S 8 R 174/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 8 R 174/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Merkmal der "einkommensbezogenen Pflichtbeiträge" im Sinne des § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI.
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2017 verurteilt, den Kläger für die Zeit vom 01.10.2004 bis 31.03.2014 für seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. von der Rentenversicherungspflicht zu befreien.

2. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch darüber, ob der Kläger gemäß § 231 Abs. 4b S. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) auch für die Zeit vom 01.10.2004 bis zum 01.04.2014 als Syndikusrechtsanwalt für seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. von der Rentenversicherungspflicht zu befreien ist.

Der Kläger war zunächst als Rechtsanwalt zugelassen. Mit Bescheid vom 29.09.2003 wurde er von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt von der Rentenversicherungspflicht befreit (Bl. 26a Betriebsprüfungsakte, im Folgenden "BfA-Bescheid"). Zum 01.10.2014 wurde er bei der Beigeladenen zu 1. als deren Geschäftsführer tätig. In der Annahme, dass er weiterhin von der Versicherungspflicht befreit war, zahlte der Kläger weiter Beiträge an die Beigeladene zu 2. 2011 führte die Beklagte bei der Beigeladenen zu 1. eine Betriebsprüfung nach § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) betreffend den Zeitraum 2008 – 2011 durch. Mit Bescheid vom 26.10.2012 (Bl. 30 Betriebsprüfungsakte) stellte die Beklagte in diesem Zusammenhang u.a. fest, dass der Kläger der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliegt. Der Kläger veranlasste sodann als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1., dass ab dem 01.01.2008 Beiträge zur Rentenversicherung für seine Tätigkeit an die Beklagte abgeführt wurden. Er selbst zahlte an die Beigeladene zu 2. den einkommensbezogenen Pflichtbeitrag, der nach deren Satzung mindestens 1/10 des Regelpflichtbeitrages betrug (vgl. Bestätigung d. Beigeladenen zu 2, Bl. 125 d. A.). Der auf die Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 1. ergangene Bescheid ist Gegenstand einer bei der Kammer unter dem Aktenzeichen S 8 R 12/15 geführten Klage.

Im Laufe des dortigen Verfahrens beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihn erneut von der Rentenversicherungspflicht zu befreien. Diese lehnte sein Begehren mit Bescheid vom 06.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2015 ab. Sie begründete dies mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG v. 03.04.2014, B 5 RE 3/14 R und die hierzu ergangenen Parallelentscheidungen), demnach bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber angestellte Rechtsanwälte nicht von der Rentenversicherung befreit werden können. Die Bescheide wurden gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens. Mit Beschluss v. 27.11.2015 wurde die Entscheidung über den Befreiungsantrag des Klägers von dem übrigen Verfahren abgetrennt.

Das Verfahren über die Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht wurde sodann unter dem Aktenzeichen S 8 R 414/15 geführt. Zwischenzeitlich trat zum 01.01.2016 das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte in Kraft. Daraufhin wurde auch dieses Verfahren zu ruhen gebracht, da zunächst die Entscheidung über die nach neuem Recht zu stellenden Anträge abgewartet werden sollte.

Diese Entscheidung ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Der Kläger wurde am 02.08.2016 als Syndikusrechtsanwalt zugelassen (Bl. 191 Verwaltungsakte [VA]). Am 29.03.2016 stellte der Kläger sowohl einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 SGB VI als auch einen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI (Bl. 156 f. VA). In diesem Zusammenhang legte er eine Bescheinigung der Beigeladenen zu 2. vor. Dort (Bl. 171 VA) wird bestätigt, dass der Kläger seit dem 07.07.2003 durchgehend Pflichtmitglied kraft Gesetzes gewesen ist. Weiter wird bestätigt, dass für die zu befreienden Beschäftigungen bis zum 31.12.2007 einkommensbezogene Pflichtbeiträge analog §§ 157 ff. SGB VI gezahlt wurden.

