L 3 AL 30/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 17 AL 366/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 30/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 01. Dezember 1999 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 05.01. bis zum 31.01.1999.

Die am ... geborene Klägerin meldete sich am 05.10.1998 erstmals arbeitslos und beantragte Alg. Zuvor war sie seit Mai 1997 durchgehend arbeitsunfähig gewesen. Ihr Krankengeldanspruch mit einem täglichen Leistungsbemessungsentgelt in Höhe von 145,53 DM lief am 02.11.1998 ab. Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte auch die aktuelle Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU). Das vorherige Arbeitsverhältnis war zum 30.09.1998 gekündigt worden.

Durch Bescheid vom 07.12.1998 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 03.11.1998 Alg in Höhe von 346,78 DM wöchentlich/49,54 DM täglich nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 1.000,00 DM, dem allgemeinen Leistungssatz und der Leistungsgruppe A (Steuerklasse I).

Die Klägerin war weiterhin "krankgeschrieben" vom 03. bis zum 16.11.1998 sowie vom 17. bis zum 23.11.1998.

Aufgrund dieser weiteren Arbeitsunfähigkeit der Klägerin veranlasste die Beklagte im Rahmen einer persönlichen Vorsprache eine Prüfung der Verfügbarkeit. Danach stellte sich die Klägerin grundsätzlich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, jedoch nur für leichte Tätigkeiten, ohne Außendienst. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bezogen sich auf die letzte Tätigkeit als Geschäftsführerin, die mit viel Stress und Außendienst verbunden war.

Vom 24.11.1998 bis zum 30.11.1998 erfolgte eine stationäre Behandlung der Klägerin. Ab diesem Tag zahlte die Beklagte Arbeitslosengeld nach § 126 Abs. 1 SGB III. Ein Hinweis auf diese "Umstellung" an die Klägerin erfolgte nicht.

In der Folgezeit war die Klägerin erneut in drei Etappen "krankgeschrieben". Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung umfasste die Zeit vom 21.12.1998 bis einschließlich dem 05.01.1999.

Am 04.01.1999 holte die Klägerin - entsprechend eigenen Angaben - in den Räumlichkeiten des Arbeitsamtes "Papiere" zur Untersuchung bei der Ärztin des Arbeitsamtes, Frau Dr. F ..., ab. Die Untersuchung erfolgte am 18.01.1999 ebenfalls im Arbeitsamt Bautzen. Hierbei wurde durch die Ärztin eine Verfügbarkeit für vollschichtige, körperlich leichte Tätigkeiten festgestellt.

Durch Bescheid vom 15.01.1999 wurde die Leistung des Arbeitslosengeldes ab dem 01.01.1999 auf die Leistungsverordnung des Jahres 1999 umgestellt. Hierbei ergab sich ein wöchentlicher Betrag i. H. v. 349,02 DM/täglich 49,86 DM.

Mit weiterem Bescheid vom 26.01.1999 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld jedoch mit Wirkung vom 05.01.1999 auf. Grund für die Aufhebung sei ein Anspruch auf "Krankengeld bzw. Versorgungskranken- oder Verletztengeld". Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III.

Nach Erhalt dieses Aufhebungsbescheides sprach die Klägerin am 01.02.1999 persönlich beim Arbeitsamt vor. Hierbei teilte sie mit, dass sie vergessen habe, mittels des Formulars "Veränderungsmitteilung" die wiederhergestellte Arbeitsfähigkeit ab dem 06.01.1999 anzugeben. Dieses reichte sie daher nach.

Mit Bescheid vom 08.02.1999 bewilligte die Beklagte die weitere Leistung erst ab dem 01.02.1999.

Hierauf legte die Klägerin am 12.02.1999 Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 26.01.1999 ein. Alle "Krankenscheine" habe sie ordnungsgemäß abgegeben. Zudem habe sie bereits am 04.01.1999 die Papiere zur Untersuchung bei der Ärztin des Arbeitsamtes am 18.01.1999 abgeholt. Bei dieser Untersuchung habe sie erklärt, sie stehe der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Erst nach Erhalt des Aufhebungsbescheides habe sie telefonisch erfahren, sie habe die Arbeitsfähigkeit nicht auf einer "Veränderungsmeldung" angegeben. Dies habe sie jedoch sofort nachgeholt und sich für das Versäumnis entschuldigt. Es sei ihr hierauf gesagt worden, das Geld werde nachgezahlt. Durch den Bewilligungsbescheid vom 08.02.1999 habe sie jedoch festgestellt, dass dies offenbar nicht der Fall sei. Daher beantrage sie weiter die Nachzahlung des Arbeitslosengeldes vom 05. bis zum 31.01.1999.

