S 8 U 121/08

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 121/08
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 239/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 307/15 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten sind Art und Umfang der durch die Folgen eines Arbeitsunfalls vom 06.05.2004 sowie die Höhe der dadurch bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers.

Der 1959 geborene Kläger erlitt am 06.05.2004, gegen 8:30 Uhr einen Motorradunfall. Auf dem Weg zur Schule übersah ihn ein nach links abbiegendes Auto. Das Auto erwischte seinen rechten Seitenkoffer, so dass er mit der Maschine zusammen 15 bis 20 Meter entfernt auf der Mitte der Fahrbahn der Bundesstraße aufkam.

Der Kläger ist in der Türkei geboren. Nach seinem Abitur studierte er drei Jahre lang an der Pädagogischen Fakultät der Hochschule in Izmir Türkisch und Deutsch auf Lehramt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch nicht vor, nach Deutschland zu gehen. Wegen politischer Unruhen reiste er dann mit seiner deutschen Freundin im Jahre 1979 nach Deutschland aus. In Deutschland arbeitete er an Haupt-, Real-, Sonder- und Berufsschulen. Zuerst unterrichtete er Deutsch für Ausländer und dann Türkisch. Der Kläger war sehr aktiv: beispielsweise gründete er eine Folkloregruppe und einen Elternverein, er war als Experte für Integration des Öfteren im Fernsehen zu sehen und leitete eine Theatergruppe.

Nach der Unfallmeldung vom 11.06.2004 ermittelte die Beklagte den tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt, unter anderem durch Beiziehung ärztlicher Befundberichte und des Vorerkrankungsverzeichnisses, aus denen sich unter anderem Folgendes ergab:

Der Kläger zog sich bei dem Motorradunfall eine Bennett-Fraktur der rechten Hand zu. Bewusstlosigkeit, Amnesie oder neurologische Auffälligkeiten bestanden nicht. Insgesamt ist der Bruch der rechten Hand gut verheilt und für die weiter vom Kläger geäußerten Beschwerden fand sich kein entsprechendes klinisches Korrelat.

In dem neurologischen Bericht vom 15.06.2004 wurde beispielsweise ausgeführt, dass der Kläger seine Beschwerden in aggravierender Weise vorgetragen habe. In dem orthopädischen Bericht vom 03.09.2004 wurde keine Aggravationstendenz des Klägers gesehen. Seitens des chirurgischen Fachgebietes wurde am 10.09.2004 attestiert, dass der Kläger eine Schonhaltung der rechten Hand annehme, wofür es keine objektive Begründung gebe. In einem psychologischen Bericht vom 03.11.2004 wurde berichtet, dass der Kläger Symptome benenne, die auf eine posttraumatische Belastungsstörung hindeuten. Allerdings habe sich der Kläger nicht genau an den Inhalt der Träume erinnern können, nur "dass es etwas mit dem Unfall zu tun habe". Es wurde weiter beschrieben, dass der Kläger misstrauische, emotional instabile und narzisstische Persönlichkeitszüge habe. Eine konversionsneurotische Symptomatik wurde vermutet. Der Kläger war stationär untergebracht und absolvierte sodann eine stationäre Rehabilitation. Der den Kläger behandelnde Arzt Dr. C. stellte in mehreren Berichten an die Beklagte fest, dass zwischen den klägerischen Beschwerden und dem Unfall ein Zusammenhang bestehe, zumal der Kläger vorher beschwerdefrei gewesen sei. In dem Bericht der im Auftrag der Beklagten durchgeführten neurologisch-psychiatrischen Untersuchung vom 11.04.2005 wird wiederum ausgeführt, dass der Kläger keine intrusiven Erinnerungsbilder an den Unfall habe. Er habe Alpträume, wisse aber nicht mehr den Inhalt. Wenn er an der Unfallstelle vorbei fahre, werde er wieder an den Unfall erinnert und dies löse auch Angstgefühle in ihm aus. Er fahre kein Motorrad mehr. Es wurde die Verdachtsdiagnose einer Anpassungsstörung mit Somatisierungsstörung unter Ausschluss einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt. Festgestellt wurde des Weiteren eine Aggravationstendenz hinsichtlich der körperlichen Beschwerden. Für die Beschwerdesymptomatik auf psychiatrischem Fachgebiet stünden die Persönlichkeitsfaktoren des Klägers im Vordergrund.

Der Beratungsarzt der Beklagten kam zu dem Ergebnis, dass auf unfallchirurgisch-handchirurgischem Gebiet der Knochenbruch an der rechten Hand stabil verheilt sei und weitere Unfallfolgen nicht hinreichend wahrscheinlich seien. Das Ende der Behandlungsbedürftigkeit und der Arbeitsunfähigkeit wurde auf den 05.11.2004 festgelegt, dem Abschluss der stationären Heilbehandlung aufgrund der Benett-Fraktur.

