L 1 SB 54/00

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 2 SB 72/99
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SB 54/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 20.09.2000 und der Bescheid vom 26.08.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1999 werden abgeändert und der Beklagte verurteilt, bei der Klägerin ab 13.12.1999 den Grad der Behinderung mit 70 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie um die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).

Der Beklagte stellte erstmals im Februar 1994 bei der am ... geborenen Klägerin auf der Grundlage eines Befundberichts von Dipl.-Med. G ..., Facharzt für Augenheilkunde, von Dr. W ..., Facharzt für Orthopädie, und von Dipl.-Med. H ..., Facharzt für Innere Medizin, fest, dass die Klägerin schwerbehindert ist. Mit Abhilfebescheid vom 23.09.1994 stellte der Beklagte bei der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" sowie eine Behinderung mit einem GdB von 60 unter Berücksichtigung folgender Funktionsstörungen (dort und im Folgenden als "Behinderungen" bezeichnet) fest:

1. Sehbehinderung,
2. Wirbelbruch Funktionsbehinderung bei WS-Verformung, Osteoporose,
3. Bewegungseinschränkung des Hüftgelenkes beidseits,
4. Bewegungseinschränkung des Sprunggelenkes links, Bewegungseinschränkung des Handgelenkes rechts.

Am 11.05.1995 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten erstmals die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Nach Einholung eines Befundberichtes von Dr. W ... lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 15.08.1995 ab.

Unter dem 05.01.1998 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Verschlimmerungsantrag. Die Funktionsbehinderung durch die Wirbelsäulenverkrümmung nach Wirbeleinbrüchen infolge der Osteoporose habe sich verschlimmert. Aufgrund dessen habe sie starke Gehbeschwerden, so dass sie auf ein Auto angewiesen sei. Am 20.08.1997 habe sie eine Radiusfraktur am rechten Handgelenk erlitten. Der Beklagte holte die von Dr. G ..., Fachärztin für Innere Medizin/Endokrinologie festgestellten Befunde, einen Arztbericht von Dr. R ... vom Pathologischen Institut in Leipzig sowie Befundberichte von Prof. Dr. J ... von der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Universität Leipzig, von Dipl.-Med. H ... und von Dipl.-Med. P ..., Facharzt für Orthopädie und Chirotherapie, ein.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26.08.1998 den Antrag der Klägerin ab, da in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Behinderungen der Klägerin, des Grades der Behinderung und des Anspruchs auf Merkzeichen maßgebend gewesen seien, keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Weder hätten sich die bisher festgestellten Behinderungen verschlimmert noch lägen weitere Gesundheitsstörungen vor, die eine Funktionsbeeinträchtigung bewirkten und deshalb als Behinderungen gelten würden. Hiergegen legte die Klägerin am 11.09.1998 Widerspruch ein. Aufgrund der Verschlimmerung ihrer Beschwerden sei sie in eine Wohnung mit Fahrstuhl und Tiefgaragenplatz umgezogen, da sie nicht in der Lage sei, größere Strecken ohne erhebliche Anstrengungen sowie Gehhilfen zurückzulegen. Die im Abhilfebescheid vom 23.09.1994 festgestellten Behinderungen hätten sich um ein erhebliches Maß verschlimmert, so dass sie ständig Medikamente zur Schmerzlinderung einnehmen und ständig zahlreiche psychotherapeutische Behandlungen in Anspruch nehmen müsse. Auch sei eine Hüftoperation aufgrund der starken Bewegungseinschränkungen nicht mehr zu vermeiden. Hinzukomme die erneute Radiusfraktur vom 20.08.1997 und demzufolge eine Fehlstellung der rechten Hand.

Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte erneut einen Befundbericht von Dipl.-Med. P ... sowie von Dr. G ... ein und veranlasste die medizinische Begutachtung der Klägerin. Dr. D ..., Fachärztin für Orthopädie und Sportmedizin, kam in ihrem Gutachten vom 22.02.1999 zu dem Ergebnis, dass die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule infolge der erheblich gestörten Statik mit der Osteoporose mit einem GdB von 40 bewertet werden könne. Die Funktionseinschränkung am linken Hüftgelenk bedinge einen GdB von 30. Die Sehbehinderung bestehe unverändert und bedinge einen GdB von 30. Weggefallen als Behinderung sei die Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenkes. Hier liege lediglich eine Einschränkung von 10° gegenüber der Gegenseite vor, es bestehe keine Funktionsstörung im Sinne der einer Behinderung. Am rechten Handgelenk bestehe lediglich eine leichte Bajonettstellung im Handgelenksbereich ohne größere funktionelle Einschränkungen. Eine Behinderung liege nicht mehr vor. Der Gesamt-GdB verbleibe insgesamt bei 60. Es bestünden weiterhin die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G", jedoch nicht für "aG". Die Klägerin sei in ihrem Gehvermögen nicht mit einem Doppeloberschenkelamputierten vergleichbar.

Gestützt auf das Gutachten von Dr. D ... wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.1999 den Widerspruch der Klägerin zurück.

Mit der am 16.04.1999 beim Sozialgericht Leipzig (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" und Feststellung eines höheren GdB als 60 gerichtetes Begehren weiterverfolgt. Sie sei kaum mehr in der Lage, schon kürzere Strecken zurückzulegen, so dass sie nur noch auf ihren Pkw angewiesen sei. Zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei sie nicht mehr in der Lage. Aus dem Befund von Dr. G ..., der zur versorgungsärztlichen Untersuchung vorgelegen hätte, ergebe sich eindeutig, dass sich ihre Befunde erheblich verschlechert hätten.

Das SG hat Beweis erhoben und ein Gutachten auf orthopädischem Gebiet von Prof. Dr. S ... vom 20.01.2000 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet einen GdB von 50 zur Folge hätten. Zuzüglich der Behinderungen auf nichtorthopädischem Fachgebiet (Sehbehinderung) läge ein Gesamt-GdB von 60 vor. Für eine außergewöhnliche Gehbehinderung lägen die medizinischen Voraussetzungen nicht vor. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin sich nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Fahrzeuges bewegen könne. Wegstrecken von 500 m ohne Zeitdruck seien trotz der deutlichen Behinderungen noch durchaus zumutbar. Sie sei deutlich besser gestellt als die in den Anhaltspunkten genannten Vergleichspersonen. Auf das Gutachten im Übrigen (Bl. 25-35 SG-Akte) wird Bezug genommen.

Die Klägerin hat zu dem Gutachten von Prof. Dr ... Stellung genommen und einen Behandlungsbericht ihrer Physiotherapeutin Frau J ... vorgelegt. Danach würden die Gehstrecken der Klägerin geringer werden und das Gangbild weiche stärker als zuvor ab (hinkender-schleppender Gang). Während der Krankengymnastik werde eine stärker werdende Instabilität deutlich. Diese verursache Schmerzen und Muskelverkürzungen. Einige wichtige Gebrauchsbewegungen des Alltags seien nicht mehr möglich, z. B. in die Hocke gehen und wieder aufrichten, andere nur mit großen Einschränkungen und Ausweichmechanismen.

Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 20.09.2000 die Klage abgewiesen. Das SG stützt seine Entscheidung auf das Gutachten von Dr. D ... und das des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Danach stehe fest, dass die Klägerin nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" erfülle. Die noch mögliche Wegstrecke, welche von dem Sachverständigen (Prof. Dr. S ...) mit etwa 500 m eingeschätzt werde, liege weit über derjenigen, welche gewöhnlich für das Merkzeichen "aG" in Ansatz zu bringen sei. Das Merkzeichen "aG" werde nur zuerkannt, wenn das Fortbewegungsvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sei und der Behinderte nur noch kürzeste Wegstrecken von max. 50 m zurücklegen könne. Eine derartige starke Einschränkung liege bei der Klägerin auch nicht annähernd vor. Soziale Aspekte könnten bei der Entscheidung nicht berücksichtigt werden.

Gegen den an die Klägerin am 02.10.2000 abgesandten Gerichtsbescheid richtet sich die am 25.10.2000 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie bezweifle, dass sie mindestens 500 m am Stück laufen könne. Sobald sie aufgestanden sei, suche sie schon den nächsten Halt. Frei stehen könne sie überhaupt nicht mehr.

