L 5 RJ 227/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 8 RJ 95/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 227/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 05. Juli 1999 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in erster Instanz zu zwei Dritteln und des Berufungsverfahrens ganz.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen Berufsfähigkeit über den 30. November 1997 hinaus.

Die am ... geborene Klägerin absolvierte in der Zeit vom 1. September 1971 bis 14. Februar 1974 eine Lehre als Näherin und erwarb ein Facharbeiterzeugnis für Textiltechnik mit der Spezialisierungsrichtung Konfektion. Anschließend arbeitete sie bis zum 31. Dezember 1991 ununterbrochen in ihrem erlernten Beruf, zuletzt als Trikotagennäherin. Seitdem geht sie keiner Beschäftigung mehr nach.

Auf ihren Antrag vom 27. Juni 1994 gewährte ihr die Beklagte durch Bescheid vom 17. Oktober 1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Dezember 1995 bis 30. November 1997.

Am 3. September 1997 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Weiterzahlung der Rente über den Wegfallmonat hinaus.

Daraufhin ließ die Beklagte nach Einholung eines ärztlichen Befundberichts vom 4. September 1997 bei dem die Klägerin behandelnden Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie, Herrn Diplom-Mediziner A ..., ein ärztliches Gutachten vom 22. Oktober 1997 nach einer Untersuchung der Klägerin am gleichen Tag bei Frau Dr. R ..., Gutachterärztin, erstellen. Sie diagnostizierte bei der Klägerin:

Coxarthrose beidseits, links ausgeprägter als rechts mit Umstellungsosteotomie 1990,
Wirbelsäulen-Beschwerden bei Fehlstatik und degenerativen Veränderungen
sowie Übergewicht.

Die mögliche Gehstrecke werde von der Klägerin mit etwa einem Kilometer angegeben, Fahrradfahren sei weitgehend unbegrenzt möglich, Hebe- und Tragebelastungen führten zu Schmerzverstärkungen. Die Gutachterin wies darauf hin, dass die körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit noch recht gut sei, wesentliche Bewegungseinschränkungen fänden sich nicht. Gegenüber den Voruntersuchungen bestehe insoweit eine Besserung, als der Bewegungsumfang nicht mehr limitiert sei und eine seitengleiche und eher kräftige Muskelentwicklung festzustellen sei, welche als Symptom guter Bewegungsfähigkeit gewertet werden müsse. Die Gutachterin schätzte ein, sowohl für eine Tätigkeit als Näherin als auch für sonstige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen seit 22. Oktober 1997. Es könnten noch leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung vollschichtig verrichtet werden, jedoch ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken und ohne häufiges Klettern oder Steigen.

Mit Bescheid vom 6. November 1997 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über den Wegfallzeitpunkt hinaus zurück. Zur Begründung führte sie aus, mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könnten im angelernten Beruf als Näherin Arbeiten vollschichtig ausgeübt werden.

Den Widerspruch der Klägerin vom 16. November 1997 wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 1998 zurück. Mit den bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen komme neben einer vollschichtigen Beschäftigung als Näherin außerdem eine leichte Arbeit im Wechselrhythmus, ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung, ohne häufiges Bücken und ohne häufiges Klettern oder Steigen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht. Die befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei auf Grund der eingeschränkten Wegefähigkeit (kleiner als 500 m) bei gleichzeitig vorliegendem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gewährt worden. Die Wegefähigkeit habe bei der sozialmedizinischen Begutachtung am 22. Oktober 1997 aber etwa einen Kilometer betragen. Außerdem sei gegenüber den Voruntersuchungen nunmehr eine Besserung im Hinblick auf den Bewegungsumfang und die Muskelentwicklung festzustellen.