Durch Widerspruchsbescheid vom 23.03.1999 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Aufgrund des Endes der Leistungsfortzahlung gem. § 126 SGB III sei eine wesentliche Änderung eingetreten. Gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 4 SGB X sei der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder aufgrund von grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass der Anspruch ganz oder teilweise weggefallen ist. Eine solche Situation sei hier gegeben. Die Klägerin habe unterschriftlich bestätigt, dass sie das Merkblatt "Dienste und Leistungen" erhalten und davon Kenntnis genommen habe. Aus diesem Merkblatt habe die Klägerin wissen müssen, dass die persönliche Arbeitslosmeldung eine unverzichtbare Anspruchsvoraussetzung zum Bezug von Arbeitslosengeld ist. In dem Merkblatt werde eindeutig darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, das Arbeitsamt sofort zu benachrichtigen, wenn der Arbeitslose wieder arbeitsfähig ist. Bei Arbeitsunfähigkeit werde Arbeitslosengeld nur bis zur Dauer von sechs Wochen weitergezahlt. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reiche bis zum 05.01.1999. Erst nach Erhalt des Aufhebungsbescheides habe die Klägerin wieder persönlich beim Arbeitsamt vorgesprochen und mitgeteilt, ab dem 06.01.1999 wieder arbeitsfähig zu sein.

Hiergegen hat sich die Klägerin am 13.04.1999 an das Sozialgericht Dresden (SG) gewandt.

Die Beklagte hat hierzu die Auffassung vertreten, die Sechs-Wochen-Frist der Leistungsfortzahlung gem. § 126 SGB III umfasse den Zeitraum vom 24.11.1998 bis zum 04.01.1999. Daher sei die Bewilligung der Leistung Arbeitslosengeld ab dem 05.01.1999 wegen des Endes der Leistungsfortzahlung gem. § 126 Abs. 1 SGB III i. V. m. § 48 SGB X aufzuheben gewesen. Bei diesem Aufhebungsgrund sei eine Anhörung gem. § 24 SGB X nicht erforderlich gewesen, da von den tatsächlichen Angaben der Klägerin nicht zu ihren Ungunsten abgewichen worden sei.

Durch Gerichtsbescheid vom 01. Dezember 1999 hat das SG der Klage stattgegeben. Die Beklagte habe gegen die Anhörungspflicht gem. § 24 SGB X verstoßen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei diese auch nicht nach § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X entbehrlich gewesen. Die Beklagte habe in ihrem Widerspruch die Behauptung der Klägerin, sie habe bereits am 18.01.1999 anlässlich der ärztlichen Untersuchung erklärt, dass sie dem Arbeitsamt wieder zur Verfügung stehe, ihrer Entscheidung nicht zugrunde gelegt, vielmehr habe sie in dem Widerspruchsbescheid erneut ausgeführt, dass die Klägerin erstmals am 01.02.1999 bei der Arbeitsvermittlung vorgesprochen habe.

Gegen den am 06.01.2000 abgesandten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 04. Februar 2000 Berufung eingelegt. Die Klägerin habe selbst mitgeteilt, sie sei ab dem 24.11.1998 bis einschließlich dem 05.01.1999 (und damit über sechs Wochen) arbeitsunfähig. Daher sei bei der Aufhebung der Bewilligung ab dem 05.01.1999 nicht von den tatsächlichen Angaben der Klägerin abgewichen worden. Auf S. 33 des Merkblattes werde die Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen erläutert. Die Klägerin habe unterschriftlich bestätigt, dieses Merkblatt zur Kenntnis genommen zu haben.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 01.12.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie habe bereits am 04.01.1999 beim Arbeitsamt vorgesprochen und in diesem Zusammenhang auch erklärt, sie sei wieder gesund.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige (§§ 143, 144 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben und den Bescheid vom 26.01.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.03.1999 aufgehoben, denn die Klägerin ist hierdurch in ihren Rechten verletzt.