Mit Bescheid vom 24.06.2005 lehnte die Beklagte die Erbringung von Leistungen über den 05.11.2004 hinaus ab, da die nach diesem Zeitpunkt aufgetretenen Beschwerden nicht mehr auf den Unfall vom 06.05.2004 zurückzuführen seien. Neben der Benett-Fraktur sei es noch zu einer leichten Zerrung der Halswirbelsäule gekommen. Die weiter bestehenden Beschwerden an der Halswirbelsäule seien auf die Osteochondrose zurückzuführen und die Benett-Fraktur sei optimal und folgenlos verheilt.

Der Kläger legte mit Schreiben vom 17.07.2005 Widerspruch ein.

Nach weiteren Ermittlungen und Auswertung aktueller ärztlicher Befundberichte wies die Beklagte den klägerischen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.11.2008 zurück. Die geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung, der Tinnitus, die Wirbelsäulenbeschwerden und die Herzerkrankung seien nicht als Unfallfolge zu berücksichtigen. Aus den ärztlichen Befundberichten gehe keine Herzerkrankung des Klägers hervor. Dagegen seien die Wirbelsäulenschäden degenerativ bedingt und nicht durch den Unfall verursacht.

Am 18.12.2008 hat der Kläger beim Sozialgericht Fulda Klage erhoben.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Folgen des Arbeitsunfalls mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. zu bewerten seien, da er starke psychische Beschwerden habe. Bereits in dem Befundbericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik vom 31.03.2005 sei der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung geäußert und weitere Untersuchungen angeregt worden. Dies sei unterblieben. Der Kläger leide zudem an Beschwerden an der Halswirbelsäule verbunden mit ständigen Kopfschmerzen. Die rechte Hand sei nur noch eingeschränkt bewegungsfähig und bei starker Belastung treten Schmerzen auf. Vor dem Unfall hätten keinerlei neurologische Beschwerden bestanden. Er habe einen Grad der Behinderung von 60 welcher ausschließlich auf den Unfallfolgen beruhe.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm als Folgen des Arbeitsunfalls vom 06.05.2004 eine posttraumatische Belastungsstörung, einen Tinnitus und Beschwerden an der Halswirbelsäule anzuerkennen und eine Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte stützt ihre Rechtsansicht auf den angegriffenen Bescheid sowie die vertragsärztlichen Stellungnahmen.

Die Kammer hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte und das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse angefordert und zum Gegenstand ihrer Entscheidung gemacht.

Die Kammer hat Beweis erhoben über Art und Umfang der Folgen des Arbeitsunfalls vom 06.05.2004 durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Sachgebiet nach § 106 SGG. Dabei wurde durch den Sachverständigen Dr. D. in seinem Gutachten vom 27.08.2009 festgestellt, dass keine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet beim Kläger festzustellen ist.

Dr. D. hat ausgeführt, dass das Unfallgeschehen als solches während der Untersuchung des Klägers kaum eine Rolle gespielt habe. Seine Klagen beziehen sich vielmehr auf die Ereignisse danach, insbesondere auf die Umstände, die er als Zeichen für seine Vernachlässigung und Misshandlung empfinde, da man sich in seinem Erleben ab dem Moment, in dem die Polizeibeamten an der Unfallstelle Witze über den statt des gerufenen Rettungswagens vorbei fahrenden Leichenwagen gemacht hätten und er nach der Operation mit Drainage ohne Taxifahrt nach Hause geschickt worden sei, nicht adäquat um ihn gekümmert hat. Der Kläger habe sich in der aktuellen Exploration sehr ausführlich und sehr aufgebracht über das aus seiner Sicht versagende bis skandalöse Versorgungssystem des Sozialstaates ausgelassen. Dagegen habe ihn das Unfallereignis selbst psychisch durchaus gering beeindruckt. Diese psychische Entwicklung des Klägers nach dem Unfall werde nur vor dem Hintergrund seiner Primärpersönlichkeit verständlich, welche von starkem Leistungsbewusstsein und psychischer Stabilisierung durch Altruismus und Perfektion geprägt sei. Durch die teils subjektiv gesteigert wahrgenommene Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Daumens und die damit verbundene physische Einschränkung erlitt der Kläger eine empfindliche Kränkung.