Die im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht anwesende und nicht vertretene Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 20.09.2000 und den Bescheid vom 26.08.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1999 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr mit Wirkung ab 05.01.1998 einen GdB von mindestens 70 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat zur weiteren Ermittlung des medizinischen Sachverhalts einen Befundbericht von Dipl.-Med. H ..., von Dipl.-Med. P ... sowie von Dr. G ... und den Entlassungsbericht der Sachsenklinik Bad-Lausick eingeholt. Nach Angabe von Dr. G ... hat sich die Knochendichte seit Dezember 1999 etwas verbessert. Die Abschlussuntersuchung in der Reha-Klinik ergab, dass die Klägerin in der Lage ist, eine Gehstrecke von 500 m im langsamen Tempo mit mehreren Pausen zurückzulegen. Dann fühle sich die Klägerin erschöpft und leide teilweise unter Luftnot. Es bestehe weiterhin ein linkshinkendes Gangbild. Auf den Reha-Entlassungsbericht der Sachsenklink Bad-L ... vom 01.02.2001 im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 44-48 LSG-Akte).

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und der Schwerbehindertenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Klägerin verhandeln und entscheiden (§ 153 Abs. 1; § 110 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Gegenstand der Klage und somit der Berufung der Klägerin ist sowohl der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" als auch Feststellung eines höhereren Gdb als 60. Insoweit hat das SG zwar nicht entschieden. Dies hindert indes den Senat nicht hierüber eine Entscheidung zu treffen. Gemäß § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Dieses Gebot der umfassenden Entscheidung über die vom Kläger erhobenen Ansprüche gilt gleichermaßen für die Berufungsinstanz (§ 123 i.V.m. § 157 Satz 1 SGG). § 157 Satz 1 SGG ist nach der Rechtssprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, nicht dahingehend zu verstehen, dass stets allein der Umfang der Prüfung des Streitfalles durch das Sozialgericht die Grenze der Prüfung durch das Landessozialgericht bestimmt. Andernfalls könnten Fehler der Vorinstanz bei der Bestimmung dieser Grenzen nicht beseitigt werden (vgl. BSGE 48, 243, 244 f.). Aus der Klagebegründung ergibt sich indes, dass die Klägerin nicht nur den Nachteilsausgleich "aG", sondern auch einen höheren als den vom Beklagten festgestellten GdB begehrte. Hierüber hat das SG zu Unrecht nicht entschieden.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 151 - SGG -) ist zulässig und erweist sich zum Teil als begründet. Der angefochtene Bescheid vom 26.08.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.1999 erweist sich insoweit als rechtswidrig, als der GdB ab 13.12.1999 mit 70 festzustellen ist, im Übrigen aber als rechtmäßig.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden und damit der Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, so treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach § 4 Abs. 1, 4 Abs. 4 SchwbG.

Behinderung ist nach § 3 Abs. 1 SchwbG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten. Bei mehreren sich gegenseitig beeinflussenden Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich. Die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung ist gem. § 3 Abs. 2 SchwbG als Grad der Behinderung, nach Zehner-Graden abgestuft, von 20 bis 100 festzustellen, wobei nach § 3 Abs. 3 SchwbG die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG normierten Maßstäbe entsprechend gelten. Für die Beurteilung ist danach maßgeblich, in welchem Ausmaß die aus einer Gesundheitsstörung hervorgehende Beeinträchtigung den Betroffenen in Arbeit, Beruf und Gesellschaft behindern. Dabei sind einerseits besonders berufliche Beeinträchtigungen zu berücksichtigen, andererseits finden auch Einschränkungen bei der Ausübung von Tätigkeiten im Haushalt oder in der Freizeit Berücksichtigung. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so ordnet § 4 Abs. 3 SchwbG an, dass der GdB nach den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist.

Grundlage für die inhaltliche Bemessung und den Umfang einer Behinderung sowie die konkrete Bestimmung des GdB sind im Hinblick auf die Gleichstellung aller Schwerbehinderten die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung, die das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zuletzt 1996 herausgegeben hat. Zwar beruhen die AHP weder auf dem Gesetz noch auf einer Verordnung oder auch nur auf Verwaltungsvorschriften, so dass sie keinerlei Normqualität haben, dennoch sind sie als antizipierte Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken, deshalb normähnliche Auswirkungen haben und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden sind (vgl. BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 -; BSGE 72, 285, 286 ff.). Die AHP stellen eine der Entscheidungsfindung dienende Grundlage der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaften zur Bemessung sowohl des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigung dar. Denn in ihnen ist der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen jeweils aktualisiert wiedergegeben. Sie ermöglichen auf diese Weise eine nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Rechtsprechung sowohl hinsichtlich des Umfanges als auch der Schwere der Beeinträchtigungen, die dem Gleichheitssatz genügt.