Mit Bescheid vom (unleserlich, wahrscheinlich 16.01.2017 [Bl. 211 VA]) befreite die Beklagte den Kläger rückwirkend von der Rentenversicherungspflicht für den Zeitraum 01.04.2014 – 02.08.2016. Den Antrag auf rückwirkende Befreiung für den Zeitraum 01.10.2004 – 31.03.2014 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16.01.2017 (Bl. 210 VA) ab. Zur Begründung gab sie an, dass für die Befreiung folgende Voraussetzungen erfüllt sein müssten:

• Antragstellung bis zum 01.04.2016,

• Vorliegen einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 S. 1. Nr. 1 SGB VI unter Berücksichtigung der BRAO in der ab 01.01.2016 geltenden Fassung,

• Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischem Versorgungswerk während der zu befreienden Beschäftigung,

• keine vor dem 04.04.2014 ergangene Ablehnung der Befreiung für die zu befreiende Beschäftigung, die bestandskräftig geworden ist.

• Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk für Beschäftigungszeiten bis 31.03.2014.

An der letztgenannten Voraussetzung habe es gefehlt.

Der Kläger legte gegen diese Entscheidung der Beklagten mit Schreiben vom 23.01.2017 (Bl. 223 VA) aus den Gründen seines Klageantrags Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.05.2017 zurückwies (Bl. 227 VA).

Mit der vorliegenden, am 08.06.2017 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung macht er geltend, dass die Voraussetzungen des § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI in seinem Fall allesamt erfüllt seien; dies gelte auch für die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk für Beschäftigungszeiten bis 31.03.2014. Der von ihm gezahlte Mindestbeitrag sei als einkommensbezogener Pflichtbeitrag im Sinne der Vorschrift anzusehen. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss v 22.07.2016, 1 BvR 2534/14 sowie die hierzu ergangenen Parallelentscheidungen).

Der Kläger beantragt,
wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die von ihr erlassenen Bescheide. Die vom Kläger an die Beigeladene zu 2. gezahlten Mindestbeiträge seien keine einkommensbezogenen Beiträge im Sinne des § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinen Entscheidungen keine bindende, materiell-rechtlich wirksame Regelung getroffen, sondern ausdrücklich betont, dass die Anwendung des einfachen Rechts den Fachgerichten vorbehalten bleibe. Auch knüpfe der Wortlaut des § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI an den Wortlaut des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI an. Im Zusammenhang mit dieser Regelung wiederum sei unbestritten, dass die dort genannten einkommensbezogenen Beiträge sich auf das aus der zu befreienden Beschäftigung erzielte Einkommen beziehen, nicht aber auf solches Einkommen, was neben dieser Beschäftigung erzielt wird. Auf letzteres habe auch das Bundesverfassungsgericht erkennbar nicht abgestellt.

Mit Beschluss vom 15.11.2017 hat das Gericht die Beigeladene zu 1. als betroffene Arbeitgeberin nach § 75 Abs. 2 SGG notwendig beigeladen. Mit Beschluss vom 21.12.2017 hat das Gericht die Beigeladene zu 2. als betroffenes berufsständisches Versorgungswerk notwendig beigeladen.

Mit Verfügung vom 15.10.2018 wurden die Beteiligten um Mitteilung gebeten, ob sie einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zustimmen. Die Zustimmungen wurden erteilt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt von Gerichts- und Verwaltungsakten.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten dem zugestimmt haben, § 124 Abs. 2 SGG.

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.05.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Ablehnung der Befreiung von der Versicherungspflicht für den Zeitraum vor dem 01.04.2014 erfolgte entgegen § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI und damit zu unrecht.

Maßgeblich ist die Norm des § 231 Abs. 4b SGB VI, die wie folgt lautet:

Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung erteilt wurde, wirkt auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 1. April 2014. Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt auf Grund einer vor dem 4. April 2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 1. April 2016 gestellt werden.

Vorliegend hatte die Beklagte den Kläger gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI rückwirkend ab dem 01.04.2014 von der Rentenversicherungspflicht befreit. Nach S. 3 der Vorschrift gilt die Befreiung frühestens ab dem 01.04.2014. Nach S. 4 gilt sie für vor diesem Zeitpunkt liegende Zeiten nur dann, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. Diese letzte Voraussetzung hat die Beklagte zu Unrecht verneint.

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei den von dem Kläger an die Beigeladene zu 2. entrichteten Beiträgen um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne der eben zitierten Vorschrift.

Der vom Kläger gezahlte Mindestbeitrag in Höhe von 1/10 des Regelbeitrags war grundsätzlich einkommensabhängig. Denn die Frage, ob der Mindestbeitrag, oder der Regelbeitrag zu zahlen ist, ist abhängig vom Einkommen aus der selbständigen anwaltlichen Tätigkeit. Ist dieses entsprechend hoch, kann die Beigeladene zu 2. einen höheren Beitrag als den Mindestbeitrag verlangen (Hartmann/Horn, AnwBl Online 2016, 255, 257). Dies ist, soweit ersichtlich, zwischen den Beteiligten auch gar nicht streitig.