Der Gerichtssachverständige diagnostizierte eine Anpassungsstörung mit depressiven, anderen emotionalen und somatoformen Anteilen. Diese Gesundheitsstörung sei nach dem Unfall aufgetreten und wäre ohne diesen bzw. eine ähnliches Ereignis nicht aufgetreten. Die psychische Fehlentwicklung sei nicht im Erleben des Unfallereignisses als solches begründet, sondern als primärpersönlichkeitsgebundene Reaktion auf die Ereignisse danach, durch die sich der Kläger anhaltend benachteiligt, gekränkt und im Stich gelassen fühlt. Insofern sei das Unfallereignis nicht als alleinige Ursache der Anpassungsstörung anzusehen. Im Zusammenwirken mit anderen Ursachen habe das Unfallereignis die Anpassungsstörung hervorgerufen, wobei dieses nur eine sehr untergeordnete Rolle spiele. Die Anpassungsstörung des Klägers sei insofern vollständig unfallunabhängiger Natur, als dass sich die Symptome nicht auf das Unfallereignis beziehen. Das Krankheitsbild müsse vielmehr der Primärpersönlichkeit des Klägers zugerechnet werden.

Auf Antrag des Klägers hat die Kammer nochmals Beweis erhoben über Art und Umfang der Folgen des Arbeitsunfalls vom 06.05.2004 durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens auf neurologisch-psychiatrischem Sachgebiet nach § 109 SGG. Dabei wurde durch den Sachverständigen Prof. Dr. E. in seinem Gutachten vom 24.03.2010 festgestellt, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet in Höhe von 20 v.H. beim Kläger aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung festzustellen ist.

Prof. E. führt weiter aus, dass der Kläger in seinem Denken völlig eingeengt und fixiert auf seine Beschwerden und den Unfall sei. Der Sachverständige geht nicht von einer Aggravation oder Simulation aus. Da die organische Seite des Unfallgeschehens etwa nach einem halben Jahr abgeschlossen gewesen sei, seien die psychischen Beschwerden als Brückensymptome auf psychiatrischem Fachgebiet zu bewerten, zumal sich Symptome innerhalb von vier Wochen sukzessive und verstärkend heraus gebildet haben. Die Vorgeschichte des Probanden spreche gegen eine unangepasste Verhaltensweise, so dass eine Persönlichkeitsstörung nicht vorliege. Zweifellos seien aber persönlichkeitsbedingte Züge des Probanden im Sinne eines überhöhten Ich-Ideals mit narzisstischen Zügen vorhanden. Der Anschein des querulatorischen oder hypochondrischen Verhaltens dürfe aber nicht den Blick auf das zugrunde liegende Leiden verstellen. Auffallend sei jedoch, dass der Kläger im Vergleich zur Begutachtung bei Dr. D. nur marginal Schuldzuweisungen geäußert habe. Der Sachverständige schließt daraus, dass diese Komponente beim Kläger nicht im Sinne einer querulatorischen Haltung in dessen Persönlichkeitsstruktur eingegraben sei, sondern situativ und modulierbar sei. Die Persönlichkeitszüge des Klägers seien gegenüber dem Unfallereignis untergeordnet und kämen als konkurrierende Ursachen nicht in Betracht.

Der Sachverständige stellt im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Gutachten von Dr. D. klar, dass die Einschätzung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. von der Diagnose abhänge: nur bei einer posttraumatischen Belastungsstörung sei von einer wesentlichen Verursachung durch den Unfall auszugehen. Wenn man allerdings den Unfall des Klägers als Bagatellunfall ansehe und damit das A-Kriterium entfalle, dann könne er sich der Argumentationslinie des Dr. D. anschließen und den Unfall als Gelegenheitsursache werten, welche eine Symptomkonstellation im Sinne von Kränkungen und Burn-out angeregt habe.

Dr. D. geht in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.04.2010 darauf ein, dass keine posttraumatische Belastungsstörung vorliege:

Im Rahmen des Begutachtungsgesprächs bei Prof. Dr. E. habe der Kläger ausgeführt, dass von dem Unfall nichts mehr hören wolle und auch nicht mehr darüber sprechen wolle. Dies zeige gerade, dass sich der Kläger nicht ständig mit dem Unfallereignis beschäftige. Zudem könne sich der Kläger an den Unfallhergang an sich nicht erinnern. Die Erinnerung setze erst ein, als er auf der Wiese am Rand liege, nachdem er geborgen worden sei. Das Denken des Klägers sei nicht auf den Unfall an sich, sondern vielmehr auf die tatsächlichen und vermeintlichen Folgen eingeschränkt.