Der Begriff des GdB umfasst im Übrigen nicht einen medizinischen, sondern einen rechtlichen Begriff, so dass seine Festlegung nicht Aufgabe von Sachverständigen ist. Diese beruht auch nicht auf medizinischen Erfahrungen, sondern auf einer rechtlichen Wertung von Tatsachen, die jedoch mit Hilfe von medizinischen Sachverständigen festzustellen sind. Bei der erforderlichen rechtlichen Schlussfolgerung bilden zwar die Auffassungen des Sachverständigen wertvolle Fingerzeige; doch es steht zu beachten, dass es sich dabei nicht um die Erörterung medizinischer, sondern um eine solche rechtlicher Begriffe handelt, welche im Streifall den Gerichten obliegt (vgl. BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9 a/9 RVs 7/89 = SozR 3-3870 § 4 SchwbG Nr. 1).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat die Klägerin Anspruch auf Feststellung eines GdB von 70, weil sich die Funktionsbehinderungen sowohl im Bereich der Wirbelsäule als auch im Bereich der Hüftgelenke seit Erlass des Teilabhilfebescheides verschlechtert haben, mithin eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) vorliegt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, d. h. aus allen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen medizinischen Erkenntnissen, insbesondere aber aus dem Gutachten Dr. D ... in Zusammenschau mit dem des gerichtlich bestellten Sachverständigen.

Danach leidet die Klägerin auf orthopädischem Gebiet unter einer Verschleißerkrankung beider Hüftgelenke mit Bewegungseinschränkung, einer erheblichen Wirbelsäulenfehlform bei Kalksalzminderung und degenerativen Veränderungen mit Bewegungseinschränkung ohne Nervenausfälle, einer beginnenden Verschleißerkrankung beider Kniegelenke mit geringen Bewegungseinschränkungen und unter einer Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes nach in Fehlstellung verheiltem Speichenbruch. Daneben besteht eine Sehbehinderung sowie ein Bluthochdruck.

Für die Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke hat der gerichtlich bestellte Sachverständige einen Einzel-GdB von 40 als angemessen erachtet. Dies steht in Übereinstimmung mit den AHP. Gemäß Ziff. 26.18, S. 150 AHP ist bei einer Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis zu 0/10/90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) ein GdB von 10 - 20 (einseitig) bzw. 20 - 30 (beidseitig), mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung bis zu 0/30/90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit) 30 (einseitig) bzw. 50 (beidseitig) und stärkeren Grades ein GdB von 40 (einseitig) bzw. 60 bis 100 (beidseitig) anzusetzen. Die bei der Klägerin vorliegende Bewegungseinschränkung ist am linken Hüftgelenk mittleren, am rechten Hüftgelenk noch geringen Grades. Dies ergibt der Vergleich der vom gerichtlich bestellten Sachverständigen gemessenen Werte im Hüftgelenksbereich nach der Neutral-Null-Methode mit den Werten eines gesunden Hüftgelenkes. Die von Prof. Dr ... gemessenen Werte im Hüftgelenksbereich betragen bei Streckung/Beugung rechts 0/10/80, links 0/30/50, bei der Abduktion/Adduktion rechts 10/0/10, links 5/0/5 und bei der Außen-/Innenrotation rechts 10/0/5 und links 15/10/0. Die Werte eines gesunden Hüftgelenkes liegen im Bereich Streckung/ Beugung bei 10/0/130, bei der Abduktion/Adduktion bei 30 - 45/0/20 - 30 und bei der Außen-/und Innenrotation bei 40 - 50/0/30-45. Die Gegenüberstellung der Werte zeigt, dass bei der Klägerin links eine deutliche, mithin mittleren Grades bestehende Einschränkung der Hüftgelenksbeweglichkeit besteht, die auf der rechten Seite noch nicht derart ausgeprägt ist. Die im Bereich der Streckung/Beugung am linken Hüftgelenk festgestellten Werte weichen von den von Frau Dr. Di ... gemessenen (0/30/70) im Sinne einer Verschlimmerung ab. Unter Abweichung des von Frau Dr. D ... festgestellten GdB hält der Senat daher für das "Funktionssystem Hüfte" ab 13.12.1999 (Tag der Untersuchung durch Prof. Dr. S ...) einen GdB von 40 für angemessen.