Streit besteht zwischen den Beteiligten vielmehr dahingehend, welches Einkommen bei der Frage der Einkommensbezogenheit in Bezug zu nehmen ist. So vertritt die Beklagte die Auffassung, dass die gezahlten Pflichtbeiträge sich auf das Einkommen aus der zu befreienden Tätigkeit bezogen haben müssen. Diesem Verständnis der Beklagten hat sich das Bayerische Landessozialgericht (Urt. v. 07.02.2019, L 14 R 264/18, BeckRS 2019, 8048) angeschlossen und hierzu ausgeführt:

"Die Tatbestandmerkmale "einkommensabhängige Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt" sind in diesem Kontext auszulegen. Der Begriff der "Einkommensabhängigkeit" verlangt bereits intrinsisch ein Bezugsverhältnis, nämlich die Bestimmung des aus wirtschaftlicher Betätigung folgenden Einkommens, mit der die Bemessung der Beiträge korreliert. Da hier eine Übergangsregelung zu der befreiungsantragsgegenständlichen Syndikustätigkeit getroffen ist, folgt nach Auffassung des Senats eindeutig, dass nicht alle oder irgendwelche Beschäftigungen oder selbständigen Tätigkeiten, auch nicht die selbständige Anwaltstätigkeit, die Einkommensabhängigkeit determiniert, sondern nur das Einkommen aus dem antragsgegenständlichen Syndikusbeschäftigungsverhältnis. Anderes Einkommen aus anderen Beschäftigungsverhältnissen oder selbständiger Tätigkeit sind für die Bemessung der Pflichtbeiträge irrelevant. [ ]

Eine Zahlung des Grundbeitrags, der im Sinne eines Mindestbeitrags einem Fünftel der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht (§ 19 Abs. 1 S. 4 BayRAStBV), genügt damit nur dann, wenn das sozialversicherungspflichtige Arbeitsentgelt aus der Syndikustätigkeit nicht ein Fünftel der Beitragsbemessungsgrenze übersteigt. Damit erweist sich der für die streitige Zeit von der Klägerin an die BayRAStBV entrichtete Grundbeitrag nicht als dorthin gezahlter einkommensabhängiger Pflichtbeitrag. Davon abgesehen sieht auch die BayRAStBV den gezahlten Grundbeitrag offensichtlich noch nicht einmal als einkommensabhängigen Beitrag bezogen allein auf die selbständige Tätigkeit, weil die Klägerin mit der Beitragsfestsetzung vom Versorgungswerk sogleich für 2014 zum Nachweis der Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit aufgefordert wurde."

Da der Kläger vorliegend keine auf das Einkommen aus seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2. bezogenen Pflichtbeiträge an die Beigeladene zu 2. gezahlt hat, käme hiernach die von ihm begehrte Befreiung nicht in Betracht.

Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss v 22.07.2016, 1 BvR 2534/14, folgendes ausgeführt:

Demnach bestehen keine Bedenken, die Beschwerdeführerin für den Fall, dass sie mit ihrem Antrag auf rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI keinen Erfolg haben sollte, zunächst auf den fachgerichtlichen Rechtsweg zu verweisen. Dort kann sie zum einen geltend machen, dass sie nicht unter den Ausschlusstatbestand des § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI fällt. Zum anderen hat sie die Möglichkeit, auf Grundlage von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI eine über den 1. April 2014 hinausgehende Befreiung anzustreben. Besser stünde sie angesichts der zwischenzeitlichen Neuregelung auch im Falle einer ihrer Verfassungsbeschwerde stattgebenden Entscheidung nicht.

