L 1 SB 40/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 2 SB 135/98
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SB 40/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 06. September 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).

Die am ... geborene Klägerin beantragte erstmals am 11.04.1991 bei dem Beklagten, Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz zu treffen. Als Funktionsstörung gab sie dabei eine organische Nervenlähmung an. Nachdem der Beklagte Krankenunterlagen des Rates der Stadt L ... und von Dr. W ... beigezogen hatte, stellte er mit Bescheid vom 20.02.1992 eine Behinderung mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 fest unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen (dort und auch im folgenden als "Behinderungen" bezeichnet): 1. Organisches Nervenleiden, 2. Syringomyelie. Merkzeichen wurde nicht zuerkannt. Den hiergegen am 10.03.1992 eingelegten Widerspruch der Klägerin half der Beklagte mit Bescheid vom 20.07.1992 insoweit ab, als er unter Beibehaltung der Feststellung im Übrigen zusätzlich die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" feststellte. Den auf Zuerkennung des Merkzeichens "RF" gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 24.11.1992 zurück.

Die Klägerin beantragte am 01.07.1997 erneut bei dem Beklagten, Feststellungen zu treffen. Ein Augenleiden habe sich bei ihr verschlimmert. Der Beklagte zog einen Befundbericht von Dr. V ... auf augenärztlichem Fachgebiet bei und stellte mit ebenfalls bestandskräftigem Änderungsbescheid vom 28.10.1997 eine Behinderung mit einem GdB von 70 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" fest unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen: 1. Syringomyelie, 2. Sehminderung beidseits.

Die Klägerin beantragte am 15.12.1997 erneut, Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz zu treffen. Bei ihr hätten sich die Leiden an den Zehen beider Beine und am Fußstrecker in Form von Taubheitsgefühlen verschlimmert.

Der Beklagte zog einen Befundbericht von Dipl.-Med. K ... auf neurologischem Fachgebiet bei und stellte mit Änderungsbescheid vom 13.02.1998 eine Behinderung mit einem GdB von 70 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "G" unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen fest: 1. Syringomyelie, Polyneuropathie, 2. Sehminderung beidseits.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 10.03.1998 bei dem Beklagten Widerspruch ein. Wegen der Polyneuropathie sei der GdB nicht zutreffend erhöht worden; ferner vertrat sie die Ansicht, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" zu erfüllen. Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.1998 den Widerspruch zurück. Auf der Grundlage der "Anhaltspunkte" seien die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen vollständig erfasst worden und mit einem GdB von 70 richtig bewertet. Auch erfülle die Klägerin nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF".

Hiergegen hat die Klägerin am 08.06.1998 Klage beim Sozialgericht Leipzig (SG) erhoben. Die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen seien bei der Einschätzung des GdB nicht hinreichend berücksichtigt worden; auch erfülle sie die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF".

Das SG hat zur Klärung des medizinischen Sachverhaltes Befundberichte von Dr. V ... auf augenärztlichem Fachgebiet beigezogen; Dr. V ... teilte dort die korrigierte Sehschärfe der Klägerin beidseits mit 0,3 mit. Ferner lagen Befundberichte von Dr. H ... auf orthopädischem Fachgebiet und von Dipl.-Med. K ...auf neurologischem Fachgebiet vor.

Der Beklagte hat am 15.12.1998 ein Vergleichsangebot unterbreitet, mit dem er sich bereit erklärt hat, als weitere Funktionsstörung "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule" und "Osteoporose" anzuerkennen und den GdB auf 80 zu erhöhen. Nachdem die Klägerin nicht eindeutig erklärt hatte, ob sie das Vergleichs- angebot annehmen wolle, hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 18.03.1999 (Bl. 63 SG-Akte) sein Vergleichsangebot als Teil- anerkenntnis formuliert.

Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 06.09.1999 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 13.02.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.1998 verurteilt, als weitere Funktionsbehinderungen eine "Funktionsbehinderung der Wirbelsäule; Osteoporose" mit einem Gesamt-GdB ab Oktober 1998 von 80 festzustellen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Klage sei insoweit begründet, als dass während des Klageverfahrens als weitere Behinderung die aus dem Tenor ersichtlichen Funktionsstörungen hinzugetreten seien und insoweit der GdB auf 80 zu erhöhen gewesen sei. Die Klage habe aber abgewiesen werden müssen, als sie über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinausgegangen sei. Die Klägerin erfülle nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF". Eine Sehbehinderung, die für sich einen Teil-GdB von wenigstens 60 beinhalte und insoweit für die Vergabe des Merkzeichens "RF" in Frage komme, liege bei der Klägerin nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht vor. Auch im Übrigen sei die Klägerin nicht ständig an das Haus gefesselt, was für die Vergabe des Merkzeichens "RF" erforderlich sei. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der bei ihr vorliegenden Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule und der Osteoporose.