Die Beklagte hat nochmals darauf hingewiesen, dass es sich um einen leichten Verkehrsunfall gehandelt habe. Es seien nur leichte Sachschäden entstanden. Die Unfallverursacherin habe gestanden bzw. sei im Anfahren gewesen und der Kläger sei etwa 60 bis 70 km/h gefahren. Im Rahmen von psychischen Gesundheitsstörungen könnten diese nicht schon dann ursächlich auf einen Unfall zurückzuführen sein, wenn andere Erklärungsversuche nicht gelingen. Aus dem rein zeitlichen Aufeinanderfolgen und der später auftretenden psychischen Gesundheitsstörung sowie der fehlenden Alternativursache können nicht gefolgert werden, dass diese wesentlich durch den Unfall verursacht worden seien, da dies bei komplexen Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Eine posttraumatische Belastungsstörung sei zu verneinen, zumal diese mit zunehmend zeitlichem Abstand zur Schädigung eine Entaktualisierung der Symptomatik und damit subjektiv empfundene Beschwerden zu erwarten seien. Beim Kläger bestehe jedoch eine Progredienz der psychogenen Faktoren.

Prof. Dr. E. bestätigt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.07.2010 die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Neben Belegen für Brückensymptome beim Kläger ausweislich der aktenkundigen ärztlichen Befundberichte konstatiert Prof. Dr. E., dass sich die momentanen Gedanken und Gefühle des Klägers einzig und allein um die Auswirkungen des Unfalls kreisen, welche aber mit dem Unfallereignis kausal verknüpft seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, der medizinischen Unterlagen und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten (Blatt 1 bis 385). Diese Vorgänge sind auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 24.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten, da keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 06.05.2004 vorliegen, die über den 05.11.2004 hinaus gehen. Die klageweise geltend gemachten Beschwerden auf psychiatrisch-neurologischem Gebiet und der Zusammenhang mit dem anerkannten Wegeunfall sind nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, da bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden Tatsachen nicht so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel an dem erforderlichen Zusammenhang vorliegen.

Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf eine Verletztenrente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um mindestens 20 vom Hundert (v.H.) gemindert ist. Satz 2 konkretisiert, dass bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund mehrerer Versicherungsfälle für jeden Versicherungsfall ein Rentenanspruch besteht. Die Folgen eines Versicherungsfalles sind nach Satz 3 nur dann zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um mindestens 10 v.H. mindern. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögen ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, § 7 Abs. 1 SGB VII. Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Durch das Wort "infolge" drückt § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden erforderlich ist. Diese sogenannte doppelte Kausalität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Der Bereich der haftungsbegründenden Kausalität ist u.a. betroffen, wenn es um die Frage geht, ob der Unfall wesentlich durch die versicherte Tätigkeit oder durch eine sogenannte innere Ursache hervorgerufen worden ist, während dem Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität die Kausalkette Unfallereignis (primärer) Gesundheitsschaden und (sekundärer) Gesundheitsschaden – weitere Gesundheitsstörungen zuzuordnen ist.

Für die Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus und einen zweiten, wertenden Schritt, dass das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war.

Während für die Grundlagen der Ursachenbeurteilung – versicherte Tätigkeit, Unfallereignis, Gesundheitsschaden – eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, genügt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden eine hinreichende Wahrscheinlichkeit.

Die Gesundheits- und Körperschäden müssen "voll", das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung.

Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden Tatsachen so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht. Dabei müssen auch körpereigene Ursachen erwiesen sein, um bei der Abwägung mit den anderen Ursachen berücksichtigt werden zu können. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeiten von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen.

Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Körper- und Gesundheitsschaden und dem Arbeitsunfall ist gegeben, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die auf dem Unfall beruhenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann und wenn die gegen den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Faktoren außer Betracht bleiben können, also nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden.

Die Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und einem Gesundheitsschaden besteht, ist in erster Linie nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Im Rahmen seiner richterlichen Überzeugungsbildung hat die Kammer alles Erforderliche im Sinne der §§ 103, 128 SGG zu tun, um diese Frage zu klären, wobei es sich des Urteils fachkundiger Sachverständiger zu bedienen hat, um mit deren Hilfe festzustellen, ob nach den einschlägigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen das angeschuldigte Ereignis die wahrscheinliche Ursache des bestehenden Gesundheitsschadens ist. Maßgebend ist hierfür grundsätzlich die herrschende medizinische Lehrmeinung, soweit sie sich auf gesicherte Erkenntnisse stützen kann. Andererseits ist es nicht Aufgabe der Kammer, sich mit voneinander abweichenden medizinischen Lehrmeinungen im Einzelnen auseinanderzusetzen und darüber zu entscheiden, welche von ihnen richtig ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass die gesundheitlichen Beschwerden des Klägers auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht auf den Unfall vom 06.05.2004 zurückzuführen sind, sondern in der Persönlichkeit des Klägers begründet sind und ebenso gut bei jedem anderen alltäglichen Ereignis hätten auftreten können. Die Kammer schließt sich der Meinung des Sachverständigen Dr. D. an.

