitsunfall vorliegt.

Nach den vorliegenden ärztlichen Befunden und insbesondere den Darlegungen in dem durch das Gericht eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. G. ist zur Überzeugung der Kammer die Achillessehnenruptur links nicht rechtlich wesentlich ursächlich auf den Unfall vom 26.1.2009 zurückzuführen. Dr. G. wurde bei der Erstellung seines Gutachtens gebeten, zu der Zusammenhangsfrage Stellung zu nehmen. In der Untersuchungssituation gab der Kläger ausweislich des Gutachtens als Unfallhergang an, er habe aus dem Auto aussteigen wollen. Dabei sei er mit dem linken Fuß auf Eisglätte und unebenem Boden weggerutscht. Gleichzeitig sei er mit dem rechten Fuß am Auto hängen geblieben und nach hinten gestürzt. Dabei sei er in eine tiefe Position mit maximaler Beugung des linken Kniegelenks gelangt. Im Bereich der Kniegelenke ergab sich bei der klinischen Untersuchung beidseits eine freie Beweglichkeit. Ferner zeigte sich ein leichter Druckschmerz am Ansatz der Beugungsmuskulatur in der linken Kniekehle. Beidseits zeigten sich Kapselbandinstabilität längs ohne Hinweis auf eine Meniskusverletzung und ohne Nachweis eines intraartikulären Ergusses. Es zeigte sich ein leichter Druckschmerz 2 cm proximal des Ansatzes der Achillessehnen. Ferner ließ sich eine leichte Verdickung der linken Achillessehne nachweisen. Anhand des geschilderten biomechanischen Ablaufs des Unfallereignisses ist nach Darstellung des Sachverständigen nicht von einer fußsohlenwärtigen Belastung im oberen Sprunggelenk bei gleichzeitiger Streckung des Kniegelenks als typischem Unfallmechanismus auszugehen. Im Gegenteil, durch die Einnahme einer maximalen Beugungsposition am linken Kniegelenk erfolgte eine Entlastung der Wadenmuskulatur mit der Achillessehne. Deshalb sei der geschilderte biomechanische Ablauf des Unfallereignisses als Argument gegen den Kausalzusammenhang zu werten. Die Achillessehnenruptur wäre auch ohne das Unfallereignis vom 26.1.2009 bei jeder anderen, nicht zu vermeidenden Gelegenheit zum Ausbruch gekommen. Unabhängig von der Kausalitätsfrage lasse sich ferner im vorliegenden Fall feststellen, daß sich am betroffenen linken Sprunggelenk keine Funktionsbeeinträchtigung nachweisen lasse, so dass die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit jedenfalls nicht mindestens 10 % erfülle.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10.5.2011 erläuterte der Sachverständige, den biomechanischen Ablauf des Unfallereignisses in Anwesenheit des Klägers diktiert zu haben, welches von diesem auch so bestätigt worden sei. Insofern bestätigt der gerichtlich beauftragte Sachverständige bereits die ärztlichen Einschätzungen aus der Verwaltungsakte.

Die Einschätzung des Sachverständigen findet ihre Bestätigung auch in der Literatur. Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 398, ist die Achillessehne die stärkste Sehne des menschlichen Körpers. Grundlage des Traumas sei eine plötzliche Verlängerung der Muskel-Sehnen-Einheit mit gleichzeitiger Kontraktion des Muskels. Die Ursache der Sehnenruptur beim Gesunden sei ein Versagen des neuromuskulären Regler- und Sicherheitssystems. Dieses werde überwunden durch hohe Belastungsspitzen bestimmter Muskel und Sehnen bei zunächst physiologischem Bewegungsablauf durch äußere Störfaktoren (Boden, Hindernisse, Kälte, Nässe), innere Störfaktoren (Entwicklung, Fehlinnervation) und/oder durch Ausfall der Reflexsicherung, die zur Innervation sämtlicher Muskelfasern gleichzeitig führe, obwohl die von außen einwirkenden Kräfte nicht überwunden werden können (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 401). Schieben, Entgegenstemmen, Heben und Tragen, Sprung aus der Hocke, Tritt in die Wade des Standbeins oder auf eine Bordsteinkante seien willkürlich gesteuerte Belastungen der Sehnen und stellten folglich einen Gelegenheitsanlaß dar (ebda.).

Dem steht zur Überzeugung der Kammer das weitere Gutachten des Dr. H. nach § 109 SGG nicht entgegen. Dieser wurde zu allen drei Varianten des geschilderten Unfallhergangs befragt. Auch nach seiner Auffassung ist es bei dem in der Verwaltungsakte und gegenüber dem Gutachter Dr. G. geschilderten Unfallablauf aufgrund der funktionell-physiologischen Zusammenhänge nicht wahrscheinlich, dass die Zugkraft hinreichend plötzlich als schlagartiger maximaler Kraftimpuls auf die Achillessehne eingewirkt hat, um eine Ruptur zu provozieren. Nach der ihm gegenüber geschilderten Version des Unfallhergangs ergebe sich aber im Ablauf eine ungewöhnliche, plötzliche und unerwartete Belastung mit einem für die Achillessehnenruptur adäquaten schlagartig einwirkenden Kraftimpuls. Deshalb sei ein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich. Hinsichtlich der MdE schätzt der Sachverständige diese vom Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit bis zum Gutachtenzeitpunkt am 22.2.2011 auf 10 %, nachfolgend auf unter 10 % ein. Nach Auffassung der Kammer kann diese neue Version jedoch im Hinblick auf den erheblichen Zeitablauf und der bis dahin immer anders dargestellten Unfallschilderung für die rechtliche Bewertung nicht zu Grunde gelegt werden.

Da bereits kein Arbeitsunfall vorliegt, musste das Gericht nicht über die Höhe einer etwaigen MdE und die entsprechende Rentenleistung entscheiden. Im übrigen ist jedoch selbst nach den übereinstimmend festgestellten verbliebenen Funktionseinschränkungen keine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit feststellbar, selbst wenn man die erlittene Achillessehnenruptur als ursächlich im Rechtssinne annehmen wollte. Allein deshalb scheidet nach Auffassung der Kammer auch die Gewährung einer Stützrente aus, da diese wenigstens das Vorliegen zweier Versicherungsfälle mit einer MdE von jeweils 10 % erfordert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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