Gegen den mit einschriebenen Brief vom 28.09.1999 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 26.10.1999 eingelegte Berufung, mit der die Klägerin die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" weiterverfolgt. Die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen führten zu einer Isolierung vom Alltagsleben. Sie könne auf Grund der Polyneuropathie kaum mehr einschlafen. An öffentlichen Veranstaltungen könne sie nicht teilnehmen, da die Reizüberflutung durch die Erkrankung des Gehirns von ihr nicht verkraftet werden könne.

Die in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene und auch nicht vertretene Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 06.09.1999 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 13.02.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.1998 zu verurteilen, bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Der Senat hat zur Klärung des medizinischen Sachverhaltes Befundberichte von Dipl.-Med. K ... auf neurologischem Fachgebiet, von Dr. H ... auf orthopädischem Fachgebiet und von Dr. V ... auf augenärztlichem Fachgebiet beigezogen; danach beträgt die korrigierte Sehschärfe beidseits 0,3. Ferner lag ein Befundbericht von Dr. G ... auf allgemein-medizinischem Fachgebiet vor.

Des Weiteren hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologischem Gutachtens von Dr. A ...; der Sachverständige kommt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die Klägerin an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht ständig gehindert sei; die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" seien zu verneinen; auf das Gutachten im Übrigen (Bl. 78 ff. LSG-Akte) wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Schwerbehindertenakte Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Klägerin verhandeln und entscheiden (§ 153 Abs. 1, § 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 105 Abs. 2, 143, 151 SGG) ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Mit Recht hat das SG die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin das im Berufungsverfahren allein streitgegenständliche Merkzeichen "RF" begehrt hat. Der angefochtene Bescheid vom 13.02.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.1998 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 19.10.1999 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF".

Gemäß § 4 Abs. 1 des "Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG)" in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421 ber. S. 1550) stellt die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständige Behörde das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest.

Nach § 3 Abs. 1 SchwbG sind als Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht, zu verstehen. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten. Bei mehreren, sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen, ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich.

Der Beklagte hat dabei - entgegen der bisherigen Praxis - im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG nur das Vorliegen einer (unbekannten) Behinderung und den GdB festzustellen. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen sind demgegenüber lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben (Urteile des BSG vom 24.06.1998, Az.: B 9 SB 18/97R; B 9 SB 20/97R; B 9 SB1/98R; B 9 SB 17/97R).

Nach § 3 Abs. 2 SchwbG ist die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung als GdB, nach Zehnergraden abgestuft, von 20 bis 100 festzustellen. Für den GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetzes (BVG) normierten Maßstäbe entsprechend. Für die Beurteilung ist danach maßgeblich, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehenden Beeinträchtigungen den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits besondere berufliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, andererseits finden auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt oder in der Freizeit Berücksichtigung. Denn das SchwbG gilt gleichermaßen für Berufstätige wie für Nichtberufstätige.

Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung, die konkrete Bestimmung des GdB und für die Ausgestaltung der Vermutungen für die Vergabe von Mehrzeichen sind im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Schwerbehinderten die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG" ("Anhaltspunkte"), die der Bundesminister für Arbeit und Soziales aktualisiert und zum Jahre 1996 herausgegeben hat. Die Rechtsprechung der Sozialgerichte erkennt die Anhaltspunkte umfassend als eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Bemessung sowohl des Umfangs als auch der Schwere der Beeinträchtigung an; denn den Anhaltspunkten ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben und ermöglicht auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigungen, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügt. Eine Abweichung von den Anhaltspunkten kann daher nur in medizinisch begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Ansonsten ist es nicht zulässig, eine vom Gutachter festgestellte Behinderung mit einem GdB-Wert zu bemessen, der nicht im Einklang mit den Richtlinien der Anhaltspunkte steht. Das Bundessozialgericht hat mehrfach die Bedeutung der Anhaltspunkte auch für das Gerichtsverfahren herausgestellt und den Anhaltspunkten den Charakter antizipierter Sachverständigengutachten beigemessen (vgl. insoweit BSG SozR 3-3870 § 4 SchwbG Nrn. 1, 5 und 6). Vorliegend hat der Senat keine Bedenken, die Anhaltspunkte seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

Die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" richtet sich nach § 4 Abs. 4 SchwbG, § 1 Abs. 1 Nr. 2 und 3 der "Landesverordnung von Sachsen über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht" vom 06.01.1992 (Sächsisches Gesetzes- und Verordnungsblatt 1992, Nr. 1 S. 16) i. V. m. Art. 1 des "Gesetzes zum Staatsvertrag über den Rundfunk im Vereinten Deutschland" vom 19.12.1991 (Sächsisches Gesetzes- und Verordnungsblatt von 1991, S. 425) i. V. m. Art. 4 § 6 des "Staatsvertrages über den Rundfunk im Vereinten Deutschland". Die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" sind zusammengefasst in Ziff. 33 der "Anhaltspunkte".