Der Gerichtssachverständige Dr. D. führt schlüssig und nachvollziehbar aus, dass beim Kläger keine auf den Unfall zurückzuführenden Folgen auf neurologisch-psychiatrischem Sachgebiet vorliegen. Dr. D. hat begründend ausgeführt, dass das Unfallgeschehen als solches während der Untersuchung des Klägers bei der Begutachtung kaum eine Rolle gespielt hat. Seine Klagen hätten sich vielmehr auf die Ereignisse danach, insbesondere auf die Umstände, die er als Zeichen für seine Vernachlässigung und Misshandlung empfindet, da man sich in seinem Erleben ab dem Moment, in dem die Polizeibeamten an der Unfallstelle Witze über den statt des gerufenen Rettungswagens vorbei fahrenden Leichenwagen machten und er nach der Operation mit Drainage ohne Taxifahrt nach Hause schickte, nicht adäquat um ihn gekümmert hat. Der Kläger hat sich in der Untersuchung von Dr. D. sehr ausführlich und sehr aufgebracht über das aus seiner Sicht versagende bis skandalöse Versorgungssystem des Sozialstaates ausgelassen. Dagegen hat ihn das Unfallereignis selbst psychisch durchaus gering beeindruckt. Diese psychische Entwicklung des Klägers nach dem Unfall wird nur vor dem Hintergrund seiner Primärpersönlichkeit verständlich, welche von starkem Leistungsbewusstsein und psychischer Stabilisierung durch Altruismus und Perfektion geprägt ist. Durch die teils subjektiv gesteigert wahrgenommene Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Daumens und die damit verbundene physische Einschränkung erlitt der Kläger eine empfindliche Kränkung.

Der Gerichtssachverständige D. diagnostizierte eine Anpassungsstörung mit depressiven, anderen emotionalen und somatoformen Anteilen. Diese Gesundheitsstörung ist nach dem Unfall aufgetreten und wäre ohne diesen bzw. ein ähnliches Ereignis nicht aufgetreten. Die psychische Fehlentwicklung sei aber nicht im Erleben des Unfallereignisses als solches begründet, sondern als primärpersönlichkeitsgebundene Reaktion auf die Ereignisse danach, durch die sich der Kläger anhaltend benachteiligt, gekränkt und im Stich gelassen fühlt. Insofern sei das Unfallereignis nicht als alleinige Ursache der Anpassungsstörung anzusehen. Im Zusammenwirken mit anderen Ursachen hat das Unfallereignis nach Auffassung des Sachverständigen, die sich die Kammer zu Eigen macht, die Anpassungsstörung hervorgerufen, wobei das Unfallereignis an sich nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Die Anpassungsstörung des Klägers ist insofern vollständig unfallunabhängiger Natur, als dass sich die Symptome nicht auf das Unfallereignis beziehen. Das Krankheitsbild ist vielmehr der Primärpersönlichkeit des Klägers zuzurechnen.

Der Sachverständigen Prof. Dr. E. stellte in seinem Gutachten vom 24.03.2010 dagegen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet in Höhe von 20 v.H. beim Kläger aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung fest. Prof. E. führt weiter aus, dass der Kläger in seinem Denken völlig eingeengt und fixiert auf seine Beschwerden und den Unfall sei. Der Sachverständige geht nicht von einer Aggravation oder Simulation aus. Da die organische Seite des Unfallgeschehens etwa nach einem halben Jahr abgeschlossen gewesen ist, sind die psychischen Beschwerden als Brückensymptome auf psychiatrischem Fachgebiet zu bewerten, zumal sich Symptome innerhalb von vier Wochen sukzessive und verstärkend heraus gebildet haben. Die Vorgeschichte des Probanden spreche gegen eine unangepasste Verhaltensweise, so dass eine Persönlichkeitsstörung nicht vorliege. Zweifellos sind aber persönlichkeitsbedingte Züge des Probanden im Sinne eines überhöhten Ich-Ideals mit narzisstischen Zügen vorhanden. Der Anschein des querulatorischen oder hypochondrischen Verhaltens dürfe aber nicht den Blick auf das zugrunde liegende Leiden verstellen. Auffallend sei jedoch, dass der Kläger im Vergleich zur Begutachtung bei Dr. D. nur marginal Schuldzuweisungen geäußert habe. Der Sachverständige schließt daraus, dass diese Komponente beim Kläger nicht im Sinnen einer querulatorischen Haltung in dessen Persönlichkeitsstruktur eingegraben sei, sondern situativ und modulierbar sei. Die Persönlichkeitszüge des Klägers seien gegenüber dem Unfallereignis untergeordnet und kämen als konkurrierende Ursachen nicht in Betracht.