Für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule ist ein GdB von 40 anzusetzen. Gem. Ziff. 26.18, S. 140 AHP ist für Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung und Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30, mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein GdB von 40 sowie mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Copp]) ein GdB von 50 bis 70 anzusetzen. Bei der Klägerin liegen Wirbelsäulenschäden mit zumindest mittelgradigen funktionellen Auswirkungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule vor. In diesem Bereich hat der gerichtlich bestellte Sachverständige eine deutliche Minderung der Beweglichkeit festgestellt. Dies stimmt mit dem von ihm erhobenen Befunden überein. Danach besteht nunmehr der minimale Finger-Boden-Abstand in Höhe von 50 cm. Die Seit- neigung rechts/links mit Werten nach der Neutral-Null-Methode von 15/0/10 (normal 30 - 40/0/30 - 40) sowie die Rotation der Wirbelsäule rechts/links mit Werten von 15/0/15 (normal 30 - 40/0/30 - 40) sind bis zu zwei Drittel einer gesunden Wirbelsäule eingeschränkt. Die Reklination ist aufgehoben. Die Entfaltbarkeit der Brustwirbelsäule ist ebenso erheblich eingeschränkt. Die Zeichen nach Ott betragen 30/31 cm, die eines Gesunden 30 und mehr oder gleich 32 cm. Röntgenologisch stellte der gerichtlich bestellte Sachverständige im Brust- als auch im Lendenwirbelsäulenbereich eine ausgeprägte Fehlform bei fortgeschrittenen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, deutlicher Kalksalzminderung und Wirbelkörperdeformierung fest. Unter Berücksichtigung der hierdurch auch bedingten erheblich gestörten Statik in diesen beiden Wirbelsäulenabschnitten sowie der von der Klägerin glaubhaft angegebenen Schmerzen beim Laufen in diesem Bereich mit gürtelförmiger Ausstrahlung ist der GdB entsprechend der Einschätzung von Dr. D ... mit 40 anzusetzen. Besonders schwere Auswirkungen haben die bei der Klägerin festgestellten Wirbelsäulenschäden zumindest momentan nicht zur Folge. Weder liegt eine Versteifung großer Teile der Wirbelsäule vor, noch umfassen die Funktionseinschränkungen drei Wirbelsäulenabschnitte. Die Halswirbelsäule ist in ihrer Beweglichkeit nach den Feststellungen sowohl von Prof. Dr. S ... als auch nach den von Dr. D ... nicht wesentlich beeinträchtigt.

Im Bereich der Kniegelenke liegt entgegen den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen keine Bewegungseinschränkung vor, die im Sinne der AHP beachtenswert ist. Die AHP sehen in Ziff. 26.18, S. 151 für eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0/0/90) einen GdB von 0 bis 10 (einseitig) bzw. 10 bis 20 (beidseitig) vor. Die von Prof. Dr. S ... festgestellte Kniegelenksbeweglichkeit bei Streckung/Beugung rechts 0/0/130 und links 0/5/130 weicht nur unwesentlich von der Beweglichkeit eines gesunden Kniegelenkes ab. Diese beträgt 0/0/120 - 150. Ein GdB hierfür kommt daher nicht in Betracht.

Dies gilt ebenso für die Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk. Diese ist nur geringen Grades, so dass hierfür kein GdB anzusetzen ist (vgl. Ziff. 26.18 S. 152 AHP). Die bei der Klägerin festgestellte Bewegungseinschränkung am linken oberen Sprunggelenk besteht nur insoweit, als die Klägerin nur noch in der Lage ist, dieses in eine Stellung bis 15° zu heben, während ein Gesunder hierzu bis 20 - 30° in der Lage ist.