Nach der von der Kammer eingeholten Stellungnahme der Beschwerdeführerin ist kein Grund dafür erkennbar, dass sie nicht in der Lage sein könnte, die Voraussetzungen des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI darzulegen, zumal sie sich im Ausgangsverfahren stets auf den Standpunkt gestellt hat, gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI von der Versicherungspflicht befreit zu sein. Dem steht nicht entgegen, dass sie lediglich die nach § 30 Abs. 3 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 1985 (JMBl (NW) 1985, S. 172) geschuldeten Mindestbeiträge in Höhe von 10 % des Regelpflichtbeitrags gezahlt hat, weil es sich auch dabei um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI handelt (vgl. Hartmann/Horn, AnwBl Online 2016, S. 255 (257); Schafhausen, a.a.O., Rn. 59; ders., AnwBl Online 2016, S. 175 (176); vgl. auch Wein/Walter, BB 2016, S. 245 (248)). Davon geht die Beschwerdeführerin auch selbst aus. Dass sie dadurch nicht diejenigen Anwartschaften für ihre Altersversorgung erlangt hat, die sie hätte erwerben können, wenn sie von Anfang an Beiträge nur an das Versorgungswerk gezahlt hätte, kann durch den in § 286f Satz 1 SGB VI angeordneten internen Ausgleich zwischen dem Rentenversicherungsträger und dem Versorgungswerk nachträglich ausgeglichen werden.

Unter Berufung auf diese Rechtsprechung haben die Landessozialgerichte Baden-Württemberg (Urteil v. 16.10.2018, L 13 R 4841/17) und Berlin-Brandenburg (Urteil v. 10.04.2019, L 16 R 255/18) entschieden, dass die Zahlung von Mindestbeiträgen nach den jeweils einschlägigen satzungsrechtlichen Vorschriften der dortigen Versorgungswerke den Anforderungen des § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI genüge. Das LSG Berlin-Brandenburg hat hierzu insbesondere angeführt:

"Soweit das Bayerische Landesozialgericht (BayLSG) im Urteil vom 7. Februar 2019 - L 14 R 264/18 - UA S. 8f. ausführt, die "Einkommensabhängigkeit" im Rahmen der Tatbestandsmerkmale "einkommensabhängige Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt" verlange bereits intrinsisch eine Korrelation der Beiträge mit dem jeweiligen Einkommen aus dem Beschäftigungsverhältnis als Syndikusrechtsanwalt, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Nach dem Wortlaut des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die (weitere) rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht in "Abhängigkeit" zum konkreten Einkommen der zu befreienden Person stehen muss, vielmehr können als "einkommensbezogene" Pflichtbeiträge auch Mindestbeiträge erfasst werden, welche - wie hier - in dem Sinne "einkommensbezogen" sind, dass sie unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung aus den Bruttolöhnen und - gehältern der Arbeitnehmer (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) ermittelt werden (vgl. § 159 SGB VI). Auch nach Sinn und Zweck dieser Übergangsvorschrift - wie er vom BVerfG überzeugend dargelegt worden ist - genügt die Zahlung eines am Höchstbeitrag in der allgemeinen Rentenversicherung orientierten Mindestbeitrages den Voraussetzungen des § 231 Abs. 4b SGB VI."

Auch die erkennende Kammer meint vorliegend, die Rechtsprechung des BVerfG zugunsten des Klägers heranziehen zu können. Neben dem insoweit eindeutigen Wortlaut (Dem steht nicht entgegen, dass sie lediglich die [ ] geschuldeten Mindestbeiträge in Höhe von 10 % des Regelpflichtbeitrags gezahlt hat, weil es sich auch dabei um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI handelt) spricht auch der weitere Inhalt des Beschlusses v. 22.07.2016, 1 BvR 2534/14 dafür, dass das BVerfG die hier entscheidungserhebliche Frage des Einkommensbezuges bereits geklärt hat. So geht die Kammer insbesondere davon aus, dass sich das BVerfG bei seiner Entscheidung der mit dem Mindestbeitrag verbundenen Problematik bewusst war. Es hat nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Tatsache, dass durch die Zahlung des Mindestbeitrags keine vergleichbare Absicherung für das Alter erworben werden kann, wie wenn der Beitrag am aus der zu befreienden Tätigkeit erzielten Einkommen bemessen worden wäre, durch § 286f SGB VI ausgeglichen wird. Dieser Hinweis wäre aber unnötig, wenn das BVerfG davon ausgegangen wäre, dass sich der einkommensbezogene Pflichtbeitrag im Sinne des Gesetzes am Einkommen aus der zu befreienden Tätigkeit bemessen muss. Mithin hat das Bundesverfassungsgericht – entgegen der Auffassung der Beklagten – erkennbar auf eine Situation abgestellt, in der nur die Mindestbeiträge gezahlt wurden.