Die Beklagte hat den Aufhebungsbescheid zunächst auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III gestützt, weil der Zeitraum der Fortzahlung von Arbeitslosengeld trotz Arbeitsunfähigkeit nach sechs Wochen abgelaufen war, § 126 Abs. 3 SGB III. Nach Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (Bewilligung von Alg) sei eine wesentliche Änderung eingetreten. Der Verwaltungsakt sei mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, da die Klägerin einen "Anspruch auf Krankengeld bzw. Versorgungskranken- oder Verletztengeld" habe. Dieser Aufhebungsbescheid stellt einen belastenden Verwaltungsakt dar, der in die Rechte der Klägerin eingreift.

Bevor jedoch ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem nach § 24 Abs. 1 SGB X Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. § 24 SGB X gewährt mit Rücksicht auf das auch die Verwaltung verpflichtende Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz) das rechtliche Gehör im Verwaltungsverfahren der Sozialleistungsträger, wenn in die Rechte eines Beteiligten eingegriffen werden soll. Die Norm will sicherstellen, dass den Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, auf das Verfahren der Sozialverwaltung und auf deren Entscheidung Einfluss zu nehmen, denn er darf nicht bloßes Objekt des Verwaltungsverfahrens werden. Damit hat der Gesetzgeber das Vertrauensverhältnis zu dem Bürger insbesondere durch den Schutz vor Überraschungsentscheidungen verbessern wollen (Nehls, Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anhörung, NVwZ 1982, S. 494).

Eine ordnungsgemäße Anhörung ist vorliegend vor Erlass dieses Bescheides vom 26.01.1999 nicht geschehen. Aus der Leistungsakte der Beklagten ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin vor Erlass dieses Bescheides die Möglichkeit zur Stellungnahme zu den - nach Auffassung der Beklagten - entscheidungserheblichen Tatsachen der beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung (hier noch: das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs) gegeben wurde.

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob bereits zu der Umstellung auf eine Leistungsfortzahlung gemäß § 126 SGB III eine Anhörung erforderlich wäre. Auch wenn gerade der vorliegende Fall zeigt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt an eine Anhörung zu denken wäre, weil für den betroffenen Bürger die Begrenzung des Anspruchs nach § 126 SGB III auf 6 Wochen - gegenüber der vorausgegangenen Bewilligungsentscheidung ohne eine derartige zeitliche Einschränkung - eine erhebliche Bedeutung hat und diese Änderung möglicherweise gar nicht richtig erkannt wird.

Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann von einer Anhörung nur unter bestimmten, im Gesetz abschließend (vgl. BSGE 44, 207, 209) aufgezählten Ausnahmen abgesehen werden. So ist eine Anhörung u. a. nicht erforderlich, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (Nr. 1), durch die Anhörung die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist infrage gestellt würde (Nr. 2) oder von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll (Nr. 3).

§ 24 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB X sind ersichtlich nicht erfüllt, insbesondere war die Einhaltung der Jahresfrist gemäß § 48 Abs. 4 i. V. m. § 45 Abs. 4 SGB X nicht gefährdet. Ein Fall des § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X liegt ebenso wenig vor. Die Regelung dient vor allem der Verfahrensökonomie und beruht auf dem Gedanken, dass die Anhörung durch die eigenen Angaben des Betroffenen gewissermaßen schon vorweggenommen ist. Nach dem gesetzgeberischen Grund der Regelung und im Hinblick auf § 20 SGB X ist Nr. 3 einschränkend auszulegen bzw. anzuwenden (vgl. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG -, 5. Aufl., Rn. 47 zu § 28). Eigene Angaben können eine Entscheidung ohne weitere Anhörung nur dann rechtfertigen, wenn nach Lage des konkreten Falles die Möglichkeit auszuschließen ist, dass die Anhörung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, die eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung fertigen könnten (Kopp, a. a. O.).