Der gegen die Bescheide der Beklagten am 11. Februar 1998 beim Sozialgericht Chemnitz eingegangenen Klage hat das Gericht durch Urteil vom 5. Juli 1999 insoweit stattgegeben, als es die Beklagte zur Zahlung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Dezember 1997 verurteilt hat. Seine Entscheidung hat das Gericht nach Einholung von ärztlichen Befundberichten und Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen insbesondere auf ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet gestützt. Der Gutachter, Herr Dr. Gehmlich, Facharzt für Orthopädie/Chirotherapie, hat in seinem Gutachten vom 29. März 1999 nach einer Untersuchung der Klägerin am gleichen Tag folgende Diagnosen gestellt:

Dysplasiecoxarthrose links, Zustand nach Umstellungsoperation, Bewegungseinschränkungen leichten Grades,
Hüftdysplasie rechts ohne Bewegungseinschränkungen,
Beckenschiefstand links 1,5 cm,
Thoracolumbalskoliose ersten Grades mit präsakraler Osteochondrosis und Funktionseinschränkungen leichten Grades.

Der Gutachter hat mitgeteilt, radikuläre Ausfälle bestünden weder im Bereich der Lendenwirbelsäule noch im Bereich der Brustwirbelsäule. Auch im Schulter-Nacken-Bereich fänden sich keine radikulären Ausfälle. Die Gehstrecke werde von der Klägerin mit 20 bis 30 Minuten angegeben, danach sei eine Pause von 10 bis 15 Minuten notwendig. Das Gangbild könne trotz Hinkens als zügig angesehen werden, aus orthopädischer Erfahrung heraus sei anzunehmen, Gehstrecken von 30 Minuten Dauer seien möglich. Dabei liege die zurückgelegte Gehstrecke innerhalb dieser Zeit nicht wesentlich unter derjenigen eines Gesunden. Wesentliche Bewegungseinschränkungen fänden sich nicht. Funktionsstörungen, die für eine wechselnde Tätigkeit zwischen Gehen, Stehen und Sitzen eine quantitative Einschränkung der Leistungsfähigkeit erklären könnten, lägen nicht vor. Eine Tätigkeit als Näherin sei auf Grund der Thoracolumbalskoliose mit funktionellen Beschwerden nur noch unter vollschichtig möglich, weil es sich dabei um eine ausschließlich sitzende Tätigkeit mit Arbeiten in Zwangshaltung und statisch ungünstiger Belastung des Schulter-Nacken-Gürtels handele. Vermieden werden müssten Arbeiten in Zwangshaltung, Arbeiten mit mittelschwerem und schwerem Tragen sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Auch häufiges Bücken sei zu vermeiden. Die Klägerin sei dazu in der Lage, viermal täglich eine Wegstrecke von mehr als 500 m zurückzulegen. Die Einschätzung der Beklagten im Gutachten vom 22. Oktober 1997 sei zutreffend. Weiterer medizinischer Fachgutachten bedürfe es nicht.

Das Sozialgericht hat argumentiert, der Klägerin stehe zwar kein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, jedoch ein solcher auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit zu. Zwar sei die Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt, sie sei jedoch noch dazu in der Lage, vollschichtig zumindest eine leichte Tätigkeit mit zusätzlichen Funktionseinschränkungen auszuüben, so dass keine Erwerbsunfähigkeit gegeben sei. Bezüglich der Einschätzung ihres Leistungsvermögens sei den Gutachten von Frau Dr. R ... und von Herrn Dr. G ... zu folgen. Bei dem bei der Klägerin bestehenden Beschwerdebild könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Arbeitsmarkt verschlossen sei, weil atypische spezifische gesundheitliche oder berufliche Einschränkungen nicht vorlägen. Berufsunfähigkeit sei demgegenüber zu bejahen, da der zuletzt ausgeübte Beruf als Trikotagennäherin, welcher dem Bereich der oberen angelernten Arbeiter zuzurechnen sei, mit dem bestehenden Restleistungsvermögen nicht mehr ausgeübt werden könne und die Beklagte keine zumutbare Verweisungstätigkeit ordnungsgemäß benannt habe. Insofern habe die Benennung einer "Bürohilfskraft" in der mündlichen Verhandlung der erforderlichen Substantiiertheit entbehrt. Weder aus dem Beteiligtenvorbringen noch aus der Aktenlage hätten sich dem Gericht konkrete Anhaltspunkte dafür aufgedrängt, ein weiterer bestimmter Verweisungsberuf könne der Klägerin fachlich und gesundheitlich zumutbar sein. Insbesondere sei das zur Neutralität verpflichtete Gericht nicht berechtigt oder verpflichtet gewesen, von Amts wegen weitere Beweise zu erheben.