Zu den Blinden und nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderten Personen mit einem GdB von 60 allein wegen der Sehbehinderung, die bereits aus diesem Grund das Merkzeichen "RF" erhalten können (vgl. Ziff. 33 Abs. 2 der "Anhaltspunkte", S. 169), gehört die Klägerin nicht. Nach den von Dr. V ... auf augenärztlichem Fachgebiet mitgeteilten Werte der korrigierten Sehschärfe von beidseits 0,3 beträgt der Einzel-GdB gemäß Ziff. 26.4 der "Anhaltspunkte" (S. 65) hierfür 30 und erreicht danach nicht den Wert, bei dem gemäß Ziff. 33 Abs. 2 der "Anhaltspunkte" bereits wegen einer Sehminderung das Merkzeichens "RF" vergeben werden kann. Die Klägerin kann unbestritten auch nicht dem Personenkreis der Gehörlosen oder der Gehörbeeinträchtigten zugeordnet werden, bei denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (vgl. Ziff. 33 Abs. 2 Buchst. b der "Anhaltspunkte", S. 170). Die behandelnden Ärzte der Klägerin teilen Hörstörungen nicht mit.

Auch die im Übrigen bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen in Form der Syringomyelie (ein auf einer Anlagestörung beruhenden Höhlenbildung im Rückenmark, vgl. Ziff. 63 Abs. 2 der "Anhaltspunkte", S. 243) und die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule durch Osteoporose vermag die Vergabe des Merkzeichens "RF" nicht zu begründen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Ziff. 3 der "Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht" werden auf Antrag von der Rund- vorübergehend um wenigstens 80 v. H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können (vgl. auch Ziff. 33 Buchst. c der "Anhaltspunkte", S. 170).

Zwar liegt bei der Klägerin ausweislich der Bescheide eine Behinderung mit einem GdB von 80 vor. Gleichwohl ist sie trotz dieser bei ihr festgestellten Behinderung nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen zu können.

Das Merkzeichen "RF" steht Schwerbehinderten zu, wenn ihnen behinderungsbedingt öffentliche Veranstaltungen ihrer Art und der Anzahl nach nicht nennenswert und im Verhältnis zu den verschlossenen Veranstaltungen nur verschwindend geringfügig zugängig sind. Maßgebend für die Beurteilung sind die verbreiteten, nicht die nach den individuellen Interessen des Behinderten in Betracht kommenden Veranstaltungen (vgl. BSG, Urteil vom 29.02.1987, Az.: 9a RVs 72/85). Das BSG hat dabei in ständiger Rechtsprechung öffentliche Veranstaltungen als Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art definiert (vgl. Urteil des BSG vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91). In ständiger Rechtsprechung sind danach die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" eng auszulegen. Der Ausschluss von öffentlichen Veranstaltungen muss so allgemein und umfassend sein, dass er einer Bindung an das Haus gleichsteht (vgl. BSGE 53, 175 [180 ff.]; BSG SozR 3-3870 § 48 SchwbG Nr. 2).

Gemessen an diesen Vorgaben, denen sich der Senat ausdrücklich anschließt, liegen bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "RF" ebenfalls nicht vor. Die Klägerin ist insoweit trotz der bei ihr vorliegenden Erkrankungen nicht praktisch an das Haus gebunden.

Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senates aus den beigezogenen medizinischen Unterlagen und dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme.

Der Sachverständige führt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Befunde in der Beantwortung der Beweisfragen des Senats aus, dass bei der Klägerin folgende Gesundheitsstörungen nachzuweisen seien: Syringomyelie, die bereits 1958 diagnostiziert worden sei, einen chronisch schleichenden und progredienten Verlauf habe, wobei die Schmerz- und Temperaturempfindung gestört und die Mobilität erheblich beeinträchtigt sei. Die Genese dieser Erkrankung sei weitgehend unklar, eine spezielle Behandlung dagegen gäbe es nicht. Hirnorganisches Psychosyndrom im Rahmen einer zerebro-vaskulären Insuffizienz mit Störungen der Konzentrationsfähigkeit, der Merkfähigkeit, der Gedächtnisleistung und der Ausdauer. Polyneuropathie in klinisch leichtgradiger Ausprägung, wobei der objektivierbare Befund (EMG und ENG) gleichsam gering ausgeprägt sei. Die konkreten Befunde, die den Gesundheitsstörungen zu Grunde lägen, seien das ataktische Gangbild, die Störungen von Temperatur- und Schmerzempfindung, die gestörte Tiefensensibilität und die eingeschränkte Mobilität. Die Klägerin sei in ihrer Wohnung mobil und könne sich nach eigenen Angaben 400 Meter vom Haus weg bewegen. Darüber hinaus sei sie nicht in der Lage, eine längere Zeit in einer Haltung zu verharren, so sei das Sitzen für einen Zeitraum von 2,5 Stunden möglich, danach komme es zwingend zu Lageveränderungen. Die Behinderungen der Klägerin seien in den angefochtenen Bescheiden vollständig und richtig bezeichnet und wiedergegeben. Auch der Sachverständige schätzt die Teil-GdB-Werte für die Syringomyelie mit 50, für die Sehbehinderung mit 30 und für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule durch Osteoporose mit 20 ein. Der Gesamt-GdB betrage 80 und sei durchaus großzügig und angemessen bemessen. Ein hirnorganisches Psychosyndrom im Rahmen einer zerebro-vaskulären Insuffizienz sei in einem Spielraum eine durchaus physiologische und alters- typische Erscheinung, die in einem GdB nicht berücksichtigt werden müsse. Die Polyneuropathie sei sowohl klinisch als auch elektromyographisch nachzuweisen von sehr geringer Ausprägung, so dass es nicht zusätzlich eines GdB bedürfe, schon gar nicht dadurch bedingt, eine höhere Einstufung als 80.