Der Sachverständige stellt im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Gutachten von Dr. D. klar, dass die Einschätzung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. von der Diagnose abhänge: nur bei einer posttraumatischen Belastungsstörung sei von einer wesentlichen Verursachung durch den Unfall auszugehen. Wenn man allerdings den Unfall des Klägers als Bagatellunfall ansehe und damit das A-Kriterium entfalle, dann könne er sich der Argumentationslinie des Dr. D. anschließen und den Unfall als Gelegenheitsursache werten, welche eine Symptomkonstellation im Sinne von Kränkungen und Burn-out angeregt habe.

Dr. D. geht in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.04.2010 nochmals erläuternd darauf ein, dass keine posttraumatische Belastungsstörung beim Kläger vorliegt:

Im Rahmen des Begutachtungsgesprächs bei Prof. Dr. E. habe der Kläger ausgeführt, dass von dem Unfall nichts mehr hören wolle und auch nicht mehr darüber sprechen wolle. Dies zeige gerade, dass sich der Kläger nicht ständig mit dem Unfallereignis beschäftige. Zudem könne sich der Kläger an den Unfallhergang an sich nicht erinnern. Die Erinnerung setze erst ein, als er auf der Wiese am Rand liege, nachdem er geborgen worden sei. Das Denken des Klägers sei nicht auf den Unfall an sich, sondern vielmehr auf die tatsächlichen und vermeintlichen Folgen eingeschränkt.

Die Beklagte hat nach Auffassung der Kammer zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich um einen leichten Verkehrsunfall gehandelt hat. Es sind ausweislich des Sachverständigengutachtens aus dem Zivilprozess nur leichte Sachschäden entstanden. Die Unfallverursacherin hat gestanden bzw. war im Anfahren und der Kläger ist etwa 60 bis 70 km/h gefahren.

Prof. Dr. E. bestätigt zwar in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.07.2010 die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, konnte damit die Kammer aber nicht überzeugen. Neben Belegen für Brückensymptome beim Kläger ausweislich der aktenkundigen ärztlichen Befundberichte konstatiert Prof. Dr. E., dass sich die momentanen Gedanken und Gefühle des Klägers einzig und allein um die Auswirkungen des Unfalls kreisen, welche aber mit dem Unfallereignis kausal verknüpft seien.

Nach Auffassung der Kammer stellt der erlebte Unfall des Klägers kein A-Kriterium dar, so dass auch keine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt. Die Kammer schließt sich damit dem Ergebnis der Begutachtung durch Dr. D. an, welche letztlich auch von Prof. Dr. E. geteilt wird.

Denn geht man davon aus, ein geeignetes Trauma dann vorliegt, wenn eine intensive Bedrohung des eigenen Lebens, der Gesundheit und körperlichen Integrität vorliegt und Gefühle von Horror, Schrecken und Hilflosigkeit auslöst, dann hat der Kläger diese Gefühle über den Unfallhergang selbst niemals geäußert. Zumindest gibt es keinerlei aktenkundige Hinweise darauf. Für den Kläger ist immer nur die ihm widerfahrene Behandlung ein stets wiederkehrender thematischer Schwerpunkt gewesen. Im Gegensatz zu der Einschätzung von Prof. Dr. E. schließt sich die Kammer Dr. D. an, da es gerade der Unfall an sich gewesen sein muss, der traumageeignet gewesen ist. Selbst unter Zugrundelegung einer gewissen Vulnerabilität des Klägers hätte jedes andere Ereignis auch dazu führen können, dass er sich gekränkt und verletzt fühlt durch die sich anschließende Behandlung – welche objektiv nicht dazu geeignet ist, nach Auffassung der Kammer.

Horror, Schrecken oder Hilflosigkeit hat der Kläger nicht zum Ausdruck gebracht. Vielmehr ist es der Umstand gewesen, dass er aufgrund der Handverletzung nicht mehr "so sein konnte wie vor dem Unfall". Allerdings findet sich kein organisches Korrelat hierfür und dieses Gefühl erfüllt nicht das A-Kriterium zur Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Somit erfüllt der Unfall weder objektiv noch subjektiv die Voraussetzungen eines A Kriteriums, weder als Unfallereignis noch als Erlebnis.