Gegen das am 30. Juli 1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 27. August 1999 eingegangenes Schreiben vom 24. August 1999 Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Beklagte trägt vor, die Klägerin selbst habe zwar eine Ausbildung von zweieinhalb Jahren zur Facharbeiterin für Textiltechnik - Konfektion - durchlaufen. Für die Einstufung in das vom Bundessozialgericht entwickelte Mehrstufenschema könne jedoch nur die regelmäßige Ausbildung von eineinhalb Jahren maßgeblich sein. Die individuelle Ausbildung der Klägerin habe nämlich nur deshalb so lange gedauert, weil sie die Polytechnische Oberschule bereits nach der achten Klasse verlassen haben. Im Übrigen habe sie selbst angegeben, lediglich reine Näharbeiten verrichtet zu haben, so dass sie mit einer heutigen Bekleidungsnäherin gleichzusetzen sei. Die Tätigkeit einer Bekleidungsnäherin entspreche der ersten Stufe des anerkannten Ausbildungsberufes Bekleidungsschneiderin und könne nach einer Ausbildungsdauer von lediglich einem Jahr vollwertig verrichtet werden. Somit könne die Klägerin lediglich dem unteren Bereich der Stufe der angelernten Arbeiter zugeordnet werden. Dementsprechend sei sie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, ohne dass konkrete Verweisungstätigkeiten benannt werden müssten. Selbst wenn die zuletzt ausgeübte Tätigkeit der Klägerin dem oberen Bereich der angelernten Arbeiter zugeordnet werde, scheitere ein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit an der Möglichkeit der Verweisung auf die Tätigkeiten einer Bürohilfskraft, einer Pförtnerin oder einer Telefonistin. Hinsichtlich des Anforderungsprofils einer Bürohilfskraft nimmt die Beklagte unter Darlegung der einzelnen Kriterien insbesondere Bezug auf die Berufs-Informations-Karte BO 784.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Juli 1999 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzlichen Entscheidung für zutreffend.

Zur Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht hat der Senat nach Einholung von ärztlichen Befundberichten ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet bei Herrn Prof. Dr. Dürrschmidt erstellen lassen. Er hat in seinem Gutachten vom 16. August 2000 nach einer Untersuchung der Klägerin am 15. August 2000 folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

Dysplasiecoxarthrose links, Dysplasieanlage des rechten Hüftgelenkes,

lokales lumbales vertebragenes Schmerzsyndrom bei leichter linkskonvexer Lumbalskoliose und Osteochondrose L 5/S 1,

zervikales vertebragenes lokales bis pseudoradikuläres Schmerzsyndrom bei kyphotischer Fehlstellung der mittleren Halswirbelsäule, aber ohne bedeutsamere degenerative Veränderungen.