Hinsichtlich des Merkzeichens "RF" führt der Sachverständige aus, dass die Klägerin wegen dieser Leiden nicht ständig an der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gehindert sei. Sie sei durchaus in der Lage, mit Hilfe einer Begleitperson und auch mit technischen Hilfsmitteln (Rollstuhl) das Haus zu verlassen und öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Sie könne darüber hinaus eine Wegstrecke von 400 Meter absolvieren und auch zwei bis drei Stunden an einer Stelle sitzen. Durch diese Behinderung wirke sie im sozialen Umfeld keineswegs störend und unzumutbar abstoßend. Es beständen weder motorische Unruhe noch Neigung zu aggressiven Verhaltensimpulsen noch die Tendenz zu ungewöhnlichen Bewegungen und Äußerungen. Die Bewegungsfähigkeit sei eingeschränkt und die Klägerin könne sich nur mit Hilfe von Gehstöcken in der Wohnung bewegen, könne dabei aber mit Unterstützung die Treppe hoch und runter gehen und sich auch von der Wohnung fortbewegen. Eine Fortbewegung sei mit Hilfe einer Unterarmstätze, eines Rollstuhles und auch durch Hilfe anderer möglich. Es sei ein regelmäßiger Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen erforderlich, wobei die Betroffene vordergründig auf die Körperhaltung des Sitzens angewiesen sei und nur in Sitzphasen durch kurze Einblenden der anderen genannten Bewegungsabläufe unterbrochen werde.

Der Senat schließt sich diesen gutachterlichen Ausführungen an. Das Gutachten ist in der Erhebung der Befunde, in der würdigenden Bewertung der Vorgeschichte und der bereits erhobenen Befunde sowie in der Beantwortung der Beweisfragen sachkundig erstellt, nachvollziehbar und im Ganzen schlüssig.

Danach steht zur Überzeuguang des Senats fest, dass die Klägerin trotz ihrer Behinderungen gleichwohl nicht gehindert ist, öffentliche Veranstaltungen unter Nutzung entsprechender Hilfsmittel bzw. Begleitpersonen in zumutbarer Weise zu nutzen. Insbesondere ist ein Behinderter von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen, so lange er mit technischen Hilfsmittel und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann. Die funktionsgerechte Benutzung eines üblichen, behinderungsgerechten Hilfsmittels stellt insoweit auch als solche keine Verletzung der Menschenwürde dar, sondern mildert im Rahmen des Möglichen die Auswirkung der Behinderung (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.1995 - RVs 3/95 -; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 -).

Da die Klägerin objektiv in der Lage ist, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen und dabei zwei bis drei Stunden sitzen kann, scheidet die Zuerkennung des Merkzeichens "RF" bereits aus diesem Grund aus. Auch wirkt die Klägerin nach dem Feststellungen des Sachverständigen, denen sich der Senat aus den genannten Gründen anschließt, auch nicht auf ihre Umgebung störend oder abstoßend. Zwar kann das Merkzeichen "RF" auch solchen Behinderten zugesprochen werden, die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirken (z.B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbaren Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können, vgl. Ziff. 33 Buchst. c der "Anhaltspunkte", S. 170). Derartige Auffälligkeiten werden von dem Sachverständigen jedoch nicht beschrieben. Soweit nach den "Anhaltspunkten" schließlich innere Leiden (schwere Herzleis- tungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) die Vergabe des Merkzeichens "RF" begründen können, soweit auf Grund dieser Erkrankungen der Betroffene auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen kann, sind entsprechende Behinderungen bei der Klägerin nicht festzustellen.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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