Eine solche Situation lag hier nicht vor. Dies zeigt gerade der weitere Verlauf. Erst im Widerspruchsbescheid führte die Beklagte aus, die Klägerin habe aus dem Inhalt des Merkblattes wissen müssen, wie wichtig die unmittelbare Benachrichtigung des Arbeitsamtes sei. Zu diesem Punkt hat auch die Klägerin die für den weiteren Leistungsanspruch notwendigen Angaben gemacht. Zunächst führte sie im Wesentlichen an, bereits bei der ärztlichen Untersuchung am 18.01.1999 habe sie ausdrücklich erklärt, dass sie der Vermittlung zur Verfügung stehe (Diesen Umstand hatte die Klägerin bereits in ihrem Widerspruchsschreiben vom 12.02.1999 mitgeteilt.). In der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens am 24.01.2001 hat sie darüber hinaus vorgetragen, bereits am 04.01.1999 habe sie beim Arbeitsamt nicht nur ihre "Papiere für die Untersuchung" abgeholt, sondern dabei auch darauf hingewiesen, dass sie wieder gesund sei. Hierzu beschrieb sie auch genau das Zimmer, in welchem sie damals gewesen sei. Auch wenn nicht abschließend klar ist, ob sich dies alles tatsächlich so abgespielt hat, wie von der Klägerin geschildert, kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Gesichtspunkte eine günstigere Entscheidung hätten rechtfertigen können, zumal dann auch davon ausgegangen werden müsste, die Klägerin habe ihre wiedererlangte Arbeitsfähigkeit rechtzeitig mitgeteilt.

Der Verfahrensfehler ist auch nicht gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X durch Nachholung einer ordnungsgemäßen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt. Eine Heilung tritt nur ein, wenn der mit dem Widerspruch angefochtene Bescheid oder ein vor Erlass des Widerspruchsbescheides versandtes Anhörungsschreiben alle Tatsachen enthält, auf die es nach der Rechtssicht der Behörde für den Verfügungssatz objektiv ankommt (BSG SozR 3-4010 § 117 Nr. 11 m. w. N.). Die Beklagte hatte zunächst in dem Bescheid vom 25.01.1999 die Aufhebung mit einem Bezug von anderweitigen Sozialleistungen begründet. Auch ohne genaue Bezeichnung der Norm stützte sie dies letztlich auf § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Im Widerspruchsbescheid vom 23.03.1999 führte die Beklagte demgegenüber zur Begründung andere - neue - Gründe an. Eine solche Auswechslung der Gründe verstößt gegen § 24 Abs. 1 SGB X, wenn die Behörde die Beteiligten nicht zuvor zu den nunmehr für ihre Entscheidung erheblichen Tatsachen anhört (BSG SozR-1300 § 24 Nr. 9). Daher war die unterlassene Anhörung nicht durch das Widerspruchsverfahren geheilt worden gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X.

Eine Änderung der Rechtslage ist auch nicht durch die Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X durch Art. 10 Nr. 5 des Gesetzes zur Einführung des Euro-, Sozial- und Arbeitsrechts sowie zur Änderung anderer Vorschriften (4. Euro-Einführungsgesetz) eingetreten. Entsprechend der neuen Fassung des § 41 Abs. 2 SGB X können Handlungen nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 SGB X nunmehr noch bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Die geänderte Fassung des § 41 Abs. 2 SGB X ist gemäß Art. 68 Abs. 1 des 4. Euro-Einführungsgesetzes m. W. zum 01.01.2000 in Kraft getreten. Nach verfassungskonformer Auslegung der neugefassten Norm sowie unter Beachtung allgemeiner Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts ist die Vorschrift jedoch lediglich auf Verfahren anzuwenden, in denen die das Vorverfahren abschließende Entscheidung der Verwaltung nach In-Kraft-Treten der Norm ergangen ist (BSG, Urteil v. 18.09.1997 - 11 RAr 9/97; BSG, Urt. v. 19.03.1998, B 7 AL 44/97 R). Die verfahrensrechtliche Zulässigkeit der Aufhebung einer rechtswidrigen Leistungsbewilligung richtet sich grundsätzlich nach der Rechtslage zur Zeit eines das Verwaltungsverfahren beendenden Widerspruchsbescheides (BSG, Urt. v. 18.09.1997, a.a.O.; BSG, Urt. v. 19.03.1998, a.a.O.). Im vorliegenden Verfahren ist der Widerspruchsbescheid am 24.03.1999 erlassen worden. Zum Zeitpunkt seines Erlasses war § 41 Abs. 2 SGB X noch nicht geändert. Er ist daher in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung weiterhin anzuwenden (BSG, Urt. v. 18.09.1997 und v. 19.03.1998, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 12.03.1998, 4 CN 12/97). Würde der neugefasste § 41 Abs. 2 SGB X dahingehend verstanden, dass er auch auf die bereits vor seinem In-Kraft-Treten abgeschlossenen Verwaltungsverfahren anzuwenden wäre, beinhaltete die Norm eine gegen Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) - Rechtsstaatsgebot - verstoßende Rückwirkung belastender Gesetze (vgl. u.a. BVerfGE 13, 261).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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