Zudem fehlt es auch an dem klägerischen Vermeidungsverhalten, da er nach wie vor am Straßenverkehr teilnimmt und im Grunde täglich an der Unfallstelle vorbei fährt:

In dem Bericht vom 27.02.2008 (Blatt 349, 354 der Verwaltungsakte) räumt der Kläger auch ein, dass er täglich an der Unfallstelle vorbeifahre. Allerdings werden weder damit zusammenhängende Ängste, Intrusionen oder auch nur der Wunsch nach Vermeidung geäußert. Gleichfalls erfolgt die Einschätzung des Arztes, dass allein der Unfall als Erklärung für die Beschwerden nicht ausreichend ist (Blatt 357 der Verwaltungsakte), wobei später der Schluss gezogen wird, dass der Kläger ohne den Unfall wohl noch voll leistungsfähig wäre (Blatt 358 der Verwaltungsakte).

Schließlich ist für die Kammer entscheidend gewesen, dass sich durch sämtliche aktenkundigen ärztlichen Befundberichte der rote Faden von Aggravationstendenzen und Begehrensneurosen findet. Die körperlichen Beschwerden sind durchweg durch kein klinisches Korrelat erklärbar.

Bemerkenswert ist auch, dass der Kläger in der Begutachtung durch den Gerichtssachverständigen Dr. D. andere Klagen und Beschwerden vorbringt als bei Prof. Dr. E. Der Schwerpunkt seiner Äußerungen liegt bei ersterem eindeutig auf der seines Erachtens ungenügenden ärztlichen Behandlung sowie den erlebten Kränkungen und das "ungerechte" Verhalten ihm gegenüber. Hierfür liegen nach Ansicht der Kammer keinerlei Anhaltspunkte vor, zumal auch aus orthopädisch-unfallchirurgischer Sicht der Benett-Bruch folgenlos und optimal verheilt ist. Nach dem Ergebnis des Gutachtens von Dr. D. hat der Kläger in der sodann folgenden Begutachtungssituation durch Prof. Dr. E. diesen Aspekt seiner Schilderungen komplett weggelassen und eigentlich erstmals den Unfall vom 06.05.2004 selbst in den Vordergrund gerückt.

Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang auch auf den sehr ausführlichen und ihrer Ansicht nach aussagekräftigen Bericht vom 20.03.2007 der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums Hanau (Blatt 289 der Verwaltungsakte). Der Kläger ist dorthin nach einem Hörsturz stationär aufgenommen worden. In diesem Bericht heißt es wie folgt:

"Sein unabänderlicher Tinnitus verursache ihm schwere Ängste, Schlafstörungen und eine ungeheure Unruhe. Sein Zustand sei nicht mehr auszuhalten, so dass vermehrt suizidale Gedanken auftauchen. [ ...]

Seitdem er 1979 nach Deutschland gekommen war, habe er immer und ständig Probleme. Nie habe er Nein gesagt, habe sich immer in Anspruch nehmen lassen und sei immer gerannt. Immer wollte er perfekt sein und alles richtig machen. Es sei für ihn nicht erträglich, einen Fehler zu begehen. Das alles gehe jetzt nicht mehr. Zudem werde er nicht ernst genommen. Niemand sei an seiner Tätigkeit interessiert. Türkischunterricht werde zunehmend abgeschafft. [ ...]

Er sei unersetzlich. [ ...]

Das Denken hochgradig auf die Beschwerden eingeengt, oft sehr drängend, beschleunigt und weitschweifig, ansonsten formal geordnet, inhaltlich durchsetzt von einer Vielzahl unlösbarer projektiver Verstrickungen. [ ...]

Thematisch ging es um die in den letzten Jahren übermächtig gewordenen Kränkungen und Entwertungen bei gleichzeitig zum Burn-out führenden Überlastungen unter dem Druck der eigenen rigiden und perfektionistischen Erwartungen an sich als Helfer und Problemlöser, Erfahrungen, die mittlerweile zur unbewussten und bedrohlichen Selbstentwertung mit Auswirkungen bis hin in die negativistisch infrage gestellten Selbsterfahrungen als Ehemann und Vater geführt hatten. Als besondere Akzentuierung war hierbei die Position des Patienten im kulturellen Spannungsfeld zwischen der türkischen Herkunft und der Arbeit als mittlerweile deutscher Staatsangehöriger und Staatbediensteter mit insbesondere auch sich selbst auferlegten Integrationsaufgaben im Immigrantenumfeld zu erkennen. Gleichzeitig musste sich Herr A. unbewusst Versagen vorwergen gegenüber in der Türkei verbliebenen Angehörigen, insbesondere den Eltern, denen er in ständiger pflichtwidriger Weise die Sohnesfürsorge schuldig geblieben ist, eine Schuld, die offensichtlich korrespondiert mit seinen immensen und letztlich unerfüllbaren Selbsterwartungen. Sein quälerisch erlebtes Scheitern drückt sich hierbei symbolisch in der als handlungsunfähig erlebten rechten Hand aus. [ ...]

dass für Herrn A. die Rückkehr in seine berufliche Arbeit nicht nur kurz- sondern auch mittelfristig völlig unvorstellbar war. [ ...]"