Schließlich ist entsprechend den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen für die Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes ein GdB von 10 gerechtfertigt. Nach Ziff. 26.18, S. 115 der AHP ist bei einer Bewegungseinschränkung des Handgelenkes geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 30/0/40) ein GdB von 0 bis 10, bei einer Bewegungseinschränkung stärkeren Grades ein GdB von 20 bis 30 anzunehmen. Die vom gerichtlich bestellten Sachverständigen gemessene Beweglichkeit des rechten Handgelenkes ergab für Streckung/Beugung Werte von 60/0/30 und für die Ellen-/Radialabduktion von 10/0/20. Diese Werte stimmen mit denen im ärztlichen Reha-Entlassungsbericht überein. Normalwerte eines gesunden Handgelenkes betragen 35 - 60 (Streckung)/0/50 - 60 (Beugung) sowie 30 - 40 (Ulnaabduktion)/0/25 - 30 (Radialabduktion). Danach besteht eine Bewegungseinschränkung um etwa die Hälfte im Bereich der Beugung und etwa zwei Drittel im Bereich der Ulna(Ellen)abduktion. Da die übrigen bei der Klägerin gemessenen Werte nicht oder nur unwesentlich von den Normalwerten abweichen, ist lediglich von einer Bewegungseinschränkung geringen Grades auszugehen und kein höherer Grad als 10 gerechtfertigt.

Für die bei der Klägerin vorliegende Sehbehinderung hat der Beklagte seinem Teilabhilfebescheid 23.09.1994 zutreffend einen GdB von 30 zugrunde gelegt. Bei der Klägerin besteht eine Hyperopie in beiden Augen (links mehr als rechts) sowie am linken Auge zusätzlich ein Astigmatismus, eine Amblyopie und ein Strabismus convergens. Das Gesichtsfeld zeigt volle Außengrenzen. Die Sehschärfe des rechten Auges beträgt 1,0, die des linken Auges 0,16. Die AHP sehen in Ziff. 26.4, S. 66 bei Strabismus, wenn ein Auge wegen der Doppelbilder vom Sehen ausgeschlossen werden muss, einen GdB von 30 vor. Infolge des bei der Klägerin festgestellten Strabismus bei funktioneller Einäugigkeit des linken Auges ist für die Sehbehinderung daher ein GdB von 30 gerechtfertigt. Eine Verschlechterung der Sehleistung wurde im Übrigen nicht vorgetragen, so dass weitere Ermittlungen nicht zu veranlassen waren.

Für den Bluthochdruck war kein GdB anzusetzen. Eine Leistungsbeeinträchtigung ist diesbezüglich weder vorgetragen, noch ergeben sich aus der medizinischen Dokumentation Anhaltspunkte hierfür. Zu weiteren Ermittlungen sah sich der Senat daher auch insoweit nicht veranlasst.

Die festgestellten Funktionsstörungen in Form der Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke mit einem Teil-GdB von 40, der Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem GdB von 40, der Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes mit einem Teil-GdB von 10 und der Sehbehinderung mit einem Teil-GdB von 30 bedingen einen Gesamt-GdB von 70. Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB ist gem. Ziff. 19 der AHP bei Vorliegen mehrerer Funktionsstörungen zwar der jeweilige Einzel-GdB anzugeben. Maßgeblich ist jedoch der Gesamt-GdB, welcher nur für den Gesamtzustand der Behinderung festgestellt wird, nicht für Einzelfunktionsbeeinträchtigungen. Bei den Teil-GdB-Werten handelt es sich lediglich um Einsatzgrößen, bei denen die Einschätzung des Gesamt-GdB einerseits vorbereitet, andererseits nachvollziehbar begründet und damit überprüfbar gemacht wird. Darin erschöpft sich die Bedeutung der Einzel-GdB. Sie gehen als bloße Messgröße für mehrere zugleich vorliegende Funktionsbeeinträchtigungen restlos im Gesamt-GdB auf und erwachsen nicht in Rechtskraft.

Bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsstörungen zusammen dürfen nach Ziff. 19 Abs. 1 AHP die einzelnen Teil-GdB-Werte nicht einfach addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktikonsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Dabei führen indes leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Teil-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamt-Beeinträchtigung, die bei dem Gesamt-GdB berücksichtigt werden könnte (vgl. BSG, Urteil vom 11.03.1998 - B 9 SB 9/97 R -). Auch bei leichten Behinderungen mit einem Teil-GdB von 20 ist es regelmäßig nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist daher in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Im Hinblick auf alle weiteren Funktionsstörungen ist zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsstörungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (vgl. Ziff. 19 Abs. 3 der AHP). Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist zu beachten, wie weit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen von einander unabhängig sind und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen, ob sich eine Behinderung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt, wie weit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder ob das Ausmaß einer Behinderung durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung nicht verstärkt wird.

Vor diesem Hintergrund hält der Senat unter Berücksichtigung der festgestellten Teil-GdB-Werte einen Gesamt-GdB von 70 seit 13.12.1999, d. h. seit der Untersuchung der Klägerin durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen für zutreffend und im Einklang stehend mit den AHP. Die bei der Klägerin vorliegenden einzelnen Behinderungen und ihre Auswirkungen sind teilweise von einander unabhängig, soweit sie die Bewegungsfähigkeit der Klägerin einerseits und ihr Sehvermögens andererseits betreffen, so dass die Auswirkungen beider Behinderungen bei der Bildung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden müssen. Andererseits überschneiden sich die Behinderungen der Klägerin auf orthopädischem Gebiet, so dass der Gesamt-GdB wesentlich niedriger als die Summe der einzelnen GdB, aber höher als die für die Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB anzusetzen war. Da eine wesenliche Verschlechterung der bei der Klägerin vor allem beeinträchtigenden Hüftgelenksbeweglichkeit erstmals aus dem Gutachten von Prof. Dr. S ... hervorgeht, die zu einer Heraufsetzung des GdB von 30 auf 40 führte, war der GdB von 70 ab 13.12.1999 festzustellen. Für die vorangeganen Zeiträume hat die Klägerin hingegen keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB.

Die Klägerin hat indes keinen Anspruch auf Feststellungen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "aG", da sie nicht außergewöhnlich gehbehindert ist.

Wer als außergewöhnlich gehbehindert anzusehen ist, legt das Schwerbehindertenrecht nicht fest. Es verweist auf den durch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften definierten Begriff (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Schwerbehinderten-Ausweis-Verordnung - SchwbAwV - i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz -StVG -). Danach ist außergewöhnlich gehbehindert, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann.

Zu diesem begünstigten Personenkreis zählen: Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich oberschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung (auch aufgrund von Erkrankungen) dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind (Nr. 11, II, 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift - VV § 46 Straßenverkehrsordnung - StVO -).

Die Klägerin gehört nicht zu dem vorgenannten Personenkreis, da bei ihr weder eine Gliedmaßenamputation noch ein Querschnittslähmung besteht. Sie kann dem in der VV zu § 46 StVO im Einzelnen genannten Personenkreis auch nicht gleichgestellt werden.

Für eine Gleichstellung kommt es nicht entscheidend auf die vergleichbare allgemeine Schwere der festgestellten Leiden an, sondern allein darauf, dass die Auswirkungen funktionell gleich zu achten sind. Der Leidenszustand muss ebenfalls wegen einer außergewöhnlichen Behinderung beim Gehen die Fortbewegung auf das Schwerste einschränken (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. unter anderem BSG, Urteil vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 11; Urteil vom 12.02.1997 - 9 RVs 11/95 -). Dabei ist zu beachten, dass der Begriff der "außergewöhnlichen Gehbehinderung" einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt, der als normatives Tatbestandsmerkmal durch eine entsprechende Wertung auszufüllen ist. Dabei beinhaltet die genannte Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO eine Auslegungshilfe dieses unbestimmten Rechtsbegriffs für die Verwaltung. Im Streitfall obliegt sie jedoch letztendlich den Gerichten, das normative Tatbestandsmerkmal der "außergewöhnlichen Gehbehinderung" inhaltlich auszufüllen. Dabei ist die genannte Verwaltungsvorschrift als wichtiges Hilfsmittel heranzuziehen, da sie den unbestimmten Rechtsbegriff insoweit präzisiert und in Ziff. 31 der AHP Eingang gefunden hat.