Die Kammer verkennt nicht, dass auch gute Gründe für die Auffassung der Beklagten sprechen. Insbesondere der von ihr angeführte Gleichklang zwischen § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI und des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ist nicht von der Hand zu weisen und entsprechend auch vom Bayerischen LSG im Ergebnis als maßgeblich angesehen worden. Gleichwohl folgt die Kammer hier der gegenteiligen Auffassung und zwar aus den folgenden Gründen:

Nach den überzeugenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte zu erkennen gegeben, dass er den vor den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 03.04.2014 bestehenden Rechtszustand aufrechterhalten und die Rechtsstellung der Syndikusrechtsanwälte angleichen wollte. Dies spiegelt sich auch in der Systematik der hier anzuwenden Vorschriften wieder. Nach der Rechtslage vor den genannten Urteilen des BSG war es auch für bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigte Rechtsanwälte (=Syndikusrechtsanwälte) möglich, von der Rentenversicherung befreit zu werden. Der Gesetzgeber hat diese Möglichkeit mit der Schaffung des § 46a BRAO "wiedereingeführt" und mit dem § 231 Abs. 4b SGB VI eine Regelung zur rentenversicherungsrechtlichen Rückwirkung geschaffen. Diese Regelung ist mithin (auch) vor dem gesetzgeberischen Ziel auszulegen. Besondere Beachtung verdient dabei der – ebenfalls vom BVerfG herangezogene – § 286f SGB VI. Die Vorschrift ordnet die Erstattung von an die Beklagte gezahlten Beiträgen an das Versorgungswerk an, wenn nachträglich eine Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI erfolgt. Dieser systematische Zusammenhang der Vorschriften spricht auch entscheidend für die Rechtsauffassung des Klägers. Würde man – wie die Beklagte – verlangen, dass die gezahlten Beiträge an das Versorgungswerk sich an dem Einkommen aus der zu befreienden Tätigkeit bemessen, könnte die Pflicht zu Erstattung von Beiträgen nur dann eintreten, wenn an die Beklagte wiederum keine Beiträge gezahlt worden wären. Für die Vorschrift des § 286f SGB VI verbliebe dann kein Anwendungsbereich. Umgekehrt wiederum verbliebe für § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI kein Anwendungsbereich, wenn man – wie die Beklagte – den Standpunkt einnimmt, dass die Zahlung von im Hinblick auf die zu befreiende Tätigkeit einkommensbezogenen Pflichtbeiträgen an die Beklagte (und nicht an das Versorgungswerk) eine nachträgliche Befreiung ausschließt. In einer solchen Situation würden die Vorschriften nur noch in der (abwegigen) Situation zum Tragen kommen, dass jemand gleichzeitig für dieselbe Tätigkeit Beiträge an die Beklagte und das Versorgungswerk gezahlt hat. Die Kammer geht nicht davon aus, dass der Gesetzgeber diese in der Realität wohl nicht auftretende Konstellation bei der Schaffung des § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI vor Augen hatte. Vielmehr sprechen die eben erläuterten Zusammenhänge dafür, dass § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI den Bezug des Pflichtbeitrages zum durch die befreiende Tätigkeit erzielten Einkommen gerade nicht verlangt, sondern dieser Zusammenhang erst nachträglich durch § 286f SGB VI hergestellt wird.

Das gefundene Ergebnis entspricht auch dem gesetzgeberischen Ziel der Angleichung des Rechts der Syndikusrechtsanwälte. Mit § 231 Abs. 4b S. 1 – 3 hat der Gesetzgeber eine Rückwirkungsregelung für den Zeitraum zwischen den Entscheidungen des BSG und Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte geschaffen. S. 4 der Vorschrift enthält eine Regelung für Zeiträume vor den BSG-Entscheidungen. Zu dieser Zeit war die Rechtslage nicht höchstrichterlich geklärt; es gab Syndikusanwälte, die von der Rentenversicherung befreit wurden, und solche (wie der Kläger), denen die Befreiung versagt wurde. Es gab auch solche, die sich auf den (rechtswidrigen) Standpunkt gestellt haben, ihre alten BfA-Bescheide gälten zeitlich unbegrenzt und unabhängig von einem Arbeitgeberwechsel weiter und dies bei Betriebsprüfungen nie aufgefallen ist. Es wäre in diesem Zusammenhang nicht sachgerecht, für die Beantwortung der Frage, ob eine Befreiung nachträglich zu erteilen ist, allein darauf abzustellen, ob die im Hinblick auf die zu befreiende Tätigkeit angefallenen Pflichtbeiträge an die Beklagte oder an das Versorgungswerk gezahlt worden sind. Denn dieser Umstand war nur bedingt von der zu befreienden Person abhängig. Insbesondere ist es eine öffentlich-rechtliche und strafbewehrte Pflicht der Arbeitgeber, Rentenversicherungsbeiträge für ihre Beschäftigten an die Beklagte abzuführen. Die zu befreiende Person konnte dies nicht verhindern. Sie konnte jedoch an ihrer Mitgliedschaft im Versorgungswerk festhalten und weiterhin Pflichtbeiträge zahlen und insoweit zu erkennen geben, dass sie die Entscheidung der Beklagten nicht hinnahm. In diesem Zusammenhang ist erneut auf die Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss v. 22.07.2016, 1 BvR 2534/14) zu verweisen:

Die Sozialgerichte werden im Rahmen der Auslegung von § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI den vom Gesetzgeber mit dieser Ausnahmebestimmung verfolgten Zweck zu berücksichtigen haben, einer bestimmten Gruppe von Syndikusrechtsanwälten einen Vertrauens- und Bestandsschutz zu versagen (vgl. BTDrucks 18/5201, S. 46 f.). Von der Rückwirkung ausgenommen werden sollen Beschäftigungszeiten, "in denen eine Befreiung von der Versicherungspflicht (auch) auf der Grundlage der vor der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus April 2014 geübten Rechtspraxis von der Verwaltung abgelehnt wurde und bestandskräftig geworden ist und in der Folge in der Regel Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden mussten" (BTDrucks 18/5201, S. 47; BRDrucks 278/15, S. 55). Ein umfassender Vertrauens- und Bestandsschutz soll nur denjenigen zukommen, die über einen wirksamen Befreiungsbescheid verfügen oder auch nach den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 3. April 2014 weiterhin von der Rentenversicherung befreit waren (vgl. Junker/Scharnke, BB 2016, S. 195 (201)). Dagegen wird er jenen "Alt-Syndizi" verwehrt, die ihre Ablehnungsbescheide nicht angefochten und stattdessen Beiträge in die Rentenkasse eingezahlt haben, weil sie damit zu erkennen gegeben haben, dass sie die von der Deutschen Rentenversicherung verfügte Eingruppierung in die gesetzliche Rentenversicherung hingenommen haben (vgl. Schafhausen, in: Kilger/Offermann-Burckart/Schafhausen/Schuster (Hrsg.), Das neue Syndikusrecht, 2016, § 3 Rn. 61 m.w.N.). Mit Blick auf diesen Schutzzweck wird zu erwägen sein, ob ein Ausschluss der Beschwerdeführerin vom personellen Anwendungsbereich im Wege der teleologischen Reduktion in Betracht kommt.

Diese Ausführungen, die den § 231 Abs. 4b S. 5 SGB VI betreffen, müssen auch bei S. 4 der Vorschrift Berücksichtigung finden. Denn soweit das BVerfG darauf abstellt, dass eine Befreiung von der Versicherungspflicht (auch) auf der Grundlage der vor der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aus April 2014 geübten Rechtspraxis von der Verwaltung abgelehnt wurde und bestandskräftig geworden ist und in der Folge in der Regel Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden mussten, gilt dies auch im vorliegenden Fall. Denn Beiträge mussten nicht nur aufgrund bestandskräftiger Ablehnungsbescheide gezahlt werden, sondern im Falle von Betriebsprüfungen – wie vorliegend – auch bei nicht bestandskräftigen Prüfbescheiden (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG). Insoweit würde allein dieser Umstand – für den der Kläger nicht verantwortlich ist – zum Ausschluss des Klägers vom Anwendungsbereich des § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI führen, obwohl ein solcher nach S. 5 nur eintreten sollte, wenn der Kläger die Ablehnungsbescheide (Gegenstand des ruhenden Verfahrens S 8 R 414/15) hätte bestandskräftig werden lassen.

Dem Kläger war daher Recht zu geben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Über den Antrag des Klägers auf Zulassung der Sprungrevision war nicht zu entscheiden, da für den obsiegenden Kläger ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil nicht gegeben ist.
Rechtskraft
Aus
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