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Kläger einerseits nicht in seine Arbeit zurückkehren möchte, so dass die Aufforderung durch seinen Arbeitgeber zum Stellen eines Rentenantrages wohl kaum als kränkend empfunden werden dürfte. Andererseits werden in diesem Bericht innere Konfliktpunkte des Klägers benannt – Burn-Out wegen Überlastung, Schuldgefühle gegenüber seinen Eltern, erhebliche Selbstzweifel als Lehrer, Ehemann, Vater und Sohn, kulturelles Spannungsfeld, sein quälend erlebtes Scheitern – welche ansonsten nicht aktenkundig sind und auch bei keiner einzigen Begutachtung durch die Beklagte oder das Gericht bis dato geäußert worden sind. Für die Kammer sind jedoch genau diese Konfliktherde eine Bestätigung dafür, dass der Unfall vom 06.05.2004 nicht rechtlich wesentlich für die geklagten klägerischen Beschwerden gewesen ist und jedes andere Ereignis genau die gleichen psychiatrisch-neurologischen Beschwerden des Klägers hätte hervorrufen können.

Selbst wenn die Kammer den unfallversicherungsrechtlichen Grundsatz zugrunde legt, dass jeder Versicherte in dem Zustand geschützt ist, in dem er seine Arbeit angetreten hat, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch hierbei ist festzustellen, dass es gerade nicht das Unfallereignis und die körperlichen Folgen in Form einer gut verheilten Benett-Fraktur an sich gewesen ist, sondern die vom Kläger empfundenen Kränkungen und sein Ungerechtigkeitsgefühl. Er selbst hat multiple seelische Konflikte und eine Persönlichkeitsstruktur, welche sämtlich schwerer wiegen als der Unfall – zumindest in den aktenkundigen Äußerungen. Gerade unter Zugrundelegung der aktiven, fröhlichen und anerkannten Person, welche beruflich, familiär und sonst sozial geschätzt wird, hätte ein Unfall dieses Schweregrades anders verarbeitet werden können. Die psychische Reaktion des Klägers, welche sich auch nicht verbessert sondern eher verschlechtert, lässt eben unzweifelhaft auf eine Persönlichkeitsstruktur schließen, so dass der Unfall an sich nicht als rechtlich wesentliche Ursache und auch nicht als gleichwertig anzusehen ist. Je selbstsicherer Personen in ihrem ganzen sozialen Gefüge, ihrem Alter und ihrer Lebenssituation sind, umso weniger sind sie anfällig für nachhaltige psychische Störungen (Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 5.1.10). Gerade weil vor dem Unfall keine psychischen Auffälligkeiten dokumentiert waren, kann auch keine Verschlimmerung eingetreten sein.

Die Kammer hat den Eindruck gewonnen – bestätigt durch das Gutachten von Dr. D., dass die Einschränkung der klägerischen Willenskraft, psychische Gesundheitsstörungen zu überwinden, sich weniger aus dem Erlebnisgehalt des Ereignisses sondern vielmehr aus der Persönlichkeitsstruktur des Klägers ableiten lässt. Dabei ist das Unfallereignis nicht als annähernd gleichwertig anzusehen. Schon gar nicht ist das Unfallereignis als unersetzlich anzusehen sondern als austauschbar. Denn die Einschränkung der Willenskraft, psychische Gesundheitsstörungen zu überwinden, lässt sich zur Überzeugung der Kammer unter Zugrundelegung des Gutachtens von Dr. D. mehr aus der Persönlichkeitsstruktur des Klägers ableiten als aus dem Erlebnisgehalt des Unfallereignisses. Auch die aktenkundigen Gesamtumstände des Unfallereignisses bedingen die klägerischen Beschwerden nicht rechtlich wesentlich aus den aufgeführten Gründen.

Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es nicht ihre Aufgabe ist, die Ursache der klägerischen Beschwerden aufzuklären. Die Kammer hat einzig und allein den Zusammenhang zu dem anerkannten Wegeunfall zu klären und dieser ist zu verneinen.

Im Übrigen wird nach § 136 Abs. 3 SGG auf den sehr ausführlichen und gut begründeten Widerspruchsbescheid vom 21.11.2008 verwiesen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen. Die klägerischen Einwände haben nicht rechtserheblich durchgegriffen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Das Verfahren ist für den Kläger gemäß § 183 S. 1 SGG gerichtskostenfrei.
Rechtskraft
Aus
Saved