Auf der Grundlage des vom SG eingeholten orthopädischen Gutachtens und dem ärztlichen Entlassungsbericht der Sachsenklinik Bad L ... steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO aufgeführten Personenkreis nicht gleichgestellt werden kann.

Das Gehvermögen der Klägerin ist zwar unzweifelhaft eingeschränkt. Aufgrund dessen wurde ihr das Merkzeichen "G" zuerkannt. Ursächlich hierfür ist insbesondere die bei der Hüftgelenke. In funktioneller Hinsicht rechtfertigt indes die Auswirkung dieser Behinderung keine Gleichstellung mit dem in der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO genannten Personenkreis. Nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen, denen sich der Senat nach rechtlicher Prüfung anschließt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Klägerin nur mit Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Fahrzeuges bewegen kann. Wegstrecken von 500 m ohne Zeitdruck sind ihr durchaus möglich. Diese Wegstrecke liegt nach Auffassung des Senats über der, die Doppelschenkelamputierten und vergleichbaren Personen im Sinne der Verwaltungsvorschrift zugemutet werden können.

Nach der Rechtsprechung des BSG, denen sich der Senat aus eigener Überzeugung ausschließt, sind die Vorschriften, nach denen eine außergewöhnliche Gehbehinderung anerkannt werden kann, ihrem Zweck entsprechend eng auszulegen. Dem Schwerbehinderten mit außergewöhnlicher Gehbehinderung soll ermöglicht werden, mit einem Kraftfahrzeug möglichst nahe an das jeweilige Ziel zu fahren; das Merkzeichen "aG" ermöglicht dem Schwerbehinderten, in Fußgängerzonen zu parken, Parkzeiten zu überschreiten oder ohne Gebühr zu parken. Um diesem Gesetzesauftrag gerecht zu werden, müssen ortsnahe Parkplätze etwa in der Nähe von Behörden, Krankenhäusern oder anderen öffentlichen Gebäuden, aber auch vor Wohnungen oder in der Nähe der Arbeitsstätten der Behinderten eingerichtet werden, wenn in zumutbarer Entfernung eine Garage oder ein Abstellplatz außerhalb des öffentlichen Verkehrsraumes nicht vorhanden ist. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass der Zweck des Nachteilsausgleichs, nämlich die neben der Benutzung des Kfz unausweislich anfallenden tatsächlichen Wegstrecken soweit wie möglich zu verkürzen, genügt wird. Dies hat nach der Rechtsprechung des BSG zur Folge, dass der berechtigte Personenkreis für das Merkzeichen "aG" eng zu fassen ist. Der öffentliche Parkraum kann nicht beliebig gemehrt werden, so dass mit einer Ausweitung des berechtigten Personenkreises letztlich dem gesamten Personenkreis wieder deutlich längere Wegstrecken zugemutet werden müssten, weil insoweit öffentlicher Parkraum, der dem Merkzeichen "aG" genügt, nicht beliebig geschaffen werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 09.10.1987 - 9a RVs 5/86 - SozR 3-3870 § 3 Nr. 28 S. 87, 88).

Hieraus folgt, dass Sinn und Zweck des Merkzeichens "aG" ist, dem Behinderten die erforderlichen Wegstrecken soweit wie möglich zu verkürzen. Aufgrund dessen ist bei vergleichbarer Schwere der Leiden in funktioneller Hinsicht die dem Behinderten noch zumutbare Wegstrecke ein mitentscheidendes Indiz bei der Prüfung, ob der Schwerbehinderte außergewöhnlich gehbehindert ist. Dabei ist maßgeblich, ob der Behinderte in der Lage ist, zu Fuß die Ziele zu erreichen, die üblicherweise im alltäglichen Leben erreicht werden müssen. Hierzu ist die Klägerin aber bei einer zurücklegbaren Wegstrecke von 500 m noch in der Lage. Im Übrigen ist die Bewegungseinschränkung am linken Hüftgelenk lediglich mittleren und am rechten geringen Grades, so dass bereits in funktioneller Hinsicht keine Einschränkung der Bewegungsfähigkeit gleich dem in der VV genannten Personenkreis besteht.

Nach alledem war die Berufung der Klägerin zum Teil begründet, hinsichtlich des Merkzeichens "aG" aber unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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