Er hat mitgeteilt, trotz guter Beweglichkeit bestehe im linken Hüftgelenk ein Funktionsschmerz. Die Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule sei relativ gering. Radikuläre oder pseudoradikuläre Stigmata seien nicht nachzuweisen. Im Bereich der Halswirbelsäule fänden sich keine degenerativen Veränderungen. Trotz geklagter Schmerzen vor allem im unteren Abschnitt der Halswirbelsäule sei deren Beweglichkeit frei. Mit diesen Beschwerden könne die Klägerin einer vollschichtigen Beschäftigung nachgehen. Kälte und Nässe sowie Zugluft sollten dabei gemieden werden. Es könnten nur leichte Arbeiten ausgeführt werden, die im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen realisierbar seien. Der überwiegende Anteil der täglichen Arbeitszeit solle im Sitzen zugebracht werden (80 Prozent). Die übrigen 20 Prozent sollten auf Gehen und Stehen verteilt sein. Lasten von mehr als 5 kg sollten nicht getragen werden. Hocken und Knien sei möglich, Bücken solle auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben. Arbeiten über Kopf seien generell möglich, sollten wegen der Zervikalbeschwerden jedoch nicht mit großer Häufigkeit während der Arbeitsschicht notwendig sein. Treppensteigen sei möglich, solle jedoch nicht gehäuft erforderlich sein. Leitern und Gerüste könnten nicht betreten werden. Arbeiten am Fließband oder an laufenden Maschinen könnten wegen der erforderlichen fixierten Körperposition nicht ausgeübt werden. Wechsel- oder Nachtschicht sei möglich. Ihre Kommunikationsfähigkeit sei gut, die Funktionstüchtigkeit der Sinnesorgane zeige keine Auffälligkeiten. Bei der Untersuchung und Anamneseerhebung habe sie einen sehr konzentrierten Eindruck hinterlassen. Besonderer Erholungspausen bedürfe sie nicht. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Eine Arbeit als Bürohilfskraft sei möglich. Bei einer Tätigkeit als Mitarbeiterin in einer Poststelle müsse darauf geachtet werden, dass sie keine Lasten von mehr als 5 kg repetierend anheben solle, gelegentliches Anheben bis zu 10 kg sei möglich. Die zeitlich begrenzte Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sei im Nachhinein medizinisch nicht nachvollziehbar. Weitere fachärztliche Gutachten seien nicht erforderlich.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 13. September 2000 hat Herr Prof. Dr. D ... ausgeführt, er halte die Klägerin für vollschichtig einsetzbar in einer Tätigkeit als Pförtnerin oder als Bürohilfskraft, da diese Tätigkeiten einen Haltungswechsel zuließen. In der mündlichen Verhandlung hat der Senat mit den Beteiligten die Tätigkeit einer Pförtnerin erörtert und insofern auf den Beteiligten überreichte berufskundliche Informationen Bezug genommen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

Der Klägerin steht entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts kein Anspruch auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Dezember 1997 zu.

Bei der Klägerin liegt keine Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Absatz 2 SGB VI vor. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Gemäß Satz 2 umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Satz 4 bestimmt ausdrücklich, dass berufsunfähig nicht ist, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Berufsunfähigkeit ist bei der Klägerin zu verneinen, weil sie nach den medizinischen Unterlagen zwar nicht mehr als Näherin zu arbeiten vermag, aber weiterhin leichte Arbeiten unter bestimmten Einschränkungen vollschichtig verrichten und somit jedenfalls auf den Beruf einer Pförtnerin verwiesen werden kann.

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit bestimmt sich nach der qualitativen Wertigkeit des bisherigen Berufs. "Bisheriger Beruf" im Sinne des § 43 Absatz 2 Satz 2 SGB VI ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit (BSG, Urteil vom 27. Februar 1997, Az.: 13 RJ 5/96, NZS 1997, Seite 478 [479]). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sie die qualitativ höchste ist.

Maßgeblich ist insoweit die Beschäftigung der Klägerin als Näherin, die sie während ihres gesamten Berufslebens ausgeübt hat.

Zur Beurteilung der qualitativen Wertigkeit des bisherigen Berufs hat das Bundessozialgericht ein Stufenschema entwickelt, welches verschiedene Berufsgruppen je nach Bedeutung, Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität des Berufs - unterscheidet. Danach ist zu differenzieren zwischen Vorarbeitern mit Vorgesetztenfunktion bzw. besonders hoch qualifizierten Facharbeitern, Facharbeitern (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), angelernten Arbeitern (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und ungelernten Arbeitern. Im Rahmen des § 43 Absatz 2 SGB VI sind dem Versicherten im Allgemeinen nur Tätigkeiten der jeweils niedrigeren Gruppe zumutbar, soweit sie ihn nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen und seinem beruflichen Können und Wissen nicht überfordern (BSG, Urteil vom 27. Februar 1997, Az.: 13 RJ 5/96, NZS 1997, Seite 478 [479]).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin - wie die Beklagte meint - dem unteren Bereich der angelernten Arbeiter oder - wie das Sozialgericht angenommen hat - dem oberen Bereich der angelernten Arbeiter zuzuordnen ist. Denn jedenfalls kann die Klägerin zumutbar auf die gerichtsbekannte Verweisungstätigkeit einer Pförtnerin verwiesen werden. Eine solche Tätigkeit ist auch Angelernten des oberen Bereichs subjektiv zumutbar. Bei diesen relativ hoch angesiedelten Angelernten müssen sich zumutbare Verweisungstätigkeiten durch Qualitätsmerkmale auszeichnen, z. B. durch das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher oder betrieblicher Vorkenntnisse (s. KassKomm-Niesel, SGB VI, § 43, Rdnr. 109 m.w.N.). Diese Kriterien liegen bei der Tätigkeit einer Pförtnerin vor. Regelmäßig bedarf es hier einer gewissen Einweisung. Ferner ist eine Einarbeitung erforderlich, die jedoch innerhalb von drei Monaten bewerkstelligt werden kann (vgl. zu dieser Voraussetzung KassKomm-Niesel, SGB VI, § 43, Rdnr. 100). Eine solche Tätigkeit zeichnet sich außerdem durch einen gewissen Verantwortungsbereich und eine relativ freie Zeiteinteilung aus. Sie unterscheidet sich dadurch von Tätigkeiten mit ganz geringem qualitativen Wert (siehe KassKomm-Niesel, SGB VI, Rdnr. 109, 46, 122). Eine derartige Tätigkeit ist der Klägerin schließlich auch objektiv zumutbar, weil sie nach den sozialmedizinischen Feststellungen noch dazu in der Lage ist, körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung bestimmter Einschränkungen vollschichtig zu verrichten, sofern sie überwiegend im Sitzen tätig sein kann. Insoweit ist die Einschätzung des Restleistungsvermögens durch das Sozialgericht zutreffend, so dass auf dessen Ausführungen Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden kann. Für die Zeit nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils ergibt sich nichts anderes. Herr Prof. Dr. D ... hat ausgeführt, leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung mit überwiegendem Sitzanteil könnten vollschichtig ausgeführt werden. Die Wegefähigkeit sei nicht erheblich beeinträchtigt. Im Einzelnen hat er schlüssig und nachvollziehbar begründet, dass im Wesentlichen keine Bewegungseinschränkungen bei der Klägerin vorliegen. Auch radikuläre oder pseudoradikuläre Ausfälle waren nicht nachweisbar. Wegen der Schmerzen im linken Hüftgelenk ist zwingend, dass die Klägerin überwiegend im Sitzen und ohne häufiges Treppensteigen tätig sein soll. Die daraus resultierenden Einschränkungen lassen sich aber mit der Tätigkeit einer Pförtnerin vereinbaren. Die übrigen von Herrn Prof. Dr. Dürrschmidt genannten Einschränkungen spielen bei der Tätigkeit einer Pförtnerin keine Rolle. Hierbei handelt es sich um eine durchweg leichte Arbeit, die trotz überwiegenden Sitzens die Möglichkeit zu einem gelegentlichen Wechsel der Körperhaltung bietet.

Dahinstehen kann deshalb, ob auch die von der Beklagten (allerdings erst im Berufungsverfahren ordnungsgemäß) benannte Verweisungstätigkeit einer Bürohilfskraft in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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